Der eschatologische VorbehaltZum dialektischen Ursprung einer theologischen Denkfigur

Will man Bedeutung und Funktion der Rede vom eschatologischen Vorbehalt auf die Spur kommen, muss man zu ihrem theologiegeschichtlichen Ursprung zurückgehen, der in der protestantischen Theologie der Weimarer Jahre liegt.

Hetoimasia, der leere Thron Christi, Mosaik, Capella Palatina, Palermo, 12. Jh.
Hetoimasia, der leere Thron Christi, Mosaik, Capella Palatina, Palermo, 12. Jh.© SNappa2006/Flickr, CC BY 2.0

Abstract / DOI

The Eschatological Proviso: On the Dialectic Origins of a Theological Concept.

The article seeks to identify the meaning of a concept widely and unspecifically used in international theology today by tracing it back to its historical origin. The concept goes back to dialectic theologian Karl Barth and Erik Peterson, a protestant historian and Bible scholar who converted to Catholicism in 1930. In the writings of the two theologians of the 1920s the eschatological proviso is part of a dialectic understanding of eschatological revelation that redefines the distinction of time and eternity. Set up in opposition to liberal Protestantism in order to gain a new foundation of theology in revelation on the one hand, and to find a new way of articulating the political relevance of Christian faith on the other, similar thoughts are taken up by Catholic theologians in the 1960s. In the debate about a «political theology» between Johann Baptist Metz and Hans Maier the eschatological proviso is claimed by both sides. Nevertheless, the dialectic structure of the concept is not given up under its Catholic modifications. Therefore, the use of the term «eschatological proviso» should be limited to a meaning that takes into account its specific historical shape.

Die Rede vom «eschatologischen Vorbehalt» ist in der Theologie weit verbreitet. Das gilt für den deutschen Sprachraum ebenso wie für den romanischen («riserva escatolgica», «réserve eschatologique» etc.) und den englischen («eschatological proviso»). Meist begegnet er in Darstellungen zur neutestamentlichen Eschatologie oder im Umfeld der Debatte um eine politische Theologie. Häufig ist er mit einer anderen weit verbreiteten Redeweise verknüpft: Der eschatologische Vorbehalt bezeichnet dann ein «Spannungsverhältnis», das dadurch zustande kommt, dass das Eschaton durch Jesus Christus und die neutestamentliche Heilsbotschaft «schon» angebrochen ist, aber bis zu seiner Wiederkunft «noch nicht» voll verwirklicht ist.1

Über diesen zuweilen etwas formelhaften Gebrauch hinaus hat sich eine unspezifische Rede vom eschatologischen Vorbehalt eingeschlichen. So wird bisweilen behauptet, eschatologische Fragen könnten nur unter eschatologischem Vorbehalt beantwortet werden, weil dies unter den Bedingungen der Zeit grundsätzlich nicht anders möglich sei oder die Rückkehr Christi noch ausstehe. Dass wir der Wiederkehr Christi noch harren und der Mensch in der Zeit nicht weiß, wie es sich unter den Bedingungen der Ewigkeit lebt, ist jedoch keine Einsicht, die das Aufkommen und die erfolgreiche Verbreitung der Rede vom eschatologischen Vorbehalt erklären könnte. Hinter der Spannung zwischen dem «schon» und dem «noch nicht» muss sich mehr verbergen, als die konventionelle metaphysische Differenz von Zeit und Ewigkeit oder die gängige heilsgeschichtliche Unterscheidung zwischen erster und zweiter Ankunft Christi.

Will man Bedeutung und Funktion der Rede vom eschatologischen Vorbehalt auf die Spur kommen, muss man zu ihrem theologiegeschichtlichen Ursprung zurückgehen, der in der protestantischen Theologie der Weimarer Jahre liegt. Der Begriff entsteht im Umfeld der eschatologischen Offenbarungstheologie Karl Barths und Erik Petersons und hat seinen Ort in der dialektischen Konzeption der eschatologischen Zeit der beiden Krisentheologen. An deren grundsätzlicher Übereinstimmung ändert sich auch dadurch nichts, dass Peterson sich aus ekklesiologischen Gründen der Bewegung der dialektischen Theologie nicht zurechnete. Der dialektische Ursprung der Rede vom eschatologischen Vorbehalt in der Krisentheologie Barths und Petersons markiert vielmehr ihren eigentlichen Bedeutungskern. Diese Behauptung mag positivistisch anmuten; sie bezieht ihr Recht jedoch daraus, dass die Rede vom eschatologischen Vorbehalt in seinem dialektischen Ursprungskontext ein Profil gewinnt, das zumindest dort erhalten bleibt, wo sie in einem spezifischen Sinne gebraucht wird. Das gilt bei näherem Hinsehen auch für die katholische Aneignung der Denkfigur in der Debatte um die «Neue Politische Theologie», wo sie konfessions- und zeitspezifische Anpassungen erfährt. Hält man sich an den in historischer Betrachtung zutage tretenden Bedeutungskern, erschließt sich die spezifische Leistung der Rede vom eschatologischen Vorbehalt in den vielfältigen Erneuerungsprozessen der Theologie des 20. Jahrhunderts. Erst dann kann man sie von einem unspezifischen Gebrauch abgrenzen und offene Fragen notieren.

1. Kein Alt-68er: zum historischen Ursprung der Rede vom eschatologischen Vorbehalt

In der katholischen Theologie ist der Begriff eng mit Johann Baptist Metz verknüpft. Metz hat ihn 1967 in einem seiner ersten Texte zur Politischen Theologie an zentraler Stelle gebraucht. Dabei stand der Begriff zunächst zwar in Anführungszeichen, Verweise auf einen möglichen Urheber fehlten jedoch,2 so dass der Eindruck entstehen konnte, der Begriff stamme von ihm. Ein anderer Vertreter einer Politischen Theologie, Jürgen Moltmann, hatte den Begriff jedoch bereits zuvor, wenn auch etwas zurückhaltender, in seiner «Theologie der Hoffnung» (1964) verwendet und auf den evangelischen Exegeten Ernst Käsemann verwiesen, der den Begriff 1962 in einem Aufsatz über die urchristliche Apokalyptik benutzt hatte.3 Wer sich für die Geschichte des Begriffs interessierte, konnte Käsemann also eine Zeit lang als Urheber des in der «Neuen Politischen Theologie» florierenden Begriffs ansehen.

Das änderte sich, als Barbara Nichtweiß für ihre 1992 erschiene Dissertation den Nachlass des zum Katholizismus konvertierten Bibelwissenschaftlers und Kirchenhistorikers Erik Petersons in Turin sichtete.4 In dessen unveröffentlichten Manuskripten aus den 1920er Jahren fanden sich eine Reihe von Stellen, an denen Peterson vom eschatologischen Vorbehalt sprach und ihn in gewisser Weise als seine Wortschöpfung ansah («was ich den eschatologischen Vorbehalt nennen möchte»5). Nichtweiß hat zudem darauf hingewiesen, dass der junge Ernst Käsemann als Student die Römerbriefvorlesung Petersons in Bonn tief beeindruckt gehört hatte,6 eine Vorlesung, in dessen Manuskript der Ausdruck besonders häufig begegnet. So schien der Nachweis erbracht, dass Käsemann ihn aus dem Gedächtnis von Peterson übernommen – zitieren konnte er ihn ja nicht – und für seine Exegese aufgegriffen hatte.

Doch der theologiegeschichtliche Befund ist komplizierter. Denn es tauchte noch ein weiterer möglicher Urheber des Begriffs auf, der bisher übersehen worden war. In der dritten Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche, die erstmals das Lemma «eschatologischer Vorbehalt» enthielt, verortete Tiemo Rainer Peters den Ursprung des Begriffs im Umfeld der dialektischen Theologie7 und wies auf einen frühen Aufsatz Karl Barths über «Kirche und Kultur» aus dem Jahr 1926 hin, der in etwa zur gleichen Zeit wie Petersons einschlägige Manuskripte entstand.8

Will man nicht von einem bloßen Zufall ausgehen, liegen die Ursprünge des Begriffs also in der durchaus reibungsvollen, aber fruchtbaren theologischen Freundschaft zwischen Erik Peterson und Karl Barth. Wer nun tatsächlich der Urheber des Begriffs ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit entscheiden. Es spricht zwar einiges für Peterson, da sich bei ihm mehr Belege finden, die zum Teil auch hinter das Jahr 1926, in dem Barth ihn erstmalig verwendete, zurückreichen. Die früheste Referenz datiert jedoch von 1924 und stammt mithin noch aus Petersons Göttinger Zeit, wo sein Verhältnis zu Barth, der dort als Honorarprofessor sein erstes akademischen Amt innehatte, ihren Anfang nahm und auch am intensivsten war. Gut möglich, dass Barth die Wendung aus dem Gespräch mit Peterson übernommen hat, zumal Peterson ein deutlicheres Bewusstsein dafür zu haben schien, dass es sich dabei um eine begriffliche Innovation handelte. Aber auch der umgekehrte Weg kann nicht ganz ausgeschlossen werden.

2. Offenbarung, Kirche und Welt im Laboratorium der protestantischen Krisentheologie

Entscheidender als die Frage, wer von beiden als Urheber gelten kann, ist nun aber, welche Bedeutung der Begriff ursprünglich hatte. Es erscheint dabei etwas gewagt, wenn der ursprüngliche Kontext des Begriffs mit der dialektischen Theologie in Verbindung gebracht wird. Denn Erik Peterson ist – vor allem durch seinen Bonner Vortrag «Was ist Theologie?» – als Kritiker der Bewegung um Karl Barth in Erinnerung geblieben und hat ihr nie angehört. Durch seine spätere Konversion werden seine Einsprüche zudem meist in einem «katholischen Licht» gesehen. Die Konversion kann jedoch nichts daran ändern, dass Peterson mit Barth in Göttingen einen intensiven Kontakt pflegte und sich auch später trotz aller Kritik zu Barth wie zu kaum einem anderen Theologen hingezogen fühlte.9

Vor allem aber ändert Petersons Polemik gegen die Dialektiker nichts an ihrem gemeinsamen offenbarungstheologischen Ausgangspunkt: Peterson und Barth folgten in den zwanziger Jahren beide einer radikalen eschatologischen Offenbarungstheologie.10Gegen die liberale protestantische Theologie sollte die Gottesrede auf ein streng offenbarungstheologisches Fundament gestellt werden. Hierzu knüpften sowohl Peterson also auch Barth und seine Mitstreiter wesentlich an die Wiederentdeckung des eschatologischen Charakters der Verkündigung Jesu an, wie sie durch die protestantische Exegese der Jahrhundertwende neu freigelegt wurde.11 Der Schweizer Dialektiker konzipierte in der zweiten Version seines Römerbriefkommentars dann eine Offenbarungstheologie, die das Christusgeschehen als ereignishaften Einbruch Gottes in die Zeit verstand.12 Die Texte des hanseatischen Bibelwissenschaftlers lassen einen ganz ähnlichen Ausgangspunkt erkennen, auch wenn Peterson diesen Ausgangspunkt systematisch weniger fokussierte.13

Die Gemeinsamkeiten der beiden Theologen in dieser Hinsicht zeigen sich dabei nicht zuletzt in den politischen Konsequenzen der Krisis der Offenbarung. Denn das Offenbarungsereignis ist bei Peterson wie bei Barth zugleich Gericht über die sündige Selbstüberhebung alles Geschöpflichen, auch und besonders über die politische Welt. Diese theologische Einsicht steht hinter Barths Einspruch gegen den Nationalsozialismus in der Barmer Theologischen Erklärung von 1933. Es lässt sich auch ohne Mühe als Grundmuster der antitotalitären Reformulierung der christlichen Offenbarung in Petersons apokalyptischen Texten der dreißiger Jahre ausweisen.

Die oft in den Vordergrund gerückten Differenzen der beiden Theologen beziehen sich auf die Frage, welche Rolle der Kirche in dieser Form eschatologischer Offenbarungstheologie einschließlich ihrer politischen Signatur zukommt. Der Dissens lässt sich dabei auf die Formel bringen, dass Barth auch die Kirche unter das eschatologische Krisenereignis gestellt sehen wollte und sie damit relativierte, während Peterson beständig daran arbeitete, kirchliche Vollzüge als aktualisierende Manifestation dieser Krise zu deuten.14 Diese Differenz spiegelt sich durchaus auch im jeweiligen Gebrauch der Rede vom eschatologischen Vorbehalt.

Ihre fundamentale Gemeinsamkeit auch in dieser Hinsicht mindert der Dissens in der Ekklesiologie jedoch nicht: Der eschatologische Vorbehalt ist ein Stück Krisentheologie, insofern er an einer spezifischen Form von «Verzeitlichung» der Eschatologie teilhat, wie sie eine eschatologische Offenbarungskonzeption mit sich bringt. So ist das Offenbarungsgeschehen bei Barth und Peterson zwar Tat des überzeitlichen, ewigen Gottes. Dessen Wesen zeigt sich jedoch gerade darin, ein immer neues kritisch-aufsprengendes Verhältnis zur geschichtlichen und geschöpflichen Zeit einzunehmen. Das in Christus angebrochene Eschaton ist dabei das Grunddatum einer Krisentheologie, die mit dem endgültigen Ende der Geschichte noch einmal gesteigert wird. Auf die Differenz zwischen der zeitlichen Signatur eines akthaft und «von oben» kommenden Offenbarungsgeschehens in Christus und der ebenso akthaften und «von oben» kommenden Aufrichtung des endzeitlichen Gottesreiches bezieht sich bei Peterson wie bei Barth die Rede vom eschatologischen Vorbehalt. Dies soll nun anhand der wichtigsten Referenzstellen näher erläutert werden.

3. Dialektik des «Noch nicht»: Karl Barth über «Kirche und Kultur» (1926)

Karl Barths Vortrag über «Kirche und Kultur» entstand im Frühjahr 1926 und wurde im Juni desselben Jahres auf dem großen Kongress einer Missionsgesellschaft in den Niederlanden gehalten. Der Titel ruft bereits das zweite und dritte Glied der Trias «Offenbarung – Kirche – Welt» auf, deren Verhältnis sich die dialektische Theologie anschickte neu zu bestimmen. War es der liberalen Theologie darum gegangen, die Unterscheidung zwischen Kirche und Kultur weitgehend abzuschleifen, trat Barth an, um die Differenz zwischen den beiden Größen wieder einzuschärfen. Er tat es auch in diesem Vortrag, indem er den offenbarungstheologischen Ausgangspunkt des Themas unterstrich. So lautet einer der thesenartigen Obersätze des Vortrages: «Das Thema: ‹Kirche und Kultur› bezeichnet also die nur im Hören des Wortes zu beantwortende Frage nach der Bedeutung dieser Aufgabe für jeden Menschen.»15

Der offenbarungstheologische Ausgangspunkt, von dem aus die Verhältnisbestimmung von Kirche und Kultur erfolgen soll, kennt im Text dabei zwei heilsgeschichtliche Stationen. Die Heilsereignisse in Leben, Tod und Auferstehung Jesu bezeichnet Barth als «Versöhnung». Dieses Geschehen wird hier zwar mit weit weniger krisentheologischer Emphase geschildert, als dies noch wenige Jahre zuvor im zweiten «Römerbrief» geschehen war. Barth deutet die Versöhnungstat Gottes terminologisch eher konventionell als Rechtfertigung des Sünders, die dieser im «Gehorsam» annimmt und dabei vom «Gesetz» geleitet wird.16 Er versäumt es jedoch nicht, festzuhalten, dass dieses Gesetz «mit der Gesellschaft, ohne die Gesellschaft, gegen die Gesellschaft, zeitgemäß oder unzeitgemäß» zu vertreten sei.17

Die zweite heilsgeschichtliche Station, die endgültige Aufrichtung des Reiches Gottes, bezeichnet Barth dagegen als «Erlösung»: «Das Wort Gottes ist […] Wort von der Erlösung. Es hat (nicht zu guter Letzt, sondern durchgängig) eschatologische Form, d.h. es bezieht sich in jedem Punkt auf ein dem Menschen durchaus nicht Gegebenes, nicht Mögliches, nicht Erreichbares. Es spricht in jedem Punkt von einem schlechterdings und exklusiv in Gott und durch Gott Wahren, von Gott Kommendem, von Gott zu Gestaltenden und Verwirklichenden.»18 Der eschatologische Charakter der Offenbarung bedeutet für Barth also zu allererst, dass Gott am Menschen handelt und ihn verändert. Dieses Handeln ist jedoch über die Versöhnungstat in Christus hinaus noch steigerbar: «Erlösung aber ist Versöhnung ohne den Vorbehalt, ohne das ‹Noch nicht›. […] Insofern ist Erlösung mehr als Versöhnung.»19

Dieses Ausstehen des endzeitlichen Handelns Gottes bringt eine doppelte Dialektik mit sich. Zum einen betont Barth, dass «Kultur» mit Blick auf das «noch nicht» des Reiches Gottes zu einem «Grenzbegriff» wird, zu etwas, das zwar noch nicht da ist, gerade dadurch die diesseitige Kultur aber auch positiv bestimmt: «Grenze ist ja nicht bloß ein negativer, sondern ein höchst positiver Begriff. Unsere Grenze sagt uns, wo wir uns befinden. Gott ist unsere Grenze – brauchen wir etwas Besseres über unseren Ort zu erfahren als das?»20 Zum anderen schließt die Tatsache, dass Gott das Reich endzeitlich heraufführen wird, nun auch ein negativ-kritisches Verhältnis zur diesseitigen Kultur ein: «Auf Gott und sein erfüllendes Ja und Amen hofft die Kirche. Beim Bau des Turmes von Babel […] kann sie nicht dabei sein. Sie hofft auf Gott für den Menschen, aber nicht auf den Menschen. […] Sie beharrt dabei, daß der Erlöser sein ‹Siehe ich mache alles neu!› erst sprechen wird. Mit diesem eschatologischen Vorbehalt tritt sie der Gesellschaft entgegen.»21

Die Rede vom eschatologischen Vorbehalt hat in Barths Vortrag also zuerst den Sinn, ein kritisches Verhältnis zum inneren Selbstüberhang des Geschöpflichen auszudrücken. Dies beruht darauf, dass die endzeitliche Aufrichtung des Gottesreiches als radikale Umgestaltung der Schöpfung durch die Hand Gottes verstanden wird. Die von Barth betonte «Neuheit» dieses eschatologischen Vorganges ist dabei nicht so radikal zu verstehen, dass sich darüber nichts Konkretes mehr sagen ließe. Denn das endzeitliche Handeln des überzeitlichen Gottes hat offenbar hier und heute ganz bestimmte Folgen. Dies ist nur möglich, wenn das negativ-kritische Verhältnis der Offenbarung zur Schöpfung in der Endzeit zumindest auch als Zeitverhältnis verstanden wird. Nur dann setzt die Erwartungdes zukünftigen Handelns Gottes im Diesseits zeitliche Konsequenzen frei, die dem zu Erwartenden auch entsprechen. Mit anderen Worten: Die kritische Signatur des «Noch nicht» ist nur erreichbar, wenn es auch ein «schon» gibt und beide Größen als eschatologische, aber zeitliche Vorgänge gedacht werden.

Was ist nun aber das «Schon»? Es kann nur auf dem beruhen, was Barth «Versöhnung» nennt, also dem mit Christi erstem Kommen angebrochenen Heil, das allen Gliedern der Kirche zu Teil wird. Andernfalls würden Versöhnungs- und Erlösungsgeschehen auseinanderfallen. Dennoch ist das «Schon» mit dem Versöhnungsgeschehen nicht einfach identisch. Denn es besteht mit Blick auf Gottes zukünftiges Handeln eine darüber hinausgehende Erwartung, die dieses Handeln schon jetzt wirksam werden lässt. Der eschatologische Vorbehalt bezeichnet also vor allem eine von der Kirche nach außen hin artikulierte Gewissheit, dass das zeitliche-kritische Handeln Gottes an den gerechtfertigten Sündern endzeitlich noch gesteigert werden wird, eine Gewissheit die diese Steigerung durch ihre zeitlichen Wirkungen im Hier und Jetzt bereits partiell vorwegnimmt.

4. Erik Peterson und die Dialektik der eschatologischen Zeit im Verhältnis von Reich Gottes, Kirche und Imperium

Bei Peterson, der häufiger als Barth vom eschatologischen Vorbehalt gesprochen hat, ist der Befund zunächst unübersichtlicher. Der früheste Beleg für den Begriff findet sich in der Vorlesung zur «Geschichte der altchristlichen Mystik», die Peterson 1924 in Göttingen hielt. Charakteristisch für diese Referenzstelle – deren Text erst im nächsten Band der Ausgewählten Schriften Petersons ediert werden soll – ist eine integrale theologische Perspektive, die ekklesiologische, sakramententheologische und christologische Aspekte unter eschatologischen Vorzeichen zusammenfasst:

Für den Kirchenbegriff des Urchristentums ist es wesentlich, dass er primär gar kein soziologischer, sondern ein eschatologischer Begriff ist. Der Tod Christi bedeutet nach urchristlichem Glauben den Untergang des Kosmos des jüdischen Tempels und sarkischen Leibes; seine Auferstehung dagegen die Schöpfung eines neuen Kosmos, eines neuen Tempels und einer neuen Leiblichkeit. In den Sakramenten setzt sich in einem gewissen Sinne das entscheidende Geschehen im Leben Jesu (Tod und Auferstehung) fort, während es auf der anderen Seite zum Wesen des Sakramentenbegriffs gehört, dass er keine reine Mysterienhandlung ist, sondern mit einem eschatologischen Vorbehalt versehen ist und damit zugleich auch auf die Zukunft verweist. So sind wir zwar schon mit Christus in der Taufe gestorben und begraben (Röm 6, 4f ), aber charakteristischerweise sagt Paulus nun nicht – erst mit dieser Aussage würde die Taufe zu einer wirklichen Mysterienfeier – sondern daß wir mit Christus auferstehen werden.22

Der Hauptsatz dieses theologischen Panoramas ist, dass der «Kirchenbegriff des Urchristentums» ein «eschatologischer Begriff» ist. Dies wird christologisch in der Auferstehung Jesu Christi verankert und dann sakramententheologisch, vor allem mit Blick auf die Taufe, konkretisiert: Der eschatologische Charakter der Kirche zeigt sich darin, dass sie unvollendet ist, indem sie die in Christus bereits vollzogene Auferstehung der Toten noch erwartet. Für diesen noch zu erwartenden Zustand der Vollendung gebraucht Peterson den Begriff «Zukunft», was hier durchaus den Eindruck erweckt, dass es sich bei der ausstehenden Totenerweckung, der Schaffung einer neuen Leiblichkeit und eines neuen Kosmos um eschatologische, aber zeitlicheVorgänge handelt.

Die nächsten Belege bei Peterson stammen aus der bereits erwähnten Bonner Römerbriefvorlesung, deren erste Fassung auf das Jahr 1925 zu datieren ist. In diesem Text begegnet der Begriff insgesamt fünf Mal23 und zwar vor allem im Zusammenhang mit der Tauftheologie von Röm 6. Auch hier weist Peterson darauf hin, dass der altkirchliche Sakramentenbegriff nicht in Analogie zu Mysterienhandlungen heidnischer Kulte zu verstehen sei, da «der Parallelismus von Tod und Auferstehung nicht restlos durchgeführt ist». Paulus sage eben nicht, «daß wir mit Christus auferstanden sind, sondern daß wir mit Christus auferstehen werden».24 Diesen Sachverhalt bezeichnet er als den eschatologischen Vorbehalt im Sakramentenbegriff.

Auch wenn damit der Wortlaut aus der Mystikvorlesung teilweise aufgenommen wird, steht der Begriff des eschatologischen Vorbehaltes in Petersons Römerbriefauslegung doch in einem spezifischen Zusammenhang, der den Sinn des Begriffs gegenüber dem früheren Gebrauch verändern könnte.25 Petersons Deutung der paulinischen Tauftheologie kann hier zwar nicht ausführlich vorgestellt werden kann.26 Festhalten lässt sich aber, dass der Exeget ihr eine Wendung gegeben hat, die der noch ausstehenden eschatologischen «Zukunft» ihre Zeitlichkeit weitgehend zu nehmen scheint. Das hängt vor allem mit der kreuzestheologischen Deutung der Taufe zusammen, die der eschatologischen Totenauferweckung vorgeschaltet ist. Peterson versteht die Kreuzigung, an der der Christ in der Taufe teilhat, als objektive und reale Vernichtung des sündigen Leibes Adams.27 Er betont zwar, dass Erlösung keine grundsätzliche Befreiung von allem Leibhaften darstellt: «Leiblichkeit gehört zum alten Äon, Leiblichkeit gehört zum neuen Äon.»28 Es steht jedoch infrage, ob es zwischen der Leiblichkeit des irdischen und sündigen Menschen und der verklärten des Auferstandenen irgendein Kontinuum gibt. Peterson erweckt hier mehrfach den Eindruck, als handelte es sich hierbei um ein bloßes Neben- oder Nacheinander.29 Die Verknüpfung von sarkisch-irdischer und pneumatisch-himmlischer Leiblichkeit läge demnach allein im objektiv-sakramentalen Vorgang der Taufe, den Peterson hier als «Garantie» für die leibhafte Auferstehung des Christen verstehen will.30 Petersons Polemik gegen den «Erlebnischarakter» des Sakramentes in diesem Zusammenhang verstärkt noch den Eindruck, dass die Taufe dem zeitlichen Menschen nichts zuspricht, das er an sich als Veränderung wahrnehmen könnte, sondern lediglich definitiv mitteilt, dass er in einer übergeschichtlichen und überzeitlichen Sphäre einmal mit einer neuen Form von Leiblichkeit bekleidet werden wird. Ob die im eschatologischen Vorbehalt ausgedrückte Ausständigkeit der Zukunft hier noch eine zeitliche Wirkung hat, ist also fraglich.

Anders ist dies in der dritten Schrift, in der Peterson von einem eschatologischen Vorbehalt spricht. Es handelt sich dabei um ein Manuskriptkonvolut, das unter dem Titel «Ekklesia. Studien zum altchristlichen Kirchenbegriff» 2010 veröffentlicht wurde und tiefe Einblicke in Petersons theologisches Denken gewährt. Die zum größten Teil wohl Anfang 1926 entstandenen Manuskripte sind auch deshalb von besonderem Wert, weil sie anders als die Schriftauslegungen Petersons, wo nicht immer zwischen Bibeltext und Petersons Deutung zu unterscheiden ist, sehr eigenständig und – für Petersons Verhältnisse – relativ systematisch gehalten sind.

Peterson geht in seinen Studien von der profanen Bedeutung des griechischen Begriffs ekklesía aus, der die Vollversammlung der Bürger eines Stadtstaates, einer pólis, bezeichnet. Die Unterscheidung von ekklesía und pólis wendet er dann auch auf die Kirche an. Die pólis – Peterson bezeichnet sie als «Himmelsstadt» – «ist mit Christus und den Zwölf Aposteln gegründet»31, befindet sich nun aber im Himmel. Peterson betont also ihren zeitlichen Anfang in einem Offenbarungsgeschehen, das er als «absolute Entscheidung» kennzeichnet.32 Mit Blick auf diese himmlische Kirche «konstituiert» sich nun die irdische Kirche, die ekklesía, indem sie mit der Himmelsstadt «in Kult und Sakrament in eine aktualisierende Beziehung tritt.»33 Es ergibt sich ein Gefüge, das Peterson wie folgt charakterisiert:

In dieser räumlichen Trennung, die durch den Gegensatz von Himmel und Erde bezeichnet wird, kommt nun auch der eschatologische Vorbehalt zum Ausdruck. Denn diese räumliche Spanne ist zugleich auch Ausdruck für die zeitliche Spanne, die noch zwischen Christi erster und zweiter Ankunft liegt. Wenn die Himmelsstadt sich am Ende der Tage auf die Erde niederlässt, dann wird der Gegensatz von Ekklesia und Polis ebenso aufgehoben sein wie der Gegensatz von Himmel und Erde. Dann wird es keine Kirche mehr geben, sondern nur noch Gemeinde, eine Gemeinde der Heiligen. Dann, aber auch erst dann, wird das Reich Gottes hereinbrechen in Kraft.

Peterson zufolge ist der altchristliche Kirchenbegriff also durch eine räumliche Unterscheidung gekennzeichnet, die eine zeitliche Spanne freisetzt. Himmelsstadt und ekklesía sind, auch wenn die eine im Himmel und die andere auf Erden ist, doch beide eschatologische und zeitlicheGrößen.

Diese «zeitliche Spanne» zwischen ekklesía und Himmelsstadt, die zugleich eine Unterscheidung und partielle Identifikation von Kirche und Reich Gottes darstellt, setzt nun bestimmte politische Konsequenzen frei. So führt Peterson aus, dass die «Kirche notwendig anti-imperialistisch sei»: «Die Kirche kann aber niemals, ohne den christlichen Glauben zu verraten, wie ich meine, das Verlangen nach einem neuen Imperium sanktionieren. Sie kann es darum nicht, weil sie damit sich selbst aufgeben und den Glauben an das kommende Imperium Gottes verleugnen würde.»34 Die Unterscheidung von ekklesía und Himmelsstadt – oder anders gewendet: von Kirche und Reich Gottes – setzt also ein kritisches Verhältnis des Christentums zum Politischen frei, insofern es «imperiale» Züge zeigt.

Was dies bedeutet, hat Peterson vor allem in seinen Auslegungen der Johannesoffenbarung aus den dreißiger Jahren deutlich gemacht, wo er eine Verbindung zwischen der Verehrung des römischen Gottkaisers und dem nationalsozialistischen Führerkult herstellt.35 In dieser Absicht heißt es im Text «Der Kaiserkult» über den römischen princeps: «Er ist der Gott der Massen im Imperium Romanum geworden, weil sich die politische Ordnung der Polis aufgelöst hatte. […] Der Kaiser ist der präsente und körperhafte Gott, der im Kaiserbild sozusagen seine sakramentale Repräsentation hat.»36 Diese Situation, in der sich die politische Ordnung in der Gestalt des Kaisers selbst vergöttlicht, bringt Peterson zufolge die Apokalypse des Sehers von Patmos hervor, in der die Christen Christus als Gegenkaiser anrufen37 – eine Situation, die Peterson in den dreißiger Jahren offenbar wieder für gekommen hielt.

5. Peterson gegen Barth oder die Frage nach der Kirche in der Dialektik der eschatologischen Zeit

Was macht die Rede vom eschatologischen Vorbehalt bei Peterson nun aus und gibt es einen Unterschied zu Barth? An Petersons Gebrauch des Begriffs fällt zunächst der ekklesiologische Fokus auf. Insbesondere die Ekklesia-Manuskripte zeigen, dass der eschatologische Vorbehalt im Kern eine Aussage über die Kirche ist: Er bezeichnet die räumliche und zeitliche Spanne, die zwischen Kirche und Reich Gottes besteht. Hält man sich an das, was Peterson darunter in den Ekklesia-Manuskripten versteht, zeigt sich eine ganz ähnliche Dialektik der eschatologischen Zeit wie bei Barth.

So ist auch bei Peterson die endgültige Aufrichtung des Reiches Gottes zu allererst Gericht über die sündig in sich selbst verschlossene Welt, darunter besonders der Selbstüberhebungsdrang des Politischen, wie er in imperialen Bestrebungen und der Selbstdivinisierung einer totalitären politischen Ordnung zum Ausdruck kommt. Dieser Vorgang ist auch für Peterson ein eschatologischer und zeitlicher, was besonders dadurch deutlich wird, dass Peterson die Himmelsstadt, die sich am Ende der Tage auf die Erde herabsenkt und damit das Reich Gottes heraufführt, selbst als eine durch Gottes Tat in der Geschichte angebrochene Größe versteht, die nach der Himmelfahrt Christi im Himmel fortbesteht. Das «Noch nicht» bezeichnet also wie bei dem Schweizer Dialektiker ein noch gesteigertes Umgestalten der Schöpfung durch Gott.

Was das «Schon» anbetrifft, ist Peterson nun allerdings der radikalere und explizitere Theologe: Es ist nicht nur die Erwartung des Kommenden, die die zeitlichen Folgen des endzeitlichen Handelns Gottes schon in der Geschichte anfanghaft freisetzt, sondern Gott selbst handelt in den Vollzügen der Kirche bereits endzeitlich. Für Peterson ist die Zeit der Kirche ganz zentral durch die Abwesenheit Christi bestimmt, eine Abwesenheit, die mit der Himmelfahrt Christi begann und mit seiner Wiederkunft enden wird. Solange Christus aber abwesend ist, wird die in seinem Tod und seiner Auferstehung liegende eschatologische Tat Gottes von der Kirche präsent gehalten und in der Zeit aktualisiert. Deutlicher als Barth verknüpft Peterson also das, was bei jenem «Versöhnung» und «Erlösung» heißt. Das aber bedeutet, dass die Kirche stärker als Ort der anfänglichen Verwirklichung des Reiches Gottes in den Blick rückt.

An dieser Stelle brechen nun die bereits angesprochenen grundsätzlicheren Differenzen zwischen Barth und Peterson auf. Während Barth auch die Kirche, wenn auch nicht in gleicher Weise wie die politische Ordnung, unterdie endzeitliche krisenförmige Tat Gottes gestellt sehen wollte, verstand Peterson die Kirche, insbesondere in ihren liturgischen und repräsentativen Akten, als Ort der punktuellen Vorwegnahme dieser Tat. Oder mit Blick auf den eschatologischen Vorbehalt gesprochen: Was bei Barth subjektive Antizipation des «Noch nicht» ist, ist bei Peterson Gottes geschichtlich Gestalt gewinnende Tat. An dieser Differenz entzündete sich immer wieder Petersons Kritik an Barth und den Dialektikern. Dabei ging es jedoch nie darum, den gemeinsamen offenbarungstheologischen Ausgangspunkt samt seiner kritisch-zeitlichen Signatur in Frage zu stellen, sondern ihn stärker zur Geltung zu bringen. Peterson bestand auf der ekklesiologischen Konkretisierung des eschatologischen Handelns Gottes, gerade auch, um das kritische Verhältnis der Offenbarung zur politischen Ordnung noch einmal zu steigern.38

Für eine katholische Rezeption der Denkfigur des eschatologischen Vorbehalts scheint Petersons Konzeption daher eher geeignet als diejenige Barths. Zwar vermag der Schweizer Dialektiker deutlicher als sein zum Katholizismus konvertierter Freund die eschatologische Tat Gottes in Jesus Christus auch als Korrektiv der Kirche zu begreifen. Die Korrektivfunktion des Offenbarungsereignisses geht jedoch so weit, dass sie einen Zugang zum Offenbarungscharakter der sichtbaren Kirche zu verspielen droht. Peterson neigte demgegenüber zwar immer wieder zu steilen Identifikationen, die die Differenz zwischen dem Offenbarungsgeschehen und seiner kirchlichen Aktualisierung verwischen. Gleichwohl sieht Petersons Konzeption die Unterscheidung von Kirche und Reich Gottes an zentraler Stelle vor. Durch eine schlichte Identifikation wäre das von Peterson angestrebte eschatologische Kirchenverständnis gerade nicht zu erreichen. Denn die Kirche hat zu allererst die Funktion auf das Kommen des Reiches Gottes zu verweisen, indem sie es durch ihre sakramentalen Vollzüge «schon» jetzt in der Geschichte verortet und aktualisiert.

Peterson bleibt also trotz seiner Differenzen mit Barth auch in ekklesiologischer Hinsicht Dialektiker, wenn er festhält:

Gewiß, die Kirche ist nicht das Reich. Aber in der Kirche steckt etwas vom Reich, sowohl vom politischen Willen der Juden zum Gottesreich als auch vom Herrschaftsanspruch ‹der Zwölfe› im Gottesreich. Es ist richtig, daß der Kirche mit alledem eine gewisse Zweideutigkeit angeheftet ist. Sie ist kein eindeutiges religionspolitisches Gebilde wie das messianische Reich der Juden. Sie ist aber auch kein rein spirituelles Gebilde, in dem solche Begriffe wie Politik und Herrschaft überhaupt nicht vorkommen dürften.39

Schließlich gilt auch für den in politischer Hinsicht noch kritischeren Peterson, was mit Blick auf Barths Aufsatz festgehalten wurde: Auf einer untergeordneten Ebene legitimiert die Ausständigkeit der Wiederkunft Christi auch den Bestand politischer Ordnungen. Solange die Differenz von Reich Gottes und Kirche, von Himmelsstadt und ekklesía besteht, sind die politische Ordnung und ihre Funktionserfordernisse grundsätzlich legitim.40

6. Katholische Aneignung eines dialektischen Begriffs: die Debatte zwischen Johann Baptist Metz und Hans Maier um die «Neue Politische Theologie»

Was ist aus dieser dialektischen Konzeption des eschatologischen Vorbehaltes in der weiteren Rezeption geworden? Nur ein Schlaglicht ist hier noch möglich, das der katholischen Aneignung des Begriffs im Umfeld der «Neuen Politischen Theologie» gelten soll. Dabei zeigt sich, dass der dialektische Charakter des Begriffs grundsätzlich beibehalten wurde, wenn auch mit einigen charakteristischen Verschiebungen.

Bemerkenswert ist, dass in der zum Teil scharf geführten Auseinandersetzung zwischen Johann Baptist Metz und Hans Maier beide Seiten auf die Rede vom eschatologischen Vorbehalt zurückgegriffen haben. Metz verwendete den Begriff einerseits ganz im Sinne seiner dialektischen Vorläufer. So stellt er die antitotalitäre Stoßrichtung der Ausständigkeit des Reiches Gottes heraus und sieht, ganz ähnlich wie Peterson, die Kirche als diejenige Instanz an, die dies gegenüber einem sich selbst verschließenden Politischen kritisch artikuliert. Ausdrücklich geht es Metz dabei darum, Gottes endzeitliches Handeln als zeitliche Zukunft zu verstehen. «Die Kirche als Institution lebt ja selbst unter dem ‹eschatologischen Vorbehalt›. […] Die Hoffnung, die sie verkündet, ist nicht die Hoffnung auf die Kirche, sondern auf das Reich Gottes. So lebt die Kirche als Institution ihrer eigenen Vorläufigkeit. Und sie muß diese eschatologische Vorläufigkeit institutionell dadurch realisieren, daß sie sich als Institution kritischer Freiheit gegenüber dem gesellschaftlichen Prozeß mit seinen Verabsolutierungen und Verschließungen etabliert.»41

Andererseits hat Metz eine doppelte Akzentverschiebung an der Denkfigur vorgenommen: Zum einen ist bei ihm nicht mehr die Rede davon, dass der eschatologische Vorbehalt auf einer nachgeordneten Ebene durchaus auch die Funktion hat, die Legitimität des «natürlichen» Politischen zu sichern. Zum anderen hebt er deutlicher als seine dialektischen Vorgänger hervor, dass sich aus dem im «Noch nicht» des Reiches Gottes wurzelnden kritischen Verhältnis der Kirche zum Politischen eine positive Gestalt des Politischen ergibt, auch wenn diese primär in einer negativ-kritischen Praxis liegen soll.42 Der von Metz immer wieder eingeschärfte Primat der Praxis hat gerade den Zweck, konkrete politische Konsequenzen aus dem eschatologischen Vorbehalt abzuleiten. So sei er nicht nur «eine regulative Idee, sondern kritisch befreiender Imperativ für unsere Gegenwart». Die «Verheißungen, auf die er sich bezieht», «sind Ansporn und Auftrag, sie unter geschichtlichen Bedingungen der Gegenwart wirksam zu machen und sie so zu ‹bewahrheiten›; denn die Wahrheit muß ‹getan› werden.»43

Beide Akzentverschiebungen wurden von Hans Maier in seinen Repliken auf Metz aufgedeckt und ihrerseits mit dem eschatologischen Vorbehalt konfrontiert. So hat Maier zum einen herausgestellt, dass der eschatologische Vorbehalt keine Destruktion des Geschöpflichen bedeutet, sondern das «Noch nicht» zugleich eine Grenze markiert, die auf das Irdische legitimierend zurückverweist: «Zum Ernstnehmen des eschatologischen Vorbehalts gehört es auch, die konkrete Geschichte mit ihrem Dunkel und ihren Schrecken anzunehmen und nicht nur schwärmerisch den ‹aus der modernen Gesellschaft reifenden Verheißungen einer universalen Humanisierung der Welt› nachzujagen.»44 Zum anderen hat Maier – unter maßgeblichen Rückgriff auf Petersons Kritik der politischen Theologie im Monotheismustraktat – bei Metz genau das identifizieren wollen, was die Rede vom eschatologischen Vorbehalt gerade zurückweisen solle: die religiöse Legitimation einer bestimmten politischen Praxis. Maier macht den negativen Index, den die eschatologische Zeit bei Peterson wie bei Barth trägt, geltend, wenn er beklagt, dass der eschatologische Vorbehalt bei Metz «zu einem innergeschichtlichen Noch-Nicht» werde, «womit die Differenz zwischen der christlichen Botschaft und den modernen politischen Ideologien praktisch verschwindet.»45 Allerdings zieht auch Maier aus der negativen Bestimmung des eschatologischen Vorbehaltes am Ende einen Schluss, der durchaus über Barth und Peterson hinausgeht: Die in der Denkfigur liegende Zurückweisung eines sich selbst vergöttlichenden Politischen versteht Maier nämlich als theologische Anerkennung neuzeitlicher Säkularisierungsprozesse. Die durch das Christentum freigesetzte «Entdivinisierung» des Politischen sei dabei nicht nur «negativ als Exemtion von theologischen Hegemonie­ansprüchen» zu verstehen, sondern ziele auf eine «konkret anvertraute, zur Gestaltung freigegebene Welt» und äußere sich «positiv als Erkenntnis der dieser Welt eingestifteten Rationalitätsstrukturen».46

Obwohl also der dialektische Charakter der Rede vom eschatologischen Vorbehalt in der Debatte grundsätzlich erhalten bleibt und sogar von Maier gegen Metz ins Feld geführt wird, modifizieren beide Kontrahenten die Denkfigur auf eine charakteristische Weise. Die jeweiligen Akzentverschiebungen zielen, wenn auch in unterschiedlicher Form, darauf, die politischen Konsequenzen des eschatologischen Vorbehalts zu konkretisieren, indem sie zu klären versuchen, was christliches politisches Handeln unter modernen Bedingungen bedeutet. Sie stoßen damit zu einer Leerstelle der Denkfigur bei Barth und Peterson vor, die sich einerseits als konfessionsspezifisch, anderseits als zeitbedingt verstehen lässt.

Konfessionsspezifisch ist diese Leerstelle insofern, als sie aus dem bei Peterson wie bei Barth betonten aktiven eschatologischen Offenbarungshandeln Gottes folgt. Die eschatologischen Vorgänge sind zuvorderst Taten Gottes, der sündige Mensch dagegen der passiv davon betroffene. Folglich gerät auch die politische Ordnung primär als in ihrer kleinmütigen Selbstverschließung und hochmütigen Selbstüberhebung passiv getroffene in den Blick. Dieses Profil zeigt sich auch und gerade in Petersons ekklesiologischer Zuspitzung des eschatologischen Vorbehaltes: in den Akten der Kirche handelt Gott vorgreifend endzeitlich und unterbricht damit fortlaufend den Hang des Politischen zur Selbstdivinisierung. Die Frage, wie Menschen aus dem Geist des Christentums politisch urteilen und handeln können, kann so nicht recht in den Blick geraten.

Metz sucht diese Leerstelle zu füllen, indem er die eschatologische Botschaft des Christentums als Handlungsperspektive für den Menschen versteht. Christliche Praxis soll das angebrochene Reich Gottes positiv Gestalt werden lassen, sie ist «endzeitlich orientiertes Handeln».47 Maier wählt dagegen einen anderen Weg: Er hält daran fest, dass die eschatologische Botschaft des Christentums nicht direkt in politisches Handeln umzusetzen ist. Stattdessen setzt diese Botschaft das Politische ins Autonome frei und überantwortet es damit der «natürlichen» politischen Vernunft als Gestaltungsaufgabe. Letztlich lassen sich beide Wege als spezifisch katholische Refomulierungsversuche des eschatologischen Vorbehaltes verstehen: So fährt Metz den aktualistischen Offenbarungsbegriff der Dialektiker zurück, da er den politisch handelnden Menschen immer erst auf den zweiten Blick thematisiert. Die Eschatologie, aus der bei Metz das politische Handeln der Christen hervorgehen soll, wird daher auch weniger offenbarungstheologisch und christologisch profiliert; die von den Dialektikern betonte Differenz von Gott und Welt durch eine «Mundanisierung» der Eschatologie abgeschwächt.48 Demgegenüber hält Hans Maier zwar stärker an einer offenbarungstheologisch und christozentrisch begründeten Gott-Welt-Differenz fest. Auch er nimmt jedoch das akhafte «von oben» der Offenbarung, wie es bei Barth und Peterson begegnet, ein stückweit zurück. Anders ließe sich die von ihm angezielte «Freisetzung» der Welt nicht erreichen, eine «Freisetzung», die bei Barth und vor allem bei Peterson immer wieder durch Akte der Kirche neu aktualisiert werden muss.49

Die Modifikationen, die die beiden katholischen Kontrahenten der Debatte um die «Neue Politische Theologie» an der Denkfigur des eschatologischen Vorbehaltes vorgenommen haben, lassen sich jedoch nicht nur als konfessionsspezifische Reflexe deuten, sondern auch als Reaktion auf veränderte historische und politische Rahmenbedingungen. Waren Barth und Peterson in der krisengeschüttelten Zwischenkriegszeit äußert zurückhaltend darin, Entsprechungen zwischen den Konsequenzen der Christusoffenbarung und konkreten politischen Ordnungsformen auszuweisen, ermöglichte die demokratische Nachkriegsordnung neue, positive Verhältnisbestimmungen: Metz nimmt sie mit Blick auf ein gesellschaftskritisch-emanzipatives Programm vor, Maier mit Blick auf den demokratischen Verfassungsstaat, wenn er der eschatologischen Botschaft des Christentums eine «Affinität zu liberal-rechtsstaatlichen Prinzipien, zur Kodifikation konkreter Freiheit» zuschreibt.50

Die in der katholischen Aneignung der Rede vom eschatologischen Vorbehalt vorgenommenen Veränderungen verweisen mithin auf neuralgische Punkte der dialektischen Konzeption des eschatologischen Vorbehaltes, die sich wahlweise als offene Fragen oder spezifisch katholische Aneignungsprobleme der Denkfigur verstehen lassen. Insbesondere die Frage nach den Kriterien der konkreten politischen Praxis von Christen stand in der katholischen Theologie der Nachkriegszeit im Raum. Beide Lösungen – die von Metz, als auch die von Maier favorisierte – blieben jedoch der dialektischen Konzeption der eschatologischen Zeit, wie sie bei Peterson und Barth zutage tritt, grundsätzlich verpflichtet. So hält Metz ausdrücklich fest, dass auch die positive Bestimmbarkeit einer christlichen politischen Praxis noch einmal dem eschatologischen Vorbehalt ausgesetzt ist. Sie findet an Gottes endzeitlichem Handeln ihr Maß. Die Kirche kann so nicht zum exklusiven Träger einer bestimmten politischen Praxis werden.51 Hans Maier hält an dieser Dialektik ohnehin stärker fest, schwächt sie aber ab, um eine Freisetzung des Politischen zu erreichen, die zu einem Entsprechungsverhältnis von christlicher Eschatologie und den Ordnungsprinzipien eines liberalen, demokratischen Verfassungsstaates führt. Im Hintergrund bleibt die dialektische Konzeption der eschatologischen Zeit jedoch durchaus erhalten, denn es bleibt Aufgabe der Kirche, die Freisetzung des Politischen gegenüber einer «Theologisierung» des Politischen darzustellen. So sind nicht zuletzt Maiers eigene Einsprüche gegenüber Metz zu verstehen.

7. Fazit und Ausblick

Es hat sich gezeigt, dass das systematische Profil der Rede vom eschatologischen Vorbehalt in seinen wesentlichen Zügen bereits bei Peterson und Barth vorliegt. Die Veränderungen, die die Denkfigur im Rahmen ihrer katholischen Aneignung erfahren hat, bleiben demgegenüber Akzentverschiebungen. Die hierbei zutage tretenden Probleme lassen sich allerdings auch grundsätzlicher formulieren und gegen die dialektische Konzeption insgesamt wenden. Das hat in seiner Kritik an der «Neuen Politischen Theologie» beispielsweise Robert Spaemann getan. Spaemann nimmt an, dass Metz Rede vom eschatologischen Vorbehalt ihn gerade dazu hätte führen müssen, die grundsätzliche Vorläufigkeit alles zeitlich Politischen gegenüber der christlichen Eschatologie, die sich auf die Ewigkeit beziehe, festzuhalten.52 Das Verhältnis von Reich Gottes und politischer Ordnung interpretiert er also in den metaphysischen Kategorien von Zeit und Ewigkeit und beklagt, Metz’ Rede vom Eschaton sei demgegenüber zweideutig.53 Es ist jedoch diese Zweideutigkeit, die der Rede vom eschatologischen Vorbehalt von Anfang an anhaftet, ja die sie wesentlich ausmacht, wie Peterson in der oben angeführten Charakterisierung der Kirche ausdrücklich sagt.

Die Leistung des Begriffs liegt gerade darin, die klassische metaphysische Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit durch eine eschatologische Zeitkonzeption zu verflüssigen. Die theologiegeschichtliche Funktion dieser Verflüssigung zeigt sich an ihrem Ursprung bei Barth und Peterson: Nach dem Plausibilitätsverlust der kulturprotestantischen Synthese von Christentum und Kultur suchten beide das Christentum durch eine eschatologische Offenbarungskonzeption auf ein starkes, eigenes Fundament zu stellen, das zugleich eine neue Form, die gesellschaftliche Relevanz des Christentums auszuweisen, einschloss. Dabei sperrten sich Barth und Peterson gegen jede Form unmittelbarer, legitimierender Relevanz, sondern argumentierten negativ-dialektisch: Das eschatologische Offenbarungsgeschehen wendet sich gegen sündige Verfehlungen des Geschöpflichen, die zugleich als spezifisch moderne Pathologien des Politischen – insbesondere der völkische Nationalismus und Totalitarismus – identifizierbar waren. In dieser offenbarungstheologisch begründeten Kritik liegt – dialektisch gesehen – zugleich der positive Beitrag des Christentums zur Gestaltung einer politischen Ordnung. Auch wenn Peterson und Barth nicht so weit gingen, Entsprechungen der christlichen Offenbarung zu bestimmten politischen Ordnungsformen auszuweisen, sind diese Entsprechungen in ihrer dialektischen Offenbarungskonzeption durchaus eingeschlossen. Diese Form von Relevanzausweis war nur durch eine partielle Verzeitlichung des Eschatons möglich. Die Akzentverschiebungen, die die Rede vom eschatologischen Vorbehalt in den katholischen Debatten um die «Neue Politische Theologie» erfahren hat, legen dies noch einmal offen, indem sie die von Barth und Peterson vorgegebene Möglichkeit eines christlichen Relevanzaufweises unter veränderten geschichtlichen Umständen zur Geltung bringen.

Eine Kritik der Rede vom eschatologischen Vorbehalt im Umfeld der «Neuen Politischen Theologie» kann daher nicht gegen, sondern nur mit dem dialektischen Charakter des Begriffs argumentieren, oder aber – das wäre die andere Alternative – das Innovative des Begriffs preisgeben. In diesem Fall sollte er jedoch besser nicht verwendet werden. Das bedeutet freilich nicht, dass sich die in der Denkfigur vorausgesetzte eschatologische Zeitkonzeption nicht auch kritisieren lässt und in einer solchen Kritik traditionell metaphysische Argumente ihren Platz haben können.54 Die theologiegeschichtliche Leistung der Begriffsbildung wird jedoch nur dann sichtbar, wenn man die dialektischen Wurzeln zum Bedeutungskern der Rede vom eschatologischen Vorbehalt rechnet.

Welcher Fassung des eschatologischen Vorbehalts gehört die Zukunft? Es gibt gute Gründe, an Erik Peterson anzuschließen, wenn man die Rede vom eschatologischen Vorbehalt theologisch weitentwickeln möchte, und dies nicht nur, weil seine Ekklesiologie für eine katholische Position anschlussfähiger scheint. Petersons zeigt von allen Theologen, die den Begriff gebraucht haben, am meisten Interesse an der Denkfigur, indem er sie auch sakramententheologisch und christologisch zur Anwendung bringt.55 Man mag daher auch beklagen, dass der Begriff in den Debatten um die «Neue Politische Theologie» demgegenüber dogmatisch verkümmert und auf seine kritisch-politische Funktion reduziert scheint.56 Ein Rückgang auf Peterson kann allerdings nur bedeuteten, den dialektischen Charakter des Begriffs, einschließlich seiner politischen Signatur, in anderen dogmatischen Lehrstücken zur Geltung zu bringen. Alles andere wäre nicht im Sinne des Urhebers.

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