«Fürchte Dich, Fürchte Dich nicht, Fürchte Dich, Fürchte Dich nicht…», so beginnt die Motette von Johann Christoph Bach (1642–1703) mit ihrem musikalisch einmaligen Wechselspiel von angstvollem Flehen des menschlichen Individuums und göttlichem Beistands- und Erlösungsversprechen. Hier lässt sich die Dynamik von Furcht und Nichtfurcht und der Zuspruch von Trost erfahren. Michael Gassmanns Interpretation der Motettein diesem Heft der communio erschließt ein seltenes Troststück.
Durch die Arbeiten von Eugen Drewermann und Eugen Biser liegen gewichtige Beiträge zur Theologie der Angst vor, aber das Thema verdient weiterhin eine vertiefende theologische Reflexion. Und genau hierzu bietet dieses Heft wertvolle Beiträge. Hans-Joachim Höhn geht unter dem Titel den wechselnden Impressionen sozialer Ängste nach, von denen paradoxerweise viele «unbeabsichtigte Spät- und Nebenfolgen von Modernisierungsprozessen» sind, «welche die naturwüchsigen Ängste des Menschen vor Krankheit und Tod, Armut und Einsamkeit erfolgreich bändigen konnten.» In den gegenwärtigen Klimaängsten kommt der Drohung Greta Thunbergs «I want you to panic!» eine besondere Rolle zu, denn sie trifft auf die «heimliche Sorge, man könne zum Nichts und Niemand werden, weil säkulare Versprechen von Bedeutung und Bedeutsamkeit eines Menschenlebens nicht mehr einlösbar sind.» Was die Frohbotschaft des «Fürchte Dich nicht» hier austragen kann, ist nach Höhn eine offene Frage. Ludger Schwienhorst-Schönberger unterscheidet in seinem Beitrag die verschiedenen Formen der Furcht und klärt die «Spannung zwischen einer Furcht gegenüber Gott, die abzulegen ist, und einer Gottesfurcht, die anzunehmen und einzuüben ist». Nicht Furchtlosigkeit ist das Ziel frommen Lebens, sondern die rechte Gottesfurcht, denn nur in ihr kommt die fromme Freiheit zu ihrer schönsten und kräftigsten Blüte. Hierzu aber ist ein Durchgang durch den «Gottesschrecken» und die «Epiphaniefurcht» notwendig, um jene Haltung der Gottesfurcht zu erreichen, «welche die Spannung von Furcht und Furchtlosigkeit, die mit einer Epiphanie einhergeht, in einer recht verstandenen Mitte auf Dauer stellt.»
Christoph Jacobs knüpft an Eugen Drewermanns Rede vom Glauben als Vertrauen zur Überwindung der Angst an und eröffnet den weiteren Horizont der empirischen Fakten in den Humanwissenschaften. Der Titel seiner Überlegungen «Der Weg heraus ist der Weg hindurch!»betont, dass ein Weg an der Angst vorbei nicht möglich ist. Die Angst muss bestanden und verwandelt werden. Unter dem Titel «Bange Erwartung» vermisst Joachim Negel die gegenwärtigen apokalyptischen Ängste und ihre Ausdruckswelten hinsichtlich ihrer Sagbarkeit. Zwar seien die apokalyptischen Bilder in der Alltagskultur noch vorhanden, aber «in ihrem ursprünglichen religiösen Gehalt überzeugen sie kaum noch». Von den biblischen Bildern des heilsamen Erschreckens ist trotzdem weiter zu sprechen, wenn auch im gebrochenen Modus des «Stammelns» und mit jener zwischen Himmel und Erde gespannten Imaginationskraft, an die Wilhelm Raabe glaubte: «Blick auf zu den Sternen / hab acht auf die Gassen.»
Ursula Schumacher empfiehlt die sperrige Schrift «Der Christ und die Angst», in der Hans Urs von Balthasar «das Fehlen einer Theologie der Angst» diagnostiziert und feststellt: «Christsein heißt, kein Recht zu haben auf Angst.» Dieses Verdikt ist radikal, zu radikal, wie Ursula Schumacher meint, aber man sollte es sich mit dieser Aussage nicht zu einfach machen. Ist die Angst – wie Martha Nussbaum schreibt – «asozial» oder «narzistisch», dann muss die«christliche Existenz ihr Veto entgegensetzen». Angesichts der Angst reicht dieses Veto bis zu jenem Sprung ins göttliche Dunkel, «im Vertrauen darauf, dass sie (sc. die Angst) dann verwandelt wird».