Hans Urs von Balthasar im Gespräch

Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar (1905–1988) gehört zu den bedeutendsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Sein Werk, das neben pointierten Kleinschriften und gelehrten Monographien auch die weit ausgreifende Trilogie einer Theo-Ästhetik, Theodramatik und Theologik umfasst, hat in unterschiedlichen Gesprächskonstellationen Gestalt angenommen. Der Autor selbst hat darüber wiederholt Rechenschaft abgelegt.1

Da ist zunächst das Gespräch mit der Literatur. In der Apokalypse der deutschen Seele, dem dreibändigen Frühwerk (1937–1939), werden Dichter und Denker der deutschen Geistesgeschichte auf «letzte Haltungen» hin befragt. Dieses Interesse an eschatologischen Fragen hatte bereits die germanistische Dissertation an der Universität Zürich bestimmt. Aber auch für die Vermittlung der französischen Dichter des renouveau catholique – Charles Péguy, Paul Claudel, Léon Bloy und Georges Bernanos – hat sich Balthasar durch Übertragungen und Editionen eingesetzt. Neben der intensiven Auseinandersetzung mit Reinhold Schneider ist in diesem Zusammenhang ebenfalls das Buch Die Gottesfrage des heutigen Menschen (1956) zu erwähnen, in dem Balthasar das Gespräch mit der zeitgenössischen Literatur – Thomas Mann, Kafka, Camus, Sartre – geführt hat. Die existentielle Verlorenheit des modernen Menschen, aber auch die unterschiedlichen Varianten einer Rebellion gegen Gott werden mit der Theologie des Descensus in Verbindung gebracht – eine Fährte, die der Basler Theologe später nicht weiter verfolgt hat.

Da ist überdies das intensive Gespräch mit den Kirchenvätern. Es setzt kurz nach dem Eintritt in den Jesuitenorden 1929 ein und findet eine erste Verdichtung während der theologischen Studien in Lyon, wo er während der Vorlesungen unter der Bank patristische Quellen studiert, um die «Wüste der Neuscholastik» zu überstehen. Monographien zu Gregor von Nyssa und Origenes entstehen, sie werden begleitet durch Text-Sammlungen zu Augustinus (Das Antlitz der Kirche und Über die Psalmen), Irenäus von Lyon (Geduld des Reifens) und Origenes (Geist und Feuer), vor allem legt die bis heute nicht übertroffene Studie über Maximus Confessor (Kosmische Liturgie) Zeugnis von der patristischen Gelehrsamkeit und systematischen Durchdringungskraft Balthasars ab.

Nicht minder bedeutsam ist weiter der Dialog mit zeitgenössischen Theologen wie Erich Przywara und Henri de Lubac, den Förderern und Freunden, aber auch mit Karl Rahner, dem Mitbruder und späteren Antipoden, mit dem er im Sommer 1939 eine gemeinsamen Aufriss zu einer erneuerten Dogmatik entwirft.2 Aber auch die Namen von Romano Guardini und Karl Barth, von Joseph Ratzinger, Heinz Schürmann, Louis Bouyer und Jean Daniélou dürfen hier nicht fehlen, um wenigstens diese zu nennen. Aus dem Bereich der Philosophie sind es Denker wie Maurice Blondel, Gustav Siewerth, Josef Pieper und Ferdinand Ulrich, die Balthasars Interesse auf sich ziehen. Manfred Lochbrunner hat diesen hier nur flüchtig angedeuteten Gesprächs-Konstellationen materialreiche Studien gewidmet.3

Das Interesse für Mystik und den Chor der Heiligen soll hier ebenso wenig vergessen werden wie das wissenschaftlich noch kaum in den Blick genommene Gespräch mit der Ärztin, Konvertitin und Mystikerin Adrienne von Speyr. Über sechzig Bände v. Speyrs hat er im Johannesverlag veröffentlicht. Mit ihr gründete Balthasar die Johannesgemeinschaft, die ihm wichtiger war als seine theologische Produktion. Seinem hermeneutischen Wink, dass man sein Werk nicht ohne das ihre verstehen könne4, ist in der theologischen Forschung bislang kaum entsprochen worden, was auch am enigmatischen Charakter der Schriften Adrienne von Speyrs liegen dürfte.

Das vorliegende Heft der communio greift nur einige dieser Gesprächszusammenhänge auf. Der rumänisch-orthodoxe Theologe Ioan Moga macht den Auftakt und zeigt, wie die Rückbesinnung auf die Patristik bereits in den späten 1930er Jahren zu einer programmatischen Erneuerung der katholischen Theologie beitragen soll, die über die abstrakte Schultheologie hinausgeht. Zwei weitere Beiträge, die bei einer Tagung an der Katholischen Akademie in Berlin erstmals vorgetragen wurden, gehen Balthasars Dialog mit dem Judentum nach.5 Das Buch Einsame Zwiesprache (1958) wirft bereits vor der Konzilserklärung Nostra aetate die selbstkritische Frage auf, ob die katholische Theologie nicht durch die Verweigerung des Gesprächs mit Vertretern des Judentums Jahrhunderte lang Entscheidendes versäumt habe. Das Buch hat bei Martin Buber, dem Pionier des dialogischen Personalismus, keine wohlwollende Aufnahme gefunden. Warum, das zeichnet Christoph Schmidt in seinem Beitrag nach, der vor allem auf die Differenz im Messiasverständnis abhebt. Ein Problem ist dabei der immer wieder aufflackernde Verdacht, Balthasars Theologie transportiere gerade im Frühwerk – aber nicht nur dort – antijüdische Motive.6 Im Oktober 1977 hat Ernst Ludwig Ehrlich (1921–2007) im Israelitischen Wochenblatt den Vorwurf der judenfeindlichen Hetze erhoben und dadurch einen unveröffentlicht gebliebenen, geharnischten Leserbrief des Berliner Religionsphilosophen Jacob Taubes (1923–1987) provoziert. Dieser weist die «Diffamierung» ausdrücklich «als Jude» zurück. Herbert Kopp-Oberstebrink lotet die Hintergründe dieser bemerkenswerten Archivalie, die hier erstmals abgedruckt wird, aus und bietet einen differenzierten Kommentar zur Konstellation zwischen dem katholischen Theologen Balthasar und dem jüdischen Religionsphilosophen Taubes. Taubes’ Dissertation Abendländische Eschatologie von 1947 hatte Uwe Justus Wenzel vor Jahren in der NZZ zu der Bemerkung veranlasst: «Wer Balthasars dreibändige ‹Apokalypse der deutschen Seele› (1937/39) parallel zu Taubes’ Erstling liest, wird den – vielleicht ohnedies irreführenden – Begriff geistigen Eigentums nicht mehr verstehen.»7

Das Gespräch mit dem feinsinnigen Religionsphilosophen Romano Guardini untersucht Anton Strukelj. Nach biographischen Berührungspunkten – Balthasar hat bereits im WS 1926/27 in Berlin ein Kierkegaard Seminar bei dem 20 Jahre älteren Guardini besucht – geht Strukelj dem unterschiedlichen Zugang zur Literatur nach, der bei Guardini von der christlichen Weltanschauungslehre her, bei Balthasar eher von der Germanistik her gesucht wird, um dann verschiedene Dimensionen der Integration von Theologie und Literatur zu unterscheiden. Benjamin Dahlke geht schließlich dem Gespräch mit Karl Barth nach, das seit Balthasars Destination zum Studentenseelsorger in Basel seit 1940 auch persönlich geführt sowie durch Seminarbesuche und Diskussionen vertieft werden konnte. Die seinerzeit viel beachtete Barth-Monographie von 1951 bündelt die Auseinandersetzung. Im Gespräch mit der Kirchlichen Dogmatik werden Erneuerungspotentiale für die katholische Theologie fruchtbar gemacht, aber auch Grenzen wie die «christologische Engführung» bemängelt, was später zu einer gewissen Abkühlung des Verhältnisses führt. Im Vergleich zwischen der Kirchlichen Dogmatik Barths und der weit ausgreifenden Trilogie Balthasars macht Dahlke in der Verhältnisbestimmung von Christologie und Ekklesiologie den eigentlichen Differenzpunkt zwischen beiden Theologen aus.

Hans Urs von Balthasar hat lange vor dem Konzil in der Streitschrift Schleifung der Bastionen (1952) mit spitzer Feder eine dialogische Öffnung der katholischen Kirche zu den anderen Konfessionen und Religionen, zu den Entwicklungen der modernen Gesellschaft angemahnt. In dem Band Glaubhaft ist nur Liebe (1961) hat er das theologische Fundament dafür angegeben. Nach dem Konzil ist ihm dann manches, was unter dem Leitwort des ‹Aggiornamento› angestoßen wurde, entschieden zu weit gegangen. In seiner Schrift Cordula (1966) hat er den Ernstfall der Liebe, die bis zum Martyrium geht, nicht ohne polemische Schärfe gegen allzu geschmeidige Angleichungen an die Trends der Zeit geltend gemacht. Das Buch Der antirömische Affekt (1974) nimmt eine funktionalistisch-pragmatische Sicht des kirchlichen Amtes aufs Korn. Balthasars Einlassungen zu kirchlichen Vorgängen, die er im Doppelband der Klarstellungen. Zur Prüfung der Geister (1971 und 1979) versammelt hat, sind pointiert – und haben nicht selten Widerspruch hervorgerufen. Dabei ist Balthasars vielschichtiges Werk nicht leicht zu fassen. Als entschiedener Anwalt einer Theologie der Hoffnung, die niemanden ausschließt, ist er von den einen unter Häresieverdacht gestellt worden. Andere haben ihm das Etikett eines «konservativen Papsttheologen» angeklebt – eine Einschätzung, die Johann Baptist Metz, der Balthasars Grenzgängertum zwischen Theologie, Philosophie und Literatur bewundert, als unterkomplex zurückgewiesen hat.8 In seiner Studie Casta meretrix (1960) hat Balthasar die dialektische Spannung zwischen dem Bild der makellosen Braut und dem Gegenbild der Hure Babylon ekklesiologisch durch vielfältige Stimmen aus der Geschichte von Mystik und Theologie orchestriert. Der hohe Begriff von der Sendung der Kirche, den er in unterschiedlichen Zusammenhängen entfaltet hat, geht bei ihm durchaus mit einem nüchternen Blick für die kirchlichen Realitäten zusammen. Gleichwohl hätten ihn das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker sowie die systemische Vertuschung dieser Delikte durch kirchliche Würdenträger gewiss erschüttert. Wie er auf diese Erschütterung theologisch reagiert hätte, ob sie ihn zu behutsamen Nachjustierungen seiner eigenen Positionen veranlasst hätten, ist schwer zu sagen. In jedem Fall aber hätte er die Nachdenklichen unter den Reformern heute entschieden daran erinnert, dass es ohne Anbindung an die Tradierungsinstanzen des Glaubens keine fruchtbare kirchliche Erneuerung geben kann. 

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