Im leichten TonEleonore Bünings Musikverführer «Sprechen wir über Beethoven»

Über Beethoven zu sprechen – dies ist im Vorfeld des nahenden Beethoven-Jubiläums 2020 eine zunehmend beliebte Tätigkeit. Aber ist es auch eine Notwendigkeit über jenes Maß hinaus, das die immerwährende Bedeutung Beethovens als im Konzertleben omnipräsenter Komponist mit sich bringt? Wenn der Eindruck nicht täuscht, fällt es gerade jetzt nicht leicht, über Beethoven zu sprechen.

Der Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht veröffentlichte 1972 (in überarbeiteter Form: 1994) ein grundlegendes Buch: Es heißt Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption und analysiert das Sprechen und Schreiben über Beethovens Musik, um auf der Basis einer umfassenden Materialsammlung die Konstanten jenes Sprechens und Schreibens bloßzulegen, die offenbar auf den Gehaltskern dieser Musik verweisen. Zu diesen begrifflichen Konstanten gehören das «Leiden», die «Leidensüberwindung», «Verzweiflung» und «Jubel» sowie das Utopische («Freiheit», «Versöhnung»). Eggebrecht beschreibt auch den Versuch verschiedener Autoren seit den 1920er Jahren, zu dieser Begrifflichkeit Distanz zu gewinnen durch die Beschränkung auf eine bloß kompositionstechnische Würdigung Beethovens – und konstatiert, dass mit diesem Verfahren über den «Gehalt» Beethoven’scher Kompositionen (den jede gute Musik über das Zusammenklingen von Tönen und das Ineinandergreifen von Stimmen hinaus besitzt) rein gar nichts gesagt werden kann.

Wer heute über Beethoven spricht, befindet sich in der Tradition jenes Sprechens, das Eggebrecht beschreibt – und damit in einem Dilemma. Denn das Pathos dieses Sprechens hat sich erschöpft. Wer wollte heute noch von Leiden und Leidensüberwindung, von Verzweiflung und Jubel oder gar Sieg reden, wenn er sich über Beethoven äußert? Nicht allein, dass uns das Pathos abhanden gekommen ist; die Begriffe haben sich auch durch Missbrauch abgenutzt. Sie wirken aus der Zeit gefallen, hätten heute gar teils einen üblen Beigeschmack; und doch macht Eggebrecht seinen Punkt: Wo diese Begriffe so ausdauernd und konstant über lange Zeit zur Beschreibung eines Gegenstands herangezogen werden, müssen sie die Essenz des Gegenstands (oder einen wichtigen Teil davon) benennen.

Die Programmplaner, die sich derzeit über Beethovens 250. Geburtstag die Köpfe zerbrechen, tun sich mit dieser Situation schwer: Von enormer Bedeutung, von weltweiter Wirkung und größter Nachhaltigkeit sollen die Jubiläumsveranstaltungen sein, insbesondere in Bonn und Wien, wo jeweils eigene Planungsbüros eröffnet wurden. Eine «Message» müsste eigentlich her, ein ganz neues Sprechen über Beethoven, etwas von der Größe jener alten, verbrauchten Begriffe. Doch Zündendes will sich nicht finden lassen. In Bonn, dem deutschen UN-Standort, initiierte man das «Beethoven Pastoral Project – a global statement for the preservation of nature». Der Komponist der «Pastorale» als Greta Thunberg des 19. Jahrhunderts? Das wirkt dann doch wenig naheliegend.

Eleonore Büning macht um all das einen Bogen. Ihr Buch heißt Sprechen wir über Beethoven, und so ist es auch angelegt: eher eine Plauderei beim Kaffee als eine Abhandlung. Im Kern ist die Publikation eine Zweitverwertung von sechsundzwanzig Radiobeiträgen Bünings für den Rundfunk Berlin Brandenburg. Fritz Jensch hat die Sendemanuskripte in ein Lesemanuskript verwandelt, dabei aber Bünings unverkennbaren Duktus gekonnt bewahrt. Wenn Büning einmal auf das Pathos zu sprechen kommt, dann im Ton schnoddriger Ironie: Die «Neunte» ist ihr «Schicksalsmusik vom Dienst» oder «Staatsaktgarnitur». Das Kapitel über den Missbrauch Beethovens zu politischen Zwecken ist ebenso informativ wie kurzweilig.

Es ist ein rundum lesenswertes Buch geworden, weil die Autorin buchstäblich vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt. Zwar widmen sich die vielen Kapitel durchaus einzelnen Aspekten (Beethovens Finanzen, den ganz frühen und ganz späten Klaviersonaten, der Ausbildung des Komponisten, seine Komponierweise etc.), doch biegt Büning gerne und oft vom Wege ab, erwähnt dies und das, ganz so, alles fiele ihr das gerade auch noch ein. Das ist ein raffiniertes Verfahren: Da wird der Komponist nicht auf Begriffe verengt, sondern in seiner Vielfältigkeit, auch Widersprüchlichkeit erlebbar. In einem Menschenleben hängt doch irgendwie alles mit allem zusammen – und Bünings Schreibstil trägt dieser simplen Wahrheit vollendet Rechnung. Die Autorin, deren frühe Doktorarbeit den schönen Titel Wie Beethoven auf den Sockel kam trägt, holt Beethoven hier nicht vom Sockel; sie tut so, als habe es diesen Sockel nie gegeben. Dass sie nicht zu Beethoven aufschauen muss, ist die notwendige Voraussetzung einer offenbar lebenslangen Liebe.

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Eleonore Büning

Sprechen wir über BeethovenEin Musikverführer

Benevento: Salzburg – München 2018, 352 S., € 24,-