Eifer statt VerantwortungZur Kritik aus den Kirchen an der Union

Die Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche in Berlin haben in die aktuelle migrationspolitische Debatte eingegriffen und kritisieren die Union. Wer sich als Hüter des Humanitären präsentiert, ohne sich um die Folgen der eigenen Kompromisslosigkeit zu kümmern, macht es sich leicht. Zu leicht.

Barbara Zehnpfennig

Das Vorhaben der CDU/CSU-Fraktion, ihren Gesetzentwurf für eine Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatenangehörigen nach Deutschland erneut in den Bundestag einzubringen, erfährt von vielen Seiten heftige Kritik. Im November 2024 war der Antrag gescheitert. Die damals noch bestehende Ampelkoalition hatte zusammen mit der Partei "Die Linke" gegen den Entwurf gestimmt. Inzwischen ist die Koalition zerbrochen, und die FDP hat signalisiert, diesmal für den Entwurf zu votieren. Außerdem hat sich seit der ersten Vorlage des Gesetzes im Bundestag die Stimmung im Land erheblich verschlechtert. Mehrere von Zuwanderern begangene Bluttaten haben die Öffentlichkeit aufgewühlt. Für viele Bürger offenbart sich in ihnen ein Staatsversagen, das eine deutliche Kursänderung in der Migrationspolitik erforderlich macht.

Doch auch wenn die Gesetzesänderung in der Bevölkerung auf große Akzeptanz stoßen dürfte, wird sie nicht nur vom linken Spektrum in der Parteienlandschaft abgelehnt. Auch Kirchenvertreter machen Front gegen den Vorstoß von Friedrich Merz, das Ziel einer "Begrenzung" des Zuzugs von Ausländern wieder in das Aufenthaltsrecht aufzunehmen, nachdem die Ampel es 2023 daraus gestrichen hatte.

Für Furore sorgte eine Stellungnahme, die am Dienstagabend an alle Bundestagsabgeordneten verschickt wurde. Die Absender: das "Katholische Büro", also die Vertretung der deutschen Bischöfe in Berlin, die von Prälat Karl Jüsten geleitet wird, sowie die "Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland", Prälatin Anne Gidion.

Inzwischen gibt es Zweifel daran, ob der katholische Vertreter für sein Vorgehen wirklich ein Mandat der Bischöfe hatte, die er in Berlin vertritt. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Stellungnahme. Die Positionen, die darin zum Ausdruck kommen, seien kirchlicherseits "in den zurückliegenden Monaten immer wieder öffentlich benannt" worden, wie der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, Medien gegenüber bestätigte.

Bei einer anderen Einwanderungspolitik wären die Taten nicht geschehen

Liest man das Papier, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. In ihrer auf den 28.1. datierten gemeinsamen Stellungnahme betonen die Berliner Kirchenlobbyisten, dass die vorgeschlagene Gesetzesänderung wohl "keinen der Anschläge verhindert hätte". Immerhin habe es sich um psychisch kranke Täter gehandelt. Abgesehen davon, dass dieses Argument bei rechtsextremen Tätern so gut wie nie Verwendung findet, obwohl es manchmal wahrscheinlich auch dort angebracht wäre, wird damit vollständig ignoriert, dass es sich hier eben um zugewanderte Täter handelt. Bei einer anderen Einwanderungspolitik hätten viele der Gewalttaten gar nicht geschehen können. Und selbst nach geltendem Recht hätten diverse Straftäter überhaupt nicht oder nicht mehr in Deutschland sein dürfen.

Nicht weniger verblüffend ist die restliche Argumentation. Denn diese gibt sich rein rechtlich. Da würde beispielsweise die Wiederaufnahme des Ziels einer "Begrenzung" der Zuwanderung möglicherweise mit dem Aufenthaltsgesetz und dem darin erleichterten Zuzug von Arbeitskräften in Konflikt geraten. Oder in Bezug auf die Menschen, die subsidiären Schutz genießen, das heißt weder als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 noch als Asylanten anerkannt sind: Hier den Familiennachzug auszusetzen, könnte mit dem Grundgesetzartikel kollidieren, der die Familie unter besonderen Schutz stellt. Und bei der vorgesehenen Erweiterung der Kompetenzen der Bundespolizei in Bezug auf Abschiebungen sorgen sich die Autoren über eventuell eintretende Überschneidungen bei den Zuständigkeiten und eine unzureichende Ausstattung der Polizei.

Verfügen die kirchlichen Stellen über bessere Juristen als die politischen Parteien, die sich nicht nur von Juristen beraten lassen, sondern diese auch in den eigenen Reihen haben?

Das alles lässt den Leser verwirrt zurück. Verfügen die kirchlichen Stellen über bessere Juristen als die politischen Parteien, die sich nicht nur von Juristen beraten lassen, sondern diese auch in den eigenen Reihen haben? Wissen sie mehr und Besseres als der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Jürgen Papier, der beispielsweise Zurückweisungen an den Grenzen nicht nur für rechtlich zulässig, sondern um der Bewahrung der staatlichen Souveränität willen sogar für geboten hält? Ganz offensichtlich verschanzt man sich kirchlicherseits hinter dem Recht, um sich in dem politischen Urteil, das der pseudo-rechtlichen Argumentation zugrunde liegt, unangreifbarer zu machen. Bei beidem aber, der Inanspruchnahme juristischen Wissens und der Beurteilung der politischen Lage, stellt sich die Frage der Kompetenzüberschreitung.

Die Möglichkeiten sind endlich

Im Hinblick auf das Recht ist die Kirche sicher nicht der Ansprechpartner Nummer eins. Im Hinblick auf die Einschätzung der politischen Lage und des aufgrund dessen politisch Gebotenen aber ist immer wieder festzustellen, dass man sich in kirchlichen Verlautbarungen als Hüter des Humanitären begreift, ohne sich um die Folgen der eigenen Kompromisslosigkeit zu kümmern. Nicht nur die Einwanderer, auch die Einheimischen haben Rechte. Wenn sich die Lebensumstände in Deutschland gerade für die einkommensschwachen Menschen gravierend verschlechtern, weil die Schulausbildung, der Wohnungsmarkt, das Wohnumfeld und die öffentliche Sicherheit durch die nicht mehr beherrschbare Massenzuwanderung massiv leiden, dann müssten die Kirchen ihre Fürsorge auch auf diesen Personenkreis richten. Obwohl ebenfalls Pfarrer, fand der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck die der Problemlage angemessenen Worte: "Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich." Hier hatte die politische Erfahrung wohl für die Erdung gesorgt, die der Kirche manchmal auch guttäte.

Was ist nun zu dem zum Beispiel auf katholisch.de zu lesenden Urteil zu sagen, es werde für Christen immer schwerer, die "Merz’sche CDU" zu wählen? Oder zu der Einschätzung, die deutsche Demokratie werde durch eine mögliche AfD-Unterstützung massiv Schaden nehmen, wie die Versender der oben erwähnten kirchlichen Stellungnahme befanden? Vor Kurzem wurde in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" an einen Ausspruch von Olaf Scholz vom 11. August 2023 erinnert. Damals hatte er offenbar in der "Thüringer Allgemeinen" bekundet, es stelle doch keine "Zusammenarbeit" mit der AfD dar, wenn diese Anträge anderer Parteien unterstütze. Hier werde auf der kommunalen Ebene "etwas künstlich problematisiert", was auf Landes- oder Bundesebene nicht zum Problem werden würde. Und er fügte hinzu: "Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt."

Scholz hat also klar zwischen Zusammenarbeit und Zustimmung zu einem Antrag unterschieden. Natürlich ist das politische Agieren auf kommunaler Ebene mit dem auf den übergeordneten Ebenen schwer zu vergleichen, was die Reichweite von Entscheidungen angeht. Doch das berührt die von Scholz getroffene strukturelle Unterscheidung nicht. Und ebenso kann seine abschließende Feststellung für alle Ebenen des politischen Handelns Geltung beanspruchen. Wenn die anderen Parteien ihre Gesetzesvorschläge stets so ausrichten, dass die AfD nicht zustimmen kann, dann bestimmt diese die Politik. Es wäre sogar ein Szenario denkbar, in dem die AfD die anderen Parteien immer weiter nach links treibt, indem sie liberale und konservative Forderungen übernimmt, welche von FDP und CDU aber aufgrund ihrer Vermeidungsstrategie nicht mitgetragen werden könnten. Auf diese Weise könnte sie die politische und gesellschaftliche Spaltung weiter vorantreiben und der Radikalisierung weiter Vorschub leisten.

Es wird immer wieder beklagt, wie weit sich die politische Klasse von den Bürgern entfernt hätte. Ließe sich nicht Ähnliches in Bezug auf manche Kirchenvertreter sagen?

Solche politisch-strategischen Gedanken muss sich nicht machen, wer fernab vom politischen Geschäft und selbst weitgehend unbetroffen von den gesellschaftlichen Folgen moralische Lehrsätze verkündet, die politisch Verantwortlichen aburteilt und dem Wahlvolk Ratschläge für das richtige Wahlverhalten gibt. Es wird immer wieder beklagt, wie weit sich die politische Klasse von den Bürgern entfernt hätte. Ließe sich nicht Ähnliches in Bezug auf manche Kirchenvertreter sagen? Nähe zu suggerieren oder sogar zu gewinnen, indem man als politisierte Kirche auftritt, scheint ein ziemlich vergebliches Unterfangen zu sein, weil es wahrscheinlich nur begrenzt Zustimmung, aber verlässlich Gegenreflexe auslöst. Die Kirche hat anderes zu bieten. Mache sie doch das Eigene stark!

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