1. Gottesdienst ohne Liturgie und Kirche
Im Jahre 1884 schrieb Max Kalbeck, der Brahms-Biograph, über Beethovens Missa Solemnis: «Sie ordnete sich nicht dem Dienst der Kirche unter, sondern nahm die Kirche selbst in sich auf».1 Die Missa verstand er als ein Oratorium, das sich von Kirche und Liturgie emanzipiert hat und im Konzertsaal aufgeführt werden kann, ohne an Sakralität zu verlieren, weil es «die Kirche selbst in sich aufgenommen hat». Neue Urteile bestätigen diese These. Sven Hiemke nennt die Missa «eine Messkomposition, die eines liturgischen Rahmens nicht mehr bedurfte, um als ein ‹gottesdienstliches› Kunstwerk in Erscheinung zu treten.»2 Martin Geck schreibt 2017 in seinem Beethoven-Buch: «Musik soll Wirkungen hervorbringen, die bis dahin die Messhandlung selbst zu garantieren hatte. Anstatt sie zu begleiten, tritt die Musik virtuell an ihre Stelle.»3 In die gleiche Richtung wies bereits E.T.A. Hoffmann in seinem Essay über «Alte und neue Kirchenmusik», einem Gespräch der «Serapionsbrüder» über Beethovens 1807 entstandene C-Dur Messe op. 86: «Diese Musik ist ja der Kultus selbst, und daher eine Missa im Konzert, eine Predigt im Theater.»4
Von dieser These, dass Beethovens Missa Solemnis des liturgischen Rahmens nicht mehr bedarf, weil sie ihn in sich aufgenommen hatte und dem Kult nicht dienen, sondern ihn als Musik selbst darstellen und vollziehen will, möchte ich ausgehen.5 Beethoven hatte die Missa ursprünglich durchaus für eine liturgische Aufführung geplant, und zwar im Rahmen des feierlichen Hochamts zur Inthronisation seines Schülers, Gönners und Freundes Rudolph von Habsburg zum Erzbischof von Olmütz, das auf den 9.März 1820 festgesetzt wurde. Dazu war es aber nicht gekommen, weil Beethoven schon bei der Arbeit am Gloria feststellen musste, dass das Werk Dimensionen annahm, die seine termingerechte Fertigstellung unmöglich erschienen ließen. Tatsächlich überreichte er die Partitur dem Erzherzog erst mit dreijähriger Verspätung, im März 1823. Schon aus der Entstehungsgeschichte des Werks geht klar hervor, dass Beethoven mit dieser Komposition viel weitreichendere Ziele verfolgte, als zum Hochamt in Olmütz die Festmesse beizusteuern. Um dieser Ziele willen ließ er den Termin verstreichen. Das war umso eher möglich, weil es sich bei der Missa offenbar nicht um ein Auftragswerk handelte, sondern Beethoven diese Arbeit aus eigenem Antrieb in Angriff nahm. Sein selbsternannter Sekretär und Biograph Anton Schindler betont (und in diesem Fall scheint sein Zeugnis durchaus vertrauenswürdig), dass Beethoven «ohne irgendwelche Aufforderung» beschloss, «zu dieser Feierlichkeit eine Messe zu schreiben, sich somit nach langen Jahren wieder dem Zweige seiner Kunst zuzuwenden, zu dem er sich – wie er oft geäussert – neben der Sinfonie am meisten hingezogen fühlte».6
Schon im Jahre 1818 trug sich Beethoven mit Plänen geistlicher Musik. Im Tagebuch notierte er: »Um wahre Kirchenmusik zu schreiben alle Kirchenchoräle der Mönche etc. durchgehen wo auch zu suchen wie die Absätze in richtigsten Übersetzungen nebst vollkommener Prosodie aller christkatholischen Psalmen und Gesänge überhaupt.«7 Unter «wahrer Kirchenmusik», soviel wird daraus klar, schwebte ihm etwas Neues, über seine Vorgänger Hinausgehendes vor. Aus der gleichen oder etwas früheren Zeit stammt ein Notat auf einem Skizzenblatt zur Hammerklaviersonate op. 106: «Adagio Cantique – Frommer Gesang in den alten Tonarten – Herr Gott dich loben wir – alleluja – entweder für sich allein oder als Einleitung in eine Fuge». Rechts daneben notierte er: «vieleicht auf diese weise die ganze 2te Sinfonie charakterisirt, wo alsden im lezten Stück oder schon im adagio die singstimmen eintreten. die orchester Violinen etc. werden beym lezten Stuck verzehnfacht. Oder das adagio wird auf gewise weise im lezten Stucke widerholt wobey alsdenn erst die Singstimmen nach u. nach eintreten – im adagio text griechischer Mithos Cantique Ecllesiastique. im Allegro Feyer des Bachus.»8
Beide Pläne hat Beethoven in den folgenden Jahren realisiert: den ersten in Gestalt der Missa Solemnis, den zweiten in der 9. Symphonie, die er unmittelbar danach in Angriff nahm. Beide Werke gehören zusammen und wurden in Wien am 7. Mai 1824 auch im Kärntnertortheater zusammen aufgeführt (von der Missa nur Kyrie, Credo und Agnus Dei, als «Hymnen» bezeichnet, weil die Aufführung einer Messe in weltlichem Rahmen verboten war). Beide Werke verwirklichen den von Schleiermacher und Hegel eingeführten Begriff der Kunstreligion: die Missa, indem sie den heiligen Text des Messordinariums als konzertantes Oratorium in einen weltlichen Rahmen stellt, und die Symphonie, indem sie durch die Aufnahme von Gesang eine weltliche, instrumentale Gattung als «Feier des Bacchus» sakralisiert.
Worin hat die Missa den liturgischen Rahmen gesprengt? Und worin hat sie ihn in sich aufgenommen? Die erste Frage ist leicht zu beantworten: durch ihre Länge von ca. anderthalb Stunden, ihre gewaltige Besetzung mit großem Symphonieorchester und großem professionellem Chor und vor allem ihre ungeheure dynamische Intensität mit ihren ständigen Wechseln vom pianissimo ins fortissimo, ihren ungezählten sforzati und der ganzen symphonischen Wucht des Beethovenschen Ausdruckswillens. Schwerer fällt die Beantwortung der zweiten Frage. Zweierlei ist hier anzuführen:
Erstens hat Beethoven seinen Plan, «die Absätze in richtigsten Übersetzungen nebst vollkommener Prosodie aller christkatholischen Psalmen und Gesänge überhaupt» zu studieren in Angriff genommen, indem er mithilfe eines lateinisch-deutschen Wörterbuchs jedes Wort auf alle seine Bedeutungen abklopfte, um den Text von der Staubschicht seiner weit über tausendjährigen Tradition zu befreien.9 Sechs von ursprünglich vermutlich acht Seiten seiner Beschäftigung mit dem Text des Messordinariums haben sich erhalten. Sie enthalten den lateinischen Text mit Betonungszeichen, die deutsche Übersetzung und Anmerkungen zu einzelnen Wörtern wie z.B. zu Pilatus: «pilo berauben, plündern, mit Wurfspießen versehen pilatus». Nicht, dass Beethoven die lateinischen Texte nicht verstanden hätte! Sie waren ihm seit seiner Kindheit als Hoforganist in Bonn vertraut.10 Aber gerade diese Vertrautheit war das Problem. Als erster Schritt ging es Beethoven offensichtlich darum, den Text des Messordinariums ganz neu zu lesen und intellektuell zu durchdringen.
Der zweite Schritt bestand dann darin, diesen Text mit den Mitteln der Musik zu auszuleuchten und zu dramatisieren. So erklärt sich das Paradox, dass Beethovens Messe zwar einerseits den liturgischen Rahmen sprengt, andererseits aber den uralten liturgischen Text des Messordinariums viel andächtiger und wortgetreuer vertont als seine Vorläufer und Vorbilder Bach, Mozart und Haydn. Sie versagt sich die konzertierenden Freiheiten, die sich diese im Vertrauen auf den sakralen Rahmen genommen haben, und realisiert eine neue Idee von Sakralmusik, weil sie diesen Rahmen nun nicht mehr voraussetzen kann, sondern mit den ihr eigenen musikalischen Mitteln in den Hörer*innen evozieren muss.
Dieses Verfahren lässt sich im Einzelnen aufzeigen;11 hier möchte ich mich aber auf einige wenige Beispiele beschränken. Das «mit Andacht» überschriebene Kyrie versagt sich alle konzertierende Bewegtheit und verbreitet wie die langsame Introduktion einer Symphonie nur Stimmung, ohne prägnantes Thema und Ziel.12 Das Gloria dagegen ist ganz ekstatische Bewegung und verbindet zwei gegenläufige Prinzipien: einerseits eine extrem kleinteilige Diskontinuität, die dem Text folgt und seine Zäsuren in Takt-, Tonart-, Klangfarben-, Dynamik- und Tempowechseln berücksichtigt, andererseits ein bruchloses Durchkomponieren mit Kohärenzsignalen wie den ritornellartigen Wiederholungen der Eingangsfanfare und der durchgehenden Kontrastierung von himmlischer und irdischer Sphäre durch den Gegensatz von hohen und lauten bzw. tiefen und leisen Klängen.13 Dieselben Prinzipien organisieren auch das umfangreiche Credo. Hier hat Beethoven auch in den liturgischen Text eingegriffen, indem er vor den dem Sohn und dem Heiligen Geist gewidmeten Glaubensartikeln das «et» durch «credo» ersetzte und auch hier die credo-Fanfare als Ritornell einsetzen konnte.
Im Credo, dem textintensivsten Teil des Messordinariums, tritt Beethovens Verfahren der musikalischen Textausdeutung am Auffallendsten in den Stellen hervor, in denen er bei bestimmten Worten vom forte oder fortissimo plötzlich ins piano fällt, z.B. Takte 24–33: (ff:) factorem coeli, coeli et terrae, factorem coeli, et terrae, visibilium et (p) et invisibilium, Takte 53–59: ex patre (ff ) natum (pp) ante omnia saecula; Takte 100–104: (f ) de- (sf )scendit de (p) coelis propter nos homines; Takte 227–238: (sf ) iudi- (ff ) ca-re vivos vivos (p) et mortuos. Ähnlich hat er schon im Quoniam des Gloria das Wort «sanctus» abgesetzt: (ff ) quoniam tu solus (p) sanctus (mit Oktavfall). Immer kommt es ihm darauf an, semantische Ereignisse im Text in musikalischen Ereignissen auszudrücken. So, und nicht im Sinne der nie so weit gehenden barocken Figurenlehre, würde ich auch die überdeutliche, geradezu plakative Begleitung der Worte «descendit» mit fallenden (Takte 115f.) und «ascendit» mit aufsteigenden Tonleitern (Takte 194–199) verstehen. In diesen und ähnlichen Fällen stellt sich die Musik, die sich vom Dienst der Kirche befreit, ganz in den Dienst des Textes. Aber gerade was die Tonleitern angeht, spielt hier auch eine gewisse Leitmotivik eine Rolle. Aufsteigende Skalen begegnen auf höchst auffallende und thematische Weise im Gloria und haben dort den Charakter eines Ritornells. Im Credo begegnen sie außer bei ascendit und descendit absteigend zu (venturus est) cum gloria (Takte 219–221) und aufsteigend, sehr auffällig, am Schluss (Takte 451–470). Auf- und Abstiege in Intervallschritten begegnen im Credo bei credo in unum Deum (T.10–18), in unum dominum (T.43–46) und in Viertelschritten vor qui propter nos homines (T.86–90). Im Benedictus kommen sie aufsteigend in Takt 149,Takt 189 und Takt 191 vor, im Dona nobis pacem begegnen sie auf- und absteigend in Takten 131–139, 242–248, 261–265, 379–391, 419–424, 431–434 (Schluss). Ebenso leitmotivisch begegnen sehr hohe, langgezogene und fortissimo erklingende Töne überall dort, wo von Himmel und Gott-Vater die Rede ist14 im Gegensatz zu den tiefen, leisen Tönen, wo es um Irdisches und Menschliches geht.
Das Credo, zu dem nicht weniger als 200 Seiten mit Skizzen existieren, hat Beethoven die meiste Mühe gemacht. Bekommt man hier etwas von Beethovens eigenem Glauben zu fassen? Auffallend ist die Ungleichbehandlung des Textes: manche Sätze sind breit ausgeführt, andere schnell abgespult. Die Sätze zum Heiligen Geist und zur einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche sind unter den fortwährenden «Credo, credo!»-Rufen der Oberstimmen kaum zu hören, die menschliche Geschichte Jesu von Geburt bis Grablegung ist stark herausgehoben aus den übrigen Glaubensartikeln und siebenmal wird das «et», das von einem zum anderen Artikel übergeht, wiederholt, was wie ein zögerndes, reflektierendes Innehalten beim Überschreiten einer Schwelle wirkt.
Das Sanctus (mit seinen vier Teilen Sanctus, Pleni sunt coeli, Osanna und Benedictus) ist wie das Kyrie «mit Andacht» vorzutragen und bewegt sich ebenfalls Adagio und piano in den langsam tastenden Schritten einer Introduktion. Beethoven weist es entsprechend seiner Semantik von Himmelshöhe (laut, hoch) und Erde (leise, tief ) der irdischen Sphäre zu, obwohl in Jesajas Vision die Seraphim Gott auf dem höchsten Thron mit diesen Worten preisen. Beethoven behandelt das Sanctus genau wie das Kyrie als andächtige Introduktion. Damit markiert er die Zäsur zwischen dem ersten, öffentlichen und dem zweiten, nichtöffentlichen Teil des Gottesdiensts (dazu unten) und macht deutlich, dass dieser Gottesdienst nicht außer- sondern innerhalb seiner Musik stattfindet. Ganz klar wird dieser Gedanke mit dem Präludium zwischen Sanctus und Benedictus, denn dies stellt nichts anderes als die auskomponierte Orchesterfassung einer «Elevationstoccata» dar, einer Improvisation, mit der der Organist die Hochhebung («Elevation») von Hostie und Kelch und die in stillem Gebet vollzogene Wandlung zu begleiten hat. Das berühmte Benedictus begrüßt in seiner nicht endenwollenden Lieblichkeit den in Brot und Wein aus Himmelshöhen herabkommenden Gott. Das Agnus Dei steht in der «schwarzen Tonart» h-Moll und hat einen inständig flehenden Charakter, während das abschließende, als «Bitte um innern und äußern Frieden» überschriebene Dona nobis pacem mit Episoden dramatischer Kriegsmusik – Militärfanfaren, Kanonendonner – überrascht, die die Friedensbitte aktuell inszenieren. Beethoven hat in seiner Missa Solemnis eine Musik geschrieben, in der unablässig so viel passiert, dass sie jeden gottesdienstlichen Rahmen in den Hintergrund drängt oder eben im Sinne von Kalbecks These sich an dessen Stelle setzt. Die Missa ist Programmmusik in Beethovens Verständnis: nicht «Mahlerey, sondern Ausdruck der Empfindungen» (wie er zur 6. Sinfonie vorschrieb).
Der liturgische Rahmen des Ordinarium Missae
Diesen Rahmen möchte ich nun im zweiten Teil dieses Beitrags näher in den Blick fassen.15 Den äußeren Rahmen, der schon als solcher Sakralität evoziert und dessen Betreten Barhäuptigkeit und im Katholizismus bestimmte Gesten erfordert (Weihwasserbecken, Kniebeugung) bildet die Kirche als Sakralraum, den inneren Rahmen bildet der katholische Gottesdienst. Dieser Gottesdienst gliedert sich seit alters in einen öffentlichen und einen nichtöffentlichen Teil, wie er sich auch architektonisch ausprägt im Unterschied zwischen dem langgestreckten Kirchenraum und dem durch die Chorschranke abgetrennten Altar- und Chorraum. In den antiken heidnischen Tempeln, aber auch im salomonischen und im Zweiten jüdischen Tempel war diese Grenze noch viel strenger gezogen. Das Volk wurde nur in den Vorhof zugelassen und auch das nur zu Festtagen. Das Tempelinnere war nur Priestern zugänglich und das Allerheiligste war noch einmal durch einen Vorhang abgetrennt. Im israelitischen und jüdischen Kult durfte es nur der Hohepriester einmal im Jahr, am Jom Kippur, betreten. Die Zulassung der Menge in den Kirchenraum zum Wortgottesdienst war eine revolutionäre Tat des Christentums, das sich als als Gemeinde-Religion konstituiert.16 Das griechische Wort ekklesía «Volksversammlung» wird für die neue Form verwendet; auf Neugriechisch heißt es «Kirche» und von ihm stammt auch in den romanischen Sprachen das Wort für «Kirche»: chiesa, église.17 Auch im Messordinarium prägt sich die neue Form aus in der Wir-Form des Gloria-Hymnus, die z.B. in den Psalmen fehlt. Auch das Credo ist in der griechischen Urfassung in der 1.Ps.Plural verfasst (Πιστεύομεν εἰς ἕνα Θεόν «wir glauben an Einen Gott») und ursprünglich sang die Gemeinde die Messgesänge, bevor sie ihren ausgeprägten Kunstcharakter annahmen und von ausgebildeten Chören gesungen wurden.
Der erste, öffentliche Teil umfasst den «Wortgottesdienst» mit Lesung und Predigt, eingangs umrahmt von den ersten beiden Teilen des Messordinariums, Kyrie und Gloria und abgeschlossen mit dem Credo. Der nichtöffentliche Teil ist nur den zur Kommunion zugelassenen Teilnehmern zugänglich. Die «Katechumenen» (κατηχούμενοι oder audientes), die noch eine längere Lehrzeit durchmachen müssen, wurden in der Frühzeit mit dem Ruf «Türen achten» hinausgeschickt.18 Sie durften die Lobgesänge, Lesungen und die Predigt anhören, mussten aber vor der Eucharistie den Raum verlassen. Der nichtöffentliche Teil umfasst im Kern das Hochgebet, den «Canon Missae» mit Elevation und Wandlung und wird von den letzten beiden Teilen des Ordinariums umrahmt. Traditionell wird das Sanctus vor und das Benedictus nach der Wandlung gesungen und das Agnus Dei begleitet die Kommunion mit dem Brechen und gemeinsamen Verzehr des Brotes.
Das Messordinarium besteht also aus fünf über den Gottesdienst verteilten Gesängen, die, wenn man sie zusammennimmt, eine zyklische Struktur bilden:
Gebet: Kyrie
Hymnus: Gloria
Bekenntnis: Credo
Hymnus: Sanctus+Benedictus
Gebet: Agnus Dei
In dieser Struktur liegt vielleicht schon der Keim zu seiner späteren Entwicklung als Libretto der Messe als musikalischer Gattung.
Das Ordinarium Missae war von allem Anfang an nie etwas anderes als Musik. Der Gemeindegesang galt als besondere Eigenart der Christen. Plinius berichtet als Statthalter von Bithynien (Ende 1.Jh.v.Chr.) von den Christen «sie sind gewohnt, sich an einem bestimmten Tag vor der Dämmerung zu treffen und wechselweise miteinander Christus als einem Gott Lieder zu singen.»19
Die liturgische Struktur des christlichen Gottesdiensts in seiner westlichen, d.h. römischen und gallischen Ausprägung hat sich über ein Jahrtausend hin entwickelt und erst im 13. Jahrhundert ihren kanonischen Abschluss gefunden. In der gleichen Zeit beginnt auch die «Kunstwerdung» des Messordinariums mit dem Übergang vom einstimmigen Gemeindegesang zum mehrstimmigen Gesang der «Schola». Obwohl die Anfänge der Messvertonungen bis ins 12. und 13. Jh. zurückreichen, waren erst im frühen 15. Jahrhundert die beiden entscheidenden Voraussetzungen gegeben: (a) die Kanonisierung der fünf liturgischen Gesänge Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei als fester Zyklus und (b) die Entstehung mehrstimmiger Vertonung mit Hilfe der Mensural-Notation, die Höhe und Länge der Töne wiedergibt und damit den Übergang von improvisierter zu komponierter Mehrstimmigkeit ermöglicht. 20 Jetzt, mit John Dunstable, Guillaume Dufay, Josquin Desprez und vielen anderen nahm im franko-flämischen Raum (in dem auch die Familie Beethoven ursprünglich zuhause war) die Messvertonung und mit ihr die abendländische Musik überhaupt einen Aufschwung, der sie aus allen Musiktraditionen der Welt als etwas Einzigartiges heraushebt.21 Schon im 16. Jh. erhoben sich Bedenken gegen diese Verselbständigung der Musik, die ihren liturgischen Rahmen zu sprengen drohte. Gegen die «Kunstwerdung» der Messe war aber die katholische Kirche machtlos. Innerhalb des stabilen liturgischen Rahmens entwickelten sich gewaltige konzertierende Formen. Auch Bachs h-Moll-Messe, die wohl nie in toto im Gottesdienst aufgeführt wurde (und von Bach gewiss auch nicht als Missa tota dafür gedacht war22) sprengte den Rahmen nicht, ebenso wenig wie Beethovens erste, 1807 entstandene Messe op. 86. Erst seine spätestens ab dem Gloria rücksichtslos für den Konzertsaal und als Oratorium konzipierte Missa Solemnis bricht mit dieser Tradition.
2. Pessach, Passah, Passion: das liturgische Gedächtnis des Christentums und seine jüdischen Wurzeln
Der christliche Gottesdienst beruht auf einem doppelten Gedächtniskult. Er steht in zwei Traditionen, der christlichen und der jüdischen, und in beiden geht es um die Erinnerung an ein gründendes Ereignis, das nicht irgendwann in illo tempore, in mythischer Vorzeit, liegt, sondern sondern an einem genau datierbaren Punkt der geschichtlichen Chronologie. Das ist in der Religionsgeschichte einzigartig. Einmal und vor allem geht es um den Gedächtnisauftrag, den Jesus bei seinem letzten Abendmahl seinen Jüngern erteilt und damit diesen Kult selbst einsetzt: τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν «Dieses tut zu meinem Gedächtnis». Zum anderen geht es um das Gedenken an den Auszug aus Ägypten. Ihm ist das jüdische Pessach-Fest gewidmet, in dessen unmittelbarem Zusammenhang das Abendmahl und die Passion Christi stehen: wehajah hajjom hazzeh lakhem lezikkarôn – καὶ ἔσται ἡ ἡμέρα ὑμῖν αὕτη μνημόσυνον «Dieser Tag soll euch eine Erinnerung sein» (Ex 12, 14). Von allem Anfang an bilden Abendmahl und Pessach, Passion und Exodus einen unauflöslichen theologischen Komplex, und das Gedächtnis, anámnēsis bzw. zikkaron, spielt dabei die Hauptolle.
Dass das Abendmahl etwas mit dem Pessach-Fest zu tun hat, wird in allen vier Evangelien in eindeutigster Klarheit herausgestellt. «Wohin willst du, daß wir gehen und bereiten, damit du das Passah essen kannst?» fragen die Jünger bei Markus (1, 12). «Wo willst du, dass wir dir das Passah zum Essen bereiten?» heißt es kürzer bei Matthäus (26, 17). Bei Lukas gibt Jesus Petrus und Johannes den Auftrag «Geht hin und bereitet uns das Passahlamm, damit wir’s essen» (22, 8). Auch Johannes stellt das Abendmahl in den Kontext des Passahfests (13, 1). Das sagt natürlich nichts über das historische Abendmahl, bei dem möglicherweise Pessach und Exodus keine Rolle spielten. Deswegen haben Theologen bis heute immer wieder diesen Zusammenhang bestritten. Uns interessiert aber nicht das historische Abendmahl, für das uns außerhalb der Evangelien alle Quellen fehlen, sondern nur das literarische und liturgische Abendmahl, wie es von Paulus und den Evangelien beschrieben wird und den Kern des christlichen Gottesdiensts bis heute bildet. Hier steht der Pessach-Bezug völlig außer Frage, ja im Zentrum, und prägt sich auch im Messordinarium aus. Worauf sonst soll sich die Anrufung Jesu als Agnus Dei beziehen, die zweimal vorkommt, im Gloria und im abschließenden Agnus Dei, wenn nicht auf das Osterlamm, das zum Abendmahl geschlachtet und verzehrt wird? Von allem Anfang an wird es zum Brechen des Brots (artoklasia) gesungen, das in der Frühzeit für den eucharistischen Gottesdienst überhaupt steht (Apg 20, 7; 1Kor 16, 2). Als «Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt» (ἴδε ὁ ἀμνὸς τοῦ θεοῦ ὁ αἴρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου) bezeichnet Johannes der Täufer Jesus ( Joh 1, 29) und bezieht sich damit auf das vierte Gottesknechtslied bei Jesaja (53, 3–7), wo es heißt «als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird» und «Dieser trägt unsere Sünden und für uns leidet er». Die Gottesknechtlieder des Jesaja gehörten zweifellos zur Liturgie des Kults, der sich nach Jesu Tod in Jerusalem und bald auch in Antiochien und anderen Orten entwickelt hat.
Mit den Einsetzungsworten, wie sie Paulus überliefert, stellt Jesus selbst den Zusammenhang von Exodus und Passion, Abendmahl und Pessach heraus: «Trinket alle daraus; das ist mein Blut des (neuen) Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden». (Mt 26, 27f. vgl. 1Kor 11, 25; Lk 22, 20; Mk 14, 23f.) Damit bezieht er sich auf die Worte, die Mose zum Abschluss des Bundesschlusses am Sinai spricht, indem er das Volk mit dem Blut eines geschlachteten Opfertiers besprenkelt: «Siehe, das Blut des Bundes, den JHWH auf all diese Worte mit euch geschlossen hat!» (Ex 24, 8).23
So wie Jesus das Abendmahl, setzt JHWH die Passah-Nacht vor dem Auszug aus Ägypten als kultisches Gedächtnismahl ein. Zwei Kapitel des Buches Exodus (12 und 13) setzen die Liturgie dieser Begehung genau fest. Ein Lamm wird geschlachtet und rituell verzehrt. Dazu wird ungesäuertes Brot gegessen, weil die Zeit zum Säuern des Teigs fehlte. «Und dieser Tag soll euch eine Erinnerung sein, und ihr sollt ihn feiern als Fest für JHWH.» Darauf bezieht sich auch Psalm 111 (110), wo es in Vers 4 heißt: «Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder.» In beiden Fällen geht es um die Stiftung einer gottesdienstlichen Feier zum Gedächtnis einer schicksalswendenden Heilstat Gottes, der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft und der Erlösung aus Sünde und Tod.
Der jüdische und der christliche Gottesdienst sind also im Kern Gedächtniskulte. Der christliche Gottesdienst hat sich nach dem christlichen Verfahren der Typologie oder Figura am jüdischen Vorbild orientiert und den Exodus als Typus zur Passionsgeschichte als Antitypus in Beziehung gesetzt:
Typus
Großtat der Befreiung: Exodus – Bund: (Ester) Bund [Sinai] – Gedächtniskult: Pessach
Antitypus
Großtat der Befreiung: Passion – Bund: Neuer Bund [Abendmahl] – Gedächtniskult: Eucharistie
Im Judentum gedenkt man des Auszugs aus Ägypten nicht nur zum Pessach-Fest, sondern jede Woche in der häuslichen Sabbat-Liturgie, wo es im Kiddusch vom Sabbat heißt:
Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du uns geheiligt durch deine Gebote, uns erwählt hast und deinen heiligen Sabbat in Liebe und Wohlgefallen uns zum Anteil gegeben hast als Gedenken (zikkaron) des Schöpfungswerkes. Er ist der erste Tag der heiligen Feste, eine Erinnerung (zekhèr) an den Auszug aus Ägypten. Uns hast du auserwählt, uns geheiligt von allen Nationen, und deinen heiligen Sabbat hast du uns in Liebe und Wohlgefallen zum Anteil gegeben. Gelobt seist du, Ewiger, der du den Sabbat geheiligt. 24
Der Sabbat gedenkt des siebten Schöpfungstags (der Ruhe des Schöpfers nach Erschaffung der Welt) und des Auszugs aus Ägypten (der Stiftung des Volkes). Ebenso gedenkt das Christentum der Passion Christi nicht nur zur Fasten- und Osterzeit, sondern jeden Sonntag in der Eucharistie mit der Einsetzung des Abendmahls durch Jesus Christus «in der Nacht, da er verraten ward» und «verkündet seinen Tod, bis dass er wiederkommt».
Das Messordinarium besteht aus den fünf Gesängen, die diesen allerheiligsten Kern umschließen, der selbst nicht gesungen, sondern vom Priester gebetet wird, und zwar (bis zum II. Vaticanum, das mit dieser Tradition gebrochen hat) still, unhörbar für die Umstehenden, aber trotzdem deutlich, secrete, distincte et attente (heimlich, deutlich und aufmerksam).25 Beethoven hat in meinen Augen zum ersten Mal den Schritt gewagt, diesen Zyklus seines gottesdienstlichen Rahmens zu entkleiden und als Oratorium zu behandeln, das auch im Konzertsaal aufgeführt werden kann. Aus der epochalen Bedeutung dieses revolutionären Schritts erklärt sich bis zu einem gewissen Teil, warum Beethoven so ungewöhnlich viel Zeit für die Missa brauchte, warum ihre Vollendung für ihn wichtiger war als das Hochamt in Olmütz und die in seiner Hoffnung damit verbundene Kapellmeisterstelle und warum er sie mehrfach als sein größtes Werk bezeichnete, «das ich bisher geschrieben», und das nicht nur in vielleicht marktstrategischer Absicht gegenüber Verlegern und Mäzenen, sondern auch Freunden gegenüber.26
3. Beethovens Glaube zwischen dem «All-Einen» der Weimarer Klassik und dem Drei-Einen Gott der Christen
Die religiöse Spannung, in der Beethoven über die Jahre an der Messe arbeitete (und von der er sich in einer neunmonatigen Pause mit der Arbeit an den Klaviersonaten op. 109–111 erholte) wird deutlich, wenn man sich klarmacht, dass er sich offenbar eigens für diese Arbeit27 ein unter Glas gerahmtes Blatt vor Augen stellte, auf dem er sich drei Kernsätze der «ägyptischen Mysterien» aus Schillers Essay Die Sendung Moses exzerpiert hatte:
«Ich bin, was da ist»
«Ich bin alles, was ist,
was war, und was seyn wird,
kein sterblicher Mensch
hat meinen Schleyer
aufgehoben»
«Er ist einzig von ihm selbst,
und diesem Einzigen sind
alle Dinge ihr Daseyn schuldig»28
Das ist der All-Eine Gott der ägyptischen, stoischen und indischen Religion, der Gott der Philosophen, das Gegenstück zum Gott des Mess-Ordinariums, dem «einen allmächtigen Gott in drei Personen».29 Diese Spannung prägt sich in der Partitur in ihrer dramatischen Wucht, Subjektivität und emotionalen Intensität aus.
Sich aus einem Text einige Sätze herauszuschreiben will nicht viel bedeuten. Das Blatt dann aber unter Glas rahmen zu lassen und sich auf dem Arbeitstisch vor Augen zu stellen, ist etwas völlig Anderes. Man kann diese Sätze also gar nicht ernst genug nehmen, wenn man nach Beethovens Glauben fragt. Schiller vertritt in seinem Essay die These, dass Mose, als Prinz am pharaonischen Hof aufgewachsen, im Lauf seiner Erziehung in die ägyptischen Mysterien eingeweiht wurde, deren Gottesbegriff die drei von Beethoven herausgeschriebenen Sätze umreißen. Carl Leonhard Reinhold, auf dessen Buch Die hebräischen Mysterien oder Die älteste religiöse Freymaurerey Schillers Essay basiert30, stellt die Inschrift auf dem verschleierten Bild zu Sais, wie sie Plutarch im 9. Kapitel seines Traktats De Iside et Osiride überliefert, als Inbegriff der ägyptischen Mysterien heraus: «Ich bin alles, was da ist, war und sein wird. Kein Sterblicher hat meinen Schleier gelüftet», und vergleicht sie mit der Selbstvorstellung JHWHs vor Mose am brennenden Dornbusch (Ex 3, 14), die er nach der LXX zitiert und übersetzt: »Ich bin das wesentliche Daseyn.» In seinen Augen sagen beide Texte dasselbe. Gemeinsam sei beiden Texten die Identifikation der Gottheit mit dem Sein schlechthin, sowie die Vorenthaltung eines Namens. Isis sagt ja nicht «Ich bin Isis» und Jahwe sagt nicht «Ich bin Jahwe», sondern sie verweisen beide auf alles was ist, das wesentliche Daseyn. Mose hat also den Gedanken der göttlichen All-Einheit, den er in den Mysterien gelernt hatte, in seinen monotheistischen Gottesbegriff transformiert, der sich den Hebräern vermitteln ließ, transformiert:
Er machte den Demiurgos in den Mysterien zum Nationalgott der Hebräer, aber er ging noch einen Schritt weiter. Er begnügte sich nicht bloß, diesen Nationalgott zum mächtigsten aller Götter zu machen, sondern er machte ihn zum einzigen, und stürzte alle Götter um ihn her in ihr Nichts zurück.... So rettete er in dem Bild, worin er ihn den Hebräern vorstellte, die zwei wichtigsten Eigenschaften seines wahren Gottes, die Einheit und die Allmacht, und machte sie wirksamer in dieser menschlichen Hülle... 31
In dem Gottesbegriff der ägyptischen Mysterien, der namenlosen all-einen Gottheit, erblickte Schiller den Inbegriff des Erhabenen. Ebenso hatte der von Beethoven verehrte Kant in seiner dritten Kritik die Inschrift auf dem «verschleierten Bild zu Sais» gedeutet:
Vielleicht ist nie etwas Erhabeneres gesagt oder ein Gedanke erhabener ausgedrückt worden als in jener Aufschrift über dem Tempel der Isis (der Mutter Natur): «Ich bin alles was da ist, was da war und was da sein wird, und meinen Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt».32
Beethoven, dessen Musik immer wieder mit der Idee des Erhabenen, diesem Zentralbegriff der romantischen Musikästhetik in Verbindung gebracht wurde,33 musste von der Inschrift zu Sais und Schillers Deutung tief beeindruckt worden sein, schien hier doch nichts Geringeres greifbar als der der Nachweis, dass der All-eine Gott der Philosophen kein Geschöpf der Aufklärung, sondern im Gegenteil die Gottesidee der ältesten historischen Religion, der ägyptischen Mysterien, darstellt.
Aber auch in dem Credo selbst, der nicäo-constantinopolitanischen Fassung des christlichen Glaubens, sieht Beethoven eine Spannung, die er in seiner Vertonung sehr stark herausarbeitet. Er unterscheidet scharf die himmlisch-göttliche und die irdisch-menschliche Sphäre und ordnet nicht nur Gott-Vater, sondern auch Christus als dominus, filius unigenitus, qui sedet ad dexteram patris der himmlischen Klangsymbolik zu, wobei er die christologischen Prädikate bei aller Großartigkeit doch einigermaßen knapp und fast konventionell vertont. Einen ganz anderen Raum nehmen demgegenüber in der Missa die biographischen Prädikate ein, die ungleich differenzierter behandelt sind. Das beginnt bereits in T. 86 mit dem nach Des-Dur führenden zarten, geheimnisvollen Skalenaufstieg in den Holzbläsern und Hörnern (zu denen sich später pizzicato die Streicher gesellen) zum qui propter nos homines et propter nostram salutem descendt de coelis und breitet sich dann in der Passionsgeschichte von incarnatus bis sepultus mit ihren überraschenden Tonart-, Tempo- und Stimmungswechseln zu einer Szenenfolge aus, die den Höhepunkt des Credo wenn nicht überhaupt der Missa bildet.
Es scheint mir völlig eindeutig, dass Beethoven in dieser Behandlung des Credo die Mensch-Natur Christi betont, wie er sie ja schon in einem Oratorium Christus am Ölberge op.85 (1803) in geradezu opernhaft dramatischer Weise herausgestellt hat. In dieser Hinsicht steht Beethoven unverkennbar dem Arianismus nahe. Die auf dem Konzil von Nicaea (325) als Häresie verdammte Lehre des Arius vertrat einen radikalen Monotheismus und rückte Gott in seiner erhabenen, unnahbaren, transzendenten Majestät in einen unüberbrückbaren Abstand zu Christus in seiner irdischen Menschlichkeit, wie sie nirgends deutlicher als in der Gethsemane-Szene hevortritt. Diesen Abstand bringt Beethovens Missa in überwältigender Weise zum Ausdruck.
Mit dem Schritt, das Ordinarium Missae, den heiligsten Kern des christlichen Gottesdiensts, als Libretto eines Oratoriums in den Konzertsaal zu verlegen, hat Beethoven etwas erreicht, was seit ca. 50 Jahren verloren zu gehen droht: die Spiritualisierung der säkularen Kultur, die Öffnung der liturgischen Schatzkammern für die intellektuellen Debatten der Gegenwart. Wer kennt noch das Glaubensbekenntnis? Die Missa Solemnis, die es aus der Kirche herausgetragen hat, konfrontiert uns mit dem uralten Text in der ganzen unmittelbaren Wucht von Beethovens musikalischer Dramatik.