Garten

«Der Ort im Kloster, wo man Gott am nächsten ist, ist nicht nur die Kirche, sondern der Garten, dort erfahren die Mönche ihr größtes Glück.» Dieses Zitat stammt nicht etwa aus der Barockzeit, in der gerade die Klöster mit besonders prunkvollen Gartenanlagen ausgestattet waren. Der Weisheitsspruch wird vielmehr dem frühchristlichen Mönchsvater Pachomius († 346) zugeschrieben, der am Beginn des vierten Jahrhunderts in der ägyptischen Wüste die erste Klosterregel des Christentums, die als ‹Engelsregel› bekannt ist, verfasste. Dass Kirche und Garten als genuine Orte der Gotteserfahrung für das spätantike Christentum so eng miteinander verbunden waren, wird für die nachfolgenden Generationen des Christentums keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Peter Hersche, Schweizer Historiker und ausgewiesener Kenner der Kulturgeschichte des Christentums, betont am Beginn seines Beitrags für dieses Heft, dass die «christliche Religion und Gärten direkt gar nichts miteinander zu tun […] haben.»1 Obwohl die unzähligen biblischen Bilder des Gartens beider Testamente in Liturgie und christlicher Kunst stets präsent blieben, sucht man etwa im Lexikon für Theologie und Kirche vergeblich nach einem gleichlautenden Eintrag. Sieht man von geschickten Marketingstrategien einiger Klöster und der unüberschaubaren spirituellen Ratgeberliteratur zu diesem Thema ab, lässt sich die Frage stellen, ob im Christentum der Garten als «Urbild des Glaubens» ins Hintertreffen geraten ist. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Gärten derzeit in all ihren Formen, vom Blumenkasten auf dem Balkon über aufwendig gestaltete Vorgärten bis hin zu den großen Erholungsparks in urbanen Lebensräumen unser Leben täglich begleiten. So beobachtete es jedenfalls der 2012 verstorbene Theologe Hermann Kirchhoff in seinem noch immer lesenswerten Büchlein über die einstige Bedeutung des Gartens im Christentum.2 Wie auch immer der Garten in der Geschichte des Christentums gedeutet wurde – zunächst ist festzuhalten, dass er kein Spezifikum des Christentums allein war bzw. ist. Wie nur wenige andere Bilder und Symbole verbindet er seit alters her die unterschiedlichsten Kulturen und Religionen miteinander und ist auf diese Weise eng mit dem Geschick der gesamten Menschheit verbunden. Mit dem Garten assoziieren wir unsere tiefsten Träume, weil er als Paradies sowohl die Erinnerung an die glückliche Urzeit wie die Hoffnung auf die Endzeit wachruft. Oder mit den Worten des Schriftstellers Arnold Stadler: «Wir leben jenseits von Eden. Haben aber noch eine Ahnung von da und eine Sehnsucht dorthin.»3 In seiner ganzen Zwecklosigkeit ist der Garten für den Menschen, wenn er noch in der Lage ist zu staunen, ein Symbol für das eingebüßte und erhoffte Paradies. Als Stadt, wie das eschatologische Reich der Endzeit in der Apostelgeschichte geschaut wird (vgl. Offb 21–22), wäre das Paradies heute vielleicht weniger attraktiv, als Garten weckt es Sehnsucht und Hoffnung zugleich. Davon zeugt die poetische Kraft der christlichen Liturgie, wenn sie den Garten als irdischen und himmlischen Sehnsuchtsort besingt. Kein Geringerer als der evangelische Kirchenlieddichter Paul Gerhardt (1607–1676) hat in seinem wohl berühmtesten Lied «Geh aus, mein Herz, und suche Freud» die «schöne Garten-Zier» ins Zentrum seines Sommergesangs gestellt.4 Ein kleiner Auszug aus dem Lied soll in wenigen Sätzen skizzieren, wie die «christliche Kreativität» das Schicksal des Menschen im Modus des Gartens mit Gott in Verbindung bringt. Für das Lied braucht man zunächst einen langen Atem, besteht es doch aus insgesamt 15 Strophen. Die Strophenzahl entspricht den Tagen der Schöpfung bzw. der eschatologischen Vollendung: Die Zahlen Sieben und Acht stehen für Diesseits und Jenseits, Hier und Dort, Zeit und Ewigkeit. Während in den ersten acht Strophen des Liedes das Lob der Schöpfung mit biblischen Bildern gezeichnet wird, folgen im zweiten Teil die eigentlichen Glaubensaussagen. Das Leitmotiv des Liedes ist die Freude, wie sie beim Betrachten des göttlichen Schöpfungswerkes im Garten erfahren wird. «Nicht Lehrsätze werden hier formuliert, Sinne werden erweckt, Bilder werden gemalt, Emotionen hervorgerufen.»5 Die erste Strophe ist von typischen Aufforderungen geprägt: Geh aus!, Schau an! und Siehe!, die die Singenden direkt ansprechen. Damit ist aber mehr als ein Aufruf zu einem erbauenden Gartenspaziergang gemeint. Das Lied fordert ganz wie in Matthäus 6, 25ff auf, alle Sorgen des Alltags zurückzustellen und Geist und Sinn auf die Schönheit der Natur auszurichten:

Geh aus, mein Herz, und suche Freud
In dieser lieben Sommerzeit
An deines Gottes Gaben:
Schau an der schönen Gärten-Zier
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.

In der Tradition des antiken locus amoenus schildern und besingen die ersten acht Strophen das Gesamt der Natur als Garten. In der zehnten Strophe greift der Dichter das Gartenmotiv nochmals explizit auf: Dem irdischen Garten mit all seiner Vergänglichkeit wird der himmlische Garten Christi gegenübergestellt, wie er in der Liturgie bereits seine erste Vorwegnahme findet, wenn die Gläubigen etwa in die himmlischen Sphärenklänge des Sanctus einstimmen. Der neue Garten ist mehr als nur ein Ort, er ist eine Existenzweise, die im ein- und mehrstimmigen Singen ihren vollkommen­sten Ausdruck findet. Wurde zunächst Gott als Gärtner besungen, der den Garten Eden pflanzte und danach den Menschen erschuf (Gen 2, 8), verweist das Lied nun auf den auferstandenen Christus, der als Gärtner Maria von Magdala begegnete ( Joh 20, 15). Der Schöpfungsakt Gottes wird auf diese Weise zum bildreichen Gleichnis der nahenden Erlösung.

Welch hohe Lust, welch heller Schein
Wird wohl in Christi Garten sein?
Wie muß es da wohl klingen,
Da so viel tausend Seraphim
Mit eingestimmten Mund und Stimm
Ihr Alleluja singen?

Das 15 Strophen umfassende Lied endet mit der eindringlichen Bitte, dass der noch bitter bestehende Abstand zwischen irdischem Garten und himmlischem Paradies rasch aufgehoben werde – und das nicht mehr nur im liedhaften Gleichnis, sondern unmittelbar. Die letzte Strophe des Liedes ist eng mit Psalm 92 («Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum») verknüpft, dessen naturnahe Bilder sich auch durch die übrigen Liedstrophen ziehen. Der Dichter vergleicht das Leben auf Erden mit einer langen Reise, deren Erträge ganz und gar in den Dienst Gottes gestellt werden – im Diesseits wie im Jenseits.

Erwähle mich zum Paradeis
Und laß mich bis zur letzten Reis
An Leib und Seele grünen:
So will ich dir und deiner Ehr
Allein und sonsten keinem mehr,
Hier und dort ewig dienen.

Auch wenn nur drei Strophen des Liedes vorgestellt wurden, lässt sich erahnen, von welch hoher poetischer und theologischer Qualität das Lied ist. Obwohl es zu den bedeutendsten evangelischen Kirchenliedern gehört, hat es im Unterschied zu anderen Kirchenliedern von Paul Gerhardt wie «Ich steh an deiner Krippen hier» oder «O Haupt voll Blut und Wunden» im katholischen Bereich überhaupt keine Rezeption erfahren. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich.Viele empfinden Gerhardts Sommerlied bis heute als weltliche Naturlyrik und weniger als frommes Kirchenlied. Wie eben gezeigt wurde, kann ein solches Urteil in Bezug auf das Motiv des Gartens freilich nicht gelten. Im Zentrum des Liedes steht die «schöne Garten-Zier», die vom Dichter als spannungsvolle Einheit ins Wort gesetzt wird: als Jetzt und Dann, Hier und Da, Außen und Innen. Mitten in der (kultivierten) Natur ist für den Menschen die Heilsdimension Gottes zu erkennen, im Lebendigen begegnet ihm das Anfängliche wie das Zukünftige. Das Lied will zwischen Diesseits und Jenseits, dem schönen Garten und dem Garten Christi eine Brücke schlagen, die im gemeinsamen Singen ihren tiefen Ausdruck findet. Papst Franziskus hat mit seiner Umweltenzyklika Laudato Si’ über die Grenzen der Kirche hinaus an den schöpfungsethischen Auftrag erinnert, der mit der biblischen Paradieserzählung verbunden ist: Sie verpflichtet die Menschheit, den Garten der Welt nicht nur zu bebauen und damit nutzbar zu machen, sondern auch zu hüten und vor endgültiger Zerstörung zu bewahren (vgl. Gen 2, 15). «Jede Gemeinschaft darf von der Erde das nehmen, was sie zu ihrem Überleben braucht, hat aber auch die Pflicht, sie zu schützen und das Fortbestehen ihrer Fruchtbarkeit für die kommenden Generationen zu gewährleisten» (Laudato Si’ 67). Der Garten wird auf diese Weise zum Symbol unserer Erde, für die der Mensch in den ihm gegebenen Grenzen verantwortlich ist. Die zunehmende Zerstörung der Natur gefährdet dadurch auch die Existenz des Gartens. «Im Blühen, Reifen, Welken, und Vergehen des Gartens erfährt der Mensch die Mächtigkeit der Sinnfrage, wird er gewiß, daß die Schönheit stets der Traurigkeit bleichere Schwester (Rilke) ist – bis sich der Garten vollendet.»6 Wird der Garten der Welt leichtfertig aufs Spiel gesetzt, raubt man den zukünftigen Generationen die Möglichkeit, die Sinnfrage in ihrer Mächtigkeit zu erfahren. Damit ist auch der Apell verbunden, dass der Mensch im Garten zu jener Demut zurückfindet, mit der er ursprünglich ausgestattet wurde, denn der Mensch erfährt erst dann anhaltende Freude, «wenn er in das Bild eines endgültigen Gartens Gottes eintreten kann».7

Die diesjährige Sommerausgabe der Communio beleuchtet das breite Thema «Garten» im Kontext von Glauben und Theologie in gewohnter Weise aus unterschiedlichen Perspektiven: Den Anfang macht Thomas Ruster mit einem Beitrag über die «katholische Lehre vom Urstand», indem er ein vergessenes Thema der Dogmatik aufgreift und kritisiert, dass die klassische Urstandslehre dem Garten als Ort der Vermittlung der Gnadengaben keine Bedeutung beimaß. Ausgehend von Funktion und Bedeutung des Gartens entwirft er eine lebensdienliche Anthropologie, die den heutigen Herausforderungen im Kontext des Urstands gerecht zu werden versucht. Justina Metzdorf OSB übernimmt den biblischen Zugang zum Thema und zeichnet die Gedanken der Kirchenväter zum Motiv des Gartens in der Bibel nach. Sie unterstreicht damit die große Bedeutung des Gartens für den Glauben der frühen Christen. Der renommierte Profanhistoriker Peter Hersche steuert einen mentalitäts- und kulturhistorischen Beitrag über das Verhältnis des Christentums zu den Gärten der Frühneuzeit bei. Karl-Heinz Steinmetz beschäftigt sich in seinem Artikel mit der Spiritualität des Gartens – ebenfalls im Kontext der frühen Neuzeit. Ein Gartenheft kommt nicht ohne einen Beitrag über die Klostergärten aus. Diese Aufgabe hat Harald Schwillus übernommen, der die «Nützlichkeit und Kontemplation» von Klostergärten untersucht. In einer Meditation entlang an Gedichten und philosophischen Beobachtungen entwickelt Holger Zaborowski eine Anthropologie des Gartens als «Ort der Menschlichkeit und Versöhnung». Abgeschlossen wird das Heft von Michael Gassmann, der sich in einer Glosse kritisch mit zeitgeistigen Tendenzen rund um das Thema «Garten» auseinandersetzt.       

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