Natur ist ein höchst aktueller Begriff. Diskussionen über die Notwendigkeit eines verbesserten Natur- und Umweltschutzes und die Einsicht in das Gebot der Nachhaltigkeit sind seit langem in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die ökologische Krise hat deutlich gemacht, dass die Natur nicht einfach eine Ressource ist, die man den Interessen des Menschen unterordnen kann. Die Ausbeutung der Natur wird sich irgendwann auch gegen den Menschen richten. Denn auch wir – Menschen – gehören zur Natur. Man kann die «Fridays for Future»-Bewegung aus einer Reihe von Gründen kritisch betrachten. Doch muss man anerkennen, dass sie noch einmal neu die Notwendigkeit, dass wir unser Verhältnis zur Natur überdenken und demgemäß auch handeln und leben, ins Bewusstsein gerufen hat.
Natur ist auch ein höchst umstrittener Begriff. «Natur» gehört zu den Schlüsselbegriffen der Philosophie- und Theologiegeschichte. Doch hat sich historisch stark gewandelt, was unter «Natur» verstanden wird. Die Bedeutung des Begriffs ist abhängig von den weiteren geistigen, gesellschaftlichen, religiösen, kulturellen oder wissenschaftlichen Kontexten, den Konstellationen anderer Ideen und zahlreichen, oft impliziten Voraussetzungen. Sie ist überdies stark von seinem jeweiligen Gegenüber oder Gegenteil bestimmt. Manchmal wird die Natur der menschlichen «Setzung» gegenübergestellt, ein anderes Mal der Kultur. Nicht selten wird – gerade in der Neuzeit – der Mensch zum Gegenpol der Natur – so, als ob der Mensch gar nicht zur Natur gehörte. Und heute – in Zeiten einer zunehmend gefährdeten Natur – wird nicht selten von einer Spannung von Natur und Technik, Natur und Wissenschaft oder Natur und Wirtschaft gesprochen. Kontrovers diskutiert wird auch, ob der Natur eine teleologische und insofern normative Dimension zu eigen ist. Gerade auch das ökologische Denken weist auf eine solche Dimension hin. Doch wie genau lässt sie sich artikulieren? Was bedeutet es heute – zu Beginn des 21. Jahrhunderts – «gemäß der Natur zu leben»? Welche neue Hoffnung könnte in einem solchen Leben liegen? Welche Gefahren liegen aber auch in einer heute wieder aktuellen «Naturmystik»?
Natur ist auch ein höchst christlicher Begriff. Man kann, gewiss, Natur zu verstehen und zu erklären versuchen, als ob es keinen Gott gäbe. Die Naturwissenschaft versteht Natur so – und muss sie so verstehen. Dies ist so lange nicht problematisch, als sie sich dieser Einschränkung in ihrem methodologischen Charakter bewusst bleibt. Doch kann Natur auch ganz anders erfahren werden. Naturerfahrungen können zu Glaubenserfahrungen werden. Natur nimmt, wenn man sie mit den Augen des Glaubens betrachtet, den Charakter der Schöpfung an: Was auch immer ist, ist von Gott geschaffen, gewollt und gut geheißen. Der Mensch hat, so die jüdische und christliche Tradition (und die Tradition nicht weniger anderer Religionen) eine besondere Verantwortung für die Natur. Allzu oft genügt er dieser Verantwortung nicht – und schadet damit nicht zuletzt sich selbst. Doch leben Christinnen und Christen nicht ohne Hoffnung: auf ein anderes, bewahrenderes und maßvolleres Verhältnis des Menschen zur von Gott geschaffenen Umwelt, aber auch auf eine versöhnte und erlöste Schöpfung.
Natur ist auch der Schwerpunkt dieses Heftes der communio. Angesichts der ökologischen Krise und der kontroversen Diskussion um diese Krise schien es ratsam, den Anstoß der Enzyklika Laudato si’ aufzugreifen und einen Fokus auf den Natur- und Umweltschutz und die Verantwortung des Menschen – und auch der Kirche – für die Natur zu legen. Einleitend thematisiert Hans Maier, wie das Bewusstsein um die Bedrohung der Natur die Tendenzen zu einer Beherrschung der Natur in Frage gestellt und zu einem neuen Blick auf die Umwelt geführt hat. Der auf konkrete Anliegen bezogene, eher bewahrend orientierte Naturschutz sei dabei durch einen umfassenden Umweltschutz ersetzt worden. Das sei nicht zuletzt angesichts des Klimawandels eine wichtige Entwicklung. Die Sorge um das Klima und den Einsatz gegen die Erderwärmung greift Franziskus von Heereman auf und erläutert in einer kritischen Auseinandersetzung mit der «Fridays-for-Future»-Bewegung, welche menschliche Antwort auf die weltweiten ökologischen Herausforderungen – angesichts der Chancen der Krise, aber jenseits ihrer Versuchungen, der Gefahren innerhalb der Gefahr – möglich ist. Hubert Weigert wendet sich dann dem Schlüsselbegriff der Nachhaltigkeit zu. Er diskutiert kurz die Geschichte dieses Begriffs und legt dar, welche Herausforderungen sich auf dem Weg zu einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft zeigen. Dabei betont er insbesondere die Bedeutung von Laudato si’. Auf die Bedeutung, die der Umweltschutz für kirchliches Handeln haben kann und sollte, geht Julia Blanc ein. Sie verdeutlicht, inwiefern der «Pastoralbereich Umwelt» auch Möglichkeiten für eine vertiefte Praxis innerkirchlicher Subsidiarität darstellt. Den oft vergessenen Unterschied von Natur und Schöpfung thematisiert Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in einer Klärung beider Begriffe und ihres Verhältnisses zueinander. Dabei entwickelt sie eine Kritik gegenwärtiger Naturfrömmigkeit und einer damit oft verbundenen Geringschätzung oder Abwertung des Menschen und führt die Bedeutung des jüdisch-christlichen Schöpfungsglaubens für das Verständnis des Menschen vor Augen. Andrea Riedl führt die Überlegungen zum christlichen Schöpfungsglauben weiter und erörtert, wie der Heilige Franziskus von Assisi vor dem Hintergrund seiner Theologie Umwelt und Schöpfung verstanden hat und welche Bedeutung sein Zugang zur Schöpfung für das Denken, den Glauben und das Handeln der Gegenwart hat. Auch in der gegenwärtigen Kunst findet sich eine intensive Auseinandersetzung mit der Natur. Thomas Menges zeigt in seinen Ausführungen, wie vier zeitgenössische Künstler – Karl Willems, Roland Peter Litzenburger, Philipp Schönborn und Saype – die Herausforderung, sich in Zeiten einer grundlegenden ökologischen Krise der Natur zu nähern, angenommen haben. Sie erinnern an einen Blick, der Natur als Heimat und gute Schöpfung sieht. Zugleich sind sie offen für die aktuellen Gefährdungen der Natur und für eine Hoffnung, die über die ökologische Krise der Gegenwart hinausweist.