Abstract / DOI
The Codex Iuris Canonici as the Last Document of Vatican II? The Legal Heritage of Pope John Paul II. Pope John Paul II is of outstanding importance not only for his doctrinal statements but also for his legislative activity. His pontificate saw the final editing and promulgation of the Codex Iuris Canonici of 1983, which reflects the normative reception of the Second Vatican Council. His term of office also saw the drafting and promulgation of the Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, which, in implementation of the ecclesiology of the Second Vatican Council, expresses the equality of the Eastern Catholic Churches and, together with the Code of the Latin Church, forms the new Corpus Iuris Canonici of the Catholic Church. Of importance is not less the Apostolic Constitution Pastor Bonus on the reorganisation of the Roman Curia. The aim of John Paul II's legislative activity was to give the Church, in implementation of the Second Vatican Council, a legal order appropriate to her theologicall based selfimage, in which law is an instrument for the communication of salvation.
1. Vorbemerkung
Zehn Jahre nach dem Tod Johannes Pauls II. prägt sein legislatives Erbe die Gegenwart der Kirche mindestens so stark wie seine lehrmäßige Hinterlassenschaft.1 Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils ist zwar nicht auf die rechtliche Umsetzung seiner Lehren beschränkt, diese lässt sich jedoch ohne eine Würdigung der großen Rechtstexte des polnischen Papstes nicht adäquat erfassen. Als oberster Lehrer der Kirche widmete sich Johannes Paul II. rechtstheologischen und rechtstheoretischen Fragen in erster Linie aus dem Blickwinkel der Moraltheologie, aber auch aus jenem der christlichen Anthropologie.
Eine echte Würdigung Johannes Pauls II. als Gesetzgeber setzte einen Blick auf die Gesamtheit der vom Papst oder in seinem Namen erlassenen generellen Normen ebenso voraus wie eine Analyse der wichtigsten Ansprachen, allen voran jener an die Mitglieder der Römischen Rota zu Beginn eines jeden Gerichtsjahres.
Der folgende Beitrag kann all das nicht leisten. Wir müssen uns daher auf die herausragenden normativen Texte, die in der Amtszeit Johannes Pauls II. in Kraft traten, beschränken.2 Mit dem revidierten Codex Iuris Canonici setzte ein gesetzgeberischer Dreischritt ein, der durch die Apostolische Konstitution zur Neuordnung der Römische Kurie 1988, Pastor Bonus und die Promulgation des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) vervollständigt wurde. Diese drei Gesetze bilden, so lautet zumindest ein geflügeltes Wort, das neue Corpus Iuris Canonici der katholischen Kirche.
2. Die Revision des lateinischen Kirchenrechts als Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils
Die gesetzgeberische Tätigkeit Johannes Pauls II. lässt sich nur im Blick auf das epochale Ereignis des Zweiten Vatikanischen Konzils adäquat erfassen. Karol Wojtyła nahm am Konzil zuerst als Auxiliarbischof, dann ab Januar 1964 als Erzbischof von Krakau teil und wurde durch dieses nachhaltig geprägt. Das Konzil selbst war 1959 von Johannes XXIII. gemeinsam mit dem Vorhaben das kirchliche Recht zu reformieren, angekündigt und wenig später offiziell einberufen worden.
Die Reform des kirchlichen Rechts war in der Tat notwendig geworden, obwohl die große Kodifikation des lateinischen Kirchenrechtes erst vier Jahrzehnte zurücklag. Zu sehr war der Codex Iuris Canonici 1917 noch einer einseitig auf die Hierarchie konzentrierten Sicht der Kirche als societas inaequalis verpflichtet, zu wenig waren während der Kodifikation Antworten auf neue Fragen gesucht worden. Es stand vielmehr die systematische Ordnung und rationale Neuformulierung des überlieferten Rechtsstoffes, der seit den großen mittelalterlichen Sammlungen auf eine schier unüberblickbare Fülle von Normen angewachsen war, im Vordergrund der Reform.
Die Aufgabe der Revision des kirchlichen Rechts, die Johannes Paul II. von seinem Vorvorgänger Paul VI. übernommen hatte,3 war qualitativ anders gelagert als das legistische Großprojekt der Kodifikation des kanonischen Rechts, die mit dem CIC/1917 zumindest für die Lateinische Kirche erfolgreich abgeschlossen worden war. Juristisch war der CIC/1917 ein rationales Meisterwerk, das jahrhundertealte Schichten von Rechtsnormen auseinanderlöste und systematisch die normative Ordnung des kirchlichen Lebens wenigstens dem Ideal nach abschließend regelte.
Die nachkonziliare Revision des Kirchenrechts konnte nicht auf rechtssystematisierende und -bereinigende Fragen beschränkt bleiben. Die ekklesiologischen Wegmarken des von 1962‒1965 gefeierten Konzils machten über jede Reform hinaus eine echte Revision des Rechts notwendig.4
Dass diese Revision schlussendlich gelingen konnte, ist niemand anderem mehr zuzuschreiben als dem polnischen Papst. Über jede bloß formale Fortsetzung des Revisionsprozesses hinaus machte sich Johannes Paul II. das Grundanliegen der Revision zu eigen. Dieses fasste er in der Apostolischen Konstitution Sacrae disciplinae leges zur Promulgation des revidierten Codex Iuris Canonici zusammen:
Ja, dieser neue Kodex kann gewissermaßen als ein großes Bemühen aufgefasst werden, die Ekklesiologie des Konzils in die Sprache des Kirchenrechts zu übersetzen. Wenn es auch unmöglich ist, das von der Lehre des Konzils gezeichnete Bild der Kirche vollkommen in die kanonistische Sprache zu übertragen, so muss der Kodex doch immer in diesem Bild, soweit das möglich ist, seinen festen Bezugspunkt haben.5
Paul VI. hatte bereits 1965 in einer ersten richtungsweisenden Ansprache allen Mitarbeitern am Revisionsprojekt einen «novus habitus mentis» nahegelegt.6 In dieser «Haltung» wurde die Revision unter Johannes Paul II. mutig weiter vorangetrieben und schließlich fertiggestellt. Im Rückblick stellt sie sich als ein legistisches Mammutprojekt dar, das unter Einbindung des Weltepiskopats, der kanonistischen und theologischen Fakultäten und einer großen Zahl wissenschaftlicher Experten erarbeitet worden war.
Als Karol Wojtyła am 16. Oktober 1978 zum Papst gewählt wurde, waren die Revisionsarbeiten schon weit fortgeschritten. Der neue Papst war davon überzeugt, dass der Abschluss der Revision des Rechts ein Akt der Rezeption des Konzils selbst sei, und in gewisser Weise sogar deren Höhepunkt. Der Kodex musste, wenn er nicht bloß eine Reform des CIC/1917, sondern eine echte Revision des Kirchenrechts in der Spur der konziliaren Ekklesiologie sein sollte, zum letzten Dokument des Konzils reifen.7
Mit der Vorlage des ersten Gesamtschemas des CIC war die Revision 1980 in ihre entscheidende Phase eingetreten. Zur Überarbeitung des Schemas erweiterte der Papst die Mitgliederzahl der Revisionskommission. Im Oktober 1981 sollten in weiterer Folge auf der Plenarversammlung der Kommission gemeinsam mit dem Papst entscheidende Weichen gestellt werden.8 Schließlich übergab der Präsident der Kommission dem Papst im April 1982 das nach Einarbeitung der letzten Verbesserungsvorschläge zur Promulgation reife Schema novissimum. Eigentlich hätte man erwarten können, dass Johannes Paul II. nach 15 Jahren intensiver Arbeit der Experten und der Einbindung des Weltepiskopats die Promulgation anordnen würde. Stattdessen entschied sich der Papst – selbst kein ausgebildeter Kanonist – jedoch mit einer kleinen Gruppe von ihm persönlich ausgewählter Kirchenrechtler, das Schema Canon für Canon durchzuarbeiten. Diese letzte Revisionsarbeit, die auf der jahrzehntelangen Vorarbeit der offiziellen Kommission aufbauen konnte, unterbreitete Johannes Paul II. abschließend noch einer von ihm ausgewählten vierköpfigen bischöflichen Beratergruppe. Am 25. Januar 1983 schließlich promulgierte der Papst mit der Apostolischen Konstitution Sacrae Disciplinae Leges (SDL) das neue Gesetzbuch für die Lateinische Kirche und ordnete an, dass dieses vom 1. Adventsonntag 1983 an rechtsverbindlich sein sollte.
3. Sacrae Disciplinae Leges: der Schlüssel zur Rechtstheorie Johannes Pauls II.
Kaum ein anderes Dokument des Pontifikats gibt sicherer Auskunft über den Zugang Johannes Pauls II. zum Recht in der Kirche als die Apostolische Konstitution zur Promulgation des CIC Sacrae Disciplinae Leges. Das Ziel der Revision des Rechts war nicht der Erlass eines bloß äußerlich verbindlichen normativen Textes. Eine mit dem Wesen der Kirche kongruente Rechtsordnung muss ein Instrument für die wirksame Verwirklichung der kirchlichen Sendung sein, wie sie in LG 1 zum Ausdruck kommt. Das Kirchenrecht ist kein Sakrament. Eine solche Sicht würde zu einer Apotheose des Rechts und letztlich zur Gefahr der Erstarrung des kirchlichen Lebens führen. Das Recht hat innerhalb der Kirche als «komplexe Wirklichkeit», deren sichtbare (gesellschaftliche) und unsichtbare, im dreifaltigen Leben Gottes verwurzelte Seite nicht voneinander zu trennen sind, ohne jedoch in eins zu fallen, Anteil an der Verfasstheit der Kirche als gesellschaftliches Gefüge. Dieses Gefüge aber ist gewissermaßen trotz und in aller menschlichen Sündhaftigkeit und Schwäche das sakramentale Zeichen des Wurzelsakraments, welches die Kirche selbst ist. Deshalb ist das Recht in der Kirche ein notwendiges Instrument für die Vermittlung des Heils. Keinesfalls aber, so SDL, sei es das Ziel des Kodex, im Leben der Kirche den Glauben, die Gnade, die Charismen und vor allem die Liebe zu ersetzen.
Das Verhältnis von Kontinuität und vertiefter Entfaltung der Lehre kann im CIC folglich kein anderes sein, als in den Konzilsdokumenten selbst:
Wenn also das Zweite Vatikanische Konzil aus dem Schatz der Überlieferung Altes und Neues hervorgeholt hat und seine Neuheit in diesen und anderen Elementen besteht, dann ist es offenkundig, dass auch der Kodex das charakteristische Merkmal der Treue in der Neuheit und der Neuheit in der Treue widerspiegeln und sich ihm in seinem Inhalt und seiner spezifischen Ausdrucksweise gemäß anpassen musste. 9
Die Rechtslage in den Jahren nach dem Konzil war von einer unbefriedigenden Mehrschichtigkeit gekennzeichnet gewesen. Einerseits galten die meisten Bestimmungen des CIC/1917 formell weiter fort. Eine Außerkraftsetzung hätte auch zu einer Fülle von Problemen geführt und willkürlichem Handeln mangels rechtlicher Vorgaben Tür und Tor geöffnet. Andererseits verlangten einige konziliare Entscheidungen aus sich heraus eine revidierte Rechtspraxis. Die Unübersichtlichkeit war der Anlass, dass die Bischöfe der ganzen Kirche die Promulgation des CIC «nicht nur gefordert, sondern geradezu dringend und ungeduldig verlangt haben.»10 Die Bischöfe der Weltkirche äußersten aber nicht nur ihren Unmut über die nachkonziliare Rechtslage. Sie waren auch intensiv in die konkreten Arbeiten der Revision einbezogen. Die Bischofskonferenzen sollten Anmerkungen zu den Schemata machen. Auch die kanonistischen Fakultäten wurden in den Konsultationsprozess intensiv eingebunden.
Die Inkraftsetzung des CIC schließlich war kein gesetzgeberischer Akt des Bischofskollegiums, sondern ein souveräner Akt des päpstlichen Primats.11 Gleichwohl betonte Johannes Paul II. mit Nachdruck, dass das Gesetzbuch als solches die Frucht der kollegialen Verantwortung des Weltepiskopats bildet. Dass die Arbeiten in einem ausgesprochen kollegialen Geist zu Ende geführt wurden, hatte, so Johannes Paul II. in SDL, nicht nur auf die äußere Redaktion12 des Werkes Einfluss, sondern gilt auch zutiefst für die Substanz des erarbeiteten Gesetzes selbst.
Mit der Promulgation des CIC ging die Zeit des «ius condendo» über in die Zeit des «ius applicando».13 Das Recht konnte und sollte wieder seinen Anspruch als pastorales Instrument erfüllen. Legistisch meisterlich beschließt der letzte Halbsatz des CIC in c. 1752 das Gesetzbuch, in dem weit über den konkreten Bereich des letzten Abschnitts hinaus festgehalten wird, dass für alles Handeln der Kirche unter der Beachtung der kanonischen Billigkeit das oberste Gesetz das Heil der Seelen sein muss. Die Beachtung kirchlichen Rechts ist daher immer mehr als sture Exekution von Rechtsnormen. Die kanonische Billigkeit (aequitas canonica) und vielfältige weitere Flexibilitätsinstrumente, die für das kirchliche Recht bestimmend sind,14 demaskieren jeden Versuch, Pastoral und Recht gegeneinander auszuspielen,15 als Unkenntnis jener einzelfallbezogenen Sensibilität, welche das Kirchenrecht von anderen Rechtsordnungen unterscheidet.
4. Johannes Paul II. und der CCEO
Die Umsetzung der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils als roter Faden der nachkonziliaren, von Johannes Paul II. mutig aufgegriffenen und fortgeführten Revision des kanonischen Rechts konnte mit der Promulgation des lateinischen CIC einen vorläufigen Höhepunkt erreichen. Um dieses rechtstheologische Anliegen voll zu verwirklichen, bedurfte es freilich auch noch einer Revision des Rechts der katholischen Ostkirchen.
Entgegen einer in der neuzeitlichen Kirchengeschichte oftmals theoretisch vertretenen und wohl noch öfter praktisch beanspruchten «praestantia ritus latini» hatte sich das Zweite Vatikanische Konzil für die Gleichheit an ekklesialer Würde jeder – heute so bezeichneten – eigenberechtigten Kirche (Ecclesia sui iuris) ausgesprochen. Die Zugehörigkeit zu einem «Ritus» übersteigt das rein liturgische Erbe. Der Begriff umfasst darüber hinaus theologische, spirituelle und auch rechtlich-disziplinäre Aspekte, sodass innerhalb der Kirche eine legitime Vielfalt herrscht, durch die sich erst die im Credo bekannte Katholizität der Kirche zu entfalten vermag.16
Angesichts der durch das Zweite Vatikanum proklamierten gleichen Würde jeder «Rituskirche» wirft die Idee eines für alle katholischen Ostkirchen gemeinsamen Gesetzbuches einige Fragen auf. Während der CIC/1917 lediglich für eine einzige «Rituskirche», nämlich die Ecclesia Latina, erarbeitet wurde, umfasst eine Kodifikation des Ostkirchenrechts eine große Gruppe äußerst inhomogener Kirchen. Nach der Kodifikation des CIC/1917 stieß Pius XI. die Erarbeitung eines eigenständigen Codex Iuris Canonici Orientalis an. Dieser CIC-O, so der methodische Zugang, sollte eine orientalische Anpassung des CIC sein, der als solcher in seiner Systematik nicht hinterfragt wurde.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil griff Paul VI. die ins Stocken geratene Kodifikation des orientalischen Rechts17 durch die Neuerrichtung der Revisionskommission für den orientalischen Kodex wieder auf. Deren Arbeiten konnten sich freilich nicht auf die Kodifikation der übrig gebliebenen Materien beschränken. Auch das orientalische Kirchenrecht musste nun in der ekklesiologischen Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils neu konzipiert werden, freilich mit dem Blick auf die Rechtsquellen des ersten Jahrtausends, die das gemeinsame Rechtserbe der Ostkirchen bilden. Die Berücksichtigung der disziplinären Vielfalt innerhalb der östlichen Riten verbot es, einen orientalischen Kodex nur als Anpassung des lateinischen CIC zu konzipieren. Geklärt werden musste neuerlich die Frage, ob es überhaupt ein allen orientalischen Kirchen gemeinsames Gesetzbuch geben kann oder ob nicht vielmehr zumindest für jeden orientalischen Ritus eine eigenständige Kodifikation notwendig wäre. Man entschied sich für einen einzigen Kodex. Dieser sollte jedoch weit mehr als der lateinische CIC rahmenrechtlich geprägt sein, sodass für das Eigenrecht der jeweiligen Kirchen ausreichend Raum zur Entfaltung sein sollte. Entgegen der am «Drei-Ämter-Schema» orientierten Einteilung des CIC in sieben Bücher sollte eine Einteilung in einzelne Titel erfolgen, sie sich mehr an die orientalische Rechtstradition anlehnte. In der Schlussphase der Revisionsarbeiten wurde bestimmt, dass das künftige Gesetzbuch den Titel Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) tragen sollte, womit jeder Eindruck, es handle sich um eine bloße Ergänzung des CIC vermieden werden sollte. Am 18. Oktober 1990 konnte der Papst schließlich mit der Apostolischen Konstitution Sacri Canones die Promulgation des CCEO anordnen.
Das gemeinsame Gesetzbuch der orientalischen Kirchen sollte, so der Papst in Sacri Canones, ein Ausdruck dafür sein, dass die Kirche «mit den zwei Lungenflügeln des Ostens und Westens atmet und mit einem Herzen, das gleichsam zwei Kammern hat, in der Liebe Christi glüht.»18
Mit dem CCEO krönte Johannes Paul II. nach dem CIC und nach der Reform der Römischen Kurie durch die Apostolische Konstitution Pastor Bonus 1988 seine legislative Tätigkeit.19
Die praktischen Erfahrungen, die in der Lateinischen Kirche mit dem CIC gesammelt werden konnten, flossen in den Text des CCEO ein. Im Vergleich mit seinem lateinischen Pendant lassen sich im CCEO einige wichtige terminologische Verbesserungen feststellen.
Eine besondere Verbindung zum Pontifikat Johannes Pauls II. besteht gewiss in der Tatsache, dass der CCEO im Gegensatz zum CIC mit dem Titel XVIII einen eigenständigen Abschnitt über die Ökumene enthält. Der innerkatholischen Ökumene ist durch eine Reihe von Bestimmungen geholfen, die Sachverhalte betreffen, die zugleich eine orientalische Kirche und die Lateinische Kirche betreffen und die mangels Bestimmungen im CIC dort wenigstens analog angewandt werden können.20
Der formale Geltungsbereich des CCEO erstreckt sich zwar nur auf die Angehörigen der orientalischen Ecclesiae sui iuris. Seine Bedeutung ist aber eine wahrhaft katholische. Eine Woche nach der Promulgation stellte Johannes Paul II. das Gesetzbuch auf der achten Vollversammlung der Bischofsynode 1990 feierlich vor. Er brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass es auch vom lateinischen Episkopat als Bestandteil des gemeinsamen Rechtserbes der Gesamtkirche aufgenommen werde, zu dem es in gleicher Weise wie der CIC gehöre.21
Während der CIC rein formal eine Zweitauflage eines bereits einmal erfolgreich zu Ende geführten Projekts war, betrat die Kirche mit der Promulgation des CCEO rechtliches Neuland. Auch wenn die jeweiligen Adressatenkreise differieren, bezeugt die gleichzeitige Geltung zweier päpstlicher Gesetzbücher innerhalb der communio Ecclesiarum, dass kirchliches Recht keine monolithische Größe ist. Zur Katholizität der Kirche gehört auch ein legitimer Rechtspluralismus.22 Was in der einen disziplinären Tradition gut und richtig, vor allem aber übereinstimmend mit dem katholischen Glauben ist, kann in der anderen Tradition zwar aus verschiedenen Gründen in den Hintergrund treten, nicht aber als rechts- oder gar glaubenswidrig diskreditiert werden. Die vielfachen interekklesialen Verflechtungen, die durch die großen Migrationsbewegungen auch tausender orientalischer Christen in Zukunft noch stärker die Partikularkirchen prägen werden, verlangen auch vom lateinischen Rechtsanwender zunehmend die Kenntnis des Ostkirchenrechts. Ganz unabhängig von systematischen Begründungen werden schon allein aus rechtssoziologischen Gründen die unterschiedlichen Rechtsordnungen einander immer mehr befruchten.
5. Abschließende Bemerkungen
Anstelle einer Zusammenfassung, die angesichts der kolossalen Bedeutung des Pontifikats Johannes Pauls II. für die geltende kirchliche Rechtsordnung ebenso wie die vorangehenden Gedanken nur fragmenthaft bleiben könnte, soll ein abschließender Blick in die erste Ansprache an den Dekan und die Mitglieder der Römischen Rota geworfen werden. Diese Reden zur Eröffnung des Gerichtsjahres des höchsten ordentlichen Gerichts der katholischen Kirche sind von besonderer Bedeutung, um das Verhältnis eines Papstes zu Grundfragen des Kirchenrechts zu verstehen. Die erste Ansprache eines Pontifikats ragt dabei als programmatische Rede noch einmal besonders hervor. Im Zentrum der 27 Jahre, in denen der Papst aus Polen die katholische Gesamtkirche geleitet hat, stand das Bemühen, die Kirche in der Spur, die das Zweite Vatikanische Konzil in seinen Dokumenten vorgegeben hatte, über die Schwelle der dritten Jahrtausendwende christlicher Zeitrechnung zu führen. Diesem Auftrag ist Karol Wojtyła bis in die Jahre seines öffentlichen Leidens treu geblieben.
Realistisch bemerkt der Papst, dass die kirchliche Rechtsordnung wie jedes andere menschliche Rechtssystem unvollkommen ist. Zentrale normative Begriffe wie «Gesetz», «Urteil» und «Gerechtigkeit» finden gemäß der kirchlichen Erfahrung aber eine überpositive Verwurzelung. Ihr Archetyp ist die Gerechtigkeit Gottes, die als Ziel zu erreichen ist.23
Die Kirche sieht sich berufen, die unveräußerlichen Menschenrechte, die in der Würde der Person wurzeln, immer und überall zu verteidigen. Dieser Einsatz verpflichtet sie, selbst ein Spiegel der Gerechtigkeit (speculum iusititiae) für die Welt zu sein24, was nicht ohne Konsequenzen für die Interpretation und Anwendung des Rechts in der kirchlichen Gemeinschaft bleiben kann.
Der Schutz der grundlegenden Rechte des Individuums und die Bewahrung der Einheit der kirchlichen Gemeinschaft sind die beiden Brennpunkte, die es unter dem Aspekt dieser immer höheren Gerechtigkeit auszugleichen gilt. Die getaufte menschliche Person darf sich nicht in einem bezugslosen Autonomismus verlieren, sondern findet in der Gemeinschaft mit den anderen Glaubenden ihre Bestimmung. Gleichzeitig kann und darf sich in der Kirche, die berufen ist, die Transzendenz der menschliche Person zu hüten, das Kollektiv im Konfliktfall nicht an die Stelle des Individuums setzen. Diese Spannung auszuhalten und möglichst gut auszugleichen ist, so die programmatische und bleibend gültige Ansage Johannes Pauls II., die immer noch aktuelle Herausforderung all jener, die sich um eine kirchliche Rechtskultur bemühen.