Der Exorzismus in der Taufliturgie hat eine lange Geschichte durchlaufen und existiert heute nur noch als Rest ursprünglich umfangreicherer katechumenaler Riten. Er ist längst nicht mehr unumstritten und wird oftmals wie ein Störfaktor insbesondere innerhalb der Taufe von Säuglingen betrachtet. In der nachkonziliaren Liturgiereform hatte man im Bereich exorzistischer Elemente, die zu einer «nicht mehr leserlichen Chiffre geworden» waren, bereits Streichungen vorgenommen, so bei der Exsufflation (Anhauchung des Täuflings).1 Auch reduzierte man die viele Exorzismen und veränderte bei dem, was blieb, die sprachliche Struktur. Vermeiden wollte man den Eindruck, «als habe der leibhaftige Teufel im Herzen des Ungetauften seinen Sitz aufgeschlagen».2 Ein Kommentar aus den 1970er Jahren vermerkte, es sei von vielen mit Enttäuschung wahrgenommen worden, dass der umstrittene Exorzismus überhaupt beibehalten worden sei. Man habe aber der Verkündigung des Evangeliums nicht das «Salz» nehmen wollen.3 Als fast vier Jahrzehnte später eine Bearbeitung des Kindertaufritus erschien, wurde das Exorzismus-Gebet in der Vorstellung des liturgischen Buches nur noch erwähnt, aber nicht weiter diskutiert.4 Steht das Thema des Exorzismus in der Taufe also heute nicht mehr in der Diskussion? Wie ist der entsprechende Ritus entstanden, welche Geschichte hat er erlebt und wie gestaltet er sich in der Gegenwart? Und was lässt sich über die Sinnhaftigkeit eines solchen Elements in der Taufliturgie heute sagen?
1. Die Entwicklung des Taufexorzismus – liturgiegeschichtliche Aspekte
Die Beschwörung böser Mächte und Dämonen ist kein Spezifikum christlicher Liturgie. Sie war in der Antike und bereits in vorchristlicher Zeit und insbesondere im antiken Judentum eine verbreitete Praxis.5 Sie war (und ist) Ausdruck eines Weltbildes, in dem durch Riten, Formeln und Materialien, also sehr unterschiedliches Vorgehen, schädliche und böse Mächte gebannt werden konnten. Der Begriff «Exorzismus» wurde für die im NT überlieferten Dämonenaustreibungen verwendet. Für das NT (wie schon für das AT) war es fraglos, dass Menschen unter den Einfluss böser Mächte und Dämonen geraten können. Der Messias, so die Hoffnung, sollte die Dämonen endgültig besiegen. Jesus trat als derjenige auf, der durch exorzistisches Handeln diese Macht des Bösen brach und so Gottes Heil zur Erfahrung brachte. Vor allem aber wurde durch die Überwindung böser Mächte Jesu Botschaft vom Anbruch des Gottesreiches Nachdruck verliehen. Mehr noch: In dieser machtvollen Praxis Jesu wurde das Reich Gottes bereits Realität. Solche Vertreibung und Überwindung böser Kräfte, die nur bei Joh nicht überliefert wird, war Ausdruck der Vollmacht Jesu, war auf das engste mit seiner Person und seiner Botschaft verbunden und setzte den Glauben an Jesus von Nazareth voraus.
Bis in die Gegenwart hinein begegnen Exorzismen zu verschiedenen Anlässen. So findet man sie im Kontext von Sachbenediktionen, etwa von Wasser und Ölen für den liturgischen Gebrauch. Sie begegnen als Ritus für Menschen, die man als besessen betrachtete oder die sich für besessen hielten.6 Man trifft auf sie in der Taufliturgie, gleich ob es sich um Erwachsenen- oder um Säuglingstaufen handelt. Sie waren mit der Anrufung des Namens Gottes oder Christi verbunden und konnten den Dämon, der vertrieben werden sollte, direkt ansprechen. Es geht um Worthandlungen, die Gebet oder Befehl mit einem Ritus verbanden und damit endeten, dass die Person oder die Sache, über die der Exorzismus gesprochen worden ist, durch das Kreuzzeichen versiegelt wurde. Sie konnten mit verschiedenen Gesten – Handauflegung, Handausstreckung, Segensgestus – einhergehen. Und sie konnten gegen jegliches Böse Naturelemente verwenden wie Salz, Speichel oder Wasser. Um bösen Mächten keinen Halt zu geben und die Abwendung vom bisherigen zu einem neuen Leben nachdrücklich zu vollziehen, konnte verlangt werden, dass Menschen nackt und Frauen mit offenem Haar getauft wurden.7 Es handelte sich zumeist um kleinere oder größere Inszenierungen von Herrschaftswechsel, Ansagen von Gericht und Anbruch des Reiches Gottes, Erinnerung an das Handeln Jesu gegenüber dem Bösen und Vorausschau eschatologischen Heils. Was auf den ersten Blick magisch und archaisch wirkt, hatte, so anachronistisch es heute erscheinen mag, eine differenzierte theologische Struktur.
Seit dem 2./3. Jahrhundert, also nicht von Beginn an, trifft man auf Exorzismen in der Liturgie der Initiation, die in der Frühen Kirche mehrheitlich als Erwachsenentaufe und nach einem kürzeren oder längeren Katechumenat gefeiert wurde. Exorzismen waren hier Teil der Vorbereitungszeit auf Taufe, postbaptismale Salbung und erste Eucharistie. Der Katechumenat war ein auch rituell gestalteter Zeitraum der Umkehr, des Übergangs – man kann von Rites des passage sprechen – und des immer stärkeren sich Einlebens in den christlichen Glauben. Exorzismen besaßen hier eine wichtige Funktion, weil sie ein liturgischer Ritus waren, in dem sich der Herrschaftswechsel des Täuflings vollzog: weg aus dem Machtbereich des Bösen und der Sünde, hin zum Herrschaftsbereich Christi. Der Mensch wurde rein wie ein Gefäß, in das nun der Geist Gottes hineingegossen werden konnte. Deshalb sahen manche liturgischen Ordnungen vor, dass Exorzismen bis kurz vor der Wassertaufe vollzogen werden sollten, um die Reinheit des Täuflings zu gewährleisten.
Als die Erwachsenentaufe immer mehr zurücktrat und die Säuglingstaufe das ‹Normalmodell› wurde, hielt man weitgehend an den überlieferten Riten fest. Das gilt ebenso für den Exorzismus, der nun mit anderen katechumenalen Riten Teil dieser Liturgie blieb. Zum Mittelalter hin kam es zu einer massiven Verstärkung der Exorzismen.8 Als problematisch erweist sich in der Rückschau, dass man zu keiner Anpassung an die Situation von Säuglingen kam, sondern das Überkommene fortschrieb. Wo in Quellen der Spätantike mehrere Exorzismen zur Auswahl standen, wurden diese nun insgesamt als konstitutiv für die Taufe verstanden. Manche mittelalterlichen Taufriten unterschieden zwischen Exorzismen für weibliche und männliche Täuflinge.9 Und noch das Rituale Romanum von 1614, das gegenüber mittelalterlichen Ritualien die Exorzismen deutlich reduziert hatte, kannte Texte, die nicht an Gott gerichtetes Gebet mit der Bitte um Befreiung vom Bösen waren, sondern den «immunde spiritus» oder den «maledicte diabole» unmittelbar ansprachen. Hier äußert sich eine Sprachform, die nicht mehr Gott anruft, sondern den Priester imstande sieht, aufgrund seiner Weihe dämonische und teuflische Mächte zu vertreiben. Dieses Rituale war neben den zum Teil bis ins 19. Jahrhundert benutzten Diözesanritualien bis ins 20. Jahrhundert in Gebrauch.
Sprachlich betrachtet gibt es zwei Grundformen des Exorzismus: den imprekativen Exorzismus, der unmittelbar die böse Macht anspricht und aus theologischen Gründen – Gott allein kommt diese Macht zu – heute nicht mehr akzeptabel ist, und den deprekativen Exorzismus, der sich an Gott richtet mit der Bitte um Befreiung von dem Bösen.
Der Taufexorzismus ist im Laufe der Liturgie- und Theologiegeschichte zum Teil kritisiert worden. Bereits das 12./13. Jahrhundert setzte sich kritisch mit seinem Verständnis und seiner sachgerechten Interpretation auseinander, ohne ihn aber infrage zu stellen.10 Einige Theologen der Aufklärung verurteilten den ‹schrecklichen› Taufexorzismus als Ausdruck des Aberglaubens und sahen ihn im Widerspruch zu aufgeklärtem Denken. Andere versuchten ihn mit Hinweis auf das Handeln Jesu und als Ausdruck der vom Bösen infizierten menschlichen Natur zu verstehen. Die Abscheu der Kirche vor dem Wirken des Teufels komme hier zum Ausdruck. In manchen Ritualien des frühen 19. Jahrhunderts wurde die Rede von einem personifizierten Bösen aufgegeben. Letztlich standen sich die Parteiungen unversöhnlich gegenüber. Eine vermittelnde Position legte nahe, den Exorzismus nicht wörtlich, sondern bildlich zu verstehen.11
Die Diskussion blieb letztlich erhalten. Als 1950 die deutsch-österreichische Collectio Rituum erschien, verwendete man für den Kindertaufritus bereits in großem Maße die Muttersprache. Davon ausgenommen waren u. a. die Exorzismen, was «als eine Art Sprach-‹Lettner› […], der die drastischen Formeln gnädig verhüllte»12, interpretiert worden ist.
2. Exorzismen in der Taufliturgie heute – eine Bestandsaufnahme
Wie verfahren heutige katholische Taufliturgien mit dem Exorzismus?13 Im Vergleich zu historischen Ausprägungen christlicher Liturgie sind die Exorzismen in der Form, wie sie heute in der katholischen Liturgie und insbesondere in den Taufliturgien vorkommen, geradezu marginalisiert. Im deutschen Sprachgebiet wird zumeist die Feier der Kindertaufe als Teil eines langfristigeren Initiationsprozesses praktiziert, der – zudem in dieser Reihenfolge – Ersteucharistie und Firmung umfasst. Im 2007 erschienenen liturgischen Buch ist ein «Gebet um Schutz vor dem Bösen» vorgesehen, das in der Überschrift und in Klammern gesetzt «Exorzismus-Gebet» genannt wird.14 Es sind verschiedene Varianten vorgesehen, die der Zelebrant spricht, während er die Hände über die Täuflinge ausstreckt. «Gebet» ist die entscheidende Semantik, die bereits die Adressierung des Textes verdeutlicht: Gott oder Christus – an wen das Gebet sich richtet, hängt von den vorausgehenden Fürbitten ab – werden angesprochen. In den beiden theozentrisch formulierten Gebeten, die in der Tauffeier außerhalb der Messe verwendet werden sollen, wird Gott als derjenige angeredet, der durch seinen Sohn den in Sünden verstrickten Menschen die «Freiheit der Kinder Gottes» geschenkt habe. Taufe ist, und die spätere Taufwasserweihe ruft das mit dem biblischen Bild des Exodus in Erinnerung15, die Befreiung von todbringenden Mächten und das Geschenk der Freiheit auf gelingendes Leben hin. Das wird in der Taufwasserweihe verbunden mit dem Exodus, also der Rettung aus der Sklaverei des Pharao und der Bahnung eines Weges hinein ins gelobte Land. Anamnese bedeutet in der Liturgiefeier, dass Menschen in die Geschichte Gottes, die die Zeiten umgreift, gestellt werden. Gott «habe» Freiheit geschenkt, meint dann, dass er auch weiterhin diese Freiheit schenkt und dass sie sich bei ihm vollenden wird.
Auf die Anamnese folgt die Bitte. Die Abfolge der Sprachformen ist mehr als ein literarisches Randphänomen: Die Bitte setzt die Erinnerung, damit Vergewisserung, Lob, Dank voraus. Der Bitte vorangestellt ist eine Beschreibung, welchen Gefahren die Täuflinge ausgesetzt sind: Sie stehen vor «vielfältigen Versuchungen» und müssen sich «gegen die Nachstellungen des Teufels» zu Wehr setzen.16 Das Gebet spricht von einem Kampf, das an Christus gerichtete Exorzismus-Gebet gar von «Satans Macht».17 Es sind zwei Bitten, die vorgebracht werden. Die zweite bittet um Stärkung mit Gnade und Schutz auf dem Lebensweg. Das ist das Ziel des Gebets, das sich in seiner Sinnhaftigkeit kaum bestreiten lässt. Die erste Bitte gilt der Befreiung von der Erbschuld und aus der Verstrickung – jetzt folgt eine nichtpersonale Formulierung – in das Böse. Das Gebet spricht verschiedene Dimensionen des Bösen an: die Strukturen des Bösen («das Böse»), denen sich der oder die Getaufte widersetzen müssen, um ihrem Getauftsein zu entsprechen und als freie Menschen leben zu können; das personal Böse («der Böse»), dem der Mensch in seinem Leben noch und noch begegnet, wie immer er es bezeichnet; das Böse, das im Mensch angelegt ist und mit dem er Zeit seines Lebens ringt («Erbschuld»). Der Taufexorzismus weist darauf hin, dass der Mensch von Anfang an – es handelt sich um einen Ritus für die Säuglingstaufe – vor diesen Bedrohungen für sein Leben steht und ihnen ausgeliefert ist. Andernfalls müsste Gott nicht um seinen Schutz gebeten werden. Das Gebet bezieht sich mit seiner Bitte auf Leiden und Auferstehen Jesu Christi als die Kraft, die Menschen befreien kann. Man muss dieses Exorzismus-Gebet im Gesamt der Taufe lesen, die ja u. a. in Anlehnung an Röm ٦, ٣f als Teilnahme an Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi interpretiert wird. Dieses Gebet blickt auf die Freiheit der Getauften und schaut damit Tod und Auferstehung Christi zusammen, denn diese Freiheit hängt fundamental mit dem Kreuzesgeschehen zusammen.
Das an Christus gerichtete Exorzismus-Gebet bittet um Schutz vor allem, was «schädlich und unmenschlich» ist.18 Vor der Macht des Satans sollen die Täuflinge geschützt sein, damit sie Christus nachfolgen können. Damit verbunden wird für sie die Bitte, in familiärer Geborgenheit aufwachsen zu können, und die Bitte um einen beschützten Lebensweg. Das Gebet akzentuiert ähnlich wie das vorhergehende, indem es alle Unmenschlichkeit thematisiert und unterschiedliche Dimensionen des Bösen anspricht.
Etwas anders gelagert ist das entsprechende Gebet, das bei einer Taufe innerhalb einer Messfeier verwendet werden soll. Es spricht in der Anamnese davon, dass der Mensch sich in der «Macht Satans, des Geistes der Bosheit» und damit in der «Finsternis» befindet, daraus befreit und in das «Reich deines Lichtes» geführt werden muss. Ein Weltbild mit dem Gegenüber von Finsternis und Licht steht Pate.19 Die Bitte gilt der Befreiung von der Erbschuld, durch die die Kinder, in denen der Heilige Geist wohnt, zum Tempel göttlicher Herrlichkeit werden. Ähnlich betet man für Kinder in der Kindertaufe in zwei Stufen.20
Bei der Taufe von Kindern, die sich in Lebensgefahr befinden, wird auf das Exorzismus-Gebet verzichtet. In den Fürbitten ist von Freiheit von der Macht der Sünde die Rede.21 Auch dann, wenn Kinder in die Kirche «eingeführt» werden, die notgetauft worden sind, entfällt der Exorzismus.
Es liegen also Gebete mit deutlichen Nuancierungen vor. Das ist sicherlich einer Möglichkeit zur Variation und zur Akzentsetzung geschuldet, aber ebenso Ausdruck theologischer Interpretationsspielräume. Eines ist den Gebeten allerdings gemeinsam: Gegen das Böse in welcher Form auch immer ist in der Perspektive dieser Liturgie der Mensch alleine letztlich machtlos. Er ist auf die Hilfe Gottes angewiesen. Darum wird Gott angerufen.
Bemerkenswert ist, dass das «Gebet um Befreiung (Exorzismus)» in der Feier der Zulassung von Schulkindern zur Taufe theologisch anders akzentuiert ist. Man findet es unter den katechumenalen Riten in der Feier der Zulassung. Die 1986 erschienene Studienausgabe, die bis heute in Gebrauch ist, enthält zwei Gebete zur Auswahl, die mit einer Handauflegung verbunden werden sollen. Gott wird für das Kind um Befreiung von Angst und allem Bösen, um Schutz auf dem Lebensweg sowie vor allem Unheil und um gelingendes Leben gebeten. Von einem personal Bösen ist zumindest nicht ausdrücklich die Rede. Zwischen dem liturgischen Buch für die Feier der Kindertaufe und diesem Buch liegen nur wenige Jahrzehnte, beide werden nebeneinander verwendet. Sie zeigen, wie unterschiedlich mit dem entsprechenden Gebet umgegangen wird und welche Interpretationsbreite die Kirche in der eigenen Gebetsordnung toleriert.22
Noch einmal anders verfährt man in der Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche. Hier ist in den Skrutinien am dritten, vierten und fünften Sonntag der vorösterlichen Bußzeit ein «Gebet um Befreiung vom Bösen» vorgesehen. Alle drei Gebete beginnen mit Rufen, die Kantor und Feiernde im Wechsel singen oder sprechen. Ein Gebet in Stille folgt, währenddessen die Paten den Taufbewerbern die rechte Hand auf die Schulter legen können. Das Gebet, das nach einer Zeit der Stille durch den Priester gesprochen wird, orientiert sich am jeweiligen Sonntagsevangelium. Dann breitet der Priester über die Taufbewerber die Hände aus, erinnert an die im Evangelium verkündete Heilsgeschichte und bittet um die Befreiung von der «Macht des Satans»23 (3. So), um Befreiung von Zweifel und «Verzagtheit» (4. So)24, um Befreiung von der «Macht des Todes» und «allem Bösem» (5. So).25 Bei der Lektüre dieser 2001 erschienenen Manuskriptausgabe verstärkt sich wieder der Eindruck, dass mit dem «Bösen» sehr Unterschiedliches in der Liturgie angesprochen wird, divergierende Vorstellungen von dem, was das Böse ausmacht, thematisiert werden und das Gebet um Befreiung vom Bösen nicht grundsätzlich etwas Personales meinen muss.
3. Wie das Exorzismus-Gebet heute verstehen?
Schaut man sich die heutigen liturgischen Texte an, so fällt zunächst auf, dass es sich um Gebete handelt, es also um deprekative Worthandlungen geht. Der Mensch weiß sich in Konfrontation mit bösen und für ihn in ihrer Abgründigkeit häufig undurchschaubaren Mächten auf die Hilfe Gottes angewiesen. Er kann sich nicht selber vom Bösen losreißen, sondern kann sich dafür nur Gott anvertrauen. Gott ist der eigentlich Handelnde in diesem Moment und der Herr des Geschehens. Damit unterscheiden sich die heutigen Exorzismus-Gebete markant von vergleichbaren Texten der Geschichte.
Die Gebete sind Ausdruck dafür, dass mit der Gefährdung des Menschen und dem Scheitern seines Lebensweges gerechnet wird. Es gehört zum Realismus der Taufliturgie, dies zu thematisieren. Die Liturgie zeugt vom Glauben und der Hoffnung auf Gottes Hilfe, damit der Mensch in der Konfrontation mit dem Bösen, in welcher Maske auch immer es begegnet, bestehen und sein Leben gelingen kann. Das aber ist eine völlig andere Haltung, als durch kirchliches oder individuelles Handeln irgendetwas bannen zu wollen.
Zudem fällt auf, dass der Ort dieser Gebete im Säuglingstaufritus der Wortgottesdienst und in der Erwachsenentaufe der Katechumenat ist. Das sind verschiedene Orte, die aber bei allen Unterschieden insbesondere durch die Wortverkündigung stark anamnetisch konturiert sind. Die Schriftlesungen stellen den Täufling und die Feiernden in die Geschichte Gottes mit den Menschen. Reinhard Meßner spricht vom «heilsgeschichtlichen Raum», der hier für die Taufe eröffnet wird.26 Das liturgische Buch für die Kindertaufe lässt nach Anrufung der Heiligen und Fürbitten das Exorzismus-Gebet folgen, das näher betrachtet selbst anamnetisch wirkt. Es ist Teil vergegenwärtigender Erinnerung an die Heilsgeschichte.
Solche Exorzismen sind heute theologisch und pastoral sperrige Riten. Sie sind Zeugnisse eines Weltbilds, das für viele in der Kirche nicht mehr mitvollziehbar ist. Das erklärt die «Marginalisierung» dieses Gebets. Religiöse Rituale und Liturgien transportieren immer auch überkommene Vorstellungen und Riten, die – wie das Exorzismus-Gebet – im rituellen ‹Bestand› bleiben, ohne im Detail von allen Feiernden bejaht werden zu müssen. Sie werden vollzogen, ohne für den Ablauf der liturgischen Feier entscheidend zu sein, bis sie einmal im Laufe einer Reform wegfallen können.
Man kann dieses Gebet – dann aber wirklich nur als Gebet – als Erinnerung daran lesen, dass Gläubige sich in den Gefährdungen ihres Lebens auf Gott angewiesen wissen. Für jeden Menschen existiert die Gefahr einer «Verstrickung in das Böse»,27 von der er sich nicht selbst befreien kann. Die Grenzen des menschlich Möglichen und das notwendige Vertrauen auf Gott werden also durch dieses Gebet in Erinnerung gerufen. Aus diesem Grund bittet man entsprechend für den Täufling und seinen Lebensweg.
Man kann das Exorzismus-Gebet wie manch andere Sprachhandlungen dieser Liturgie, etwa die Paradigmen in der Taufwasserweihe oder den Effata-Ritus, als Anamnese deuten. Die Gebete erinnern jeweils das Handeln Gottes oder Christi. Der Täufling erhält Anteil am machtvollen Handeln Jesu, der die Macht des Bösen zerbrochen hat. Er wird, mit einer Formulierung von Angelus Häußling, zum «Zeitgenossen» Jesu.28 Das wird in Wort und Zeichen erinnert und dann als Bitte formuliert. Das setzt voraus, dass man von Anamnese statt von Mimesis29 sprechen kann.
Die Vorstellung, man könnte Satan, Dämonen oder wen auch immer exorzistisch ansprechen und rituell bannen, kennt die Liturgie heute nicht mehr. (Auf den durch das Apostolische Schreiben «Summorum Pontificum» [2007] wieder zugelassenen vorkonziliaren Taufritus kann hier nicht eingegangen werden. Doch muss mit Blick auf den Exorzismus auf die markanten theologischen wie sprachlichen Unterschiede zum nachkonziliaren Ritus hingewiesen werden, die sich nicht harmonisieren lassen.) Die vielfältigen Redeweisen in den entsprechenden Gebeten dort, wo es um Böses geht, lassen die Interpretation zu, dass es um bildliche Rede geht, in der die Gefährdungen menschlichen Lebens und die Bedeutung, die demgegenüber der Taufe zukommt, herausgestellt werden sollen. Der Lebensernst der Taufe wird also nicht geschmälert, im Gegenteil. Bei einer erneuten Revision der Ritualefaszikel für die verschiedenen Formen der Taufe sollte man zu eindeutigeren Formulierungen der Gebete kommen, die dem Beten im Heute angemessen sind. Auch der Taufexorzismus ist unter den Voraussetzungen einer Kirche nach der Aufklärung und mit Blick auf die Möglichkeiten der heutigen westlichen Gesellschaft, von der Existenz des Bösen zu sprechen, zu diskutieren.30 Einfacher wird man es sich in Theologie und Kirche nicht machen dürfen.