Am 19. September 2019 starb Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Nikolaus Prinz Lobkowicz nach langer Krankheit im 89. Lebensjahr in Starnberg. Mit ihm ist ein Gelehrter und Kosmopolit aus einem alten böhmischen Fürstengeschlecht, ein international anerkannter katholischer Philosoph und Hochschulpolitiker und nicht zuletzt ein früher und prägender Mitarbeiter und Mitherausgeber dieser Zeitschrift dahingegangen.
Geboren wurde er 1931 in Prag. Nach dem kommunistischen Umsturz von 1948 floh er sechzehnjährig mit seinem Vater aus dem Land und legte sein Abitur im helvetischen Kanton Schwyz ab. Er studierte in Freiburg in der Schweiz und in Erlangen Philosophie. Nach der Promotion holte ihn der aus Polen gebürtige Philosophieprofessor Joseph Maria Bochenski als Assistent an die Universität Freiburg. Bochenski, Dominikanerpater mit römischem Hintergrund, war ein führender Logiker und Philosoph; öffentlich bekannt wurde er aber vor allem durch seine Marxismusstudien, insbesondere durch das mit Gerhart Niemeyer herausgegebenen große «Handbuch des Weltkommunismus» (1958). Lobkowicz, mit den slawischen Sprachen wohlvertraut, hat ihm im Rahmen des neugeschaffenen Osteuropa-Instituts in Freiburg/Schweiz wichtige Dienste geleistet – zugleich aber hat er bei ihm und seinen Mitarbeitern den Kommunismus einschließlich seiner marxistisch-philosophischen Wurzeln so eingehend studiert und kennengelernt, dass er selbst, wie sein Lehrer, in der Folgezeit in der Öffentlichkeit gleichfalls vor allem als Marxismusforscher und -kenner wahrgenommen wurde.
Sein weiterer Weg führte ihn in die USA. Von 1960 bis 1967 war Lobkowicz Professor der Philosophie an der University of Notre Dame in Indiana. 1966, als ich ihn dort kennenlernte, gab er gerade sein Handbuch «Marx and the Western World» heraus, das rasch zum Standardwerk wurde. Er strebte nach Europa zurück. Ich konnte ihm Wege nach Deutschland weisen. 1967 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für politische Theorie und Philosophie in der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München und wurde Mitglied des Professorenteams am Geschwister-Scholl-Institut für politische Wissenschaft Die Anfänge in München waren turbulent. Es waren die Achtundsechziger-Jahre, die Zeiten der Studentenrevolte. Nikolaus Lobkowicz war ein hervorragender Marxismuskenner, er war jedoch kein Marxist – und das war im weltanschaulichen Unisono dieser Jahre, als alles plötzlich «mit Marx- und Engelszungen sprach» (Wolf Biermann), etwas schier Unglaubliches, das eigentlich nicht sein durfte. So wurden seine Vorlesungen immer wieder gestört, seine Wahl zum Rektor der Universität zweimal mit Gewalt verhindert. Doch Lobkowicz setzte sich mit der Hilfe vernünftiger Studenten und Kollegen durch. Von 1971–1982 war er Rektor, dann Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität München, von 1984–1996 Präsident der Katholischen Universität Eichstätt.
Im Alter öffneten sich ihm neue Horizonte. 1989/90 zerfiel der Kommunismus in Europa. Lobkowicz wurde ein gefragter Ratgeber in seiner freigewordenen tschechischen Heimat, in die er nun oft zurückkehrte. Auch in Polen, in Ungarn, in den baltischen Ländern wurde sein Rat geschätzt.. Er wurde Gründungsmitglied und seit 1990 Vizepräsident der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Salzburg. Päpste suchten seinen Rat, vor allem Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Die Kirche war ihm schon immer eine geistige Heimat gewesen, auch wenn er ihre gegenwärtige Erscheinung oft kritisch sah und mit lebenden Theologen nicht selten in Streit geriet.
Er war ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle. Auch im Streit wahrte er die Vornehmheit und die Form. Er nahm vieles auf, er konnte zuhören, die philosophische Neugier verließ ihn nie.
Für communio hat Nikolaus Lobkowicz in den Jahren 1977 bis 2010 siebzehn Artikel und mehrere Editorials verfasst. Mehrere Titel sprechen für sich: «Alle reden von Rechten, wir sprechen von Pflichten» (1977); «Der ‚christliche Sinn’ der Arbeit» (1998); «Die falsche Demut des unzureichenden Wissens» (unter dieser kennzeichnenden Überschrift führt Lobkowicz eine Auseinandersetzung mit dem Relativismus!, 2001); «Was man von den Naturwissenschaften (nicht) erwarten sollte» (zum Thema «Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube», 2006). Lobkowicz hat Bücher der Kollegen Jacques Le Goff, Joseph Ratzinger und Eberhard Jüngel in communio besprochen; er hat den deutschen Lesern den bei uns nahezu unbekannten bedeutenden tschechischen Lyriker Jan Zahradnicek vorgestellt. Und er hat auch auf sein eigenes Wirken als Präsident einer deutschen Universität (München) in stürmischer Zeit selbstkritisch zurückgeschaut (1986). Sein einfühlsames Porträt des amerikanischen Jesuitentheologen John Courtney Murray «He rejoices being in the American tradition» (2010) sei besonders hervorgehoben; es ist die beste Darstellung dieses bedeutenden Vermittlers, der die Erklärung des Zweiten Vaticanums zur Religionsfreiheit vorbereitet hat, in deutscher Sprache.
In Nikolaus Lobkowicz verlieren wir nicht nur einen hervorragenden Wissenschaftler, sondern auch einen beispielhaften Menschen. Um ihn trauern seine große Familie, seine Freunde und Bekannten – und nicht zuletzt seine treue polnische Gattin, die Kunstexpertin und Diplomatin Nawojka Cieslinska, die ihn in seinen letzten schweren Jahren behütet und begleitet hat.
Auch den Lesern von communio wird dieser aufrechte und offene Konservative fehlen. Er möge im Frieden Gottes ruhen!