Einfache Antworten auf schwierige FragenZur kirchlichen Rhetorik in der Migrationsdebatte

Die Erfolge von AfD und BSW in Sachsen und Thüringen beruhen wesentlich auf der Mobilisierung von Wutgefühlen der Wähler. Kirchliche Interventionen richten dagegen nichts aus. Denn die Kirchenvertreter machen es sich oft zu leicht.

Barbara Zehnpfennig
Barbara Zehnpfennig© Privat

Nach dem Messerattentat von Solingen hat die Debatte über die deutsche Migrationspolitik an Schärfe gewonnen. Zwar will man von politischer Seite, jedenfalls bei den bürgerlichen Parteien, nicht den Eindruck erwecken, man setze Migration mit Kriminalität gleich. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass mit der Zuwanderung auch die Zahl der Gewaltdelikte in statistisch relevantem Umfang zugenommen hat und dass gerade islamistisch motivierte Anschläge meist von Tätern verübt werden, die nicht in Deutschland sozialisiert wurden oder kein positives Verhältnis zur hiesigen Kultur entwickeln konnten.

Nun ist es sehr schwierig, über dieses Thema zu sprechen, ohne generell Ressentiments gegen Zuwanderer oder Zuwanderung zu wecken. Deshalb gab es in der Vergangenheit auch immer wieder Diskussionen darüber, ob man die Herkunft der Täter bei Berichten über Gewalttaten besser verschweigen sollte, um nicht unzulässigen Verallgemeinerungen Vorschub zu leisten. Nachdem sich aber die Messerangriffe in der letzten Zeit gehäuft haben und sich in der Bevölkerung ein spürbarer Unmut über die Auswirkungen einer mangelhaften Einwanderungspolitik breitmacht, gelten manche früheren Tabus nicht mehr. Geachtet wurden diese von den politischen Rändern, also von AfD und BSW, zwar noch nie. Nun aber finden auch Vertreter der bürgerlichen Parteien deutliche Worte, was mit zugewanderten Gewalttätern zu geschehen habe. Selbst diejenigen Parteien, die mit ihrer Einwanderungspolitik nicht unschuldig an der angespannten Lage sind, neigen jetzt zur Propagierung radikaler Maßnahmen.

Das war in den letzten Wochen natürlich auch dem Wahlkampf in Thüringen und Sachsen geschuldet, bei dem das Thema "Migration" ganz oben auf der Agenda stand. Die Erfolge von AfD und BSW, die eine Regierungsbildung seitens der CDU erheblich erschweren, beruhen wohl zu wesentlichen Teilen auf der Mobilisierung von Wutgefühlen der Wähler, die sich zum einen gegen die Unterstützung der Ukraine, zum anderen aber gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wenden. Genährt wird von den genannten Parteien der Eindruck, das Fremde sei den regierenden Politikern wichtiger als das Eigene. Man investiere eine Menge Geld in den Ukrainekrieg, lasse aber in Deutschland die Infrastruktur herunterkommen. Man kümmere sich intensiv um die Flüchtlinge, besorge ihnen Wohnraum, Bildungsmöglichkeiten und finanzielle Ressourcen, vernachlässige aber die eigene Bevölkerung. Dieses Ausspielen des Eigenen gegen das Fremde ist immer das effektivste Mittel, Wählerwut so zu kanalisieren, dass sie einem selbst nützt. Der Appell an den Egoismus hat verlässlich Wirkung.

Dass sich in der Bevölkerung Gefühle der Überforderung und auch der Entfremdung ausbreiten, hat objektive Gründe. Deshalb müsste hier ein rational geführter gesellschaftlicher Diskurs ansetzen: Was schuldet ein wirtschaftlich starkes, inzwischen allerdings angeschlagenes, Land Menschen, denen es schlechter geht als einem selbst?

Zweifellos gibt es berechtigte Kritik an der Art und Weise, wie in Deutschland bisher mit dem Thema Asylrecht, Armutsmigration, illegale Einwanderung etc. umgegangen wurde; hier war wenig Gestaltungswille und Bereitschaft zur sinnvollen Begrenzung erkennbar. Dass sich in der Bevölkerung Gefühle der Überforderung und auch der Entfremdung ausbreiten, hat objektive Gründe. Deshalb müsste hier ein rational geführter gesellschaftlicher Diskurs ansetzen: Was schuldet ein wirtschaftlich starkes, inzwischen allerdings angeschlagenes, Land Menschen, denen es schlechter geht als einem selbst? Viele Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: die Rechtslage, die ökonomischen Möglichkeiten, die sozialen Auswirkungen, die demografische Entwicklung und anderes mehr. Vor diesem Hintergrund muss das moralische Problem angegangen werden, wenn man politisch verantwortlich denken und handeln will.

Rigorismus

Wer allerdings nur die moralische Seite betrachtet, tut sich hier sehr viel leichter. Manche Äußerungen oder Verhaltensweisen seitens kirchlicher Vertreter zur Frage des Asyls und der Zuwanderung vermitteln den Eindruck, dass man den moralischen Rigorismus in der Einforderung von Nächstenliebe der Auseinandersetzung mit der Komplexität der Problemlage vorzieht.

Das fängt mit dem Kirchenasyl an. Es gibt immer wieder Fälle von geplanten Abschiebungen, die herzzerreißend sind. Wenn ausgerechnet Menschen, die sich gut integriert haben und vielleicht sogar eine hierzulande dringend benötigte Tätigkeit ausüben, in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden sollen, wenn Kinder mit ihren Eltern in Länder abgeschoben werden sollen, die sie gar nicht kennen und in denen ihre Existenz nicht gesichert ist, dann stört das empfindlich das Gerechtigkeitsgefühl. Es ist verständlich, hier etwas tun zu wollen. Aber rechtfertigt das den Verstoß gegen geltendes Recht?

Wenn die Kirchen sich um des konkreten Einzelfalls willen in Verfahren einmischen, die allgemeinen Prinzipien folgen, erwecken sie den Eindruck, Widerstand zu leisten, wie das in einer Diktatur gerechtfertigt sein mag. Wir leben jedoch in einer Demokratie.

Mit Kirchenasyl die Vollstreckung einer Abschiebmaßnahme zu verhindern, ist nicht legal. Es gibt zwar inzwischen eine Vereinbarung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den beiden christlichen Kirchen, wie in Fällen von Kirchenasyl zu verfahren ist. Aber das ändert nichts daran, dass sich die Kirchen damit über geltendes Recht hinwegsetzen. Und das hat eine negative Signalwirkung, weil sie in Berufung auf ein höheres Recht und mit der Kraft ihrer Institution staatliche Maßnahmen infrage stellen. Einzelfallgerechtigkeit zu üben, ist für jedes Rechtssystem eine Herausforderung. Ein Teil der Lähmung unseres Landes beruht auf dem Versuch, dies Unerreichbare zu erreichen, was zu einem undurchdringlichen bürokratischen Dickicht geführt hat. Wenn die Kirchen sich um des konkreten Einzelfalls willen in Verfahren einmischen, die allgemeinen Prinzipien folgen, erwecken sie den Eindruck, Widerstand zu leisten, wie das in einer Diktatur gerechtfertigt sein mag. Wir leben jedoch in einer Demokratie. Hier sind alle Gesetze, auch solche, die Asyl und Migration betreffen, auf demokratischem Weg zustande gekommen.

Kontaktabbruch?

Ein weiteres Beispiel eines problematischen Ausgreifens der Kirchen in den politischen Bereich ist die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur AfD anlässlich der Diskussion um die Forderung nach "Remigration". In dieser Stellungnahme befinden die Bischöfe, die AfD sei für Christen nicht wählbar und Christen dürften sich in ihr auch nicht betätigen.

Verdammungsurteile lassen den Betroffenen nur den noch engeren inneren Zusammenschluss übrig.

Wenn die Kirche, was ebenfalls Thema der Stellungnahme war, in haupt- und ehrenamtlichen Diensten keine zum Rechtsextremismus neigenden Menschen dulden möchte, ist das ihr gutes Recht. Ist es aber ihre Aufgabe, der Bevölkerung mitzuteilen, was sie zu wählen hat oder in welchen Parteien sie sich politisch engagieren darf? Keine andere Institution schlägt gegenüber den Bürgern einen solch bevormundenden Ton an – und das in Zeiten einer immer geringeren Kirchenbindung innerhalb der Bevölkerung. Zudem brandmarkt man so diejenigen, die sich tatsächlich auf die AfD eingelassen haben, als im Grunde nicht gesellschaftsfähig. Es sind derart rigorose Verdammungsurteile, die den Betroffenen nur den noch engeren inneren Zusammenschluss übrig lassen. In einer aufschlussreichen Fernseh-Dokumentation über AfD-Aussteiger berichteten diese davon, wie ihnen die allgemeine Ächtung, die ihnen entgegenschlug, den Rückweg versperrt habe. Sie hatten niemanden mehr, der sie nach dem Verlassen der sektenartigen AfD-Gemeinschaft hätte auffangen können.

Politik und Moral

Die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ist ein weiteres Beispiel für die problematische Kommentierung konkreter politischer Maßnahmen durch Kirchenvertreter. Hier befand der Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen in der Deutschen Bischofskonferenz, dass mit einer solchen Auslagerung die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehöhlt werde. Abgesehen davon, dass man derartige Einschätzungen vielleicht doch besser Juristen überlassen sollte, ist das moralische Urteil, das sich hinter dieser Einschätzung verbirgt, wieder eines, das zwar politische Maßnahmen zum Gegenstand hat, sich die multidimensionale Perspektive, die Politiker einnehmen müssen, aber in keiner Weise zu eigen macht.

Wer sämtliche Folgen für das verantwortet, was er entscheidet, tut sich notgedrungen sehr viel schwerer mit der Einschätzung des moralisch Gebotenen oder auch nur Zulässigen als derjenige, der seine moralischen Postulate ungeachtet der möglichen Folgen verkünden kann.

Es wäre zwar völlig verfehlt, Politik und Moral als zwei völlig unvereinbare Bereiche zu betrachten. Eine Politik, die die Moral nicht achtet, ist mit größter Wahrscheinlichkeit auch eine menschenverachtende Politik. Eine bruchlose Umsetzung moralischer Prinzipien in der Politik ist jedoch so gut wie ausgeschlossen. Allerdings gelingt das im individuellen Leben ebenfalls nicht. Insofern sollte diese Erfahrung, die wohl jeder macht, Anlass zur Vorsicht geben, wenn es darum geht, Entscheidungen und Maßnahmen von Menschen zu verurteilen, die nicht nur für sich selbst, sondern für das gesamte Gemeinwesen Verantwortung tragen. Wer sämtliche Folgen für das verantwortet, was er entscheidet, tut sich notgedrungen sehr viel schwerer mit der Einschätzung des moralisch Gebotenen oder auch nur Zulässigen als derjenige, der seine moralischen Postulate ungeachtet der möglichen Folgen verkünden kann.

Wir brauchen die Kirche, um immer wieder an christliche Maßstäbe erinnert zu werden. Eine zentrale Botschaft des Christentums ist die Nächstenliebe, und der Nächste ist potenziell jeder, auch der uns ganz entfernt Erscheinende. Aber: Kirchenvertreter haben kein politisches Mandat. Ihre Aufgabe ist eine geistig-geistliche, sie müssen allgemein Orientierung geben und diese vor allem spirituell begründen. Bloße Meinungsäußerungen zu konkreten politischen Fragen erfüllen dieses Kriterium nicht, zumal dann, wenn sie die Komplexität der Problemlage außer Acht lassen oder eine Kompetenz beanspruchen, die nicht gegeben ist. Ihren Bedeutungsverlust dadurch zu kompensieren, dass sie sich zum politischen Mitakteur macht, erscheint kein vielversprechender Weg für die Kirche zu sein. Eher macht sie sich damit zusätzlich angreifbar – als eine Institution, die in dem Bereich über untrügliches Wissen zu verfügen glaubt, in dem es das nie geben kann.

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