70 km westlich von Jerusalem und 70 km nördlich von Gaza liegt Jaffa, heute ein Ortsteil von Tel Aviv. Dort, im biblischen Joppe, beginnt eine atemberaubende Taufgeschichte (Apg 10). Sie verbindet Simon Petrus, der im Schwung des Osterglaubens auf Missionswanderschaft gegangen ist, mit Cornelius, einem römischen Hauptmann, der mit seinem ganzen Haus in Caesarea Maritima, der damaligen Provinzhauptstadt, 70 km nördlich lebt. Cornelius ist kein Jude, aber ein Gottesfürchtiger. Er ist fromm und sozial. Er glaubt an den einen Gott und hält die Zehn Gebote. Er hat von Jesus gehört, der auch die Küstenregion am Mittelmeer besucht hat. Aber er hat noch keinen Zugang zu ihm gefunden.
Petrus und Cornelius kommen zusammen, weil Gottes Geist sie zusammenführt. Der eine, Petrus, hat eine Schreckens-, der andere, Cornelius, eine Glücksvision. Cornelius erfährt von einem Engel, dass Gott seiner Gebete und Almosen gedenkt; er wird seine heimlichen Wünsche erfüllen und seine kühnsten Hoffnungen übertreffen. Simon hingegen sieht ein Segeltuch voll mit dem ekelerregenden Fleisch unreiner Tiere vom Himmel herabkommen und hört: «Schlachte und iss.» Er wehrt sich mit all seinen Gefühlen und Gedanken. Aber er lässt sich von Gottes Geist besiegen, der seinen Horizont weitet. Gast im Haus eines Gerbers, der gleichfalls Simon heißt, wird Petrus selbst zum Gastgeber, weil er zwei Abgesandte des Hauptmanns einlässt, die ihn nach Caesarea geleiten sollen.
Dort, wo er viele erwartungsfrohe Menschen trifft, keiner jüdisch, geht Petrus ein Licht auf, das ihn zu einem ersten Schritt der neuerlichen Umkehr führt: «Mir hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen gemein oder unrein nennen darf.» So kann er jetzt die Vision deuten: Alle Menschen sind Gottes Ebenbilder, unabhängig davon, woher sie kommen und woran sie glauben. Sie sind nicht unrein, also von Gott getrennt, sondern mit Gott verbunden; sie sind nicht gemein, also nichtswürdig, sondern voller Würde in Gottes Augen.
Nachdem Cornelius seine Geschichte erzählt hat, setzt Petrus neu an. Ihm ist wieder ein Licht aufgegangen, so dass er einen zweiten Schritt der Umkehr wagt: «Jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt.» Aus der Gottesebenbildlichkeit folgt die Freiheit, von Gott willkommen geheißen zu werden. Diese Einladung auszusprechen, ist der Sinn der Sendung Jesu, die Petrus im Anschluss mit wenigen Worten rekapituliert.
Während er spricht, kommt Gottes Geist auf alle herab, die im Haus sind: Auch die Heiden finden inspirierte Worte des Betens. Jetzt geht Petrus den dritten Schritt, weil ihm wiederum Gott eingeleuchtet hat: «Kann etwa jemand denen das Wasser der Taufe verweigern, die den Heiligen Geist empfangen haben, so wie wir?» Später, als er in Jerusalem kritisiert wird, fragt er rhetorisch: «Wer bin ich, dass ich Gott hindern könnte?» (Apg 11, 17). Gott ist mit seinem Geist dort, wo der Apostel erst hinkommen muss: bei den Menschen, die ihr Leben Gott verdanken.
Nicht nur Cornelius hat sich mit seinem ganzen Haus bekehrt, auch Petrus mit den Seinen. So kann Lukas schreiben: «Da ordnete er an, sie im Namen Jesu Christi zu taufen» (Apg 10, 48). Die einen werden getauft, die anderen taufen – die Taufe dient nicht dazu, die Vollmacht des Petrus und der Seinen zu demonstrieren, sondern Cornelius und seinem ganzen Haus das Heil zuzueignen, das Gott ihnen immer schon zugedacht hat.
So dramatisch die Geschichte stilisiert ist: Sie vergegenwärtigt die Verheißung des Anfangs, die bis heute mit der Taufe verbunden ist. Cornelius ist mit seinem ganzen Haus getauft worden – seine Frau und seine Kinder, wahrscheinlich auch seine Eltern gehören dazu. Bis heute ist die Taufe für viele ein Familienfest – im großen Haus des Glaubens, das die Kirche bildet, auch wenn sich nur ein kleiner Kreis von Menschen findet, die mitfeiern. Bis heute werden in den meisten Kirchen auch Säuglinge getauft, früher aus angstbesetzter, heute aus hoffnungsvoller Liebe. Immer häufiger kommt es in Mitteleuropa wie in vielen anderen Teilen der Welt dazu, dass Kinder getauft werden, die zur Schule gehen – ein großes Fest, wenn es mit der Klasse, der Schule, der Gemeinde gefeiert wird. Dort, wo das Christentum lange tief verwurzelt schien, kehren viele Menschen der Kirche den Rücken – aber immer wieder werden Erwachsene getauft: ein starkes Zeichen des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung.
Die Taufe des Cornelius und seines Hauses zeichnet die religiösen und spirituellen, sie zeichnet die konfessorischen und kirchlichen, sie zeichnet auch die kulturellen und politischen Dimensionen der Taufe nach. Sie ist eine Taufe des Glaubens – unabhängig davon, wie alt oder jung die Täuflinge sind. Sie ist ein sichtbares Zeichen mit unsichtbarerer Wirkung – unabhängig davon, wie günstig oder ungünstig die äußeren Umstände sind. Sie geschieht in der Kraft des Geistes – unabhängig davon, wie groß oder klein die menschlichen Widerstände sind. Sie bringt das Bekenntnis zu Gott, dem Vater zum Ausdruck, durch Jesus Christus, im Heiligen Geist – unabhängig davon, wie ausdifferenziert das Glaubenswissen ist. Sie gliedert in die eine Kirche Gottes ein – unabhängig davon, wie stark oder schwach sie dasteht. Sie überwindet die Macht des Todes in jeder seiner Gestalten – unabhängig davon, wieviel Not und Leid, wieviel Schuld und Tod gegen die Zusage der Erlösung spricht. Petrus musste und durfte erkennen, dass Gott keine Mauer vor den Heiden errichtet, sondern eine Brücke zu ihnen baut. Cornelius konnte mit seiner Familie erfahren, dass er ein neues Leben beginnt, ohne dass er sein altes Leben wegwerfen müsste.
Diese befreiende Kraft der Taufe, die Schlichtheit des Zeichens, die Schönheit des Ritus und die Stärke des Segens, ist in der Geschichte und Gegenwart der Kirche immer wieder angefragt, immer wieder verteidigt, immer wieder verraten und immer wieder neu entdeckt worden. Der neutestamentliche Beitrag führt zurück an den Anfang: zu den großen Worten und starken Bildern des Glaubens, die für das entscheidende Geschehen der Taufe gefunden worden sind, um die Größe der befreienden Gnade Gottes auszudrücken. Georg Röwekamp, Direktor des Pilgerhauses Tagbha am See Genezareth, zeichnet nach, wie die Taufe in der frühen Christenheit die tiefe Erfahrung eines Neuanfangs aufgenommen hat, den die Täuflinge gespürt haben, weshalb die Taufe durch eine intensive Katechese gut vor- und nachbereitet worden ist. Bertram Stubenrauch, Dogmatiker und Ökumeniker in München, entwickelt eine Theologie des Sakramentes, die von den liturgischen Zeichen nicht absieht, sondern ausgeht, um zu veranschaulichen, wovon gesprochen wird, wenn, wie immer häufiger, von der «Taufwürde» die Rede ist – und was dies für die gegenwärtigen Spannungen zwischen niederschwelligen Taufangeboten und ambitionierten Taufkursen bedeutet. Joris Geldhof, Liturgiewissenschaftler aus Leuven, treibt eine «Archäologie des Taufbewusstseins und des Taufgedächtnisses», die nicht nur explizite Taufgedächtnisgottesdienste erfasst, sondern alle Sakramente und auch das Stundengebet; auf der Reise des christlichen Lebens sei der Anfang prägend, den man nicht verlasse, sondern mitnehme, um immer wieder zu ihm zurückkehren und mit ihm neu starten zu können: Mimese und Anamnese gehören deshalb zusammen, Katechese und Mystagogie, die Vergegenwärtigung des Exodus und die Vereinigung mit Jesus Christus. Ulrike Link-Wieczorek, Systematische Theologin in Oldenburg, reflektiert sowohl in ökumenischer als auch in religionssoziologischer Perspektive die Beziehungen zwischen Taufe und Kirchenzugehörigkeit, die dogmatisch stark, praktisch aber flexibel sind; wer die Taufe nicht nur kirchenrechtlich, sondern lebensweltlich betrachtet, kann nicht nur besser verstehen, wie Menschen von heute die Taufe sehen, sondern hat auch Brücken für den Dialog mit jenen Kirchen errichtet, die nicht mehr oder weniger selbstverständlich Kinder taufen, sondern die Taufe an persönliche Glaubensentscheidungen binden. Paul M. Zulehner, Wiener Pastoraltheologe, erhebt religionssoziologisch die aktuelle Entwicklung, dass Menschen einerseits an die Kirche erhöhte Erwartungen richten, einen guten religiösen Service am Beginn des Lebens zu erhalten, andererseits in ihrer eigenen Kirchenbeziehung offener werden; es komme deshalb darauf an, das Geburtsritual zu einem Glaubensfest zu machen.
70 km nördlich von Gaza, 70 km westlich von Jerusalem und 70 km südlich von Caesarea Maritima sind heute mehr denn je die Religionen – besonders Judentum, Islam und Christentum – gefragt, gegen den Hass vorzugehen, der im Namen Gottes mörderisch wird, und einen Frieden zu fördern, der mehr ist als eine Feuerpause und ein Waffenstillstand. Alle Religionen, die den einen Gott verehren, kennen die Versuchung, ihn als Mittel zu benutzen, die eigene Macht zu erhöhen – das ist Blasphemie. Alle monotheistischen Religionen wissen aber auch um die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, die im Namen Gottes auf Erden verwirklicht werden soll. Die christliche Taufe ist im Verlauf ihrer Geschichte oft zu einer Waffe geworden, gegen Juden, auch gegen Muslime. Ursprünglich ist sie ein Sakrament der Versöhnung, das niemandem aufgezwungen wird und das die Menschen, die sich taufen lassen, zu Friedensboten machen soll. Die Taufe vermittelt die Gemeinschaft mit Jesus Christus, ohne dass Menschen, die nicht getauft sind, schlechtgemacht würden – auch wenn es lange, lange Zeit anders gelehrt worden ist. Denen, die nicht getauft sind und sich auch nicht taufen lassen wollen, weil sie religiös unmusikalisch sind oder in Freiheit, aus Tradition und Überzeugung ihrer eigenen Religion treu bleiben wollen, darf die Taufe nicht als Bedrohung scheinen, sondern so, wie nach den Predigtworten des Petrus Jesus gewirkt hat: «Er zog umher, um Gutes zu tun und alle zu heilen, die von der Macht des Teufels unterdrückt waren» (Apg 10, 38).