Museum Kirche? Zum Verhältnis zwischen Christentum und Kunst heute

Das Verhältnis zwischen Kunst und Kirche war im Lauf der Geschichte von Nähe und Distanz geprägt. Die frühe Kirche hielt Abstand und griff die künstlerischen Errungenschaften ihres Umfelds vor allem aus apologetischen Gründen auf. Mit der Konstantinischen Wende begann jedoch ein äußerst erfolgreicher «Eingliederungsprozess», der die Kirche im Mittelalter zur alleinigen Kulturträgerin aufsteigen ließ. Mit der schrittweisen Herausbildung einer säkularen Kultur seit der frühen Neuzeit trennten sich die Wege wieder, bis die vielschichtigen Verbindungen am Beginn der Moderne endgültig abbrachen. Das Zweite Vatikanum (1962–1965) versuchte, die seit der Aufklärung bestehenden Trennungslinien zwischen kirchlich-katholischer und weltlich-moderner Kultur, wie sie von beiden Seiten gezogen wurden, langsam aufzuheben und neue Weg in der Verständigung beider einzuschlagen.1

Um in das Heftthema einzuführen, lohnt ein Blick auf den im 19. Jahrhundert wiederbelebten und überwiegend innerkirchlich verwendeten Terminus «sakrale Kunst», der wie kein anderer die Problematik des gesamten Themenfelds widerspiegelt. Noch am Beginn des Zweiten Vatikanums sieht sich die Kirche in der Rolle der «Schiedsrichterin», die über Wert und Würde von Kunst urteilt und zugleich entscheidet, welche Werke «für den Dienst im Heiligtum» geeignet sind (SC 122).2 Damit bestätigt die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium zunächst noch die einseitige Indienstnahme der Kunst zum Zweck der Glaubensverkündigung. Freiheit gesteht sie der Kunst nur dann zu, wenn sie unmittelbar der Liturgie dient. Deshalb wird Kapitel VII über die sakrale Kunst (SC 122–130) heute als überholt eingestuft, da es noch von einem kirchlichen Selbstverständnis ausgeht, das mit dem partnerschaftlichen der späteren Dokumente wenig gemein hat. Der Titel des Kapitels («Die sakrale Kunst. Liturgisches Gerät u. Gewand») zeigt zudem an, dass die Kunst als «Gebrauchskunst» gesehen wird und daher keine Selbstständigkeit beanspruchen kann.3 Nichtsdestotrotz betont SC 123, dass die Kirche niemals einen spezifischen Stil als ihren eigenen betrachtete und sich stets den Anforderungen der jeweiligen Völker und der jeweiligen Zeit öffnete. Dieses Plädoyer für Zeitgenossenschaft und die Legitimität unterschiedlicher Kunststile lässt dennoch auf eine erste Öffnung schließen, verlangte doch der CIC/1917 noch, dass die gewohnten Formen der christlichen Tradition unbedingt beizubehalten sind (can. 1164 § 1).

Erst mit der Pastoralkonstitution Gaudium et spes vollzieht die Kirche eine dialogische Öffnung zur Gegenwartskunst (GS 53–62). Sie gesteht der modernen Kunst, der Musik und auch der Literatur eine ästhetische Autonomie zu und legt der Theologie ein Gespräch auf Augenhöhe nahe: «Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; … So dienen sie der Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen.» (GS 62). Die Kunst wird damit endgültig aus dem Status einer ancilla theologiae entlassen und zur autonomen Vermittlungsinstanz zwischen heutiger Welt und Kirche erhoben. Gaudium et spes misst der Kunst eine zuvor nicht gekannte pastorale Autorität zu, weil sich in ihr «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute» (GS 1) ausdrücken. In der heute noch aktuellen Ansprache an die Künstler u. Publizisten am 19.11.1980 in München weitet Papst Johannes Paul II. die Bestimmungen von «Gaudium et spes» noch weiter aus: Die Kirche braucht die Kunst, weil sie die Situation und den Fragehorizont der heutigen Menschen ausdrückt. Ohne sie ist ein Heutigwerden (Aggiornamento) des christlichen Glaubens nicht mehr möglich.4 Damit wurde das traditionelle Modell der Subordination endgültig überwunden und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe eingefordert. Der Begriff «sakrale Kunst» wird in den päpstlichen Ansprachen aus gutem Grund nicht mehr verwendet.

Das aktuelle Heft der communio greift die von Johannes Paul II. vor über vierzig Jahren in München formulierte – aber immer noch vernachlässigte – Einladung auf, die religiöse Tiefendimension der Gegenwartskunst neu zu entdecken. Am Beginn stehen zwei Grundsatzbeiträge, die aus katholischer wie evangelischer Perspektive das heutige Verhältnis von Kirche und Kunst beleuchten. Johannes Rauchenberger (Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz/Österreich) reflektiert nicht nur theoretisch über das Verhältnis von Theologie und Kunst, als profilierter Ausstellungsmacher gibt er einen unmittelbaren Einblick, wie der Dialog heute geführt wird. Mit Verweis auf das Erbe Alex Stocks und Gerhard Larchers appelliert er an die (akademische) Theologie, das Interesse für zeitgenössische Kunstformen zu steigern, da die Kunst immer noch oder schon wieder ein produktives Interesse an der Religion hat. Als archimedischen Punkt, an dem sich beide Größen treffen, nennt er den «missbrauchten, liebenden, leidenden, vielleicht auch verklärten Körper». Damit ist für ihn die doppelte Aufgabe verbunden, die sich paradigmatisch auf das gesamte Themenfeld ausweiten lässt: Der Begegnung beider Größen setzt die Selbstvergewisserung der eigenen Tradition (z.B. christliche Körperauffassung) voraus. Nur dann kann die Theologie offen auf die Kunst zugehen und auf die dort verhandelten Diskurse adäquat reagieren. Johann Hinrich Claussen (Leiter des Kulturbüros der Evangelischen Kirche in Deutschland) stellt in seinem Beitrag nicht nur aktuelle Bezüge zur Corona-Situation her, mit seiner kritischen Relektüre der EKD-Denkschrift «Räume der Begegnung» (2002) spricht er ganz grundsätzliche Fragen an, die über konfessionelle Grenzen hinausgehen. An Rauchenberger anschließend, erwartet Claussen von Kirche und Theologie, «das Traditionelle und Ererbte» neu und unkonventionell zum Thema zu machen. Für ihn ist es geradezu selbstverständlich, das «Konservative als gegenwärtigen Faktor kirchlicher Kultur mehr hervorzuheben.»

Wie stark sich das Verhältnis von Kunst und Kirche in den letzten hundert Jahren gewandelt hat, lässt sich im deutschsprachigen Raum auch an der kirchlichen Museumslandschaft ablesen. Mit Claudia Höhl (Dommuseum Hildesheim), Johanna Schwanberg (Dom Museum Wien) und Ulrike Surmann (Kolumba – Kunstmuseum des Erzbistums Köln) sind namhafte Expertinnen unserer Einladung gefolgt, über Auftrag und Arbeit ihrer Häuser zu berichten. Alle drei sind sich einig, dass kirchliche Museumsarbeit nicht bloß auf die zeitgemäße Präsentation von Kostbarkeiten aus vergangenen Epochen beschränkt werden darf. Vielmehr sehen sie es als Chance und Merkmal kirchlicher Museen, Altes und Neues, Glaube und Zeitgenossenschaft miteinander ins Gespräch zu bringen.

Auf den Exkurs in die kirchliche Museumswelt folgen drei weitere Beiträge, die sich mit den Themenfeldern Musik, Film und Architektur beschäftigen. Den Beginn macht die in Wien ansässige Musikerin und Theologin Dorothee Bauer. Sie geht der Frage nach, wie der Komponist Arvo Pärt seinen Glauben in Klänge fasst. Es folgt der Berliner Journalist und Filmexperte José García mit einem ungewohnten Blick auf aktuelle Entwicklungen im Film, indem er umstrittene gesellschaftspolitische Diskurse aufgreift. Den Abschluss dieses Teils bildet ein Essay des Heidelberger Kulturmanagers Michael Gassmann. Er nähert sich der reichen Tradition christlicher Sakralarchitektur über die Nachnutzung von nicht mehr «benötigten» Kirchen.

Ein communio-Heft über zeitgenössische Kunst will nicht ohne genuine Stimmen zeitgenössischer Künstler auskommen. Die aus Jülich stammende und in Italien arbeitende Fotokünstlerin Julia Krahn berichtet in einem Interview mit Benjamin Leven über das Verhältnis ihrer Arbeit zum christlichen Glauben. Im Zentrum ihres Schaffens steht einmal mehr die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Mit ihren Fotos liefert sie das nötige «Anschauungsmaterial», um die theoretischen Ausführungen von Johannes Rauchenberger mit Leben zu füllen. Am Ende des Heftes steht ein Essay des renommierten Schriftstellers und Büchner-Preis-Trägers Martin Mosebach, der sich in viel beachteten Essays bereits ausgiebig zum Heftthema geäußert hat. Im Mittelpunkt seiner pointierten Reflexionen steht dieses Mal jedoch nicht die traditionelle Liturgie, sondern das Verhältnis des Christentums zu seinen (Ur-)Bildern. Allen zeitgenössischen Diskursen zum Trotz sieht er eine ungebrochene Notwendigkeit für Christusbilder, die auf den neuzeitlichen «Originalitätsgedanken grundsätzlich verzichten».

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