Ist Gott der Gegner oder der Partner, wenn Menschen mit ihm ringen? Der Psalter zeichnet eine Welt, in der die Mächte des Bösen den Beter verunsichern, angreifen und bisweilen sogar niederringen. Wenn es so etwas wie eine Grundüberzeugung des Beters in den Psalmen gibt, dann die, dass er den Mächten des Bösen ohne Gottes Hilfe schutzlos ausgeliefert ist: «O Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen!» (Ps 70,2). Zusammen mit Gott vermag der Mensch den Mächten des Bösen zu widerstehen. In diesem Sinne hat die bisweilen archaisch anmutende Bildwelt des Psalters nichts von ihrer theologischen Relevanz verloren: «Er [Gott] lehrte meine Hände zu kämpfen, meine Arme, den ehernen Bogen zu spannen» (Ps 18,35).
Das geläufige Verständnis des menschlichen Ringens mit Gott dürfte jedoch ein anderes sein. Ringen mit Gott – das meint gewöhnlich, dass Gott die Seite gewechselt und sich mit den Feinden verbündet hat, um gegen den Beter zu kämpfen. Im Buch Ijob gelingt es dem Satan, Gott das Zugeständnis abzuringen, seinen «Knecht Ijob» einem satanischen Test zu unterziehen. Für Ijob, der von der Verständigung zwischen Gott und dem Satan nichts weiß, bricht eine Welt zusammen. Nicht den Satan, sondern Gott nimmt er als seinen Feind wahr: «Gott gibt mich dem Bösen preis, in die Hände der Frevler stößt er mich. In Ruhe lebte ich, da hat er mich erschüttert, mich im Nacken gepackt, mich zerschmettert, mich als Zielscheibe für sich aufgestellt. Seine Pfeile umschwirren mich, schonungslos durchbohrt er mir die Nieren, schüttet meine Galle zur Erde» (Ijob 16,12f).
Die Ambivalenz des Ringens mit Gott wird in der Heiligen Schrift nicht verschwiegen. Geradezu exemplarisch dafür steht die Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok. Eine Exegese, die nicht mehr aus der Tiefe geistiger Erfahrung schöpft, tut sich schwer, einer derartig archaisch anmutenden Erzählung theologisch Gehaltvolles abzugewinnen. Ganz anders Justina Metzdorf, die im Gespräch mit den Kirchenvätern und mit detaillierten Beobachtungen am Wortlaut des Textes den theologischen Gehalt der Erzählung erschließt, ohne ihre Abgründigkeit zu verschleiern. Ihr Beitrag, der zugleich die biblische Hermeneutik der Kirchenväter komprimiert darstellt, zeigt, wie in einem bisweilen harten Ringen falsche Vorstellungen zu lassen sind, um Gott «von Angesicht zu Angesicht zu sehen und doch mit dem Leben davonzukommen» (Gen 32,31).
Dass dies ein durchaus schmerzhafter Prozess sein kann, verdeutlichen die Beiträge von Dieter Böhler und Ludger Schwienhorst-Schönberger. Dieter Böhler geht den Weg des betenden Ichs in Ps 77 nach und zeigt im Rahmen eines textnahen Lesens, wie das Ringen des Beters ein Ringen «mit Gott gegen Gott ist». Der Beter ist verwirrt und bekommt das ihm aus der Tradition vertraute Wissen um Gott mit seinen gegenwärtigen Erfahrungen nicht mehr zusammen: «Das ist mein Schmerz, dass die Rechte des Höchsten so anders wurde». Böhler zeigt, wie der Beter die Krise überwindet, indem er vom grübelnden Ich zur Anrede Gottes wechselt: «Das einsame Grübeln, die Selbstzermarterung des unruhigen Geistes weicht dem Gebet. Nicht das einsame Nachdenken, der innere Monolog über Gott wird die Antwort herbeiführen, sondern die Anrede Gottes im Gebet (vgl. Anselms ‹Proslogion›). Ein Mensch kann sich viele theologische Gedanken über Gott machen und manch richtige Aussage über Gott und sein Wesen treffen. Aber die Erfahrung des Wesens Gottes schenkt sich nur im Gebet, nicht im Nachdenken über ‹Ihn›, sondern im Reden zum ‹Du›, in der direkten Begegnung.»
Im Buch Ijob wird dieser Prozess im Rahmen einer dramatischen Diskurskonstellation durchlebt und durchlitten. Darauf geht der Beitrag von Ludger Schwienhorst-Schönberger ein. Wie in einem Psychodrama kommt das ungelöste Problem auf die Bühne. Ijob macht den Aufschlag. Er stellt die Sinnfrage: «Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind?» (Ijob 3,20). Die Freunde meinen es zunächst gut mit ihm und treten als Advokaten Gottes auf. Ihre Verteidigungsreden können Ijobs Fragen nicht ruhigstellen. Ijob erkennt dies sehr bald. Gleichwohl bleibt er mit den Freunden im Gespräch, wendet sich aber zugleich klagend, bittend und anklagend Gott zu. Gott, der lange geschwiegen hat, spricht am Ende «aus dem Wettersturm». Der Satan, der darauf abzielte, die Beziehung zwischen Gott und seinem Knecht Ijob zu zerstören, erreicht am Ende das genaue Gegenteil: Kannte Ijob vor seinem Leid Gott nur «vom Hörensagen», so ist er nun – wie Jakob–Israel – zu einem Schauenden geworden: «Vom Hörensagen nur hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut» (Ijob 42,5). Wie sich nach Johannes vom Kreuz Gott in der Dunklen Nacht dem Menschen entzieht, um seine Beziehung zu ihm zu vertiefen, so lässt sich der Weg Ijobs als ein Weg verstehen, der – bereits vor dem Tod – vom Glauben zum Schauen führt.
Manuel Schlögl skizziert die Auslegungsgeschichte der Getsemani-Perikope bis zu ihrem Wendepunkt in der Alten Kirche durch Maximus Confessor. In ihr zeigt sich eine Entwicklung, die der Bekenner dahingehend zu einer Synthese gebracht hat, dass im Gebetsringen Jesu nicht der göttliche und der menschliche Wille einander gegenüberstehen, sondern dass «der (in der Menschwerdung von Christus angenommene) natürliche Wille des Menschen, der an sich selber festhalten und nicht sterben will, […] hier direkt auf den Willen des Sohnes [trifft], für den die Liebe und damit auch das Loslassen des Ich und die Selbsthingabe die tiefste Bestimmung des Menschen bedeutetet.» Der Begriff des Gehorsams wird im Rahmen dieses Diskurses zu einem christologischen und theologischen Schlüsselbegriff. Schlögl deutet an, welche Konsequenzen sich daraus für aktuelle freiheitstheologische Debatten ergeben.
Entgegen einem verbreitetet Missverständnis erläutert Reinhard Körner, dass das Motiv der Dunklen Nacht bei Johannes vom Kreuz weder mit depressiven Verstimmungen noch mit anderen Formen von Niedergeschlagenheit zu verwechseln ist, sondern in einem sehr präzisen Sinn einen Prozess zu beschreiben versucht, bei dem nicht der Mensch mit Gott, sondern Gott mit dem Menschen ringt, um ihn zu läutern und zu reinigen, so dass er «mehr und mehr von den noch ungeordneten Begehrlichkeiten» befreit wird. «Solche ‹Nichterfahrung Gottes› ist also nicht Zeichen der Abwesenheit, sondern der verstärkten Zuwendung Gottes, richtiger gesagt: des wachsenden Bewusstwerdens, dass Gottes Licht in die Seele dringt. Was dann in solcher Dunkelheit als Verlassenheit oder gar als Versagen in Gebet und geistlichem Leben interpretiert wird, ist in Wirklichkeit eine intensive Wachstumsphase, ist ein weiterer ‹Läuterungs-›‚ Reinigungs- und Reifungsprozess.
Karl-Heinz Menke gibt in einem kritisch-konstruktiven Gespräch mit der Politischen Theologie zwar keine Lösung, wohl jedoch eine Antwort auf die Theodizeefrage. Sie ist, so legt Menke dar, letztlich nur im Rahmen der Trinitätstheologie möglich und läuft ohne die Mitwirkung des Menschen ins Leere: «Der trinitarische Gott offenbart seine Allmacht als die Liebe, die sich lieber kreuzigen lässt als irgendetwas zu erzwingen. Von dieser scheinbar hingerichteten und erledigten Liebe bekennt die Christenheit am Ostermorgen, dass sie mächtiger ist als alles, was in dieser Welt als mächtig gilt. Diese Liebe kann keine Sünde und kein Unglück verhindern, aber jedes von Sünde und Unglück verursachte Leid von innen heraus besiegen bzw. verklären. […] Der trinitarische Gott – durch das Christusgeschehen abgestiegen bis in die von Menschen verursachte Hölle – will nichts ohne die bewirken, die er beschenkt.»
Dass der neuzeitliche Atheismus in einer inneren Beziehung zur mystischen Erfahrung der Dunklen Nacht steht, wird seit einiger Zeit diskutiert. Mirja Kutzer erschließt im Gespräch mit Simone Weil, was es heißt, «ungläubig Gott zu glauben» und die theologischen Anfragen, die sich daraus für Kirche und Theologie ergeben könnten: «Welch ein Geschenk ist es, dass Weils Texte so den widersprüchlichen Erfahrungen einen Ort bieten, die in der Theologie sonst so gerne außen vorbleiben. Den Glaubenszweifel nicht abzuwehren, sondern ihn zu schüren, mag manchmal auch eine Form der Erlösung sein.»