Augustinus, die Manichäer und das Essen von Fleisch

Abstract / DOI

St. Augustine, Manichaeism and the Consumption of Meat. This article considers the relation of St. Augustine to Manichaeism, which is sometimes considered as a religion of cosmic well-beeing through vegetarianism. A closer look at the food regulations and the practice of the Manichaeans of abstaining from meat consumption will help to fully understand St. Augustines reactions. It is of particular importance that St. Augustine interprets the Old Testament allegorically and thus developed an attitude that differs from the Manichaean conception.

Possidius, Schüler und Biograph des hl. Augustinus, berichtet, dass auf die bischöfliche Tafel in Hippo nur «Gemüse und Kräuter» kamen.1 Wirkten in dieser vegetarischen Lebensweise die Vorschriften der Manichäer nach, denen Augustinus in seiner Jugend gefolgt war? Ist sie ein Zeichen, dass er hintergründig immer noch ein wenig Manichäer blieb? Die Manichäer verboten das Essen von Fleisch. Das, wie auch ein gewisses Misstrauen gegen alles Fleischliche überhaupt, hatten ihm zu seinen Lebzeiten seine donatistischen (Petillian) oder pelagianischen Gegner ( Julian) vorgeworfen. Possidius berichtet jedoch auch, dass den Kranken und auswärtigen Gästen am bischöflichen Tisch Fleisch vorgesetzt wurde und dass man zu jedem Essen Wein trank. Das konnte man so verstehen, dass der katholische Bischof damit seine Ablehnung der Manichäischen Lebensweise deutlich machen wollte, die nicht nur den Genuss von Fleisch, sondern auch den Weingenuss verbot. Beiläufig sei erwähnt, dass die Vorstellung einer angeblichen «manichäischen Kirche» erst am Ende des 20. Jahrhunderts entstanden ist, als die von den Häresiekritikern überlieferten Angaben durch nicht wenige, erst im letzten Jahrhundert entdeckte Originalquellen bestätigt wurden. Das führte zu einer vertieften Kenntnis der Riten und der Lebensweise der Manichäer. Diese neue Sichtweise entstand in Nordamerika, namentlich an der Westküste der USA, zeitgleich mit den Aufkommen der Veganer-Bewegung, die auf den Wellen des New Age surft. Darf man das Manichäertum als eine Religion des kosmischen Wohlergehens dank Vegetarismus verstehen?

Ein genauerer Blick auf das Verhalten der Manichäer zum Fleisch wird uns die Reaktion Augustins auf ihre Vorschriften besser verstehen lassen. Sie wollten nicht einfach ein gesundheitsförderndes Verhalten nahelegen, sondern sie verstanden es als eine Glaubenswahrheit. Dabei darf man nicht vergessen, welche zutiefst religiöse Bedeutung die Nahrungsaufnahme damals für die noch nicht säkularisierte nordafrikanische Gesellschaft hatte. Vor allem im Essen fand etwas Religiöses Eingang ins Alltagsleben; denn es zeigt, wie wohlwollend oder übelwollend sich die Gottheit den Menschen gegenüber verhält. Die Bitte um das tägliche Brot hatte ihren tiefen Sinn, nicht zuletzt in Nordafrika, der Kornkammer Europas. Den Manichäern, die sich ein Neues Testament ohne jede Erinnerung an das Judentum wünschten, bereitete das Aposteldekret Mühe, weil dieses alle Speisen für rein erklärte, mit Ausnahme des Götzenopferfleisches und von Ersticktem (vgl. Apg 15,28–29). Augustinus dagegen deutete das Alte Testament allegorisch, und konnte so im Blick auf die Sakramente und auf die Symbolik der Eucharistie betonen, dass auch beim Fleischgenuss die Rolle der Liebe entscheidend ist. Dafür ist hier der monumentale Traktat Gegen Faustus, den Manichäer am wichtigsten, ein Werk von gleichem Umfang wie der Gottesstaat, das schon 399–404 geschrieben wurde. Die kürzlich erschienene Neuausgabe der ersten Bücher (I–XII) dieses Traktats in der «Bibliothèque Augustinienne» wird uns dabei von Nutzen sein.

1. Die Reinigung der Seele und der Verzicht auf Fleisch bei den Manichäern

Wir leben in einer Konsumgesellschaft und können die kirchlichen Abstinenz- und Fastengebote nur mit Mühe einhalten. So fällt es uns schwer, in den Nahrungsvorschriften der Manichäer eine religiöse Bedeutung zu finden. Der Verzicht auf Fleischgenuss erklärt sich jedoch relativ leicht aus dem Gründungsmythus jener Religion. Dieser betrachtet die Nahrungsaufnahme, ausgenommen den Fleischgenuss, als ein kosmisches Erlösungsgeschehen.

Die Manichäer enthielten sich, zumindest im 4. Jahrhundert in Nordafrika, auch des Genusses vergorener Getränke. Damit befolgten sie die Lehre ihres Gründungsmythus von den zwei Prinzipien und den drei Zeiten. Sie steht in den grundlegenden Texten der von Mani begründeten Religion, die entweder vom «Siegel der Propheten» selbst stammen oder von seinen ersten Schülern. Neuere archäologische Funde haben uns weitere Einzelheiten davon erfahren lassen. Fassen wir sie kurz und schematisch zusammen2: In der ersten Zeit treten zwei grundlegende und gegensätzliche Prinzipien einander gegenüber, der Vater der Größe und der König der Finsternis, zwei «Naturen», zu denen die geistlichen, beziehungsweise die materiellen Bereiche gehören. In der mittleren Zeit vermischen sich Licht und Finsternis, und das in drei Momenten: in einer Theogonie, in der der König der Finsternis die Erde des Lichtes angreift und unterliegt; in einer Kosmogonie, wo der Sohn des Lichtes von den Mächten der Finsternis aufgesogen wird, was zur Gefangenschaft des Geistes in der Materie führt; in einer Anthropogonie, die den Urmenschen tätig werden lässt, indem er die Beherrscher der Finsternis überlistet, bis schließlich, kraft einer Durchsiebung die Finsternis vom Licht durchdrungen wird. Das geschieht in einer Mischwelt, in der Lichtteilchen in der Materie eingeschlossen sind. Es ist die Aufgabe des Manichäers, diese kosmische Reinigung in seinem persönlichen Sein zu Ende zu führen, damit die dritte Zeit eintreten kann, die vollständige Aussiebung, dank der das Licht wieder von der Finsternis getrennt ist. Der manichäische Mensch versteht sich so als eine Art Mikrokosmos, in dem Gut und Böse so lange miteinander vermischt sind, bis ihm eine persönliche Offenbarung zuteil wird; in ihm vollzieht sich deshalb die «Raffination» des Lichts in einem ganz konkreten, keineswegs allegorisch zu verstehendem Sinn.

Das lässt die aszetischen Vorschriften verstehen, die den Jüngern Manis auferlegt werden, das «Versiegeln» der Hände, des Mundes, des Schoßes. Sie sind «Aussieber des Lichtes»; sie erfüllen ihren Heilsauftrag, wenn sie die materiellen Elemente, die am meisten göttliches Licht enthalten können, essen und in sich aufnehmen: Gemüse, Kräuter, Früchte, aber keinesfalls fleischhaltige Gerichte. Denn diese sind von solch materieller Dichte, dass sie nicht als «lichthaltig» betrachtet werden können; sie enthalten zweifellos nichts vom göttlichen, in der Materie gefangenen Licht. Diese Speiseregeln betreffen in verschiedenem Grad die Erwählten und die bloßen Hörer. Die Erwählten müssen die «Versiegelung der Hände» einhalten, «die jede Gewaltanwendung gegenüber den Elementen der Natur (Licht, Feuer, Wasser, Wind und Luft) verbietet; aus diesem Gebot ergibt sich der Vegetarismus der Manichäer […]; die ‹Versiegelung des Mundes› dagegen betrifft die Speiseverbote (vergorene Getränke, Fleischgerichte, Milchprodukte).»3 Diese Regel befolgen auch die Hörer. Ihre Aszese soll das Kommen der Endzeit herbeiführen, in der das Licht von der Finsternis geschieden ist, und in der die Gestalt Jesu als endzeitlicher Richter erscheinen wird.

Der manichäische Bischof Faustus von Mileve, auf den Augustinus als manichäischer Hörer in Karthago im Jahr 382/383 begierig gewartet hatte, verlangte die Versiegelung des Mundes. Er hatte eine Verteidigungsschrift des Manichäismus in Form von Streitgesprächen mit den Katholiken verfasst. In diesen Capitula versuchte er zu zeigen, dass die wahre christliche Kirche, die seine, nichts mit dem Judentum gemein hat, und dass jeder Christ das Alte Testament verwerfen muss. So führt er mit seinem katholischen Gegner ein (erfundenes) Streitgespräch über die mosaischen Speisegesetze, um hauptsächlich mit Vernunftgründen aufzuzeigen, dass sich Katholiken und Manichäer in der Praxis treffen, weil beide die vom alttestamentlichen Gott den Juden auferlegten Speisegesetze nicht befolgen:

Schweinefleisch ist zwar nicht das einzige, dessen ich mich enthalte, und du, du isst es, und nicht als einziges; ich, weil jedes Fleisch in meinen Augen unrein ist, und du, weil für die Deinen nichts unrein ist (vgl. Tit. 1,15).4

«Jedes Fleisch ist in meinen Augen unrein». Die einzige Reinheit, um die sich Faustus bemüht, ist die Reinheit des Evangeliums; sie besteht für die Manichäer in der Beachtung des Gegensatzes zwischen den beiden Naturen. Anderswo legt Faustus das mit einem Beweis aus dem Evangelium dar:

Christus lehrte, allen Nahrungsmitteln gegenüber neutral zu sein und […] obwohl er den Seinen alle verbot, erlaubte er den Weltleuten alles zu essen, als er sagte, nichts, was durch den Mund hereinkommt, mache sie unrein; denn nur das, was unüberlegt aus dem Mund herauskommt, kann den Menschen verunreinigen (vgl. Mt 15,11–20)5

Anders gewendet verbietet der manichäische Christus jeden Kontakt mit etwas Materiellem, nimmt jedoch die nicht Eingeweihten davon aus. Faustus will an der Lehre von der Unterscheidung der beiden entgegengesetzten Prinzipien festhalten, die auch den Gegensatz zwischen dem Alten und dem Neuen Testament einschließt. Er wirft den Katholiken vor, aus dem Alten Testament nur das zu nehmen, was ihnen passt, wenn sie zum Beispiel die Vorschrift beachten, kein morticinium zu essen, d.h. kein Tier, dem nicht das Blut entzogen wurde (vgl. Lev 17,10–12 mit dem Aposteldekret Apg 15, 28–29), während sie doch eine Reihe der von Mose verbotenen Speisen genießen.6

Im ersten der von uns angeführten Texte unterstreicht die Anspielung auf Tit 1,15 den Gegensatz zwischen dem Judentum mit seinen Reinheitsgesetzen und dem Christentum, das sich an die Aussage des Evangeliums hält, der zufolge «alle Speisen rein sind» (Mk 7,19). Das Pauluswort stellt den Manichäer, für den das Fleisch unrein ist, vor ein Problem. Faustus bestreitet die Authentizität dieses Wortes in einem capitulum, dessen Beweisführung auf der Ablehnung einer profanen, für die Gottheit offenen Welt beruht, sowie auf einer allgemeinen Heilslehre im Blick auf die Reinigung des Geistes. In allen Religionen, der heidnischen, jüdischen, christlichen, gebe es Aszese:

Wenn es in der Welt drei Religionen gibt, die alle in gleicher Weise die Reinigung der Seele auf Verzicht und Enthaltung beruhen lassen, wenn auch mit ganz verschiedenen Ritualen, ich spreche von den Juden, den Christen und den Heiden, dann lässt sich nicht sagen, dass aus einer dieser Religionen das Wort stammen kann, das lehrt, es gebe nichts, was nicht heilig ist.7

Tit 1,15 ist somit, nach Faustus, ein unterschobener Vers. Der manichäische Bischof hat zweifellos recht, wenn er Verzicht und Enthaltung (wenn auch in sehr verschiedenem Maß) zum gemeinsamen Erbgut aller Religionen gehörig betrachtet. An anderen Stellen setzt er sich dagegen energisch von anderen Theologien ab, namentlich vom Heidentum. Die lehrmäßige Begründung der Aszese lautet je nach Religion ganz verschieden, wie V.E. Grimm mit einem Augenzwinkern bemerkt:

Bei den Heiden war die Nahrungsaufnahme und der Geschlechtsverkehr nicht ausdrücklich von den Göttern geregelt, und es lag an den Menschen, entsprechende Regeln aufzustellen […], der Judengott dagegen überwachte eifersüchtig die Schlafzimmer und die Essräume seines Volkes.8

Bei den Juden sind die rituellen Reinheitsregeln in der Einzigartigkeit eines Volkes begründet, das berufen ist, mitten unter allen umliegenden Nationen den Einzigen zu bezeugen. Bei den Heiden beruhen die Speiseregeln und die Regeln des Geschlechtsverkehrs auf einem ganz persönlichen Bemühen, der Gottheit nahezukommen. Die manichäische Abtötung des Fleisches zur Befreiung des Geistes ergibt sich dagegen aus einem radikalen Dualismus.

Zum Schluss dieses Überblicks über das Verhältnis der Manichäer zum Fleisch ist auch darauf hinzuweisen, dass sich die Manichäer, um sich als die echten Christen zu zeigen, auf die Autorität des Paulus berufen und zur Rechtfertigung ihres Fleischverbots Röm 14,21 anführen: «Brüder, es ist gut, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken.» Faustus zitiert diesen Vers nicht; er scheint jedoch zu den Argumenten der Manichäer zu gehören, wie Augustinus sie darstellt.9

2. Das gute und hinfällige Fleisch

In der Frage der christlichen Aszese als Weg zur Vollkommenheit hat Augustinus eine Entwicklung durchlaufen. Er ging zunächst von einem stoischen Verständnis der Tugenden aus, wie es sich in den Dialogen in Cassiciacum findet. Doch als er in den Gestalten der Schrift Christus entdeckte, half ihm ein allegorisches Verständnis der Gesetzestexte des Pentateuchs in der Mittlerschaft Christi die Wahrheit der rituellen Vorschriften des Judentums zu sehen. Die Aszese allein kann nicht genügen. Zum Wachstum der Tugenden des Glaubens und der Liebe, in denen das Streben nach menschlicher Glückseligkeit am Werk ist, braucht es auch die Beihilfe der Gnade.

Schon in seinen ersten Schriften hatte Augustinus rückhaltlos auf die Kritik der Manichäer an den Speisegewohnheiten der Christen geantwortet, mit der grundlegenden Feststellung, dass Fleisch und Geist nicht schlechthin entgegengesetzt sind, wie die Lehre der Manichäer von den zwei Prinzipien behauptet. Der Geist des Menschen ist nicht göttlich; er ist «ein gutes Geschöpf, wie das Fleisch gut ist», schreibt Augustin schon 394, noch bevor er Bischof wurde.10 Die geschaffene Welt muss man als ein Geschenk Gottes willkommen heißen, nicht als ein Gefängnis für das göttliche Licht. Das lässt uns das Verhältnis Augustins zum Fleisch erst richtig verstehen. Er ist kein heimlicher Manichäer und kein Neuplatoniker, wenn auch einige seiner Aussagen, namentlich in seinen Jugendschriften, so etwas vermuten lassen. Er hat zwar zugegeben, dass er nach der Lektüre der Paulusbriefe ein anderes Verhältnis zum Leib gewonnen hat (Retr. 1,17); doch für ihn ist und bleibt die Einheit von Leib und Seele die Hauptsache. Als er dann gegen die Pelagianer die Unentbehrlichkeit der Gnade für die Freiheit des Menschen verteidigen musste, verleugnete er das Fleisch nicht, sondern betonte nur seine Hinfälligkeit: «Ist einmal der Tod, der letzte Feind, abgewiesen, dann wird mein eigenes Fleisch mein bester Freund für die Ewigkeit». So hat er schon gegenüber Faustus gesprochen, um zu erklären, wie das Wort ‹Fleisch› in 1 Kor 15,50 – «Weder Fleisch noch Blut können das Reich Gottes besitzen» – zu verstehen ist:Es spricht nicht «vom Wesen unseres Leibes, […] sondern von der Hinfälligkeit, der Sterblichkeit des Fleisches, die es in uns dann nicht mehr gibt, so wie sie es fortan in Christus nicht mehr gibt».11

3. Das Fleisch, ethisch gesehen

Augustins Kritik der manichäischen Enthaltung gilt auch für das praktische Leben und ist deshalb wesentlich ethisch zu verstehen. Wie heuchlerisch wäre es, einen Menschen zu verurteilen, weil er ein bisschen in Speck gekochten Kohl isst, während man selbst genießerisch ein reichhaltiges, mit feinsten Gewürzen angerichtetes Gemüsegericht verzehrt – so prangert er schon 388 die Sitten der Manichäer an. Die Tugend der Enthaltsamkeit ist in erster Linie eine innere Haltung. Augustinus legt Röm 14,21 in verschiedener Weise aus: Man muss die Esslust zügeln; das Fleisch «mit seiner Begehrlichkeit» nicht die Oberhand gewinnen lassen; die schwächeren Brüder in ihrem Glauben nicht verletzen; keine Gemeinschaft mit den heidnischen Göttern eingehen durch den Genuss von Götzenopferfleisch.12 Ausschlaggebend für die christliche Unterscheidung ist in erster und letzter Instanz die Bruderliebe: dem Bruder keinen Anstoß geben.

Auch Paulus spricht in ethischer Sicht über die Hinfälligkeit des Fleisches, weswegen Augustinus zum Abschluss des Contra Faustum, nach 33 Büchern verbissener Polemik (wenn man so sagen darf ), darauf hinweist, dass die Begegnung des Gläubigen mit Jesus «nicht durch das Fleisch, sondern im Herzen» geschieht, non carne sed corde.13 Das nimmt Bezug auf die Antwort Jesu auf das Petrusbekenntnis in Caesarea (Mt 16,17), und Augustinus unterstreicht damit, dass die Gnade nicht im Widerspruch zum Fleisch steht. Das Fleisch kann allerdings ein Hindernis bei der Suche nach Christus sein, ja er bemerkt, dass diese Suche ihr Ziel non corporis praesentia, sed fidei potentia finden wird. Hat Augustinus also doch Angst vor dem Fleisch, oder will er der manichäischen Fleischfeindlichkeit ein Zugeständnis machen? Die vielfache Bedeutung des Wortes ‹Fleisch›, die sich schon bei Paulus findet, und auf die sich Augustinus bezieht, darf uns nicht in die Irre führen: Der Weg des Heils ist und bleibt der Weg der Inkarnation, der Weg des Fleisches.

4. Das Fleisch in hermeneutischer Bedeutung

Ein Problem ergibt sich daraus, dass Augustinus das Wort «Fleisch» und das Adjektiv «fleischlich» auch hermeneutisch verwendet und auf den Gegensatz Buchstaben-Geist bezieht. Das Wortpaar Fleisch-Geist scheint sogar in erster Linie auf einen dynamischen Übergang hinzuweisen, auf den Schritt zu einer geistlicher Schriftauslegung, zur Allegorese, zur Erfüllung des im Buchstaben des Alten Testaments Verheißenen. Augustinus wirft in diesem Sinn den Manichäern vor, «im Veralteten des Fleisches zu verharren», wenn sie ein typologisches Verständnis des Alten Testaments ablehnen. Die sacramenta carnalia14, die sich im mosaischen Gesetz finden und von denen auch Faustus spricht, kündeten schon die Wirklichkeit des Neuen Testaments an. Die Christen beachten sie zwar nicht mehr, schreibt Augustin im Contra Faustum, doch «sie wurden nicht aufgehoben, sondern erfüllt» durch Jesus Christus, der auf ihren Sinn für das Leben der Kirche hinweist. Die sittlichen Gebote dagegen «werden in einem rechtschaffenen Gewissen bewahrt und vom Glauben, der durch die Liebe wirkt (Gal 5,16) erfüllt».15

Bezüglich der Speisevorschriften kann Augustinus leicht erklären, dass alle im mosaischen Gesetz verbotenen, beziehungsweise erlaubten Speisen und Tiere Vorbilder für ethische Haltungen sind, die den Leib Christi auferbauen oder nicht auferbauen können. So erklärt er das Verbot von Schweinefleisch allegorisch:

Dieses Tier wird im Gesetz als unrein erklärt, weil es nicht wiederkäut; doch das ist nicht seine Schuld, es ist seine Natur. Es gibt jedoch Menschen, die durch dieses Tier bezeichnet werden, und die durch eigene Schuld und nicht von Natur aus unrein sind: Sie hören sich gerne weise Worte an, denken aber nachher überhaupt nicht mehr an sie. Wenn man etwas Nützliches gehört hat und sich voll Freude daran erinnert, dann lässt man es, wenn ich so sagen darf, aus den Innereien des Gedächtnisses zum Mund des Denkens aufsteigen; was ist das anderes als eine Art geistiges Wiederkäuen? Wer anders handelt, wird durch diese Tierart abgebildet; daraus ergab sich die Pflicht, sich vom Genuss ihres Fleisches zu enthalten, um uns vor einem solchen Fehlverhalten warnen.16

An einer anderen Stelle in der gleichen Schrift gibt er aber auch eine ganz natürliche Erklärung für die Missachtung dieses Verbotes: die Christen essen Schweinefleisch, weil es schmackhafter ist als Schaffleisch! Mit einer ähnlich natürlichen Überlegung erklärt er das Verbot des morticinium, da «das Fleisch von Tieren, die verendet sind ohne getötet zu werden, ungesund und für die leibliche Gesundheit nicht zuträglich ist».17

5. Das sakramentale Fleisch

Faustus klagte den Gott des Alten Testaments an, der «gierig auf das Blut und das Fett von Opfertieren aller Arten ist».18 Augustinus erklärt diese «materialistischen» Züge Gottes allegorisch, mit Hinweis auf die Erziehungskunst Gottes, die aus dem Fleisch sacramenta gemacht hat. Das Heil wird in der Menschwerdung erwirkt, die uns Zugang zum Fleisch Christi gibt, im Gegensatz zu dem nicht genau fassbaren Christus der Manichäer (ist er kosmisch oder historisch?), der dem Doketismus entlehnte Züge zeigt.19 Der Bischof von Hippo beruft sich auf die Autorität des hl. Paulus, um zu zeigen, dass das Fleisch gut ist (denn der Sohn Gottes ist in jungfräulicher Empfängnis Mensch geworden), und um das Verhältnis des Fleisches zur Sünde zu erklären, die als Folge den Tod nach sich zieht. So schreibt Paulus im Römerbrief:

Gott, sagt er, hat seinen Sohn in der Gestalt des Fleisches gesandt, das unter der Macht der Sünde steht, um durch die Sünde die Sünde im Fleisch zu verurteilen (Röm 8,3). Das Fleisch Christi war kein sündiges Fleisch; denn es war nicht durch einen Mann, nicht durch Weitergabe der Sterblichkeit in Maria gekommen; doch da aus der Sünde der Tod stammt, war auch dieses Fleisch, obwohl jungfräulichen Ursprungs, sterblich, und durch diese Sterblichkeit hatte es «die Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht.20

Der Glaube lehrt uns, dass das Fleisch Christi, an dem die Sakramente des mosaischen Gesetzes vollzogen worden waren, die Beschneidung und das Opfer für den Freikauf der Erstgeborenen, auferstand und damit alles verwirklichte, was jene sacramenta prophetisch ankündigten. Als Vorausbild unseres eigenen zukünftigen Lebens wird uns das auferstandene Leben des Fleisches Christi in den Sakramenten der Kirche, seines Leibes, geschenkt. Die Eucharistie nennt Augustinus «das Sakrament der Hoffnung, das die Kirche in dieser Zeit zusammenhält, wenn man trinkt, was aus der Seite Christi floss» und dabei die Vollendung des ewigen Heils erwartet, wo wir «in der ungetrübten Anschauung der unveränderlichen Wahrheit keines der materiellen Sakramente mehr brauchen».21 Die Zeit des Fleisches ist zur Zeit der Sakramente geworden.

Im Contra Faustum spricht Augustinus nur sehr zurückhaltend von der Eucharistie, weil er vermutlich fürchtet, man könnte sie mit den ihr ähnlichen Riten der Manichäer verwechseln. Faustus meinte, er bezeuge dem Weltall die gleiche Verehrung wie die Christen Brot und Wein.22 Der katholische Bischof kann schlicht und sozusagen beiläufig darauf hinweisen, dass «unser Brot und unser Kelch, […] erst durch eine genau festgelegte Konsekration für uns eine sakramentale Wirklichkeit werden»23, und dass das eucharistische Essen, von dem Christus bei Joh 6,53 spricht – Wenn ihr mein Fleisch nicht esst und mein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch – die Verwirklichung von Gen 2,22 und 3,20 durch den «Neuen Adam» ist, weil «die aus der Seite ihres Gatten Gebildete Leben und Mutter der Lebenden genannt wird», mit Anspielung auf den Namen Eva. Im Johanneskommentar Augustins findet sich eine ausführliche symbolische Darstellung, wie beim Essen des geweihten Brotes das Leben des Leibes Christi weitergegeben wird.24 In der Auseinandersetzung mit den Manichäern dagegen wird, in der hermeneutischen Sicht der sacramenta und mit Hinweis auf 1 Kor 10,4, das Essen des Leibes Christi dadurch erklärt, dass es eine Wahrheit zeichenhaft anzeigt: «Wenn Christus kraft seiner Beständigkeit der Fels ist, warum soll er dann als lebendiges Brot, das vom Himmel herabgekommen ist ( Joh 6,35.42) nicht auch das Manna sein, das allen, die es essen, in Wahrheit geistiges Leben schenkt?».25

Ist die Eucharistie das Sakrament der von ihr angezeigten Wahrheit, das heißt des ewigen Lebens? Ja, sofern man dabei nicht vergisst, dass die Frucht des eucharistischen Opfers, die Bruderliebe, im Leben im sterblichen Fleisch heranreift:

Wir haben die heidnischen Opfermahle nicht durch christliche Agapen ersetzt; wir haben vielmehr den Sinn der Opfer begriffen […] wie der Herr sagte: Liebe will ich, nicht Schlachtopfer (Hos 6,6). Unsere Agapen speisen die Armen, mit Früchten der Erde oder mit Fleisch; denn ein Geschöpf Gottes kann sich mit einem Geschöpf Gottes ernähren, das zur Speise für den Menschen geschaffen ist.26

Nur durch die Liebe kommt man zur Wahrheit, schreibt Augustin am Ende seines Contra Faustum.27 Die Eucharistie, Sakrament der Wahrheit des Fleisches, des «liebsten Freundes des Menschen», ist das nur als sacramentum caritatis.

Übersetzt von Peter Henrici.

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