1. Den Namen verstehen
«Nomen est omen», sagt ein bekanntes Sprichwort, das auf eine Formulierung des römischen Komödiendichters Plautus († um 184 v. Chr.) zurückgeht.1 Tatsächlich war in der Antike die Vorstellung weit verbreitet, im Namen verdichte sich in besonderer Weise die Person. So überrascht es nicht, dass auch im Alten Testament der Name Gottes Programm ist. Obwohl die exakte wortgeschichtliche Bedeutung des Tetragramms JHWH umstritten ist, liegt seine Ableitung von dem Verb hjh («werden», «sein», «da sein») nahe. Zumindest wird dies in der Erzählung vom brennenden Dornbusch vorausgesetzt, wo die Offenbarung des Gottesnamens durch ihren narrativen Kontext zugleich eine eindrucksvolle Auslegung erfährt.
Mose sucht die Legitimation seines Auftrags, das Volk aus der Knechtschaft des Pharao herauszuführen, in der Kenntnis des Namens des göttlichen Auftraggebers: «Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen? Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der ‹Ich-bin-da›. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der ‹Ich-bin-da› hat mich zu euch gesandt» (Ex 3, 13f ). Nicht erst in der modernen Bibelwissenschaft ist die Interpretation des Gottesnamens kontrovers. Weite Teile der christlichen Gotteslehre haben den Namen, ausgehend von der Übersetzung der Septuaginta Ἐγώ εἰμι ὁ ὤν («Ich bin der Seiende»), im Horizont der platonischen Seinsphilosophie gelesen.2 Der unmittelbare Erzählkontext im Exodusbuch spricht jedoch eine andere Sprache. Der «Ich-bin-da» stellt sich hier als ein Gott vor, der am Leid seines Volkes Anteil nimmt und es bei diesem Leid nicht bewenden lässt: «Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen» (Ex 3, 7f ). Nicht zufällig platziert die Bibel die Offenbarung des Gottesnamens im Umfeld der Exoduserzählung. Das biblische Gottesbild kreist um die Erfahrung, dass Gott aus der Knechtschaft des Lebensfeindlichen rettet und befreit. Von dieser wirkmächtigen und heilvollen Zuwendung Gottes spricht sein Name. An einer späteren Stelle kommt das Buch Exodus auf diesen Zusammenhang zwischen dem Namen Gottes und seinem Handeln am Menschen zurück, das sich auch vom ersten Bruch des Bundes durch den Tanz um das Goldene Kalb nicht irritieren lässt. Auf die Bitte des Mose «Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen!» (Ex 33, 18) antwortet Gott: «Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich» (33, 19).3 Und wenig später heißt es in der so genannten Gnadenformel Ex 34, 6: «Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber und er rief aus: Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue».4
Es liegt ganz auf der Linie der alttestamentlichen Namenstheologie, wenn das Neue Testament auch Christus als Träger eines programmatischen Namens begreift. Nicht nur spielt seine Bezeichnung als «Herr» (κύριος) auf die Ersetzung des unaussprechlichen Gottesnamens in der Septuaginta an und bringt auf diese Weise zum Ausdruck, dass JHWH selbst sich in Jesus von Nazareth zeigt. Vielmehr handelt es sich auch bei «Jesus» um einen sprechenden Eigennamen. Während der Schwangerschaft Marias eröffnet ein Engel dem zweifelnden Josef im Traum: «Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen» (Mt 1, 20f ). Der aramäische Name Jeschua bedeutet «JHWH rettet», und der Evangelist interpretiert ihn als Entsprechung zum geheimnisvollen Namen Immanuel, der im Jesajabuch dem Kind der Jungfrau verheißen ist: «Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben ( Jes 7, 14 LXX), das heißt übersetzt: Gott ist mit uns» (Mt 1, 22f ). In Jesus Christus offenbart sich erneut der Gott des Exodus, leidet der «Ich-bin-da», der «Gott-mit-uns», die Sklaverei des Todes solidarisch mit, um ihre Fesseln endgültig zu brechen.
2. Den Namen feiern
War bislang vom Namen als Medium der Offenbarung des Wesens Gottes bzw. Christi die Rede, so ist von der Bibel her ein zweiter Aspekt zu ergänzen. Im Alten Testament kann der Name Gottes geradezu zum Repräsentanten seiner Wirkmacht5 und Gegenwart6 werden. Von daher erklärt sich, dass er vor allem in den Psalmen auch als Adressat des Lobpreises erscheint. «Halleluja! Lobet, ihr Knechte des Herrn, / lobt den Namen des Herrn! / Der Name des Herrn sei gepriesen / von nun an bis in Ewigkeit. / Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang / sei der Name des Herrn gelobt» (Ps 113, 1–3).7
In analoger Weise schlug sich christlicherseits die Verehrung Jesu seit der Väterzeit in einem besonderen Interesse an den Nomina Christi, an den biblisch fundierten Bezeichnungen Christi nieder.8 Doch auch der Eigenname Jesu inspirierte die Frömmigkeit, wie etwa das ostkirchliche Jesusgebet zeigt, das sich seit dem 6. Jahrhundert als unablässige Meditation des Namens Jesu Christi darstellt.9 Im späten Mittelalter schuf sich die Namen-Jesu-Devotion schließlich ihr eigenes Fest. Der Ansatzpunkt für sein Entstehen lag in der Evangelienlesung des Oktavtags von Weihnachten: «Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde» (Lk 2, 21). Als spiritueller Wurzelgrund lässt sich die an den narrativen Details des Lebens Jesu ansetzende Spiritualität namhaft machen, wie sie seit dem hohen Mittelalter besonders von Franziskanern und Zisterziensern gepflegt wurde. Einflussreich für die Verehrung des Namens Jesu wurde vor allem der heilige Bernardin von Siena OFM († 1444), dessen Namen-Jesu-Litanei 1886 auch Eingang in das Rituale Romanum fand. Ein eigenes Fest unter dem Datum des 14. Januar ist erstmals im franziskanischen Eigenkalender von 1530 bezeugt. Gesamtkirchlich eingeführt wurde es jedoch erst von Papst Innozenz XIII. im Jahre 1721. Termin des Festes im Universalkalender war zunächst der zweite Sonntag nach Epiphanie, bis es 1913 durch Pius X. auf den Sonntag zwischen dem Oktavtag von Weihnachten (Circumcisio) und Epiphanie bzw., wenn dies nicht möglich war, auf den 2. Januar verlegt wurde.10
3. Dem Namen dichten
Die liturgischen Texte des Namen-Jesu-Festes und die dahinter liegende Theologie hat Alex Stock in seiner «Poetischen Dogmatik» mustergültig erschlossen.11 Daher soll hier ein anderes Medium in den Blick kommen, in dem sich die Verehrung des Namens Jesu ebenfalls Ausdruck verschafft hat: das volkssprachige Kirchenlied.12 Ausgewählt wurde ein interessanter Kasus ökumenischer Wirkungsgeschichte, nämlich ein reformiertes Katechismuslied, das im Laufe der Zeit zum katholischen Festlied avancierte.
Im Jahre 1780 erschien in Zürich die Sammlung «Sechszig Lieder nach dem Zürcherischen Catechismus» von Johann Caspar Lavater (1741–1801). Der reformierte Geistliche und Gelehrte13 war vielfältig vernetzt mit den Geistesgrößen des Sturm und Drang und der Vorromantik. Unter den zu seinen Lebzeiten vielgelesenen Schriften ragt das vierbändige Hauptwerk «Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe» (1775–1778) heraus. Zum Zeitpunkt der Drucklegung der «Sechszig Lieder» war Lavater Diakon an St. Peter in Zürich, dessen Gemeindejugend er die Kollektion ausweislich der Vorrede «in Ansehung der hergebrachten, ich darf nicht sagen sehr unschicklichen Gesangsweise» zur Erbauung und «zur Erweckung eigentlich christlicher Gesinnungen und Lobpreisungen» zugedacht hatte.14 Der Aufbau der Liedsammlung folgt dem Zürcher Katechismus in der Fassung von Hans Kaspar Suter, die von 1639 an 200 Jahre lang in Gebrauch war:15 Die Gesänge gruppieren sich thematisch um die Zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und die gottesdienstlichen Handlungen. Als 25. Lied, das zweite innerhalb der Rubrik zum christologischen Artikel des Glaubensbekenntnisses, präsentiert Lavater den hier interessierenden Gesang auf den Namen Jesu.16
(1) O süssester der Namen all,
Den Menschenzungen nennen!
O du, der Himmel Wiederhall,
Dem tausend Herzen brennen –
O Jesus! Jesus Christus! Wie
Beugt tief genug sich unser Knie
Vor dir, der hohen Höchster?
(2) O du, der ewig uns befreyt
Von jedem Tod und Schmerzen!
Wer, Gottes voller Heyland, freut
Sich deiner nicht von Herzen?
Dein Nam’ ist Hülfe! Heil und Huld!
Vor dir verschwindet Tod und Schuld!
Wo ist, wie du, ein Retter?
(3) Meßias Jesus! Erster Sohn
Des Vaters aller Wesen!
Zum König auf Jehovah’s Thron
Eh Licht ward, auserlesen.
Voll Gottes Weisheit! Licht aus Licht!
Voll Kraft, die darstellt, wenn sie spricht!
Voll reinster Gottes Liebe!
(4) Hoch über alle Namen geht
Dein Name! Weltregierer!
Dir Priester Erster! Urprophet!
Du aller Fürsten Führer!
Dein ist die Tiefe! Dein die Höh’
O König aller Könige!
Dein alles – Jesus Christus.
In vier Strophen entfaltet Lavater einen ekstatischen Lobpreis auf den Namen Jesu, auf dessen Wortbedeutung er genau in der Mitte des Liedes anspielt: «Wo ist, wie du, ein Retter?» (2,7). Generell kommt in der zweiten Strophe die heilsgeschichtliche Dimension der Befreiung aus Tod und Sünde am deutlichsten zur Sprache, während Strophe 3 stärker bekenntnishaft auf die Schöpfungsmittlerschaft des Logos abhebt und mit der Wendung «Licht aus Licht» (3,5) sogar ein wörtliches Credo-Zitat verarbeitet. Die Rahmenstrophen 1 und 4, besonders die Verse 1,5–7 und 4,1f, greifen den Schluss des Philipperhymnus auf, eine neutestamentliche Kernstelle der Theologie des Christusnamens: «Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ‹Jesus Christus ist der Herr› – zur Ehre Gottes des Vaters» (Phil 2, 9–11). Die hier eingeforderte Akklamation wird durch das Lied in affektiver und rhetorischer Übersteigerung eingelöst. Zahlreiche Ausrufe und rhetorische Fragen dienen dieser emotionalen Wirkung. Gleichzeitig versäumt es das Katechismuslied nicht, dogmatische Gehalte zu platzieren, so etwa in der Schlussstrophe die Lehre von den drei Ämtern Christi, des Priesters, Propheten (4,3) und Königs (4,4–6).
4. Die katholische Karriere des reformierten Liedes
Im evangelischen Bereich hielt das Lied niemals Einzug in rezeptionsleitende Gesangbücher. Überhaupt kontrastiert die erhebliche Bekanntheit Lavaters zu Lebzeiten mit einer weitgehend auf die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts beschränkt bleibenden Nachwirkung.17 So stammen auch die wenigen ermittelbaren evangelischen Gesangbuchbelege für das Lied aus diesem Umfeld.18 Im angelsächsisch-methodistischen Bereich kursierte auch eine englische Übersetzung des Liedes.19
Was hingegen die deutschsprachige Rezeptionsgeschichte betrifft, ist das Lied ein interessantes Beispiel für ökumenische Wanderungen: Verstärkt seit dem späten 19. Jahrhundert fand es nämlich eine bemerkenswerte Verbreitung in katholischen Gesangbüchern, wo es als Lied zum Oktavtag von Weihnachten bzw. zum Namen-Jesu-Fest rubriziert wurde. In diesem Sinne erscheinen die ersten beiden Strophen fast unverändert schon im zweiten Band von Katholisches Gesangbuch zum allgemeinen Gebrauche bei öffentlichen Gottesverehrungen (München 1810). Einflussreich wurde in der Folge vor allem die Fassung des Trierer Diözesangesangbuchs, die die leicht modifizierte erste Strophe Lavaters mit fünf neuen Strophen verband. Sie wurde in zahlreichen anderen Gesangbüchern rezipiert, indem man Strophe 1, seltener auch die Strophen 1 und 2 von Lavater mit vier bis fünf Trierer Strophen kombinierte.20 Diese rezeptionsgeschichtliche Schlüsselstellung der Trierer Fassung rechtfertigt eine nähere Betrachtung.21
(1) O süßester der Namen all,
Die Menschenzungen nennen,
O du, der Himmel Wiederhall,
Dem tausend Herzen brennen:
Dir neigen uns’re Herzen sich,
Vor dir, o Name, ewiglich
Der Engel Schaar sich beuget.
(2) O Name, der die Hölle schreckt,
Vor dem die Himmel schweigen,
Durch den die Todten auferweckt
Aus ihren Gräbern steigen;
Der von dem Himmel ward gebracht
Und durch die Engel kund gemacht:
O Name, sei gepriesen!
(3) O heil’ger Name, dessen Ruhm
Kein Menschenlob erreichet,
Vor dessen hohem Heiligthum
Entzückt die Kniee beuget,
Was droben Gottes Thron umschwebt,
Auf Erden, in der Hölle lebt:
O Name, sei gepriesen!
(4) Ein and’rer Name ist uns nicht
Im Erdenthal’ gegeben,
Der uns gewährte Trost und Licht
Und Heil in uns’rem Leben.
Er nimmt dem Tode seine Qual,
Und streuet seines Lichtes Strahl
In’s Reich der dunkeln Gräber.
(5)Sei, Name, meine Zuversicht,
Mein Schild und Siegeszeichen;
Sobald die Zunge «Jesus» spricht,
Muß Sünd’ und Hölle weichen.
Sei meines Lebens Licht und Kraft
Auf dieser Erde Pilgerschaft,
Im Leben und im Tode.
(6) Mach’, heil’ger Name, mich bereit,
Hier Schmach für dich zu leiden,
Dann wird mir jede Bitterkeit
Ein Quell von Himmelsfreuden:
Ich trage dann mein Kreuz mit Muth,
Bereit zu opfern Gut und Blut
Für dich, der mich erlös’te.
Gegenüber der Originalfassung fällt zunächst auf, dass der eher statisch kreisende Lobgesang Lavaters eine klare Struktur erhalten hat: Auf vier Strophen mit Lobpreis und Anamnese folgen zwei Strophen mit Bitte und Selbstverpflichtung. Der Jubel über den göttlichen Namen Jesu – das Stichwort «Name» fällt im Eingangsvers jeder der sechs Strophen – gründet in der Vergegenwärtigung der Erlösung aus dem Tod (Strophen 2 und 4). Dieses Gedächtnis ist zugleich Anlass, auf die machtvolle Zuwendung des Herrn auch im eigenen Leben zu vertrauen (Strophe 5) und ihn der Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge zu versichern (Strophe 6).
Ein weiteres Merkmal der Trierer Version ist, dass die namenstheologischen Referenzstellen aus dem Neuen Testament in den lobpreisend-anamnetischen Strophen deutlicher profiliert sind. In der ersten Strophe wurde das etwas ungelenke Enjambement im Abgesang der Fassung Lavaters durch eine Anspielung auf den Anfang des Hebräerbriefes, die Epistel der dritten Weihnachtsmesse, ersetzt: «er ist um so viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt. […] Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen» (Hebr 1, 4.6). Der schon bei Lavater verarbeitete Schluss des Philipperhymnus wird in der neuen Strophe 3 noch detaillierter aufgegriffen, vor allem durch die Aufnahme der Trias ‹Himmel – Erde – unter der Erde›.22 In Strophe 4 wird mit Apg 4, 12 eine weitere biblische Spitzenaussage verarbeitet: «Und in keinem anderen [als in Jesus Christus] ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen.» Auch Strophe 2 ist mit biblischen Bezügen versehen: Nicht nur spielt Vers 2,6 auf die Mitteilung des Namens Jesu durch einen Engel an (Mt 1, 21; Lk 1, 31; 2, 21). Vielmehr lassen die Verse 2,3f «Durch den die Todten auferweckt / Aus ihren Gräbern steigen» an die entsprechende Notiz im Passionsbericht des Matthäusevangeliums denken (Mt 27, 52f ). Von daher könnte der «Name, der die Hölle schreckt» (2,1) hier konkret der Kreuzestitulus sein. Im scheinbaren Scheitern ist die Sendung Jesu «vollbracht» ( Joh 19, 30), in der äußersten Erniedrigung «bis zum Tod am Kreuz» (Phil 2, 8) die Macht des Todes überwunden.
In der katholischen Wirkungsgeschichte hatte das Lied durch die kirchenjahreszeitliche Verankerung beim Namen-Jesu-Fest seinen Platz behaupten können. Genau diese Verknüpfung jedoch ließ es zum Zeitpunkt der Erstellung des alten Gotteslob als obsolet erscheinen, da das Fest im durch die Liturgiereform erneuerten römischen Kalender nicht mehr vorgesehen war. Obwohl es noch in der Nachkriegsgeneration der Diözesangesangbücher fast universal enthalten gewesen war, schied das Lied daher mit der Einführung des Einheitsgesangbuchs auch aus der katholischen Rezeption aus. Auch nach der zögerlichen Wiederbelebung des Festes als Gedenktag des Heiligsten Namens Jesu (3. Januar) im Jahr 2002 ist es in die Diözesanteile des neuen Gotteslob nicht zurückgekehrt. Es ist bedauerlich, wenn damit ein kostbarer Zweig der poetischen Jesusfrömmigkeit weitestgehend abgeschnitten bleibt.23 Zu hoffen steht, dies möge nicht darauf schließen lassen, dem Namen Jesu, des Retters, brennten heute nicht mehr «tausend Herzen» (1,4).