Abstract / DOI
Confessional Cooperation. New Chances and Perspectives for Reflecting Faith? The dilemma of confessional Religious Education in school has been described many times: If it encourages students to learn about doctrine and belief, it quickly runs the risk of being perceived as meaningless. On the other hand, when the RE lesson focuses on anthropological topics, it degenerates into a generally poor Ethics lesson. Confessional cooperation now seems at first sight to offer the opportunity to escape this dilemma. But is this true? What does empirical research tell us about this new model of RE in School?
Vom Begriff des Glauben-Lehrens hat sich die deutschsprachige Religionspädagogik schon seit einigen Jahrzehnten verabschiedet. Zum einen hat sich gerade durch die anthropologische Wende in der Theologie und durch den damit verbundenen wissenschaftlichen Blick auf den Menschen die pädagogische Überzeugung durchgesetzt, nach welcher der Glaube als das existentielle Vertrauen einer Person in das Heilswirken Gottes nicht durch erzieherische, didaktische oder methodische Settings und Arrangements so einfach ‹weiter-gegeben› werden kann. Zum anderen drückt sich in einer solchen Skepsis gegenüber dem Begriff des Glauben-Lehrens auch der Respekt vor der Unverfügbarkeit des Heiligen Geistes und seiner Wirkung aus. Es ist seit biblischen Zeiten ein unbezweifeltes Theologumenon, dass der Geist Gottes wirkt, wo er will (vgl. Joh 3, 8), und der Glaube damit letztendlich eine Frucht göttlicher Gnade ist, die sich niemals allein menschlichen Bemühungen verdankt. Stattdessen ist es seit der empirischen Neuorientierung der Religionspädagogik zu Beginn der 1980er Jahre im wissenschaftlichen Diskurs üblich, von einem religiösen Lehren und Lernen zu sprechen: In dessen Kontext sollen theologische Grundlagen und Erkenntnisse vermittelt werden, die dann dem lernenden Subjekt die Möglichkeit geben, den Schritt des Glaubens aus sich heraus unter dem Wirken des göttlichen Geistes zu wagen und zu erproben. Entsprechend versteht sich der Religionsunterricht (im weiteren: RU) als formalste aller religionspädagogischen Institutionen auch nicht als ein Ort, an dem Glauben gelehrt wird, sondern an dem religiöse Lern- und Bildungsprozesse initiiert und begleitet werden, die Kinder und Jugendliche befähigen sollen, an einem bestimmten Punkt ihres Bildungsweges eine eigenständige persönliche Entscheidung in Sachen Glauben und Weltanschauung zu treffen.
Ein solches Konzept religiöser Bildung ist in der konservativ-kirchlichen wie gesellschaftlich-säkularen Öffentlichkeit immer auch argwöhnisch beobachtet worden. In der jüngsten Zeit haben aber verschiedene empirische Studien angeregt, auch aus wissenschaftlicher Sicht kritisch nach der tatsächlichen Funktionalität dieses Modells religiöser Bildung zu fragen. Zudem ist durch die fortschreitende konfessionelle Kooperation zwischen katholischen Diözesen und evangelischen Landeskirchen ein neues Modell entstanden, das den konfessionellen RU nicht ablösen, aber weiterentwickeln will. Im Folgenden wird deshalb nach einer kurzen Erläuterung der kirchlichen Konzeption des katholischen RUs (1) auf die verschiedenen aktuellen Anfragen und Probleme, die sich aus der empirischen Erforschung des RU ergeben, hingewiesen (2). Danach soll das Modell der konfessionellen Kooperation, die inzwischen durch lehramtliche Dokumente der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik Deutschland als ordentliche Form des RU möglich geworden ist, untersucht werden (3). Schließlich gilt es im letzten Schritt zu diskutieren, ob diese neue Form des RU bessere Chancen für ein religiöses Lernen bietet, das zu Glaubensentscheidung und Glaubensreflexion führen soll (4).
1. Glaubensentscheidungen ermöglichen – das Zielspektrum des Religionsunterrichts
Die Abkehr von der über viele Jahrhunderte gepflegten Vorstellung, schulischer RU könne so etwas wie Glaubensweitergabe im Sinne von Instruktion oder Unterweisung leisten, ist durch die Würzburger Synode (1972–1975) auch lehramtlich vollzogen worden. Die offensichtliche Legimitations- und Leistungskrise des RU nach 1968 und die folgenden Auf- und Umbrüche auch im Bildungswesen führten zu einer konzeptionellen Neuausrichtung des katholischen RU in der öffentlichen Schule, die im einvernehmlichen Beschluss der Synode «Der Religionsunterricht in der Schule»1 ihre Zusammenfassung fand. So unterschied die Synode nun zwischen katholischer Unterweisung in der Pfarrgemeinde, z.B. im Rahmen der Sakramentenkatechese, und dem RU in der Schule. Letzterer ist zwar durch die dreifache Identität – katholische Lehrkraft, katholische Adressaten und katholische Inhalte – konfessionell verortet, soll aber auch aufgrund des schulischen Bildungskontextes nichtreligiöse oder religiös indifferente Schülerinnen und Schüler, wie sie die Auflösung der konfessionellen Milieus seit den 1970er Jahren hervorgebracht hatte, ansprechen und erreichen. Folglich ist es nicht mehr Ziel des schulischen RU, den katholischen Glauben zu verkünden und weiterzugeben, sondern eine eigenständige religiöse Entscheidung der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen und ihr Engagement in Kirche und Gesellschaft zu fördern. Der Begriff der Glaubensreflexion hilft in diesem Zusammenhang deshalb wesentlich besser als der Terminus Glauben-Lehren zu beschreiben, was Aufgabe des religiösen Lernorts Schule ist. So formuliert die Synode wörtlich:
Aus alledem ergibt sich für den Religionsunterricht:
– er weckt und reflektiert die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach dem Sinn und Wert des Lebens und nach den Normen für das Handeln des Menschen und ermöglicht eine Antwort aus der Offenbarung und aus dem Glauben der Kirche;
– er macht vertraut mit der Wirklichkeit des Glaubens und der Botschaft, die ihm zugrunde liegt und hilft, den Glauben denkend zu verantworten;
– er befähigt zu persönlicher Entscheidung in Auseinandersetzung mit Konfessionen und Religionen, mit Weltanschauungen und Ideologien und fördert Verständnis und Toleranz gegenüber der Entscheidung anderer;
– er motiviert zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft.2
Diese Ziele sollen durch das didaktische Konzept der sog. Korrelation erreicht werden: «Es geht [..] nicht um eine anthropologische Verkürzung der Theologie, sondern um ein theologisches Verstehen menschlicher Grundphänomene. Der Glaube soll im Kontext des Lebens vollziehbar, und das Leben soll im Licht des Glaubens verstehbar werden.»3 Dabei soll der RU von der Zuarbeit der Gemeindekatechese profitieren, der im gleichen Dokument der Synode die Aufgabe zugewiesen wird, der Glaubensentscheidung von Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zur Vertiefung zu geben.
Mit dieser komplementären Aufgabenzuweisung – der RU soll zur Glaubensentscheidung führen, die Katechese will diese im Anschluss daran vertiefen – wurde nicht nur eine folgenschwere Trennung der Lernorte von Schule und Gemeinde vorgenommen, die bis heute fortwirkt. Vielmehr wurden auch Grenzen und Gebote in den Diskurs eingetragen, die immer wieder innovative Formen religiösen Lernens im RU unter den Vorbehalt und den Verdacht der Katechese und damit einer nicht angemessenen Lernform stellten. So steht die Debatte um die sog. performative Religionsdidaktik, die im evangelischen Kontext Anfang der 2000er Jahre entstanden ist und die sich dort völlig unproblematisch entwickelt und ausdifferenziert hat, im katholischen Kontext bis heute unter dem Verdacht, in einem übergriffigen Schritt mit reaktionären Intentionen katechetische Elemente in den RU eintragen zu wollen. Nicht minder schwer wirkte sich das wohl begründete Gebot aus, den RU im öffentlichen Raum der Schule als Bildungsangebot zu gestalten, das entsprechend dem staatlichen Bildungsauftrag auf Mündigkeit und Selbstbestimmung zielt. Ein solches Bildungsverständnis setzt nicht nur im religiösen Bereich einen dialektisches Prozess in Gang, den Rudolf Englert4 einschlägig als das Zusammenspiel von Indukation und Edukation bezeichnet hat: Bildung ist zum einen immer Indukation, «Hineinführung», weil sie mit den verschiedenen Modi der Erschließung von Wirklichkeit vertraut macht: «Sie entfaltet sich wesentlich am Material der Vorgaben einer konkreten Religion – an bestimmten Glaubensüberzeugungen, bestimmten Institutionalisierungsformen, bestimmten rituellen Vollzügen, bestimmten Formen alltagsweltlich wirksamer Frömmigkeit usw.»5. Bildung ist aber immer auch Edukation, «Herausführung», also die Befähigung des Subjekts, einen eigenen Standpunkt einzunehmen. Für die religiöse Bildung bedeutet dies, dass sie nur gelingen kann, «wenn dem einzelnen Subjekt die Freiheit eröffnet wird, sich die in religiösen Traditionen ‹auf-gehobene› Sinnsicht auf eine mit seiner jeweiligen biographischen Problemlage korrelierenden Weise anzueignen; dies gilt speziell auch für die Erschließung des christlichen Glaubens». Dies bedeutet aber auch: «Auf diese Weise kommt es notwendig zu einer Pluralität von Realisationsformen.»6 Für den RU, der im Rahmen seiner konfessionellen Verortung ja immer auch um Tradition bemüht ist, ergibt sich damit eine nicht unproblematische Dialektik: Er schafft durch die Edukation die Fähigkeit zu Distanz und Differenz und damit Pluralität, welche stets neue Problem- und Aufgabenstellungen generiert, wenn es um die Indukation in eine spezifische Tradition und damit ja auch um deren Bewahrung geht. RU als Glaubensreflexion in diesem Sinne kann eine ständige Pluralisierung im Bereich von Religion und Glaube folglich gar nicht verhindern, sondern wird diese vielmehr fördern.
2. Glaubenspositionen vertreten – das Grundproblem im Religionsunterricht
Bedenkt man diese komplexen Aneignungs- und Differenzierungsprozesse, die in einem derart konzipierten RU ablaufen sollten, so fällt die Leistungsbilanz dieser religionspädagogischen Institution gar nicht so schlecht aus, wie in der medialen wie kirchlichen Öffentlichkeit immer wieder behauptet wird. Die in den letzten 20 Jahren an verschiedenen Orten mit umfangreichem Instrumentarium durchgeführten empirischen Studien zum RU zeigen zum einen, dass Religionslehrerinnen und Religionslehrer ein hohes Bewusstsein für diese Zielsetzung und für die von ihnen zu leistende Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen im Fach Katholische Religionslehre besitzen.7 Zum anderen belegen Studien wie die Untersuchung von Anton Bucher zum katholischen RU aus dem Jahre 20008 oder das große DFG-Forschungsprojekt zum evangelischen RU in Berlin im Jahre 20119, dass Schülerinnen und Schülern im RU ein hohes Maß an Kenntnissen und Kompetenzen zum Umgang mit dem Phänomen Religion in der Alltagswelt, der Welt der Religionen in ihrer Vielfalt und auch der Glaubenslehre der eigenen Kirche vermittelt wird. In diesem Sinne findet also religiöse Bildung im RU statt und dieser ist offensichtlich besser positioniert als so manch anderes Schulfach.
Und dennoch steckt der schulische RU in seiner konfessionellen Gestalt zurzeit in einer doppelten Krise: Zum einen wird es in vielen Schulen der Republik zunehmend schwieriger, die vom Schulrecht verlangten konfessionellen Lerngruppen für den RU zu bilden, zu groß ist inzwischen die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die weder der Evangelischen noch der Katholischen Kirche angehören. In der Schule wird nun spürbar, was durch die Altersstruktur der Kirchenmitglieder insgesamt in den Gemeinden und Generalvikariaten noch verdrängt wird: Die Zeit der Kirchen als gesellschaftlich prägender Institutionen und Gemeinschaften geht zu Ende. Auch wenn in manchen Regionen Deutschlands noch scheinbar volkskirchliche Verhältnisse herrschen, so ist es vor allem in den Schulen der urbanen Ballungsräume und multikulturellen Großstädte kaum noch möglich, genug Schülerinnen und Schüler für getrennte evangelische und katholische Lerngruppen zusammenzuziehen. Neben diese äußere Krise der schulischen Organisationsform tritt zudem eine innere Krise, welche die didaktische Konzeption der Würzburger Synode betrifft: Aktuelle empirische Untersuchungen zeigen nämlich deutlich, dass im katholischen RU die Grundidee einer Korrelation von tradierter Glaubenslehre und gegenwärtiger Lebenswelt nicht mehr umgesetzt wird und dass zudem Religionslehrerinnen und Religionslehrer kaum noch zu Positionalität – traditionell gesprochen: Zeugenschaft – in der Lage sind. Stattdessen läuft RU allzu häufig als Sachkundeunterricht ab, in dem aus einer neutralen, übergeordneten Perspektive auf das Christentum und andere Religionen geblickt wird.10 Es scheint nahezuliegen, dass im katholischen RU insgesamt nicht eingelöst wird, was die kirchlichen Vertreter eines konfessionellen RU in den letzten Jahrzehnten immer wieder postuliert haben: Dass nämlich nur das konfessionelle Setting die spezifische Glaubensperspektive für Reflexion und Entscheidung in Sachen Religion und Glaube garantieren kann.11
3. Glaubenslehre darstellen – das Programm der konfessionellen Kooperation
Vor diesem Hintergrund erklärt sich nun auch die plötzliche Offenheit der deutschen Bischöfe für regionale Kooperationen von evangelischem wie katholischem RU, ein Angebot, das die Evangelische Kirche in Deutschland bereits vor fünfzwanzig Jahren in der Denkschrift «Identität und Verständigung»12 den deutschen Bischöfen gemacht hatte, welches diese aber schroff zurückwiesen. Im Herbst 2016 hat sich nun aber auch die Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz in der Schrift «Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts»13 vor dem Hintergrund der demografischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland für eine verstärkte konfessionelle Kooperation14 mit dem evangelischen RU ausgesprochen. Offensichtlich hofft man, mit einer ausgeweiteten Kooperation des evangelischen wie katholischen RU die skizzierten Probleme durch einen Zug lösen zu können: Nämlich zum einen die schwindende Zahl von getauften Schülerinnen und Schülern, die durch das Zusammenlegen zweier Lerngruppen wieder eine deutlich stärkere Position innerhalb einer Jahrgangsstufe bekommt, zum anderen die Problematik einer immer mehr in Richtung Sach- bzw. Religionskunde tendierenden Unterrichtsform, die nun durch den nicht mehr zu umgehenden Zwang zur Positionierung gegenüber Schülerinnen und Schüler der eigenen, aber vor allem der anderen Konfession behoben werden soll.
Welche Konsequenzen aus diesem neuen Modell ergeben sich nun für die Glaubensreflexion? Kann ein gemeinsamer Unterricht evangelischer und katholischer Schülerinnen und Schüler bei wechselnden Unterrichtenden der beiden Konfessionen wirklich weg von der Sachkunde und hin zu einer wirklichen Glaubenskommunikation und -reflexion führen? Da die empirische Begleitforschung zu diesem neuen Unterrichtsmodell vor allem in Baden-Württemberg durchgeführt worden ist, lohnt es sich hier besonders, auf die Ergebnisse zu schauen. In der umfangreichen offiziellen Evaluationsstudie15 ist nachzulesen, dass Schülerinnen und Schüler positiv über die neue Organisationsform urteilen: Sie erleben diese als eine Bereicherung und erfreuliche Abwechslung bei der Gestaltung bzw. Erfahrung von RU. Zugleich zeigt die Evaluation des Lernniveaus in Modell- und Vergleichsschulen, dass vor allem an den Realschulen und Gymnasien der gemeinsame RU von evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schülern bei wechselnden evangelischen bzw. katholischen Lehrenden zu einem deutlich messbaren Zuwachs an konfessionskundlichem Wissen und zu einer geschärften Wahrnehmung konfessioneller Profile führt.
Neben dieser Großstudie hat es später weitere Auswertungen gegeben, die auf das Datenmaterial der Begleitevaluation zurückgegriffen haben. Dabei ist Christiane Caspary zu dem verblüffenden Ergebnis gekommen, dass sich in fast allen analysierten Unterrichtsstunden der Austausch und die Diskussion von konfessionellen Themen und Motiven – und zwar Gemeinsamkeiten wie Differenzen – im Feld der theologischen Lehre abspielt.16 D.h.: Konfessionelle Perspektiven und Standpunkte werden nicht an Themen der lebensweltlichen Praxis oder an Fragen des religiösen Ethos diskutiert, sondern an interkonfessionellen Lehrauseinandersetzungen und kontroverstheologischen Konfliktlinien. Man kann sich schwerlich vorstellen, dass dies Anliegen, Artikulation und Anspruch der Kinder und Jugendlichen ist. Hier zeigen sich vielmehr Signaturen des unterrichtlichen Handelns der Lehrerinnen und Lehrer, die theologische Themen aus dem Bereich von ökumenischem Konsens und kontroverstheologischem Dissens aufgreifen und in die Unterrichtsstunden eintragen, um ihren Schülerinnen und Schülern klar zu machen, was evangelisch ist und was katholisch – und warum. Damit wird zwar der katholische wie evangelische Glaube offensichtlich tatsächlich stärker als im traditionellen Setting des konfessionellen RU thematisiert, vorgestellt und diskutiert. Ob dies allerdings bei den Schülerinnen und Schülern zu einer gesteigerten Reflexion ihres eigenen Glaubens führt, ist angesichts der ausgewerteten Daten zu bezweifeln. Konfessionskunde ist auch wieder ein sachkundlicher Modus von Unterricht, der von Distanz und Reflexivität geprägt ist, nicht aber von Identitäts- und Positionierungsprozessen. Weil der Unterricht – wie Caspary eindrucksvoll zeigt – an den Themen und Problemen der Schülerinnen und Schüler vorbei theoretische und kontroverse Lehrfragen perpetuiert, hilft er auch nicht, die Bedeutung des christlichen Glaubens für Schülerinnen und Schüler für ihr Leben heute zu erschließen. Korrelation findet also wieder nicht statt. Dies belegt z. B. auch die Begleitstudie zur Einführung des konfessionell-kooperativen RU im Bistum Münster, in der deutlich wird, dass ein Mehr an Wissen und ein Zuwachs an Fähigkeiten in Sachen Konfession und Religion nicht wirklich zu einer Ausbildung bzw. Weiterentwicklung persönlicher religiöser Identität führt.17 Was in evangelischen wie katholischen Verlautbarungen als unaufgebbares Ziel des RU gefordert wird, nämlich dass Schülerinnen und Schüler einen Standort in Sachen Glaube und Religion finden und diesen reflektiert im Rahmen ihrer Lebensgeschichte weiterentwickeln sollen, wird offensichtlich auch nicht im kooperativen Setting eingelöst.
4. Glaubenseinheit betonen – ein Ausweg aus dem Dilemma
Das Dilemma des konfessionellen RU ist schon oft und nicht nur hier beschrieben worden: Mutet er Schülerinnen und Schülern zu viel Theologie im Sinne von Glaubenslehre und Glaubensreflexion zu, so läuft er rasch Gefahr, als historisch, lebensfern, realitätsfern und belanglos wahrgenommen zu werden. Die Nachhaltigkeit von Lernprozessen, die in einem solchen Setting initiiert werden, ist bei Kindern und Jugendlichen heute äußerst gering.18 Dient sich der RU dagegen den vermeintlichen Themen seiner Adressatinnen und Adressaten an und stellt das Anthropologische und Soziale in den Mittelpunkt, degeneriert er zu einem oft schlechten Gemeinschaftskunde- oder Ethik-Unterricht. In diesem Fall ist es dann logisch und legitim, nach der Notwendigkeit eines solchen Faches zu fragen.
Konfessionelle Kooperation scheint nun auf den ersten Blick die Möglichkeit zu bieten, diesem Dilemma zu entkommen, da aus dem Gegenüber zweier Konfessionen und der damit verbundenen Differenzdidaktik eine Dynamik entstehen soll, die durch die Betonung von Glaubens- und Traditionsunterschieden fesselnde und anregende Lernprozesse in Gang setzen will. Man täusche sich aber nicht: Die empirischen Studien, die sich mit den tatsächlichen Unterrichtsprozessen beschäftigt haben, zeigen deutlich, dass auch in dieser Form des RU das Dilemma bleibt. Schließlich sind theologische Kontroversthemen wie die Abendmahlslehre oder das Amtsverständnis für Kinder und Jugendliche kaum lebensrelevant und haben in den wenigsten Fällen existentielle Qualität. Und ob Lehrerinnen und Lehrer sich von ihren Konfessionen in den Ring treiben lassen und dort dann die Lust zur Positionierung und Selbstkundgabe zeigen, die ihnen ansonsten in der Regel fehlt, darf sicher auch bezweifelt werden.
Birgt die konfessionelle Kooperation also gar keine neuen Chancen und Perspektiven? Rainer Möller und Michael Wedding19 haben jüngst einen Vorschlag gemacht, wie das Thematisieren künstlich konstruierter Differenzen20 zugunsten eines Unterrichts überwunden werden kann, der das wirklich Wichtige des christlichen Glaubens mit Kindern und Jugendlichen erschließt. Ein solcher Unterricht müsste allerdings darauf verzichten, die konfessionellen Lehrprofile abzuarbeiten. Stattdessen sollte in einem solchen Setting das Gemeinsame im Sinne des ‹vorkonfessionell› Christlichen stark gemacht und mit Schülerinnen und Schülern erschlossen werden. Ein solcher Unterricht könnte sich auf die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, auf Gott als Gemeinschaft, auf Jenseits und Gericht, auf Schuld und Vergebung u.v.m. konzentrieren, also gemeinsam-christliche Theologumena aufarbeiten, die auch für Kinder und Jugendliche heute weiter Bedeutsamkeit haben. Dass damit statt des theologisch-theoretischen Differenzvermögens eine innerchristlich höchst notwendige «Ökumenesensibilität»21 gefördert werden könnte, ist ein weiteres wichtiges Argument für eine solche Gestaltung konfessioneller Kooperation.