Mensch und Tier

Ganz selbstverständlich sind wir es gewohnt, zwischen Tieren und Menschen prinzipiell zu unterscheiden. Aber wie weit trägt so eine rasch bestimmte Grunddifferenz? Evolutionsbiologisch käme die Differenz ja recht spät, und ideengeschichtlich ist sie wohl erst bei Aristoteles anzusetzen. Sprache, Selbstbewusstsein, Freiheit, Erinnerung – das sind aus der Perspektive der Menschen einige der Wesensmerkmale, die den Tieren fehlen sollen. Aber was ist mit Emotionen und sozialem Kommunikationsverhalten, mit Empathie und Leidensfähigkeit? Blickt man in die unzähligen jüngeren Publikationen aus Verhaltensbiologie und Kognitionsforschung, so ist unübersehbar, dass die Differenzlinien nicht mehr so einfach gezogen werden können. Die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte seien schlicht revolutionär, heißt es, ein Paradigmenwechsel und eine Perspektivumkehr sei vollzogen worden, die es fortan verunmögliche, Tiere guten Gewissens so zu behandeln, wie es lange Gewohnheit war.

Es hat sich gezeigt, dass die Tiere von ihren Fähigkeiten her betrachtet uns «Menschentieren» nicht so fern sind, wie einst gedacht. Andererseits ist schon in den Diskussionen um die umstrittenen Positionen des Tierethikers Peter Singer wichtig geworden, dass die Aufwertung der Tiere, die neue Anerkennung ihres Rechts und ihrer Würde, nicht zugleich die Abwertung des Menschen, insbesondere der Schwachen, Alten und Kranken mit sich bringen darf. Nie wieder, so die naheliegende Warnung, dürfen Menschen einander behandeln wie Tiere. Aber nimmt dieses Verbot angesichts der Ausmaße industrieller Tierhaltung in der Gegenwart nicht noch eine andere Wendung? Ist es denn noch ethisch vertretbar, Tiere zu behandeln «wie Tiere»? Zudem trägt auch die dramatische Zuspitzung der Klimakrise dazu bei, dass heute die Frage lauter wird, wie der Mensch in Zukunft sein Verhältnis zu den Tieren bestimmen wird. Das Spektrum der Antworten reicht von einfachen Anpassungen der Ernährungsgewohnheiten bis hin zu radikalen Positionen, die den Menschen nur noch als Problem, sozusagen als «Schädling» und als Verursacher einer Klimaapokalypse wahrnehmen.

Wie also wollen wir Tiere behandeln? Vor allem der Fleischkonsum regt zu ethischen Diskussionen an. Zwar ist der «meat peak», das statistische Maximum des pro Kopf Fleischverzehrs, vielerorts bereits seit Jahren überschritten und der Wandel spürbar. Aber immer noch werden etwa in Deutschland jährlich 750 Millionen Lebewesen für die Fleischproduktion gemästet und geschlachtet. Die «Intensivtierhaltung», nun seit etwa sieben Jahrzehnten etabliert, aber eigentlich schon immer auf breiter Ebene von der Gesellschaft problematisiert, kann dem mittlerweile veränderten Blick auf die Tiere nicht mehr standhalten. Das ist wissenschaftlicher Konsens. Was wir heute über die kognitiven Fähigkeiten von Tieren wissen, müsste eigentlich zu einem grundlegenden Umdenken führen.1

Kann die Theologie zu alldem etwas beitragen? Lange Zeit hat sie die Tiere nur als ein exotisches Nischen-Thema betrachtet (und belächelt). Heute gehört neben der Umweltethik auch die Tierethik selbstverständlich zur theologischen Ethik. Sensibilisiert durch die «Human-Animal-Studies» treten mittlerweile aber tiefgreifende Anfragen an die Theologie heran: Muss auch die theologische Anthropologie und Schöpfungstheologie eine anthropozentrische Engführung überwinden, um die Tiere ernster zu nehmen? Könnten die weitgehend subjekttheoretischen, auf Freiheit und Autonomie des Menschen konzentrierten Anthropologien der Gegenwart – als wirkungsmächtigste diejenige Thomas Pröppers – andere Lebewesen (mit anderen Worten: «alles, was atmet») integrieren? «Der Mensch ist das einzige Wesen auf Erden, dem gegenüber Gott sich als Gott zu definieren und das ihn seinerseits, indem es sich als Geschöpf weiß und bejaht, als Gott anzuerkennen vermag»,2 schreibt Pröpper. Das exklusive Adjektiv «einzig» springt einem durch die jüngeren Erkenntnisse der Verhaltensforschung angeschärften Blick jedenfalls sofort ins Auge.

Das Heftthema «Mensch und Tier» ist eigentlich besser mit «Der Mensch und das unterschätzte Tier» zu überschreiben, setzen doch alle Beiträgen den Befund einer Vernachlässigung voraus und fordern einen neuen und veränderten Blick. Der Auftakt dieser Ausgabe der communio widmet sich den entscheidenden Problemstellungen zwischen Tierethik und Theologie: ein Gespräch mit Claudia Paganini und Martin M. Lintner, beide Experten für Tierethik und prononcierte Befürworter eines neuen Umgangs mit Tieren, der deren spezifische Bedürfnisse und Fähigkeiten berücksichtigt. Die Moraltheologin Heike Baranzke erzählt eine sehr kurze Geschichte der Tierethik von der Antike bis in die Gegenwart und untersucht Möglichkeiten einer tragfähigen Begründung dieser Ethik. Einen tiefen Einblick in die altorientalische Tier-Ikonographie gewährt Thomas Staubli: Wie verblüffend eng die Verbindung von Religion und Tier-Erfahrung sein kann, zeigen seine Deutungen der jahrtausendealten Siegelmotive und ihrer Symbolik. Der Alttestamentler Georg Fischer SJ bietet eine Interpretation des im Buch Genesis gründenden Herrschaftsmotivs im Sinne des verantwortlichen und respektvollen Umgangs mit der SchöpfungSimone Horstmann stellt die Frage, wie die Theologie mit anderen Wissenschaften und ihren tierethischen Erkenntnissen interagiert. Müsste die Theologie hier nicht mehr ihr Eigenes finden, das etwa darin bestehen könnte, die Tiere nicht nur im Rahmen einer Umweltethik «abzuhandeln», sondern der tierlichen Wirklichkeit eine eigene (poetische) Stimme zu geben?

Damit ist der Übergang zu den ästhetischen Beiträgen des Themenhefts gefunden: Der Kunstexperte Gustav Schörghofer SJ interpretiert eine zeitgenössische Installation, die um das Motiv eines sich im Spiegel betrachtenden Wellensittichs kreist. Der Schriftsteller Henning Ziebritzki, dessen letzter Lyrikband «Vogelwerk» heißt, beantwortet in einer literarischen Miniatur die Frage, warum es sich lohnt, über Tiere zu schreiben. Und ganz am Ende legt die Autorin Anna Albinus ein Gedicht von Jean Krier aus und überlässt damit der «letzten Katze» das letzte Wort.

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