An der Schwelle zum 50. Jahr ihres Bestehens widmet sich die vorliegende Ausgabe der Zeitschrift Communio der Theologie von Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Als Gründungsherausgeber hat er sich wiederholt zum Programm der Communio geäußert und die Geschichte der Entstehung der Zeitschrift dargelegt.1 Noch im Oktober 2012 hat er als Papst zum 40jährigen Jubiläum der Zeitschrift seine Verbundenheit mit der Communio in einem Geleitbrief zum Ausdruck gebracht. Die Idee zur Gründung der Zeitschrift erwuchs Ende der 1960er Jahre in Gesprächen der Internationalen Theologischen Kommission vor allem zwischen deutschen und französischen Mitgliedern heran. In der Zeit der postkonziliaren Orientierungskrise sollte ein internationales Organ der «lebendigen Aneignung der Hinterlassenschaft des II. Vatikanischen Konzils» dienen. Statt unter Berufung auf den Geist des Konzils über die Buchstaben der Dokumente flugs hinauszugehen, sollten die Reformimpulse des II. Vatikanums für die Kirche orientierend und mit wachem Gespür für die Zeit zur Geltung gebracht werden. Kein Traditionalismus oder Lehramtspositivismus also, aber auch keine Avantgarde-Theologie, die im Namen der Zukunftsfähigkeit von Kirche maßgebliche Orientierungen der Tradition abstreift und in ihrem Bedürfnis «anzukommen» unfreiwillig zur blassen Dublette gesellschaftlicher Trends degeneriert. Dabei verzichtete man auf ein zentralistisches Konzept. Statt wie die Zeitschrift Concilium in allen Sprachen identische Hefte zu publizieren, entschied man sich dafür, dass die vereinbarten Themen von den jeweiligen Communio-Editionen in ihren Sprach- und Kulturräumen eine je angepasste Fassung erhalten sollten. Vielfalt in der Einheit als Ausweis katholischer Weite.
Für die deutsche Edition waren im Bereich der Theologie namhafte Stimmen wie Hans Urs von Balthasar, Karl Lehmann und Joseph Ratzinger prägend – später kam Walter Kasper hinzu, um den Dialog zwischen Kirche und Moderne zu fördern. Laien wie der Journalist Maximilian Greiner, der Bayrische Kultusminister und Politologe Hans Maier, aber auch der Psychologe Albert Görres und der Begründer des Rheinischen Merkurs Otto B. Roegele bestimmten das Profil der Zeitschrift mit. Die Sinngehalte des Glaubens, wie sie im apostolischen Glaubensbekenntnis niedergelegt sind, ins Gespräch mit der Gegenwartskultur zu bringen, und dies auf ebenso anspruchsvolle wie ansprechende Weise zu tun, das war und ist bis heute das Anliegen der Zeitschrift. Treibendes Motiv war, so Benedikt XVI. in seinem Grußwort, «die Leidenschaft für den Glauben, der unter Moralismen und intellektuellen Abenteuern verschüttet zu werden drohte.»2 Dabei war durchaus klar, dass die Fragen des Unglaubens nicht einfach draußen gehalten werden können, dass sie vielmehr heute durch den Gläubigen selbst hindurchgehen. Die Aufgabe bestand und besteht darin, durch das Purgatorium der Kritik anderer zu einem tieferen Verständnis des Eigenen durchzudringen.3
Im Sinne eines ressourcement ruft das vorliegende Heft einige Grundimpulse der Theologie Joseph Ratzingers in Erinnerung, ohne Vollständigkeit anzustreben. Der Regensburger Patrologe Andreas Merkt geht dem Einfluss der Kirchenväter, insbesondere des hl. Augustinus, im Denken Joseph Ratzingers nach. Durch die biblisch-patristische Fundierung seiner Theologie, aber auch die intensive Beschäftigung mit der Offenbarungs- und Geschichtstheologie Bonaventuras bringt der junge Ratzinger einen erweiterten Traditionsbegriff gegen die verengte neuscholastische Schultheologie ein. Das qualifiziert ihn als theologischen Berater von Joseph Kardinal Frings, der seine Stimme beim Ringen um ein erneuertes Verständnis von Offenbarung und Kirche auf dem Konzil produktiv einbringen kann. Implizit wendet sich Ratzinger durch die biblisch-patristische Grundausrichtung seiner Theologie auch gegen Stimmen, welche das polyphone Erbe der Kirchenväter und der scholastischen Theologie unter Berufung auf Kant und den deutschen Idealismus als «vorkritisch» beiseiteschieben. Die Karlsruher Theologin Ursula Schumacher wendet sich sodann den religionstheologischen Beiträgen Ratzingers zu, die den christlichen Wahrheitsanspruch in einer religiös plural gewordenen Moderne zu plausibilisieren versuchen. Unter dem Titel Der Logos als Herz der Kulturen wird die These von einem adventlichen Warten der Kulturen auf die je größere Wahrheit näher beleuchtet, die in Jesus Christus Gesicht und Stimme erhalten, ja Person geworden ist. Das Paschamysterium Jesu Christi bildet auch die Mitte der Liturgie, die Ursprung und Quelle kirchlichen Lebens ist. Hier kommt der auferweckte Gekreuzigte je neu in Wort und Sakrament nahe. Eckhard Nordhofen zeigt, dass die Liturgietheologie Ratzingers von einem wachen Sensorium für das Mysterium geprägt ist, das bekanntlich nie menschengemacht, sondern immer Geschenk des nahekommenden Heiligen selbst ist. Die anarchische Kraft des biblischen Monotheismus verdeutlicht er an den Motiven des Zeltes und der Wolke, Formen der transitorischen Gegenwart der Herrlichkeit des Herrn, die sich zeigt und zugleich verbirgt, weshalb sie sich nicht fassen oder fixieren lässt. Der transfunktionalistische Zug der Liturgie verbietet es, sie für bestimmte Interessen in Dienst zu nehmen oder ihre gewachsenen Formen eigenmächtig zu ändern. Der bislang nur wenig beachteten Theologie des Gebets bei Joseph Ratzinger geht die Wiener Theologin Marianne Schlosser nach. Die wissenschaftliche Rede von und über Gott droht ja zum akademischen Glasperlenspiel zu werden, wenn sie nicht an den stammelnden Versuch der persönlichen Rede zu und mit Gott rückgebunden ist, für die die Psalmen im Stundengebet der Kirche eine wunderbar vielstimmige Partitur anbieten. Die heute hier und da verbreitete Polemik gegen die «kniende Theologie» ist ebenso unfruchtbar wie der Generalverdacht gegenüber der universitären «Schreibtischtheologie», sie setze im interdisziplinären Gespräch allzu anpassungsbeflissen das Proprium des Glaubens aufs Spiel und trage so zur eigenen Selbstsäkularisierung bei. Das Gebet ist unbestritten eine Quelle wissenschaftlicher Theologie, wie Augustinus, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin oder John Henry Newman zeigen, umgekehrt droht eine Frömmigkeit, die sich der theologischen Reflexion widersetzt, in affektive und geistlich unkontrollierte Sonderwelten abzudriften. Beides je neu zusammenzubinden, ist eine wichtige Aufgabe der Theologie, die ihre Teilnehmerperspektive einbringt und sich der konfessorischen Dimension nicht schämt. Die Bedeutung von Gebet und Liturgie wird in den Traditionen der Ostkirchen besonders sorgsam gepflegt. Michaela C. Hastetter geht der ökumenischen Hermeneutik nach, die Joseph Ratzinger vor allem im katholisch-orthodoxen Gespräch entwickelt hat. Die Einheit sei nicht einfach machbar, das ist sein Vorbehalt gegenüber einer Basisökumene, die die konfessionellen Differenzen überspringt und die Wahrheitsfrage pragmatisch einklammert; umgekehrt sei die Trennung nicht einfach hinzunehmen oder gar als gottgewollt zu fixieren, das ist sein Vorbehalt gegenüber einer konfessionalistischen Abgrenzungshermeneutik. Dazwischen bahnt sich Ratzingers eigene ökumenische Hermeneutik, die das polemische Gift des Konfessionalismus hinter sich lässt und behutsam Gemeinsamkeiten auslotet, ihren Weg und weist gerade wegen der Hochschätzung der Heiligen Schrift und der Kirchenväter große Übereinstimmungen mit der «neo-patristischen Synthese» des orthodoxen Theologen Georgi Florowski auf, wie Hastetter zeigen kann.
Die Transformationsprozesse der westlichen Gesellschaften und ihre Ambivalenzen hat der pointierte Stilist und Zeitdiagnostiker Ratzinger in diversen Essays immer wieder in den Blick genommen. Hier kommen historische, politische, aber auch ethische Grundlagenfragen ins Spiel. Man muss ihn mitunter gegen manche seiner Liebhaber verteidigen, die seine Formel von der «Diktatur des Relativismus» fast papageienhaft nachbeten, ohne die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit der Moderne näher zu beachten, die sich in seinem Werk auch findet. So wird etwa in der Enzyklika Spe salvi (2007) nicht nur auf die Ambivalenz des Fortschritts verwiesen und eine Selbstkritik der Neuzeit im Dialog mit dem Christentum anempfohlen. Vielmehr wird im Sinne einer wechselseitigen Lernbereitschaft von Glaube und moderner Vernunft auch eine Selbstkritik des neuzeitlichen Christentums gefordert. Die heilsindividualistische Verkürzung der christlichen Hoffnung – «Rette deine Seele» – und kirchliche Jenseitsvertröstung seien in der Tat defizitär gewesen. Die Religionskritik der Neuzeit habe dazu beigetragen, in der Theologie den universalen Horizont der christlichen Heilshoffnung neu zu bedenken und eine praktische Bewährung des Glaubens im Einsatz für die Gesellschaft anzumahnen.
Die Passauer Politologin Barbara Zehnpfennig unterzieht Joseph Ratzingers Buch Werte in Zeiten des Umbruchs einer aktualisierenden Relektüre und zeigt, wie das «Unbehagen an der Immanenz» sich Ausdruck verschafft in einem Plädoyer für das Absolute, in dessen Licht die Veränderungen moderner Gesellschaften wach und kritisch beobachtet werden. Vor allem das Votum für eine Ökologie des Menschen, welche die unbedingte Schutzwürdigkeit menschlicher Personen am Anfang und am Ende des Lebens herausstellt, verdient weitere Beachtung. Die ästhetische Dimension des Christentums, die im Werk Joseph Ratzingers, aber auch in den Enzykliken Benedikts XVI. vielfältige Spuren hinterlassen hat, kommt schließlich in einer Miniatur der Berliner Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff zum Tragen. Sie stimmt ein Lob der Schönheit an – eine Kategorie, die im Christentum eine eigentümliche Brechung erfährt, da in den Wunden des Gekreuzigten die eigentliche Schönheit der den Verlorenen nachgehenden passio caritatis aufleuchtet.