Eine bereits vom Umfang her herausragende Veröffentlichung des Frühjahrs 2021 ist die Christliche Umweltethik (784 S.) des Münchener Sozialethikers Markus Vogt. Dieses «opus magnum», an dem der Verfasser nach eigenen Angaben zehn Jahre lang gearbeitet hat, erscheint mitten in der alle Menschen betreffenden Coronapandemie. Innerkirchlich steht darüber hinaus in Deutschland der synodale Weg, der als Folge des Missbrauchsskandals von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee initiiert wurde, im Blickpunkt.
Papst Franziskus, dem das Buch gewidmet ist, hat durch die 2015 erschienene Enzyklika Laudato Si (LS) «dem Umweltthema als Frage der Gerechtigkeit und der Gottesbeziehung eine weltweit hörbare Stimme gegeben.» (19) Mit dem sozialethisch zentralen Begriff der Gerechtigkeit und dem theologischen – der Gottesbeziehung – ist gleichsam der Grundakkord vorgegeben, der das gesamte Werk durchzieht. «Umweltethik […] wird hier verstanden als normative Reflexion der ökologischen Herausforderungen in ihren individuellen und institutionellen Zusammenhängen einschließlich komplexer Abwägungen mit widerstreitenden sozioökonomischen Interessen.» (22) Die christliche Perspektive erweist sich dabei als Sinnhorizont, weil in religiösen Fragen Themen des guten und richtigen Lebens angesprochen werden. Dabei werden Widerstände, die sich bei der Umsetzung ergeben, nicht ausgespart. Der Mensch wird «als Teil der Natur mit fließenden Übergängen der Entwicklung» gedacht, «ohne dabei seine einmalige Verantwortung als sittliches Subjekt unsachgemäß einzuebnen.» (24) In der Umweltethik wird von daher eine existentielle Dimension des Menschseins sichtbar, die sich aus dem Dasein in «ökologischen Räumen und Relationen» (30) ergibt. Vogt knüpft an seine Habilitationsschrift «Prinzip Nachhaltigkeit» (2009, 32013) an, weist aber zugleich darauf hin, dass neben anderem neue Leitbegriffe wie Anthropozän und Ressourcengerechtigkeit dazugekommen sind. Seine Umweltethik sieht Vogt als «Entfaltung und Interpretation» von LS. «Entscheidend ist, dass dabei die Kirche nicht bloß als ‹Moralagentur› für ökologische Imperative begriffen wird, sondern neue Kontexte und Formen der Gottesfrage selbst in den Blick kommen.» (32)
Im Rahmen dieser Buchempfehlung können nur wenige Gesichtspunkte angesprochen und auch nicht ausführlich entfaltet werden. Und diese Auswahl ist selbstverständlich subjektiv geprägt. Zugleich soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Christliche Umweltethik als Ganze sehr lesenswert ist und eine Lektüre sich auch dann lohnt, wenn man sich nur einen Abschnitt vornimmt. Insofern trägt der Band enzyklopädischen Charakter.
Teil I «Methodische, empirische und gesellschaftstheoretische Grundfragen» (37–183) sieht in der Christlichen Umweltethik «Glaube, Hoffnung und Liebe als Grund des Sittlichen, der nicht rational ableitbar ist, sondern vielmehr das Subjektsein des Menschen und damit auch die Möglichkeit rationaler Ethik stärkt und erfahrbar macht und dem Handeln eine neue Intentionalität verleiht.» (61) Vogt plädiert dafür, den Naturbegriff, der in der Umweltethik weitgehend verschwunden ist, als vom theologischen Verständnis der Schöpfung zu unterscheidenden Begriff einzubringen. «Indem (die Idee der Schöpfung) Natur nicht einfach als die allumfassende Ganzheit deutet, sondern etwas anderes als Natur kennt, schafft sie eine sprachlogische Voraussetzung dafür, sich einen Begriff von Natur zu bilden […].» (74) Zu den neuen Leitbegriffen wird – wie erwähnt – der Anthropozän gezählt. Der Mensch hat tief in das Lebenssystem des Planeten eingegriffen und diesen verändert. Mit diesen Eingriffen steht die Existenz der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel. Verantwortungsappelle an Einzelne sind unzureichend und können überfordern. Vogt plädiert deshalb dafür, einen dem Humanismus verpflichteten Ansatz mit einer empathischen Beziehung zu Natur und Kultur zu fördern, der tugendethische Elemente enthält. Hier spielt die «Compassion» im Sinne des Mitleidens mit der Schöpfung und mit Notleidenden eine Rolle. Mit der Enzyklika Spe Salvi von Benedikt XVI. (2007) weist Vogt auf die aktive Hoffnung des christlichen Glaubens hin, die zugleich weltveränderndes Potential in sich birgt.
Der II. Teil «Theologische und kirchenamtliche Zugänge» (185–289) beginnt mit den biblisch zentralen Texten von Gen 1 und 2. Die darin enthaltene Gottesbeziehung «mit ihrem universalen Anspruch und ihrer vertrauensvollen Zuwendung zum Leben» gilt als «theologisch zentral.» (203) Vier Leitbegriffe einer schöpfungstheologischen Umweltethik werden benannt: Gottesebenbildlichkeit, Mitgeschöpflichkeit, Ehrfurcht und Ökonomie der Gabe. (211/212) Vogt konstatiert, dass trotz einiger vorausgehender Impulse die Umweltfrage «bis 2015 kein systematisches Grundelement der katholischen Soziallehre» (225) war. Allerdings haben verschiedene Bischofskonferenzen vor allem den Klimawandel und den mangelnden Zugang zum Wasser schon länger thematisiert. Das gilt besonders für die Deutsche Bischofskonferenz. Insgesamt aber gilt: «Die katholische Kirche ist eher Nachzüglerin als Vorreiterin in der Umweltdebatte.» (234) Zwei zentrale Schlüsselbegriffe der umweltethischen Debatte, nämlich Nachhaltigkeit und Klimawandel, sind erst 2015 mit LS in die päpstliche Lehrverkündigung aufgenommen worden. Ohne eine institutionelle Verankerung auf universalkirchlicher Ebene und ohne eine Vernetzung mit dem interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs wird die Enzyklika weitgehend folgenlos bleiben. Vogt hebt die Bedeutung des Dialogs in LS hervor – ökumenisch und interreligiös. Der analytische Teil von LS ist zupackender als die Handlungsempfehlungen am Schluss, die stärker von einer «Verknüpfung lateinamerikanischer und franziskanischer Spiritualität» (245) geprägt sind. Klima wird im Sinne der katholischen Soziallehre als Gemeingut verstanden, und von daher werden die damit verbundenen Belastungen wie die Wasserknappheit und die Ernährungskrise als Herausforderungen für ein globales Gemeinwohl verstanden. Hier gilt es auch, die Menschen, die aufgrund klimatischer Veränderungen fliehen müssen, als Flüchtlinge im völkerrechtlichen Sinn anzuerkennen. (vgl. LS 25) Vogt vermisst, dass der Begriff der Nachhaltigkeit in LS nicht systematisch entfaltet wird. «Eine solche systematische Integration von Nachhaltigkeit in den Reigen der Sozialprinzipien der katholischen Soziallehre hätte den in der Enzyklika normativ überladenen Ökologiebegriff entlasten können.» (255) Der zweite Teil schließt mit interreligiösen und ökumenischen Perspektiven und betont, dass Glaubenssysteme nicht für ökologische Zwecke instrumentalisiert werden dürfen. Etwas anderes ist es, wenn sich «von innen heraus» ein solcher ethischer Anspruch ergibt. (vgl. 284/285)
Teil III «Ethisch-systematische Zugänge» (202–505) beginnt mit der Unterscheidung von Deskription und Präskription, wobei nicht nur vor einem naturalistischen, sondern auch normativistischen Fehlschluss gewarnt wird. «Vor dem Hintergrund dieser normtheoretischen Reflexionen wird eine ökologische Relektüre des Naturrechts als hermeneutischer Rahmen für die Zuordnung von Empirie und Ethik vorgeschlagen.» (293) Vogt widerspricht der Auffassung, dass Ethik ohne die normative Bezugnahme auf die Natur angesichts komplexer Entscheidungssituationen möglich sei. «Es gilt zu realisieren, dass die Natur, bzw. das, was wir von ihr kulturell wahrnehmen und empirisch erforschen, das Gute und Gerechte zwar nicht vorgibt, sehr wohl jedoch Grenzen, Bedingungsgefüge und strukturierte Möglichkeitsräume, die unbeliebig sind.» (312) Von daher wendet sich Vogt gegen diejenigen, die den Realitätsgehalt unbequemer Folgen des Klimawandels anzweifeln. Vor dem Ausblenden unangenehmer Wahrheiten sind auch Christen nicht gefeit. Dem wird ein christlicher Realismus gegenübergestellt, der in der Kreuzestheologie seinen Bezugspunkt hat und im Schöpfungsglauben verankert ist. Ethisch gewendet heißt dies: «Wenn man unter ‹Naturrecht› die Reflexion darüber versteht, in welcher Form naturale Bedingungsfaktoren in die ethische Urteilsbildung eingehen, kann man die christliche Umweltethik diesem zurechnen.» (320) Die Verbindung des Naturrechts zu den Menschenrechten wird dadurch sichtbar, dass Vogt vorschlägt, die ökologischen Voraussetzungen für die Realisierung der Menschenrechte «als eine neue, vierte Dimension der Menschenrechte zu bezeichnen.» (348)
Neben dem Anthropozän wurde die Ressourcengerechtigkeit als zweiter neuer Leitbegriff der letzten Jahre genannt. «Globale Ressourcengerechtigkeit im Anspruch gelebter Menschenwürde ist heute eines der zentralen Bewährungsfelder für die christliche Option für die Armen.» (354) Dazu gehört die Armutsbekämpfung im Sinne globaler Solidarität. Grundlegende Menschenrechte sind heute von ökologischen Voraussetzungen wie Wasser oder Böden abhängig, die durch Wasserknappheit und Bodenerosionen gefährdet sind. Man spricht von Ressourcenfluch, wenn Arme von Gebieten vertrieben werden, die besonders rohstoffreich sind, und sie oft unter den mit Gewalt ausgetragenen Konflikten um diese Rohstoffe leiden. (vgl. 377) Gerade der Zugang zu den wichtigsten Rohstoffen und zur Energie ist auch für die intergenerationelle Gerechtigkeit elementar.
Den vielfältigen Informationen in der Umweltethik korrespondiert gleichzeitig eine Unsicherheit im ethischen Handeln, da die ethischen Maßstäbe nicht in gleicher Schnelligkeit erworben werden können. «Das Wissen um das eigene Nichtwissen ist eine entscheidende Tugend für das Handeln unter unsicheren Bedingungen.» (421) Gerade unter diesen Bedingungen kommt der existentiellen Entscheidung des Einzelnen eine zentrale Bedeutung zu. Vogt geht dann auf den Resilienzbegriff ein, der in verschiedenen Wissenschaften einen unterschiedlichen Gebrauch erfährt, und konkretisiert ihn dann im Blick auf die Umweltethik. Gerade hier zeigt sich die Resilienz als «kontextabhängiges Phänomen.» (441)
Als ein weiteres wichtiges Thema, das in den letzten Jahren intensiv bearbeitet worden ist, behandelt Vogt die Tierethik mit der Einschätzung, dass die christliche Umweltethik hier einen Nachholbedarf und Spezifisches einzubringen hat, «da sich ihr schöpfungstheologischer Zugang deutlich von den dominierenden präferenzutilitaristischen Ansätzen unterscheidet.» (447) Teil III schließt mit der Perspektive der Nachhaltigkeit, die mit dem Schöpfungsglauben verbunden einer Übersetzung in «ordnungsethische Kategorien» bedarf, «um politikfähig und justiziabel zu werden und die konkreten Konsequenzen in den organisatorischen Strukturen und wirtschaftlichen Entscheidungen deutlich zu machen.» (502/503)
Teil IV befasst sich mit «Ausgewählte(n) Handlungsfelder(n).» (507–703) Nicht alle können hier aufgeführt werden. Genannt seien die Nachhaltigkeitsziele der UNO (Sustainable Development Goals), die Vogt zu LS in Beziehung setzt und Übereinstimmung und Unterschiede feststellt. «Indem die SDGs [Nachhaltigkeitsziele der UNO, Anm. H. S.] die globalen Grenzen vernachlässigen, legitimieren sie indirekt das industrielle Wachstumsmodell. Nicht so der Papst: Er spricht von ökologischen und sozialen Grenzen, macht das industrielle Wachstumsmodell und die expansive Moderne für zahlreiche Fehlentwicklungen verantwortlich.» (516)
Bei der Grünen Gentechnik erwähnt Vogt die Bedenken kirchlicher Gruppierungen wie Landjugend, Diözesanräte und andere, die auf die sozialen Auswirkungen dieser Technologie im weltweiten Zusammenhang hinweisen. Daraus ergibt sich als sozialethisches Kriterium: «Grüne Gentechnik darf nicht zur Verstärkung einseitiger Machtstrukturen und Exklusionen der Armen führen, wozu sie allerdings aufgrund der Kapitalintensität neigt. Ihr Einsatz muss mit einem aktiven Einsatz für Kleinbauern verknüpft werden.» (584) Unter den Leitbegriffen von Verantwortung und Gerechtigkeit diskutiert Vogt die Grüne Gentechnik.
Unter den kirchlichen Stellungnahmen überwiegen die kritischen zur Grünen Gentechnik. Das gilt katholischer- wie evangelischerseits. Andererseits gibt es zustimmende Beiträge wie das Kompendium der Soziallehre der Kirche, das vom päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden (2004) herausgegeben wurde. Interessant ist, dass Diözesen in Deutschland, die über landwirtschaftliche Flächen verfügen, bisher keine Genehmigung für den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen erteilt haben. Insgesamt gilt für die Grüne Gentechnik, dass mit den damit verbundenen Chancen zugleich Gefährdungen verbunden sind. Das Hauptproblem scheint derzeit darin zu liegen, dass durch sie kritikwürdige Strukturen der Agrarpolitik verstärkt werden.
Heute ist es selbstverständlich, die Bevölkerungsentwicklung im Rahmen der Umweltethik anzusprechen. Früher wurde sie im sexualethischen Kontext thematisiert. «Die Hoffnung, dass eine Hebung des Pro-Kopf-Einkommens automatisch zu einer Senkung der Geburtenrate führt, hat sich nicht bestätigt. Maßgeblich ist vielmehr eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren, die sich recht gut in das Spektrum nachhaltiger Entwicklung einfügen. Insbesondere die Armutsüberwindung hat eine Schlüsselfunktion.» (628) Bei den Methoden der Geburtenkontrolle ist eine Kombination von sozial und kulturell angemessenen Verhütungsmethoden in Verbindung mit Maßnahmen zur Gesundheitsfürsorge wichtig. Die Bedeutung der Orden und Hilfswerke gerade über Bildung und Förderung von Frauen stellen einen wichtigen Beitrag zu einer verantwortlichen Bevölkerungsentwicklung dar.
Differenziert geht Vogt auf die Konsumethik ein und setzt sich u. a. mit der Konsumkritik der katholischen Soziallehre auseinander. Seit der Enzyklika Populorum Progressio (1967) über Sollicitudo Rei Socialis (1987) und Centesimus Annus (1991) äußern sich die Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. sehr besorgt. In Caritas in Veritate (2009) betont Benedikt XVI. die soziale Verantwortung des Einzelnen wie der Unternehmen. (vgl. CV 66) LS «hebt den Zusammenhang von Konsumismus und einer verantwortungslosen ‹Wegwerfkultur› hervor, die im Gegensatz zu den Prinzipien der Natur stehe und grundlegende Probleme globaler Gerechtigkeit aufwerfe.» (vgl. LS 27) In ähnliche Richtung weisen ökumenische Verlautbarungen und Texte kirchlicher Verbände und Bildungseinrichtungen, wobei die Gefahr besteht, dass sie auf Grund ihrer tugendethischen Ausrichtung wirkungslos bleiben und die notwendigen strukturpolitischen Rahmenbedingungen, an denen zu arbeiten ist, zu wenig Beachtung finden. Vogt schließt dieses Kapitel mit dem Hinweis auf den nachhaltigen Lebensstil von Christen und Christinnen, die durch das Leben von Heiligen wie Franziskus, Hildegard von Bingen und anderen inspiriert sind.
Das letzte Kapitel ist der «Bildung für nachhaltige Entwicklung im Anspruch des christlichen Humanismus» gewidmet. «Sozialethisch ist Bildung vor allem eine Frage der Beteiligungsgerechtigkeit und der kulturellen Teilhabe.» (677) Dies hat Auswirkungen auf die Bildungspädagogik, bei der es darum geht, moralische Themen zum Gegenstand kommunikativer Prozesse zu machen. (vgl. 693) Und dabei geht es der Bildung für nachhaltige Entwicklung «um eine Neuvermessung der höchst fragil gewordenen Mensch-Naturverhältnisse.» (703)
Die Christliche Umweltethik von Markus Vogt ist überaus informativ und in ihren Schlussfolgerungen und Urteilen fundiert begründet. Sie zeigt, welche Vielfalt thematischer und methodischer Art bei der Behandlung der «Grundlagen und zentralen Herausforderungen» aus der Sicht Christlicher Sozialethik notwendig und hilfreich ist. Zugleich erinnert sie an die Bedeutung der kirchlichen Sozialverkündigung als ein Teil der Christlichen Sozialethik, die sich vor allem in den lehramtlichen Äußerungen der Päpste artikuliert hat. Hier kommt bei der Umweltethik der Enzyklika Laudato Si (2015) von Papst Franziskus besonderes Gewicht zu. Und: die Lektüre hat mich immer wieder vor die Frage gestellt, wie es um meinen eigenen Lebensstil steht.
Die Umweltethik muss trotz der eingangs erwähnten krisenhaften Erscheinungen – seien sie durch Corona bedingt oder innerkirchlich – wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken.