«Die Welt ist jung», riefen die Studenten in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit prophetischem Eifer, und brachen eine Kulturrevolution vom Zaun, die unsere Gesellschaft nachhaltig veränderte. Der Slogan bezog sich nicht nur auf den Protest gegen die Gerontokratie der ersten Nachkriegsjahrzehnte, er lässt sich auch wörtlich verstehen. Denn die hohe Geburtenrate der Jahre zwischen 1955 und 1969 wurde in Mitteleuropa bis dato nicht mehr erreicht. Heute hat sich das Schlagwort der 68er-Bewegung längst ins Gegenteil verkehrt. Die Überalterung der Gesellschaft gehört zu Europas größten Herausforderungen. Politik und Gesellschaft sind sich uneins, wie mit den Folgen einer immer älter werdenden Gesellschaft umgegangen werden soll. Nur die Wirtschaft und ihre gewieften Marketingstrategen tun sich mit den demographischen Veränderungen leichter. Längst wurden die «Best-Agers» als neuer Käufertypus entdeckt, da sie im Vergleich zur übrigen Bevölkerung über die meisten Ressourcen verfügen. Aber auch jenseits von Profit und Kapital ziehen die agilen Pensionäre die Aufmerksamkeit auf sich. Universitäten und andere tertiäre Bildungseinrichtungen werben mit umfassenden Studienprogrammen, um die «Generation 60plus» zurück in die Hörsäle zu locken, fehlt doch gerade in geisteswissenschaftlichen Fächern mitunter der studentische Nachwuchs. Die rasante Verschiebung der Bevölkerungspyramide zugunsten der Alten stellt auch die Kirche (im Westen) vor neue Herausforderungen. Als bedeutende Trägerin von Alters- und Pflegeheimen sitzt sie an zentralen Schaltstellen und kann damit die Folgen des demographischen Wandels wesentlich mitgestalten. Zugleich leidet sie wie kaum eine andere Institution an der Überalterung der Gesellschaft. Die Kirchenpopulation ist in unseren Breiten im Durchschnitt noch älter als der Rest der Gesamtbevölkerung. Nicht nur die Jugend bleibt der Kirche mittlerweile flächendeckend fern, sondern die ganze Institution wird als alt und überholt wahrgenommen. Wenn der Eindruck nicht täuscht, ist die Kirche so sehr in interne Konflikte verstrickt, dass ihr die Kraft für die Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen fehlt. Dabei wäre gerade das Thema «Altern» ein Gebiet, auf das sie sich eigentlich verstehen müsste. Im Lauf ihrer Geschichte hat sie einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit der Begrenztheit des menschlichen Lebens angesammelt, der als «Prophetie der Lebensalter» für heutige Verhältnisse fruchtbar gemacht werden kann. Bereits ein kursorischer Blick in das Alte Testament kündet von der hohen Wertschätzung der Lebensalter. Im Unterschied zu heute zog die Antike das Alter der Jugend vor. «Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott», ist im alttestamentlichen Heiligkeitsgesetz zu lesen (Lev 19, 32). Kohelet dreht die Metapher um, wenn er die Jugend ebenso unter seinen Vanitas-Vorbehalt stellt, «denn die Jugend und das dunkle Haar sind Windhauch.» (Koh 11, 10) Der hohe Respekt vor dem Alter zieht sich als ethisches Grundprinzip durch die gesamte Schrift: «Behandle einen Menschen in seinem Alter nicht verächtlich, denn auch manche von uns werden altersschwach!» (Sir 8, 6). Der entscheidende Punkt liegt aber nicht in der Rücksichtnahme auf die Gebrechlichkeit der Alten, sondern in der Hochachtung vor ihren Stärken: Besonnenheit, Weitblick und Gelassenheit, wie Thomas Söding in diesem Heft zeigen wird. Die Bibel lässt sich jedoch nicht für eine einseitige Wertschätzung des Alters instrumentalisieren. So überliefert etwa die Susanna-Erzählung (Dan 13, 1-64) drastische Bilder vom Schicksal hoher Würdenträger, die ihr Amt für eigene Machtinteressen missbrauchen. Die katholische Leseordnung siedelt die längste Perikope des Kirchenjahres etwas abseits in der 5. Woche der Quadragesima an, inhaltlich könnte sie aber kaum aktueller sein. Zwei Älteste des Volkes, die ausgerechnet das Richteramt bekleiden, stellen der verheirateten Susanna nach, um sie im Garten ihres Hauses zu vergewaltigen. Die gottesfürchtige Frau wehrt sich gegen den sexuellen Übergriff, nimmt damit aber einen fingierten Ehebruch-Prozess in Kauf, den die Übeltäter als Rache für die Zurückweisung gegen sie anstrengen. Schon zum Tode verurteilt, greift der junge Prophet Daniel ins Geschehen ein, indem er seinem Namen, «Gott verschafft Recht», alle Ehre macht. Durch getrennte Verhöre überführt er die alten Richter der Lüge und verhilft der schönen Susanna zu ihrem Recht. Am Ende der Erzählung wendet sich das Blatt und die selbstherrlichen Richter werden für ihr Verbrechen getötet. Die Erzählung schildert exemplarisch, wie verwerflich auch vermeintlich ehrwürdige Würdenträger sein können und wie weise und moralisch lauter hingegen die Jugend sein kann. Diese Perikope reicht aber nicht aus, um ein vorläufiges Resümee über Wesen und Bedeutung des Alters zu ziehen. Ein letzter Blick führt uns daher zu einer der bekanntesten Berufungserzählungen des Alten Testaments. In einer Zeit, in der Worte des Herrn selten waren, hörte der junge Samuel im Tempel von Schilo eine merkwürdige Stimme, die er zuerst nicht als Ruf Gottes deuten kann. Erst auf Anweisung des greisen Priesters Eli, der aufgrund seines hohen Alters blind war, lernte Samuel, mit dem inneren Ruf umzugehen und sich ganz in den Dienst des Herren zu stellen. Eli gab den entscheidenden Hinweis, der Samuel das berühmt gewordene «Rede, denn dein Diener hört» sprechen ließ (1Sam 3, 1-21). Die Lebensalter stehen sich hier nicht unversöhnlich oder gar feindlich gegenüber, sie ergänzen einander. Der Mut des jungen trifft auf die Erfahrung des alten Priesters, einer hilft dem anderen. Hinter den kurz angerissenen Bibelstellen lassen sich überblicksartig drei Modelle des intergenerationellen Zusammenlebens erkennen, die uns von aktuellen Diskursen vertraut sind: Der Vorzug des Alters gegenüber der Jugend, die jugendliche Demaskierung der Alten und ein kooperatives Modell, das die Stärken und Schwächen beider zusammenführt. Erhöht sich der Anteil von Menschen über ٦٥ Jahren im nächsten Jahrzehnt von heute 21% auf ungefähr 30% der Gesamtbevölkerung im Jahr 2030, wird die Frage nach einem gerechten Generationenvertrag noch virulenter. Eine Jugendrevolte ist derzeit nicht in Sicht, aktuelle Protestbewegungen wie Fridays for Future, die eine große Zahl von Schülern mobilisiert, um für den Klimaschutz auf die Straße zu gehen, anstatt die Schulbank zu drücken, könnten erste Vorboten eines tiefergreifenden Generationenkonflikts sein. Für Papst Franziskus haben Gerechtigkeit und Ausgleich zwischen den Generationen seit seinem Amtsantritt oberste Priorität, wie er erst jüngst wieder in seinem nachsynodalen Schreiben Christus vivit (25. März 2019) an die Jugend betonte: «Wenn wir gemeinsam gehen, junge und ältere Menschen, werden wir gut in der Gegenwart verwurzelt sein können. Aus dieser Position heraus werden wir in der Lage sein, mit der Vergangenheit und der Zukunft im Austausch zu stehen: mit der Vergangenheit, um von der Geschichte zu lernen und die Wunden zu heilen, die uns zuweilen beeinträchtigen; mit der Zukunft, um den Enthusiasmus zu nähren, die Träume aufsprießen zu lassen, prophetische Visionen zu erwecken, Hoffnungen blühen zu lassen.» (Christus vivit 199). Was bei Franziskus auf den ersten Blick etwas pathetisch klingt, lässt sich ebenso auf biblische Wurzeln zurückführen. Der Prophet Joel hinterließ eine Prophezeiung, die auch Petrus in der Apostelgeschichte aufgreift, um die Pfingstereignisse zu erklären: «In den letzten Tagen wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, eure jungen Männer werden Visionen haben und eure Alten werden Träume haben.» (Apg 2, 17 vgl. Joel 3, 1) Der Pontifex deutet die Geistausgießung als Allianz zwischen Jung und Alt. Die Visionen der Jugend werden in Erfüllung gehen, wenn sie in den Träumen der Alten verankert sind. Zugleich appelliert Franziskus an die Jungen, ihre Hoffnungen für die Zukunft lautstark zu artikulieren, um innerhalb wie außerhalb der Kirche gehört zu werden. Die Jugendsynode im Herbst 2018 sollte nicht der letzte Schritt bleiben, um Visionen der Jungen fruchtbar zu machen.
Das Christentum zeichnete sich in seiner langen Geschichte durch eine besondere Wertschätzung aller Lebensabschnitte aus, vom ungeborenen Leben über die Phasen der Initiation bis hin zu den letzten Stunden am Totenbett. Im Rahmen der liturgischen Bestattungs- und Erinnerungskultur reicht die Sorge sogar weit über den physischen Tod des Menschen hinaus.
Das aktuelle Heft konzentriert sich auf das «dritte Lebensalter» und greift neben grundsätzlichen Fragestellungen auch aktuelle Herausforderungen des vielschichtigen Themas auf. Den Auftakt macht der Sankt Georgener Pastoraltheologe Michael Sievernich SJ, der das breite Feld aufbereitet, indem er säkulare mit christlichen Altersdiskursen verknüpft und daraus eine «kleine Kunst des Alterns» entwickelt, die in ganz besonderer Weise auf die (Selbst-)Seelsorge abzielt. Den «fröhlichen Wechsel von Gabe und Aufgabe», wie er die Grundhaltung im Alter bezeichnet, macht er an sieben Schritten auf dem Weg zur Selbstsorge fest. Dazu zählen die Fähigkeit, die eigene Lebensbilanz im Alter im Licht des Evangeliums zu deuten, und seelsorgliche Überlegungen, wie die reiche christliche Musik- und Liedkultur im Alter nutzbar gemacht werden kann. Thomas Söding entwirft in seinem Beitrag eine «Prophetie des Alters» aus der Perspektive des Neuen Testaments. Er tritt für ein biblisch begründetes Bündnis zwischen Jung und Alt ein, das sich am prophetischen Dialog zwischen den Generationen orientiert. Als Beispiel dienen ihm etwa Elisabeth und Maria, die das «Pathos des Neuen» im frühen Christentum besonders anschaulich verkörpern. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz umspielt das Thema aus philosophischer Perspektive und skizziert auf wenigen Seiten drei spannungsreiche Sinnlinien des menschlichen Daseins. Die Existenz hat ihren Schwerpunkt weder nur «außen» (in den anderen), noch nur «innen» (in sich selbst), sondern «über sich». Wer im Alter den Blick nach «oben» wagt, erfährt die befreiende Wirkung des «Weglassen-Dürfens». Sinn und Wert entstehen dort, wo die Erfahrung gemacht wird, dass im Ende Voll-Endung sichtbar wird. Ivica Raguž rollt in seinem Beitrag das Thema nochmals grundlegend auf, indem er nach den Schwierigkeiten des Alterns fragt und Ansätze einer Beziehungskultur entwickelt, die das christliche Proprium mit gesellschaftlichen Herausforderungen verbindet. Wie konkret sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Überalterung der Gesellschaft verändern, zeigen die beiden letzten Beiträge des Heftes. Herbert Schlögel OP vergleicht die «Christliche Patientenvorsorge» (CVP) mit dem aus Amerika stammenden Konzept des «Advance Care Planning», das in Deutschland unter dem sperrigen Namen «Behandlung im Voraus Planen» firmiert und sich den ethischen Herausforderungen am Lebensende stellt. Verena Wetzstein nähert sich dem immer drängender werdenden Phänomen der Demenz ebenfalls aus ethischer Perspektive. Sie warnt vor einem reduktionistischen Personenkonzept, das zu einer Erosion der Würde von Menschen mit Demenz führt, und mahnt stattdessen zur Achtung der Leiblichkeit als Ausdruck des eigentlichen Personseins. Durch die Lektüreempfehlung für Ottfried Höffes Buch Die hohe Kunst des Alterns wird das Themenheft abgerundet.