Organspende ist Vertrauenssache. Sie berührt nicht nur unsere persönliche Einstellung zum Umgang mit Leben und Tod, sondern betrifft auch unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen und zu jenen Institutionen, die damit betraut sind, Spenderorgane zu entnehmen und zu vergeben. Zwar ist es mit Blick auf die über 9000 Patienten, die derzeit dringend auf ein Spenderorgan warten, völlig legitim, darüber nachzudenken, wie das derzeit in Deutschland geltende Regelwerk der Transplantationsmedizin verbessert werden kann, doch sollte dies mit der gebotenen Sachkenntnis und im Wissen um die besondere Sensibilität des Themas geschehen. Politischer Aktivismus schadet hier weit mehr, als er nutzt – doch dazu später.
Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende sollte umfassend informiert, wohlüberlegt und vor allem frei und selbstbestimmt getroffen werden. Alle drei Voraussetzungen sind wichtig:
"Umfassend informiert" bedeutet, dass der potenzielle Organspender Zugang zu allen Informationen im Umkreis einer Organentnahme erhält, die für seine Entscheidung relevant sind. Die dafür erforderliche Aufklärung sollte neben den einschlägigen medizinischen Aspekten (zum Beispiel den gegebenenfalls erforderlichen organprotektiven Maßnahmen im Vorfeld des Todes, den Prozeduren der Todesfeststellung, der Durchführung der eigentlichen Explantation und der anschließenden Versorgung des Leichnams) auch relevante soziale Aspekte (wie etwa die Möglichkeit An- und Zugehöriger zur Verabschiedung von dem Verstorbenen) sowie Hinweise auf die Folgen einer Organspende für die nähere Ausgestaltung bestimmter rechtlicher Vorsorgeinstrumente (beispielsweise Patientenverfügungen) beinhalten.
"Wohl überlegt" bedeutet, dass die Person alle notwendigen Informationen rund um die Organentnahme unter Berücksichtigung ihrer höchstpersönlichen Wertüberzeugungen, ihrer individuellen gesundheitlichen Lage sowie ihrer religiös-weltanschaulichen Überzeugungen sorgfältig abgewogen und so zu einer stabilen, gefestigten Entscheidung gefunden hat.
"Frei und selbstbestimmt" bedeutet, dass die Entscheidung des potenziellen Organspenders nicht das Ergebnis manipulativer äußerer Einflüsse sein darf, sondern autonom getroffen werden muss. Da es sowohl im moralischen wie im rechtlichen Sinne weder einen Anspruch auf die Organe eines anderen Menschen noch eine Pflicht zur Abgabe eigener Organe gibt, kommt es entscheidend darauf an, den freiheitlichen Charakter der Organspende zu wahren. In der christlichen Tradition hat man die Organspende wegen ihres uneigennützigen (altruistischen) Charakters als besonders lobenswerten Akt der Nächstenliebe verstanden, für den man aber nicht aggressiv werben sollte, um dessen Freiheit nicht zu gefährden.
Nimmt man die genannten drei Kriterien der umfassenden Informiertheit, der Wohlüberlegtheit und der Freiheitlichkeit ernst, dann folgt daraus, dass die sogenannte Zustimmungslösung, bei der Organe nur dann entnommen werden dürfen, wenn die betreffende Person der Entnahme ausdrücklich selbst zugestimmt hat, aus ethischer Perspektive das beste Modell für die rechtliche Regelung der Organspende ist.
Kritiker dieses Modells verweisen regelmäßig auf das viel zu geringe Spendeaufkommen in Deutschland, das umso ärgerlicher sei, als eine hohe latente Spendebereitschaft in der Bevölkerung vorhanden sei. Offenbar gelinge es unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht, dieses Potenzial zu nutzen und damit einer größeren Zahl von Patienten auf der Warteliste entweder das Leben zu retten oder zumindest eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen, sodass hier ein akuter Reformbedarf bestehe.
Übertölpelung der Betroffenen
Während eine interfraktionelle Gruppe von Bundestagsabgeordneten offenbar die Zeit dafür gekommen sieht, endlich einen Systemwechsel in Richtung Widerspruchslösung herbeizuführen, votieren die Verfasser eines Positionspapiers der FDP jüngst dafür, durch eine gezielte Erweiterung des Todesverständnisses den Pool der möglichen Organspender zu vergrößern.
Aus ethischer Perspektive sind beide Initiativen wenig überzeugend. Die immer neuen Versuche zur Durchsetzung der Widerspruchslösung, die das Parlament erst vor wenigen Jahren mehrheitlich abgelehnt hat, stehen im eklatanten Widerspruch zum Prinzip der Patientenautonomie, das bei diesem Regelungsmodell nur noch in einer stark reduzierten Form gewahrt ist. Zwar soll bei vorliegendem Widerspruch eine Organentnahme verboten bleiben, doch läuft der ausdrückliche Verzicht auf die explizite Zustimmung eher auf eine Übertölperung als auf eine wirkliche Überzeugung der Betroffenen hinaus, deren fehlende Willensbestimmtheit in eine schweigende Billigung der Organentnahme umgedeutet wird. Es passt jedoch nicht in die Zeit, ausgerechnet auf dem sensiblen Feld der Transplantationsmedizin die Autonomie des Spenders nur noch in einer derartigen Schrumpfform zur Geltung bringen zu wollen, während wir sonst in allen Bereichen unseres Medizinsystems eher daran arbeiten, die informierte Zustimmung des Patienten aufzuwerten. Hinter den Sympathien für die Widerspruchslösung stehen letztlich utilitaristische Nützlichkeitsüberlegungen, die dem sensiblen Gegenstand der Transplantationsmedizin unangemessen sind.
Noch fataler wirkt der gegenwärtige Versuch, die Zahl der möglichen Organspender durch eine Aufweichung des Todeskriteriums erhöhen zu wollen. Nach dem derzeitigen medizinischen Wissensstand ist das sogenannte Hirntodkriterium im Sinne des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls das sicherste und plausibelste Todeskriterium, das weltweit existiert und daher aus guten Gründen die konzeptionelle Grundlage der Transplantationsmedizin in Deutschland bildet. Demgegenüber wirft der Herzstillstand, der international mit ganz verschiedenen Beobachtungszeiten korreliert ist, gewichtige Fragen nach seiner tatsächlichen Irreversibilität und den daraus resultierenden juristischen Folgeproblemen auf, die sich jeder einhandelt, der sich anschickt, die Explantation lebensnotwendiger Organe auf die Gruppe der "non-heart-beating donors" auszuweiten: Sind diese Personen wirklich schon tot oder sind es Sterbende?
Man mag einwenden, dass sich ähnliche Fragen auch im Umkreis des Hirntodkriteriums stellen. Tatsächlich wäre die Bundesärztekammer gut beraten, nicht nur die Richtlinien für die Hirntoddiagnostik regelmäßig zu aktualisieren, sondern die in populären Publikationen immer wieder geäußerten Zweifel an der Zuverlässigkeit des Hirntodkonzeptes in einem eigenen Grundlagendokument auf der Basis medizinischer Fakten sowie anthropologischer Reflexionen argumentativ zu widerlegen und damit die Vertrauenswürdigkeit der derzeitigen Praxis der Todesfeststellung im Vorfeld der Organentnahme zu erhöhen.
Es gibt viele diskrete Stellschrauben, mittels deren sich eine weitere Verbesserung des Status quo zum Wohle aller Beteiligten herbeiführen ließe. Dies gilt umso mehr, als manche der erst vor wenigen Jahren eingeführten innovativen Regelungen noch gar keine Zeit hatten, ihre Wirkung zu entfalten. Ein grundlegender Systemwechsel und immer neuer politischer Aktionismus, der in hemdsärmeliger Manier die konzeptionellen Grundlagen unseres Todesverständnisses infrage stellt, dürfte sich dagegen insgesamt als kontraproduktiv erweisen.
Weitere flankierende Maßnahmen wären etwa, die Position der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken zu stärken und die von den Krankenversicherungen bereitgestellten Informationsmaterialien zur Organspende für die Versicherten zu verbessern. Auch könnte es sinnvoll sein, die – gemessen an der Anzahl der durchgeführten Organverpflanzungen – üppige Anzahl von Transplantationszentren in Deutschland zu reduzieren. In der Vergangenheit haben irreguläre Praktiken der Transplantationszentren bei der Einstufung von potenziellen Organempfängern für großes Misstrauen gegenüber dem Transplantationsbetrieb als Ganzem gesorgt.
Es gibt viele diskrete Stellschrauben, mittels deren sich eine weitere Verbesserung des Status quo zum Wohle aller Beteiligten herbeiführen ließe. Dies gilt umso mehr, als manche der erst vor wenigen Jahren eingeführten innovativen Regelungen noch gar keine Zeit hatten, ihre Wirkung zu entfalten. Ein grundlegender Systemwechsel und immer neuer politischer Aktionismus, der in hemdsärmeliger Manier die konzeptionellen Grundlagen unseres Todesverständnisses infrage stellt, dürfte sich dagegen insgesamt als kontraproduktiv erweisen. Denn er zerstört ohne Not Vertrauen und verunsichert damit – wenn auch ungewollt – Menschen, die sich zwar ernsthaft mit der Frage der Organspende auseinandersetzen wollen, sich aber noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung haben durchringen können.