NachhaltigkeitHerausforderung und Aufgabe für Politik, Kirche und Gesellschaft

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Sustainability: Challenges and Tasks for Politics, Church and Society. A systemic approach such as the concept of sustainability is necessary, because the weaknesses revealed in the Corona pandemic are also the weaknesses of many other crises, such as the biodiversity and climate crisis. An up-to-date concept of sustainability is based on ecology as the safeguarding of livelihoods. This is where the pillars «economy» and «social» rest and, as a new pillar, «culture», because sustainability affects all areas of people‘s lives. The transformation of our overexploitation industry into an economy that complies with the principle of sustainability, as well as decoupling quality of life and economic growth, is of central importance. The implementation of sustainability in politics, economy and society represents a paradigm shift, which presents us with great challenges, but which is indispensable for saving our ecological basis of life and thus for the survival of humanity.The Pope‘s encyclical «Laudato si’» is an effective instrument for spreading this message.

Die Corona-Pandemie hat die Schwachstellen in unserer Gesellschaft und unserem Wirtschaftssystem offengelegt. Sie hat gezeigt, dass Deutschland, Europa und die ganze Welt der Risikoprävention und der Resilienz – das heißt, der Krisenfestigkeit zu wenig Bedeutung beigemessen haben. Die Gefahr solcher Pandemien ist jedoch nicht neu, sondern seit Jahrzehnten bekannt. Wie so häufig wurden aber die Warnungen in den Wind geschlagen und die Gefahren verharmlost. Dies hat jetzt zu gewaltigen Opfern geführt – sowohl an Menschenleben und bleibenden gesundheitlichen Schäden als auch zu Billionenschäden in bisher unvorstellbaren Dimensionen in der gesamten globalisierten Wirtschaft. Im Verlauf der Pandemie hat sich auch gezeigt, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter verschärft. Die Reichen können sich besser schützen als die Armen. Das gilt sowohl national wie international, wo sich die Brennpunkte der Pandemie zusehends nach Südamerika, Afrika und Indien verschieben.

Auch wenn die Ursachen für diese Pandemie noch nicht abschließend geklärt sind, steht außer Frage, dass mit zunehmender Naturzerstörung und Globalisierung das Risiko von Krankheitsausbrüchen und Virenübertragungen steigt.1 So führt beispielweise die Zerstörung von natürlichen Ökosystemen, vor allem von tropischen Wäldern, zu einer Verlängerung der Grenz- und Übergangsbereiche zwischen besiedelten Bereichen und der Wildnis, so dass Menschen und Wildtiere in intensiveren Kontakt kommen und das Risiko, dass aus Wildbeständen Krankheitserreger auf Menschen überspringen, steigt. Ein Grund für die Rodung von Regenwäldern ist ihre Umwandlung in Monokulturen zur Futtermittelproduktion für die industrielle Fleischproduktion in Massentierhaltungen, die wiederum die Ausbreitung von Seuchen begünstigen. Die bei Weitem überdurchschnittlichen Corona-Infektionszahlen in Schlachthöfen aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten haben eine weitere Schattenseite der Billigfleischproduktion ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht.

Beispielhaft zeigt der Bereich der Fleischproduktion, dass bereits vorher bestehende Herausforderungen und Probleme in der Corona-Pandemie verschärft wurden und Wechselwirkungen zwischen Politikfeldern schärfer hervortraten denn je. Damit ist eine systemische Herangehensweise wie das Konzept der Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde, denn die in der Corona-Pandemie offenbarten Schwachstellen sind auch die Schwachstellen vieler anders gearteter Krisen, wie zum Beispiel der Biodiversitäts- und der Klimakrise. Die notwendige und gleichzeitig beispiellos umfassende Mobilisierung von finanziellen Ressourcen für einen Weg aus der Pandemie zeigt auch, dass wir uns eine zweite Krise dieses Ausmaßes nicht leisten können. Nachhaltige und klimafreundliche Maßnahmen und Handlungsweisen müssen daher wegweisende Wirkung für einen nachhaltigen Wiederaufbau entfalten.Wir müssen wieder widerstandsfähiger werden, um auch in Krisen und Katastrophen zumindest in den Grundfunktionen handlungsfähig bleiben zu können. Das Problem dabei ist, dass eine hohe Widerstandsfähigkeit prinzipiell unvereinbar mit maximaler Effizienz unseres aktuellen Wirtschafts- und Finanzsystems ist. Widerstandsfähigkeit erfordert zum Beispiel ein gewisses Maß an doppelten Strukturen. Diese können kostenintensiv und ineffizient sein, aber unter Umständen überlebenssichernd. Wer seine Widerstandsfähigkeit gegen Krisen der maximalen Effizienz opfert, lebt kurzfristig zwar materiell gut, aber nicht auf Dauer, und er lebt gut auf Kosten anderer. Für eine zukunftsfähige Gesellschaft ist Widerstandsfähigkeit daher wichtiger als Effizienz.

Während der Corona-Krise wurde sehr stark auf die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse gehört, weshalb Deutschland bisher vergleichsweise glimpflich durch die Krise kam. Übertragen auf die Klima- und Biodiversitätskrise bedeutet das, dass die eindringlichen Warnungen der Wissenschaft – etwa des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – wesentlich stärker in konkretes Handeln umgesetzt werden müssten, wie zum Beispiel durch einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger und als ersten Schritt durch eine erhebliche Verteuerung der CO2-Emissionen mit sozialem Aussgleich.

Diese Zusammenhänge müssen deshalb endlich der Weckruf sein, damit das 21. Jahrhundert zu einem überlebensnotwenigen Jahrhundert der Nachhaltigkeit wird.

Das Konzept der «Nachhaltigkeit»

Der Ursprung des Prinzips «Nachhaltigkeit» liegt in der Forstwirtschaft. Der Begriff und das Konzept taucht erstmals 1713 in der Schrift Sylvicultura oeconomica des sächsischen Oberberghauptmanns Hans Carl von Carlowitz auf als eine Reaktion auf die Holzknappheit wegen des Raubbaus am Wald: «Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse (im Sinne von Wesen, Dasein, Anm. d. Verf.) nicht bleiben mag.»2 Lange Zeit wurde Nachhaltigkeit vor allem als «Mengennachhaltigkeit» verstanden, also nicht mehr Holz zu nutzen, als nachwächst. Beginnend im 19. Jahrhundert, aber vor allem im 20. Jahrhundert wurde im Bereich der Forstwirtschaft das Konzept der «Nachhaltigkeit» nicht nur auf die Holzbereitstellung, sondern auch auf die weiteren Waldfunktionen, wie zum Beispiel klimatische Wirkung, Wasserhaushalt, Boden- und Artenschutz sowie Erholung, angewendet.3 1987 erschien von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der sogenannte «Brundtland-Bericht», der das Konzept der Nachhaltigkeit in einem holistischen Ansatz auf alle Umweltbereiche ausdehnte und eine nachhaltige Entwicklung definierte als «eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.»4 Nach dem Brundtland-Bericht sollte die Zielsetzung sein, dass Umweltschutz und Wirtschaftswachstum gemeinsam möglich sein sollten. Unter Hinzunahme des sozialen Bereichs entwickelte sich so die gängige Vorstellung vom «Drei-Säulen-Modell» der Nachhaltigkeit, wonach «Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen sind.»5 Dies führte aber zu einer falschen Bewertung der einzelnen Dimensionen von Nachhaltigkeit, denn das Drei-Säulen-Modell drückt eine scheinbare Gleichrangigkeit der drei Schwerpunkte Soziales, Ökologie und Ökonomie aus. Das Säulenmodell ist damit falsch, denn es besteht zwar eine Wechselwirkung zwischen den drei «Säulen», aber ohne die Basis der Ökologie, das heißt der Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen, ist weder ein Sozialsystem noch ein Wirtschaften möglich. Die Corona-Krise hat uns erschütternd gezeigt, wie Wirtschaft und Soziales darniederliegen, wenn eine Krise mit aller Härte zuschlägt. Wenn die Klimakrise weiter so voranschreitet wie bisher, werden wir hier noch deutlich Schlimmeres erleben, da aufgrund der Trägheit der Atmosphäre bisher versäumte Gegenmaßnahmen nur langsam greifen werden. Die «Reparatur» der Klimakrise ist wesentlich schwieriger, wenn nicht gar für mehrere Menschengenerationen unmöglich.

Das bedeutet, ein zeitgemäßes Konzept von Nachhaltigkeit hat die Ökologie als Sicherung der Lebensgrundlagen zur Basis. Auf dieser ruhen die Säulen «Ökonomie» und «Soziales» und als weitere Säule die «Kultur», denn Nachhaltigkeit betrifft alle Lebensbereiche der Menschen. Die Umsetzung des Konzepts der Nachhaltigkeit verlangt ein breites gesellschaftliches Engagement. Um jedem Einzelnen die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt verständlich zu machen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu ermöglichen und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse anzustoßen, muss der Bereich der Kultur in die Konzeption der Nachhaltigkeit integriert werden. In diesem Zusammenhang können und müssen auch Kirche und Religionen wieder eine neue Rolle bekommen und zu neuer Bedeutung erstarken.

Herausforderungen zur Umsetzung von Nachhaltigkeit

Von zentraler Bedeutung für die Transformation unserer Gesellschaft und Wirtschaft ist der Umbau unserer bisherigen Raubbauwirtschaft zu einer dem Nachhaltigkeitsprinzip gerecht werdenden Wirtschaft. Als einen ersten Schritt müssen wir durch eine Entkopplung der Güterproduktion vom Ressourcenverbrauch aus der bisherigen Art unserer industriellen Güterproduktion aussteigen, die uns zwar viel materiellen Wohlstand gebracht hat, die aber auch in kürzester Zeit die weltweiten, nicht-erneuerbaren Ressourcen ausgebeutet hat. Zwingend notwendig ist deshalb eine Kreislaufwirtschaft, eine drastische Verringerung der Verbräuche durch Effizienz- und Suffizienzstrategien und – nicht nur bei der Energieerzeugung – der Ersatz von nicht-erneuerbaren durch erneuerbare Ressourcen mit Nutzungsraten, die ihre Regenerationsrate nicht überschreitet. Dabei müssen das Verursacher- und Vorsorgeprinzip beachtet und Gemeinwohlinteressen sichergestellt werden. Handel sollte nur auf einer fairen Basis stattfinden. Zur Erhaltung der biologischen Vielfalt brauchen wir in Deutschland ein gestaffeltes System von 10% der Landfläche mit nutzungsfreien Gebieten und von weiteren 20% Schutzgebieten, die mit Vorrang für den Naturschutz bewirtschaftet werden können, sowie auf der restlichen land- und forstwirtschaftlich genutzten Fläche eine naturverträgliche Landnutzung, also ökologischen Landbau und naturnahe Waldwirtschaft. Der Flächenverbrauch ist von deutschlandweit 69 Hektar pro Tag im Jahre 2017 auf 30 Hektar pro Tag bis 2030 und – durch Entsiegelungen – langfristig gegen Null zu begrenzen. Zudem dürfen die Stoffeinträge in die Umwelt nicht die Belastbarkeit von Boden, Luft und Wasser überschreiten und die Klimaschutzziele müssen ernsthaft verfolgt werden.

Hier sind vor allem die Industriestaaten und ihre Regierungen gefordert. Aufgrund der tiefgreifenden, aber notwendigen Veränderungsprozesse braucht es für ihre Umsetzung verpflichtende Regeln mit Sanktionen statt freiwillige Vereinbarungen und gleichzeitig eine Stärkung der Regionen und demokratische Bürgerbeteiligung sowie eine Stärkung der Zivilgesellschaft.

Für eine dauerhaft funktionsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist nicht nur eine nachhaltige Wirtschaft von Bedeutung, sondern auch eine Entkopplung von Lebensqualität und Wirtschaftswachstum: Wachstum ist keine notwendige Bedingung für ein gutes Leben. Es geht um einen Verzicht auf Überkonsum, der zu mehr Lebensqualität führen kann, indem man aus der Tretmühle von immer steigenden Ansprüchen, Ausgaben dafür und der Jagd nach dem entsprechenden Einkommen aussteigt und mehr materielles Einkommen gegen weniger Stress, weniger Arbeit und ein entspannteres Leben eintauscht. Eine materielle Grundsicherung und das notwendige Umdenken vorausgesetzt, ist so ein Mehr an Zufriedenheit möglich, indem die nicht-materiellen Quellen des Wohlbefindens, wie Gesundheit, soziale Kontakte, Bildung, aktive Selbstverwirklichung und eine stärkere Rückkoppelung mit der Natur verstärkt gefördert werden. Eine derartige «Kultur der Nachhaltigkeit» wird nicht nur weniger materiell fixiert sein, sondern auch lokaler und vernetzter und Zeitwohlstand wie Selbstbestimmtheit stärker betonen. «Gut leben, statt viel haben» ist damit eine zentrale Zielsetzung der Nachhaltigkeits-Transformation.

Die Enzyklika Laudato si’

«Laudato si’» – erschienen vor fast genau fünf Jahren – ist ein Weckruf, der genau die oben genannten Punkte einer notwendigen Transformation aufgreift und damit der katholischen Kirche ein wunderbares Instrument zur Verbreitung dieser Botschaft in die Hand gibt. Es ist die erste Enzyklika eines Oberhauptes der katholischen Kirche, die sich schwerpunktmäßig dem Thema Umwelt widmet. Sie hat weltweit die wohl größte Aufmerksamkeit erzielt, die eine Enzyklika je erhalten hat. Ihr roter Faden ist das Postulat einer «ganzheitlichen Ökologie», die auch soziale und entwicklungspolitische Dimensionen umfasst, mit einer einfachen Botschaft: Unsere Wirtschaft macht vor allem die Armen unter uns und unsere Welt krank. Sie spricht eine klare und direkte Sprache und ist ein Meilenstein in der Entwicklung der katholischen Soziallehre: Erstmals wird das komplexe Themenfeld der ökologischen Herausforderung umfassend auf der Ebene der päpstlichen Lehrschreiben behandelt. Dabei begründet Papst Franziskus die notwendigerweise zu ergreifenden Maßnahmen sowohl wissenschaftlich als auch ethisch: «Wenn wir berücksichtigen, dass der Mensch auch ein Geschöpf dieser Welt ist, das ein Recht auf Leben und Glück hat und das außerdem eine ganz besondere Würde besitzt, können wir es nicht unterlassen, die Auswirkungen der Umweltzerstörung, des aktuellen Entwicklungsmodells und der Wegwerfkultur auf das menschliche Leben zu betrachten» (Laudato si’ 43).

In der Enzyklika finden sich erstaunlich konkrete Aufforderungen für ein umweltgerechtes Verhalten. So ermahnt sie dringend, den Klimawandel durch eine Energiewende mit erneuerbaren Energien zu bekämpfen (z.B. 26; 165), kritisiert den Emissionshandel (171) und fordert auf, Energie zu sparen (z.B. 180; 193) und Energiegenossenschaften zu bilden (179). Die Enzyklika stellt die Bedeutung der Erhaltung der Artenvielfalt als Ressource für die Menschheit, aber auch als Erhaltungsauftrag der Schöpfung mit einem Eigenwert heraus (z.B. 33) und beklagt den Rückgang von Wäldern und Wildnis (z.B. 32). Sie tritt für eine umfassende Nachhaltigkeit (z.B. 6; 105; 193; 195) und das Vorsorgeprinzip (186) ein.

Das besondere an der Enzyklika ist aber die Kombination von Informationen: Die Enzyklika verknüpft diese ökologischen Fragen mit der sozialen Frage und der Gerechtigkeitsfrage. Eine Veränderung ihrer Umwelt bedeutet für viele Menschen auf der Welt existenzielle Veränderungen, die zum Beispiel ihre Versorgung mit Nahrungsmittel oder den Zugang zu sauberem Trinkwasser gefährden. Das ist eine der zentralen Botschaften von «Laudato si’»: Es gibt nicht auf der einen Seite die Umweltverschmutzung und auf der anderen Seite Armut und Elend. Für Papst Franziskus ist die Menschheit eine globale Verantwortungsgemeinschaft (z.B. 25; 49; 118). Die ökologische Frage und die soziale Frage gehören untrennbar zusammen, so dass Papst Franziskus sich indirekt für eine öko-soziale Marktwirtschaft ausspricht (z.B. 190).

Die Umweltbewegung erwartete schon lange vor der Enzyklika, dass sie von den Kirchen in ihrem Grundanliegen unterstützt wird, weil sie sich ja nach dem Schöpfungsauftrag für die Erhaltung der Schöpfung einsetzen müssten. Schließlich bietet die Botschaft des Neuen Testaments ein reiches Repertoire an Mahnungen und Ermunterungen, bescheiden zu leben und weder Überfluss und Reichtum noch Übersättigung zu suchen, sondern bereit zu sein zum Teilen und Helfen. Mit dem bewusst schlichten Lebensstil bekundeten die Christen, nicht Besitzer der Güter dieser Erde sein zu wollen und zu können, sondern nur deren Verwalter – mit einem Lebensstil des Maßhaltens in einem Leben unter Anerkennung der Grenzen. Häufig hat die Umweltbewegung aber zur Antwort bekommen, die Kirchen sagen grundsätzlich ja zur Erhaltung der Schöpfung, aber nicht in den konkreten Einzelfällen. Ein wesentlicher Grund dafür war ein heute überkommenes, Verständnis des Schöpfungsauftrags «Macht euch die Erde untertan» (dominium terrae; lat. für «Herrschaft über die Erde»; vgl. Genesis 1, 28 und 2, 15).

Heute versteht man nach langjährigen auch innerkirchlichen Diskussion unter «untertan machen» nicht mehr länger «ausbeuten», sondern «bewahren, unterhalten» mit einer verantwortungsvollen, fürsorglichen Konnotation, wie ein guter Herrscher regiert, denn die hebräische Exegese findet erst in den letzten Jahren angemessenere Übersetzungen.

Der Papst bestätigt diese Auffassung in der Enzyklika: «… Es ist wichtig, die biblischen Texte in ihrem Zusammenhang zu lesen, mit einer geeigneten Hermeneutik, und daran zu erinnern, dass sie uns einladen, den Garten der Welt zu ‹bebauen› und zu ‹hüten› (vgl. Gen 2, 15). Während ‹bebauen› kultivieren, pflügen oder bewirtschaften bedeutet, ist mit ‹hüten› schützen, beaufsichtigen, bewahren, erhalten, bewachen gemeint. Das schließt eine Beziehung verantwortlicher Wechselseitigkeit zwischen dem Menschen und der Natur ein. Jede Gemeinschaft darf von der Erde das nehmen, was sie zu ihrem Überleben braucht, hat aber auch die Pflicht, sie zu schützen und das Fortbestehen ihrer Fruchtbarkeit für die kommenden Generationen zu gewährleisten.» (67)

Damit fordert die Enzyklika die Christenheit klar auf, Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen und Natur- und Umwelt zu schützen bzw. nachhaltig zu nutzen. Das bedeutet natürlich auch, dass insbesondere die Kirchen diese Verantwortung öffentlich geltend machen müssen. Kirchen können sich durch ihren besonderen Blickwinkel und ihre besondere Stellung auf besondere Weise in die Umweltdebatte einbringen: Sie sind die Instanz für Moral, Ethik und Werte. Kirchen sind die Vertreter der «Wahrheit», die heute häufig gleichgesetzt wird mit «Richtigkeit». Nach biblischem Verständnis ist Wahrheit aber nicht eine objektivierbare, also beweisbare und nachweisbare Richtigkeit, sondern etwas, das man erfahren muss, in dem man sich ihr unmittelbar hingibt. Schließlich sind Kirchen in besonderem Maße dem biblischen Auftrag nach Mitgefühl und Barmherzigkeit verpflichtet: «Ich sage euch, soviel ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, habt ihr mir getan.» (Mt 25, 40) Wer aber sind die «Geringsten»? Das sind natürlich in erster Linie die unterdrückten, armen und notleidenden Menschen bei uns und vor allem im globalen Süden. Das sind aber auch die anderen Kreaturen in Gottes Schöpfung, die Pflanzen und Tiere. Und schließlich sind das die künftigen Generationen, die sich – da noch nicht geboren – auch nicht wehren können und daher auch zu den Schwachen zählen.

Biblischer Auftrag heißt damit auch auf die Veränderung der Wirtschafts- und Konsumstrukturen einzuwirken und die politischen Entscheidungsmöglichkeiten offenzulegen bzw. sich selbst politisch zu engagieren. Die Kirchen als Institution müssen diesen Wandel mit vorbereiten, begleiten und dazu ermutigen. Deshalb sind die Kirchen aufgefordert, nur einen echten Fortschritt, der nicht zu Lasten kommender Generationen geht, aktiv zu unterstützen. Nicht zuletzt kommt den Kirchen bei der Bewusstseinsbildung der breiten Bevölkerung eine Schlüsselrolle zu – nicht nur in den Gottesdiensten, sondern auch an ihren Akademien und Lehreinrichtungen sowie in den Seminaren und den Ausbildungsstätten der Orden. Die Enzyklika weist an einigen Stellen auf die besondere Verantwortung der Kirche hin (z. B. 201; 214).

Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche sind hier auf einem guten Weg: Unter anderem haben beide mittlerweile Umweltbeauftragte installiert, und es gibt zahlreiche Beispiele für gemeinsame Projekte mit Naturschutzverbänden, denn die Kirche steht auch selbst in unmittelbarer Verantwortung für ein tatsächlich nachhaltiges Leben und Gerechtigkeit aus einer Mitverantwortung für die Schöpfung heraus. So sollte kirchlicher (Grund-)Besitz und kirchliches Geldvermögen vorbildhaft für die Erhaltung der Schöpfung eingesetzt werden. Die kirchlichen Einrichtungen müssen Leuchttürme der Nachhaltigkeit und der Schöpfungsverantwortung sein und z. B. durch das eigene kirchliche Beschaffungswesen und durch die daraus entstehende Nachfrage nach Produkten, bei deren Produktion die Kriterien der Nachhaltigkeit beachtet wurden, zu einer Stärkung der öko-sozialen Wirtschaft beizutragen.

Die Klimafrage und die Gerechtigkeitsfrage müssen global diskutiert werden. Gerade die Kirchen können sich in diese internationale Umweltdebatte besonders einbringen, weil sie als Weltkirchen stärker international verankert sind als die Umweltbewegung. So erfährt der Begriff der «Einen Welt» aus dem Bereich der kirchlichen Entwicklungshilfearbeit, der im Gegensatz zum Begriff der «Dritten Welt» für ein neues Verständnis der Entwicklungszusammenarbeit steht, eine Renaissance: Die Umwelt ist die Mitwelt, und wir müssen gemeinsame Antworten finden. «Über die Sorge für das gemeinsame Haus» heißt der Untertitel der Enzyklika. Das Haus ist ein gemeinsames. Es lässt sich nicht trennen vom Rest der Welt — durch Grenzen oder Militär (z. B. 52; 93; 95).

Papst Franziskus verbindet in der Enzyklika «Laudato si’» das Thema Umwelt mit Aspekten der Ökonomie, des Sozialen und der Kultur. Damit ist sie eine Schrift, die der Verbreitung des Prinzips der Nachhaltigkeit in höchstem Maße dienlich ist.

Fazit

Die Umsetzung von Nachhaltigkeit in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft stellt einen Paradigmenwechsel dar, der uns vor große Herausforderungen stellt, der aber zur Rettung unserer ökologischen Lebensgrundlage und damit für das Überleben der Menschheit unverzichtbar ist. Nur wer innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten agiert und dabei soziale Gerechtigkeit und ökonomische Vernunft wahrt, handelt nachhaltig. 300 Jahre nach der »Erfindung« des Prinzips drängt die Zeit – für eine Epoche echter Nachhaltigkeit, einen Abschied vom Wirtschaftswachstum, ein Weniger an Waren, Verkehr etc. Die gewaltige Herausforderung der Klimakrise wird zu noch wesentlich größeren und dauerhaften Folgeschäden als die Corona-Krise führen, wenn es uns nicht gelingt, zu einer drastischen Kurskorrektur zu kommen.

Wir benötigen ein langfristiges Programm, das über Wahlperioden hinausgeht, damit unsere Gesellschaft zukunftsgerecht wird. Alle wichtigen Politikfelder müssen in den Umbau einbezogen werden, von der Sozial- und Wirtschaftspolitik über die Umwelt- und Agrarpolitik bis zur Bildungs- und zur Außenpolitik. Mehr denn je sind wir alle – und ist speziell die Politik – verpflichtet, das Gebot der Nachhaltigkeit stärker zu beachten. Die Transformation der Industriegesellschaft zu einer der Nachhaltigkeit verpflichteten Gesellschaft ist damit die große vor uns liegende Aufgabe.

Die Enzyklika gibt dabei Hoffnung, gerade weil sie sich nicht nur an die katholische Kirche, sondern an alle Menschen, die guten Willens sind, wendet, sich im Zeitalter des Anthropozäns und der drohenden menschenverursachten Ausrottung der Vielfalt des Lebens für Natur und Umwelt einzusetzen. Sie ist ein Aufbruchssignal und aufgrund der ganz konkreten Folgen der Corona-Krise scheint es jetzt möglich, mit einem größeren politischen Gewicht als bisher national wie auch auf europäischer Ebene und international die notwendigen Schritte durchzusetzen. Europa muss da mit Sicherheit vorangehen.

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