Heiliger Geist

Signore, ti amo – das sind die letzten Worte Benedikts XVI. gewesen, der am Silvestertag des Jahres 2022 – gestärkt mit dem viaticum – seine Reise in die himmlische Heimat angetreten ist. In diesem testamentarischen Bekenntnis ist er noch einmal über sich hinausgegangen und hat sich auf den bezogen, von dem er sich zutiefst angesprochen wusste. Damit hat er gebündelt, was allabendlich in der Komplet gebetet wird: «Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben.» Im Zentrum des christlichen Glaubens steht eben kein namenloses Alleines, kein antlitzloses Prinzip, kein apersonaler Abschlussgedanke, sondern der eine und lebendige Gott, der seinen Namen geoffenbart, mit Israel eine Bundesgeschichte begonnen und in der Person Jesus sein Angesicht gezeigt hat. Benedikt hat auf Gestalt und Botschaft Jesu von Nazareth in der Trilogie seiner Jesus-Bücher verwiesen, um an das gemeinsame Fundament aller Christen zu erinnern und mystagogisch in die persönliche Freundschaft mit Christus einzuführen. Sein mit versiegender Stimme geflüstertes Stoßgebet Signore, ti amo kann als performative Bewährung dieser Freundschaft verstanden werden. Als Mitbegründer der Communio hat Joseph Ratzinger das inhaltliche Profil der Zeitschrift seit 1972 maßgeblich mitgeprägt und im Laufe der Jahre zahlreiche, viel beachtete theologische Beiträge verfasst, bis zuletzt hat er als Leser die Entwicklung der Communio wohlwollend begleitet. Im Jahr 2021 ist ein eigenes Themenheft zu theologischen Impulsen seines Werkes erschienen, im kommenden Heft werden wir seiner ausführlicher gedenken.

Das vorliegende Heft, das redaktionell bereits abgeschlossen war, als die Nachricht vom Tod Benedikts eintraf, ist dem Heiligen Geist gewidmet. Der Vorwurf der Geistvergessenheit an die Adresse der westlichen Theologie ist ein gängiger Topos, der heute allerdings nicht mehr nachgesprochen werden sollte. Inzwischen gibt es beachtliche Neuaufbrüche auf dem Feld der Pneumatologie im Spektrum sowohl der protestantischen als auch der katholischen Theologie. Der biblische Begriff ‹Geist› – hebr. rûaḥ (חוַּר), gr. pnéuma (πνεύμα), lat. spiritus – ist semantisch vielschichtig und verwandt mit ‹Atem›, ‹Hauch›, ‹Wind›, ‹Luft› und ‹Leben›. Schon zu Beginn der Genesis schwebt der Geist über den Wassern – und im Akt der Schöpfung wird dem aus Lehm geformten Menschen Lebensodem eingeblasen (Gen 2,7). In der eindrücklichen Vision beim Propheten Ezechiel ist es der Geist, der die ausgetrockneten und weit verstreut liegenden Gebeine auf der Ebene wiederbelebt: «Geist, komm … Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden» (vgl. Ez 37,1-14, hier 9). Der Geist befähigt Menschen zu außergewöhnlichen Taten, er stattet sie aus mit Charismen und Gaben, die sie nicht selber machen oder produzieren können. Paulus betont, dass niemand ohne Wirken des Heiligen Geistes den gekreuzigten Christus als «Herrn» bekennen oder Gott als «Abba, Vater» anrufen kann. Durch die Taufe im Heiligen Geist werden die Gläubigen der Macht der Sünde und des Todes entrissen und in die lebendige Gemeinschaft mit Gott hineingenommen. In den Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums wird vom Geist als Beistand gesprochen (vgl. Joh 14,16; 14,26; 15,16; 16,7). Christus lässt die Seinen nicht als Waisen zurück, er sendet ihnen den Parakleten, der in Zeiten der Bedrängnis Ermutigung schenkt. Der Abwesende bleibt nicht abwesend, er kommt im Geist nahe, ja der Entzug seiner körperlichen Präsenz ist geradezu die Voraussetzung für seine pneumatische Gegenwart, die tiefer und inniger sein kann als die historische Gleichzeitigkeit der Jünger erster Hand. Der Geist führt in die Wahrheit ein, er ist ein Antidot gegen Geistlosigkeit und Vergessen, ja er weckt je neu die Erinnerung an Christus und befähigt zum kreativ-zeitgemäßen Zeugnis seiner Botschaft. Jesus ist als galiläischer Wanderprediger nicht nur eine Figur der Vergangenheit, die historisch rekonstruiert werden kann. Er ist zugleich der Christus praesens, der auch heute nahekommt und Menschen, die sich ihm öffnen, um seine Mitte versammelt und verwandelt. Die Kirche ist die Erinnerungs- und Nachfolgegemeinschaft, in der das Vermächtnis Jesu Christi im Geist lebendig bleibt – besonders in der Verkündigung des Wortes, der Feier der Sakramente und im caritativen Einsatz für Arme und Marginalisierte.

Die Dimension der geistigen Schrifthermeneutik ist daher wichtig. Sie führt in die Wirklichkeit Christi ein und wird schon im Neuen Testament selbst gepflegt. Sie sollte daher nicht gegen die historisch-kritische Exegese ausgespielt, sondern als komplementärer Zugang zur biblisch bezeugten Wirklichkeit betrachtet, ja stärker wiederentdeckt werden (Ludger Schwienhorst-Schönberger). In der frühen Kirche wurden intensive Geisterfahrungen gemacht. Gegen die Pneumatomachen, die die Göttlichkeit des Geistes bestritten, verfasste Basilius von Cäsarea seine Schrift De spiritu sancto. Darin erinnert er an die trinitarische Taufformel «Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes» (Mt 28,19) und macht soteriologisch geltend, dass der Heilige Geist uns nicht mit der Wirklichkeit Gottes verbinden könnte, wenn er nur eine geschöpfliche Gabe wäre und nicht der schöpferische Geber selbst. Das Konzil von Konstantinopel 381 hat mit biblisch-liturgischer Grundierung die gleiche Verehrungswürdigkeit von Vater, Sohn und Geist herausgestellt und damit das nizänische Glaubensbekenntnis pneumatologisch erweitert (Roland Kany). In der Summa theologiae des Thomas von Aquin bildet die Pneumatologie noch keinen eigenen Traktat, Aussagen über den heiligen Geist sind allerdings eine mitlaufende Dimension von der Theologie der Schöpfung über die Gnadenlehre bis zur eschatologischen Vollendung (Thomas Marschler). Systematisch ist darüber hinaus nach der pneumatologischen Dimension von kirchlichen Traditionsprozessen zu fragen, gilt der Heilige Geist doch als Garant dafür, dass die Gesamtheit der Gläubigen nicht aus der Wahrheit des Glaubens herausfallen kann. Das bedeutet nicht, dass der faktische Verlauf der kirchlichen Überlieferung pneumatisch immunisiert werden kann (Ursula Schumacher). Ein im ökumenischen Gespräch immer noch zu wenig beachtetes Phänomen ist der weltweit erstarkende Pentekostalismus. Unbeschadet der Gefahr des Biblizismus und des nur schwach ausgeprägten Sensoriums für die sakramentale Dimension der Kirche könnte vom Gespräch mit pentekostalen und evangelikalen Strömungen ein Impuls für die geistliche Erneuerung der katholischen Kirche ausgehen, die sich hierzulande allzu sehr auf Strukturfragen zu fokussieren droht (Klaus Vellguth). Wenig bekannt ist, dass Karl Barth, der wohl bedeutendste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts, in seiner Kirchlichen Dogmatik intensiv über den Heiligen Geist nachgedacht und ihn als das vinculum caritatis zwischen Vater und Sohn bestimmt hat. Überdies hat Barth das filioque der Westkirche als trinitätstheologisch angemessen verteidigt (Ulrich H.J. Körtner). Das Wirken des Geistes kann in Kunst und Dichtung inspirierend sein und Grenzen der Verständigung überbrücken. Vor allem die Musik ist ein Medium, das von Menschen unabhängig von Sprache, Kultur oder Herkunft verstanden werden kann. Gustav Mahler hat in der Achten, der «Symphonie der Tausend», alle Register von Chor und Orchester gezogen, um den mittelalterlichen Hymnus Veni Creator Spiritus zu vertonen und die überbordende Schöpferkraft des Geistes klanglich wahrnehmbar zu machen (Dorothee Bauer). Ergänzend dazu bringen die «Perspektiven» einen weniger bekannten Geisthymnus aus der Feder der Philosophin, Konvertitin und Karmelitin Edith Stein mit vertiefendem Kommentar (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz). Überdies wird in den «Perspektiven» Kurt Flaschs fragwürdige These zurechtgerückt, dass Josef Pieper ein katholischer Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen sei (Berthold Wald). Ein Essay über Nietzsche, in dessen Spätwerk sich die scharfe Absage an das Christentum mit gleichzeitiger Annäherung an den Gekreuzigten verbindet (Jan-Heiner Tück), sowie eine dichte Besprechung des jüngsten Romans von Thomas Hürlimann, Der rote Diamant, (Hans-Rüdiger Schwab) beschließen das Heft.

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