Er berief das Konzil von Nizäa ein,
um genau zu wissen, ob ein Jude Gott sei.
Voltaire1
I
Der Zenit des französischen Dekonstruktivismus ist überschritten. Geblieben ist der eingefleischte Verdacht gegen binäre Codes wie ‹wahr› und ‹falsch›. Geblieben ist das geschärfte Sensorium für Bedeutungsverschiebungen im Gebrauch der Sprache. Essentialistische Zuschreibungen gelten als unterkomplex. Man könnte die Einsicht, dass die Semantik der Begriffe ‹jüdisch› und ‹christlich› lange fluide war, dass es bis ins 4./5. Jahrhundert Überschneidungen zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften gab, somit als Frucht vom Baum des Dekonstruktivismus bezeichnen und die Forschungen unter dem Stichwort parting of the ways entsprechend einordnen. Es gab, was es aus späterer Sicht nicht hätte geben sollen: zum einen Juden, die Jesus als Messias betrachteten und doch an einem Tora-observanten Lebensstil festhielten, zum anderen Christen, die sich zu Christus als dem Sohn Gottes bekannten und gleichzeitig den Sabbat feierten, ihre Söhne beschneiden ließen und koscher aßen. Mit der Ausbildung orthodoxer Bekenntnisse und entsprechender religiöser Institutionen, welche Abweichungen sanktionierten, gerieten die «Sowohl-Juden-Als-auch-Christen» der ersten drei Jahrhunderte in den Geruch der Heterodoxie.
Michel Foucault (1926–1984) hat darauf hingewiesen, dass leitende Kategorien der politischen Ordnung oftmals Ausdruck von Machtverhältnissen sind. Das gilt auch für die Glaubensgemeinschaft der Kirche. Der geschärfte Blick für Dispositive der Macht lenkt im Bereich der Theologie die Aufmerksamkeit auf den binären Code ‹Orthodoxie› und ‹Häresie›, er lässt nach den religiösen Autoritäten fragen, welche die Definitionshoheit innehaben, zu bestimmen, was als rechtgläubig gilt und was nicht. Dabei ist im Kontext des parting of the ways bezeichnend, dass neben distinktiven religiösen Praktiken (Sabbat, Beschneidung, Speisevorschriften) vor allem die Gottesfrage und Christologie ins Zentrum des Orthodoxie-Diskurses rücken. Die Synode von Nizäa 325, die später als das erste Ökumenische Konzil eingestuft wurde, war eine Versammlung von Bischöfen, die auf Einladung von Kaiser Konstantin zusammengekommen sind. Sie haben Arius wegen seines christologischen Subordinatianismus exkommuniziert. Wäre es anders gekommen, wenn Konstantin von Beginn an klar für die Partei des Arius votiert hätte? Wäre dann der christologische Subordinatianismus, der heute noch als heterodox gilt, als rechtgläubig eingestuft worden? Und hätte ein subordinatianistisches Bekenntnis eine weniger scharfe Trennung vom Judentum bedeutet? Hat nicht schon Athanasius Arius in diffamierender Absicht als «Juden»2 bezeichnet, weil er die Gottheit des Sohnes in Zweifel zog und diesem dem Vater unterordnete? Verwirrende Fragen an eine Dogmengeschichtsschreibung, die immer in Gefahr steht, Siegergeschichtsschreibung zu betreiben und Häretiker als Leichen im Straßengraben der Geschichte liegen zu lassen, ohne deren produktive Anstöße zu würdigen.
II
Im Horizont der Frage des parting of the ways – also des Auseinandergehens der Wege von Synagoge und Kirche – über das Konzil von Nizäa zu sprechen, birgt das Risiko, sogleich in die dogmatische Falle zu tappen und die Definition, dass der Sohn «dem Vater wesensgleich» ist, als Besiegelung des Auseinandergehens der Wege der beiden Glaubensgemeinschaften darzustellen. Dabei würden zwei wichtige Punkte übersehen. Der eine ist die Entscheidung, den seit dem 2. Jahrhundert schwelenden Osterfeststreit beizulegen. In diesem Streit ging es um die Frage, ob man sich am jüdischen Festkalender orientiert und Ostern jeweils am 14. Nisan, dem Tag des ersten Frühjahrsvollmonds, begeht – auch dann, wenn es ein Werktag ist –, oder ob man Ostern, das Fest der Auferstehung des Herrn, grundsätzlich am Herrentag feiert, wie es römische Praxis war. Der Bischof von Rom, Victor I., verwarf die quartodezimanische Tradition als heterodox – ein Vorgehen, gegen das sich Irenäus von Lyon in seinen Friedensbriefen wandte. Dieser Streit um den Ostertermin wird im Kontext des Konzils von Nizäa von Eusebius so gekennzeichnet: «Die eine Gruppe behauptet, man müsse der Gewohnheit der Juden folgen, während die andere meinte, es sei geboten, die genaue Jahreszeit in bezug auf das Datum zu beachten und nicht in irriger Weise denen zu folgen, die mit der Gnade des Evangeliums nichts zu tun hätten.»3 Tatsächlich wurde entschieden, den Termin des Osterfestes vom jüdischen Kalender – dem 14. Nisan – ein für alle Mal abzukoppeln, durchaus mit deutlich antijüdischer Stoßrichtung: «Nichts sollen wir mit dem verhaßtesten Pöbel der Juden gemein haben.»4 Das hat in the long run dazu geführt, dass Kirche und Synagoge Ostern und Pascha nicht mehr termingleich feiern. Es wäre eine doktrinale Engführung der Konzilsinterpretation, dieses parting of the ways im Bereich des liturgischen Kalenders zu übergehen. Es handelt sich um eine Weichenstellung, die tief in die Memorialkultur der beiden Glaubensgemeinschaften eingreift und sie auseinandertreibt. Pascha – das jüdische Fest des Exodus-Gedenkens – und Ostern – das christliche Hochfest der Auferstehung des Herrn, des «Osterlammes» (1 Kor 5, 7) – werden an unterschiedlichen Daten gefeiert, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Der lex orandi der Kirche wurde so strukturell eine deutliche Israelvergessenheit eingeschrieben. Zurecht bemerkt Christoph Markschies: «Mit der Aufgabe des jüdischen computus im Jahre 325 meinte das erste ökumenische Konzil ein beispielhaftes Zeichen für die Einheit der Kirche zu setzen; sie tat es freilich auf Kosten ihrer jüdischen Wurzeln.»5
Der zweite Punkt, den ich nicht überspringen möchte, betrifft das theologiepolitische Setting des Konzils von Nizäa. Konstantin (um 280–337) ist der erste römische Kaiser, der sich vom paganen Henotheismus des Sol offen auf die Seite der Christen stellt. Die erfolgreiche Schlacht gegen Maxentius an der Milvischen Brüche 312 führt er auf die Gunst des Christengottes zurück. Mit der Vereinbarung von Mailand von 313 beendet Konstantin die Ära der Christenverfolgungen, stärkt die Rolle der Bischöfe und unterstützt die Kirche mit finanziellen Zuwendungen. Auch beruft er, nachdem er 324 Licinius geschlagen hat, im Juni 325 die Synode von über 200 Bischöfe nach Nizäa ein, um die arianischen Streitigkeiten beizulegen. Es wäre verfehlt, ihm theologische oder gar subtile christologische Interessen zu unterstellen.6 Als Pontifex maximus sieht er seine Aufgabe darin, die Einheit des Reiches durch die Einheit der Kirche zu stützen. Mit dem, was gewöhnlich als «konstantinische Wende» bezeichnet wird, erfolgt eine politische Machtverschiebung zugunsten der Kirche. Sie setzt sich unter Theodosius (379–395) fort und findet ihre Vollendung unter Justinian (527-565), der das Christentum quasi zur Staatsreligion erhebt – historische Vorgänge, die für die Synagoge umso nachteiliger sind, je mehr antijüdische Denkweisen in der Kirche Platz greifen. Mark Kinzer spricht im Blick auf die Kirche von einem «decisive turning away from the jewish people» bei einem gleichzeitigen «turning to the Roman Empire».7
III
Diese Vorüberlegungen sollen nicht vergessen lassen, dass das vorrangige Thema dieses Aufsatzes die dogmatische Definition des Konzils von Nizäa ist. Im Kontext der Debatte um das parting of the ways möchte ich der Frage nachgehen, ob die Definition, dass der Sohn ‹dem Vater wesensgleich› ist, die jüdischen Wurzeln der Christologie zurücktreten lässt. Der Begriff ‹Homoousie› ist ja nicht biblisch und greift auf die griechische Ontologie zurück, um das Verhältnis von Vater und Sohn zu bestimmen. Wird das Evangelium von Jesus Christus durch die Definition der Homoousie hellenistisch verfremdet – oder handelt es sich um eine den biblischen Quellen entsprechende Übersetzungsleistung in den philosophischen Denkhorizont? Im Hintergrund des Problems stehen dogmengeschichtliche Kategorien wie ‹Judaisierung› und ‹Hellenisierung›. Doch was bestimmt die Semantik dieser Begriffe? Wird sie ‹deskriptiv› oder ‹normativ› verwendet? Welche erkenntnisleitenden Absichten stehen im Hintergrund? Sollen die altkirchlichen Konzilien verfallsgeschichtlich als hellenistische Verfälschung des Evangeliums kritisiert werden, oder soll die Rezeption der griechischen Philosophie als legitime Entfaltung der christlichen Theologie verteidigt werden? Klar ist, dass die Kategorien ‹Judaisierung› und ‹Hellenisierung› dem vielschichtigen Prozess des parting of the ways nicht gerecht werden, wenn sie als fixe Schablonen gebraucht werden. Schon im hellenistischen Judentum – Martin Hengel, aber auch Daniel Boyarin und Peter Schäfer haben dies auf je unterschiedliche Weise herausgestellt8 – gibt es Synthese-Versuche und komplexe Begriffs-Transfers. Denkangebote der griechischen Logos-Philosophie werden zur Deutung des biblischen Erbes herangezogen, wie paradigmatisch bei Philo von Alexandrien, aber auch binitarische Spekulationen über die Weisheit oder das Wort Gottes (memrah adonaj) als personalisierte Gestalten neben Gott zeigen. Die These, die ich im Folgenden vertreten werde, lautet:
Durch die dogmatische Definition, dass der Sohn «dem Vater wesensgleich» ist, nimmt das Konzil von Nizäa eine hermeneutische Punktsetzung vor, die in Fragen der Gotteslehre und der Christologie das parting of the ways zu einem finalen Abschluss bringt. Das Dogma prägt als liturgisches Bekenntnis die Memorialkultur der christlichen Glaubensgemeinschaften bis heute. Orthodox ist, wer in der Liturgie das nicäno-konstantinopolitanische Credo rezitiert, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist, der «dem Vater wesensgleich» ist. Die Definition von 325 hat im rabbinischen Judentum den rückwirkenden Effekt, dass bis dahin geläufige und durchaus fluide binitarische Gottesvorstellungen als heterodox verworfen werden. Bis heute gelten Inkarnation und Trinität als Differenzmarker im Dialog zwischen Judentum und Christentum. Die jüdischen Wurzeln des Christentums werden durch den Begriff der Homoousie zwar verdeckt, aber nicht vergessen, vielmehr auf eine bestimmte Weise zur Geltung gebracht.
Um die These plausibel zu machen, gehe ich zunächst auf die Theologie des Arius, dann auf die Antwort des Konzils von Nizäa ein. Abschließend möchte ich die These näher entfalten.
IV
Mit Arius (256–336), der als wortmächtiger Prediger und scharfsinniger Exeget in Alexandrien wirkte, gelangt die Inkulturation des Evangeliums in den hellenistischen Denkhorizont in ein kritisches Stadium. Er versucht den Glauben an Jesus Christus dadurch als zeitgemäß zu erweisen, dass er seiner Christologie das kosmologische Schema des Mittleren Platonismus zugrunde legt.9 Dieses Schema unterscheidet drei Stufen:
(1) das göttliche Eine, das radikal transzendent und relationslos ist;
(2) das Prinzip der Vermittlung, aus dem alles, was ist, hervorgeht – den Demiurgen oder «zweiten Gott»;
(3) die Vielfalt des materiellen Seins.
Arius rezipiert dieses kosmologische Schema und identifiziert die erste Dimension mit Gott, dem er die Attribute der Einheit, Unveränderlichkeit und Transzendenz zuschreibt. Ein Abgrund trennt diesen vom Logos, dem Sohn, der ihm – wie der Schöpfungsmittler und Demiurg – radikal untergeordnet ist, wie der fragmentarisch überlieferten Schrift Thalia zu entnehmen ist:
«Der Vater ist dem Sohn wesensfremd, da er ohne Ursprung west. Wisse, dass die Einheit (monas) war, die Zweiheit (dyas) aber nicht war, bevor sie ins Dasein trat. Solange der Sohn nicht ist, ist der Gott nicht Vater.»10
Dem Sohn kommt nach Arius keine Ewigkeit zu, er gehört in den Bereich der Schöpfung. Für diese Unterordnung des Sohnes führt Arius biblische Belege an. Im Buch der Sprichwörter heißt es: «Der Herr schuf mich als Anfang seiner Wege» (Spr 8, 22 – LXX: ektisen me). Die Weisheit ist demnach eine präexistente, aber geschaffene Größe. Arius identifiziert die Weisheit mit dem Logos und sieht in Spr 8, 22 einen biblischen Beleg für seine subordinatianistische Christologie. Auch der Hebräerbrief bietet einen Hinweis auf das Gewordensein des Sohnes: «Er ist so viel erhabener geworden – kreton genomena – als die Engel» (Hebr 1, 4).11 Eine weitere Stelle stammt aus dem Johannes-Evangelium: «Der Vater ist größer als ich» (Joh 14, 28). Auch der Vers: «Das ist das ewige Leben, dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen» (Joh 17, 3, vgl. Lk 18, 19) bestätigt scheinbar das exklusive Gottsein des Vaters. Schließlich unterstreicht Arius die Menschlichkeit Jesu: Wachstum, Hunger, Durst, Nichtwissen um die Zukunft, aber auch psychische Leiden wie Angst und Verlassenheit (vgl. Lk 2, 52; Mt 4, 2; Joh 4, 6; 19, 28 etc.). Zum Menschsein gehören Veränderlichkeit und Leiden, Veränderlichkeit und Leiden aber können Gott nicht zukommen, sie würden seine Vollkommenheit und Souveränität beeinträchtigen. Daher muss der Sohn, so folgert Arius, der Sphäre des Kreatürlichen zugehören (man sieht hier, dass Arius die spätere Unterscheidung zwischen menschlicher und göttlicher Natur noch nicht im Blick hat). Das Axiom der Apathie verbietet es, den Sohn, der gelitten hat und gestorben ist, ontologisch mit Gott direkt in Berührung zu bringen. Charles Taylor bemerkt dazu:
«Ein wesentliches Merkmal des gebildeten, philosophischen Gottesbegriffs bestand […] darin, dass Gott Emotionen nicht zugänglich sein dürfe, dass er apathes sein müsse. Es war enorm schwierig, den vor Schmerzen am Kreuz schreienden Jesus mit einem Gott in Zusammenhang zu bringen, dessen Definitionsmerkmal apatheia war. Darin lag eines der Motive der Arianer, sich gegen die Gleichsetzung von Christus mit Gott zu sperren.»12
Halten wir fest: Unter Rückgriff auf ein bestimmtes Ensemble von Schriftaussagen bestreitet Arius die Gottgleichheit des Sohnes. Er tut dies in der Absicht, die Einheit und Transzendenz Gottes zu schützen, die sowohl ein Erbe des biblischen Monotheismus Israels (vgl. Dtn 6, 4; Jes 45, 5) als auch ein Erbe der griechischen Philosophie in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist. Arius lehrt daher eine ontologische Inferiorität des Sohnes unter den Vater, bezeichnet ihn aber zugleich – wie Philo von Alexandrien und Justin der Märtyrer – als «zweiten Gott» (deuteros theos). Mit der ontologischen und wohl auch zeitlichen Depotenzierung des Sohnes wird übrigens die Grundlage der Rede von Gott, dem Vater, angetastet. Gott ist nicht der Vater und kann es nicht sein, wenn der Sohn nicht gleichewig, sondern ihm radikal unähnlich ist. Man kann von Gott dann allenfalls im Modus uneigentlicher Bildsprache als Vater sprechen, da er den Sohn geschaffen hat, um durch ihn die Schöpfung ins Werk zu setzen.13
Arius hat den Glauben der Kirche an Jesus Christus in den Denkhorizont des Mittleren Platonismus zu übersetzen versucht. Was in den Evangelien über Jesus im Modus der Erzählung überliefert, was in Bekenntnissen und Hymnen über den Kyrios, Erlöser und Sohn doxologisch bezeugt wird, das musste bei der Inkulturation des Evangeliums in die Begriffswelten der griechischen Philosophie übertragen werden. Ohne die sachlich gebotene Transformation greift Arius auf das kosmologische Schema des Mittleren Platonismus zurück und überträgt es auf die Christologie. Dadurch stellt er die neutestamentlichen Aussagen über die Göttlichkeit des Sohnes zur Disposition. Diese Infragestellung führt den Christusglauben der Kirche in eine Krise und verlangt eine Klärung.
V
Im Jahr 325 beruft Konstantin eine Reichssynode in die kaiserliche Sommerresidenz nach Nizäa, um eine einvernehmliche Klärung vorzunehmen. Die überwältigende Mehrheit der Konzilsteilnehmer – die Liste geht von etwas über 200 Bischöfen aus und wird später auf die symbolische Zahl 318 erweitert – stammt aus dem Osten, nur wenige kommen aus dem Westen. Neben Parteigängern des Arius und Anhängern seines Gegenspielers Alexander von Alexandrien gibt es eine dritte Gruppe von Synodalen, die eine mittlere Position vertreten. Das Konzil wird in Anwesenheit des Kaisers und zweier Legaten des Bischofs von Rom eröffnet. Nachdem die Mehrheit der Synodalen eine von den Arianern vorgeschlagene Glaubensformel abgelehnt hat, proklamiert das Konzil ein Glaubensbekenntnis, in das vier Präzisierungen eingefügt werden (DH 125); es verabschiedet eine antiarianische Verurteilungsformel (DH 126), unterschiedliche Kanones (DH 127–129) sowie einen Synodalbrief, der die Lehre des Arius verwirft (DH 130).
Ein hermeneutischer Grundsatz der Interpretation von Konzilsaussagen lautet, von den Verurteilungen auszugehen. Sie legen die Aussageabsicht offen. Das Konzil von Nizäa belegt diejenigen mit Anathema, «die sagen: ‹Es war einmal, als er nicht war› und ‹Bevor er gezeugt wurde, war er nicht›, und ‹Er ist aus Nichts geworden› oder die sagen, Gott sei aus einer anderen Substanz oder Wesenheit, oder er sei wandelbar oder veränderlich» (DH 126). Zurückgewiesen wird also die Lehre des Arius, dass der präexistente Sohn einen zeitlichen Anfang gehabt habe und ein Geschöpf Gottes sei.
Die positive Lehre des Konzils ist dem vorangehenden Glaubensbekenntnis zu entnehmen. Im Glaubensartikel über Gott, den Vater, wird zunächst das berechtigte Anliegen des Arius bekräftigt, das Bekenntnis zum einen Gott nicht anzutasten. Es heißt dort: «Wir glauben an einen Gott, Vater, Allherrscher, Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren» (DH 125). Im christologischen Artikel über den Sohn werden dann vier anti-arianische Einschübe eingefügt, die theologisch Aufmerksamkeit verdienen, da sie den Sohn ontologisch auf die Seite des einzigen Gottes stellen:
«Wir glauben … an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt, das heißt aus dem Wesen des Vaters [1], Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott [2], gezeugt, nicht geschaffen [3], wesensgleich dem Vater [4], durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf der Erde ist, der wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen ist und Fleisch und Mensch geworden ist […].» (DH 125)
Um das erweiterte Symbolum, das an 1 Kor 8, 5–6 angelehnt ist, wo Paulus das Bekenntnis zum «einen Gott, dem Vater», mit dem Bekenntnis zum «einen Kyrios Jesus Christus» verbindet, angemessen zu verstehen, seien die Einschübe kurz kommentiert. Der erste Einschub «aus dem Wesen des Vaters» präzisiert die biblische Aussage, dass Jesus Christus «als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt» ist. Im Johannes-Evangelium wird Jesus wiederholt als der «Einziggeborene» bezeichnet (vgl. Joh 1, 14.18; 3, 16.18; 1 Joh 4, 9). Beide Ausdrücke – Sohn Gottes und Einziggeborener – bringen das Bei-Gott-Sein Jesu Christi zum Ausdruck, könnten aber durchaus im Sinne des Arius gedeutet werden, der den Sohn als erstes Geschöpf vor aller Schöpfung bezeichnet. Um dies auszuschließen, fügt das Konzil ein, dass der Sohn «aus dem Wesen des Vaters» stammt – und eben nicht nur aus dessen Willen. Damit ist der Sohn von der übrigen, aus dem Nichts geschaffenen Schöpfung abgehoben. Er teilt das Wesen des Vaters und ist diesem nicht unter-, sondern gleichgeordnet.14
Auch der zweite Einschub «wahrer Gott aus wahrem Gott» unterstreicht die Gottheit des Sohnes. Die ersten beiden Bestimmungen «Gott aus Gott, Licht aus Licht» konnten arianisch interpretiert werden. Es war seit Justin durchaus üblich, den Schöpfungsmittler als «zweiten Gott» zu bezeichnen.15 Das Prädikat, «wahrer Gott» zu sein, hält demgegenüber fest, dass dem Sohn keine ontologisch inferiore Stellung zukommt, wie Arius lehrt. Wenn der Sohn wahrer Gott aus wahrem Gott ist, dann muss er mit dem Vater ontologisch gleichrangig sein. Gleichwohl zeigt die Präposition «aus» an, dass der Vater der Ursprung der Gottheit des Sohnes ist.
Der dritte Einschub «gezeugt, nicht geschaffen» setzt gegen die arianische Exegese von Spr 8, 22–25 die These von der Gleichewigkeit des Logos. Das Konzil wendet sich damit noch einmal gegen die Auffassung, dass der Sohn geschaffen oder geworden ist. Vor Nizäa wurden die Ausdrücke ‹zeugen› (gr. gennao) und ‹werden› (gr. gignomai) synonym verwendet. Auch Arius unterscheidet sie nicht, wenn er notiert: «Ehe er [der Sohn] gezeugt oder geschaffen wurde […], war er nicht, da er nicht ungezeugt war.»16 Das Konzil führt hier eine begriffliche Unterscheidung ein, wenn es lehrt: Der Sohn ist gezeugt und doch ungeworden! Diese Aussage ist theologisch nur dann sinnvoll, wenn dem Begriff der Zeugung jede zeitliche und physische Konnotation genommen wird.17 Der Vater zeugt den Sohn von Ewigkeit her, wie bereits Origenes unter Rückgriff auf Ps 2, 7 – «Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt» – gelehrt hatte.18 Da der Psalm Gott selbst sprechen lässt, könne das «heute» nicht temporal verstanden werden. Der Sohn gehöre vielmehr von Ewigkeit her in die Wirklichkeit Gottes hinein. Damit aber wird der Gottesbegriff entscheidend verändert, er ist nicht mehr als verhältnislose Einheit, sondern als Wesen in Beziehung zu denken. Vater und Sohn gehören beide in den Gottesbegriff hinein. Mit dieser Definition vollzieht das Konzil von Nizäa die entscheidende Transformation des griechischen Gottesbegriffs, in dem der Begriff des Göttlichen als Monas und frei von jeder Beziehung konzipiert wurde.
Diese Transformation wird im vierten Einschub terminologisch verdeutlicht, wenn gesagt wird, der Sohn sei «gleichwesentlich dem Vater». Mit dieser Abwehr des christologischen Subordinatianismus wird zugleich die triadische Kosmologie im Sinne des biblischen Schöpfungsglaubens korrigiert. Der Mittelbereich, in den Arius den Logos als Mittelwesen loziert, wird durch die Definition der Gleichwesentlichkeit von Vater und Sohn eliminiert. Zugleich wird jede bildliche Abschwächung, wie sie in der Rede vom Sohn als «zweitem Gott» begegnet, abgewiesen. Nach Arius ist der Sohn dem Vater «fremd» , «unähnlich» und nicht «wesensgleich».19 Dagegen bezieht das Konzil Stellung, wenn es den nichtbiblischen Begriff der Wesensgleichheit heranzieht, um die biblischen Sohnesaussagen (vgl. Joh 10, 30; 16, 15, Phil 2, 6) in einem neuen Denkhorizont zur Sprache zu bringen. Der Sohn gehört immer schon in den Gottesbegriff hinein, er ist gleichewig mit dem Vater, damit aber ist der Vater von Ewigkeit her der Vater des Sohnes, der Vatertitel wird Gott nicht bildlich zugeschrieben, er hat einen Anhalt in der Wirklichkeit Gottes. «Gott ‹Vater› nennen, bedeutet nicht, etwas Kontingentes in ihm anzusprechen, wie dies beim Menschen der Fall ist», notiert Christoph Schönborn und fügt hinzu: «Gott ist Vater, er ist der einzige, der wahrhaft Vater ist.»20
VI
Die Frage lässt sich nicht zum Verstummen bringen, ob das Evangelium dadurch, dass in das Glaubensbekenntnis ein nichtbiblischer Begriff eingeflochten wird, verfälscht wird – oder ob die Definition des homoousios eine Verdeutlichung genuin biblischer Aussagen in einem neuen Verstehenshorizont leistet. Die Beantwortung dieser Frage aber ist an die Debatte um die Hellenisierung des Christentums zwangsläufig gebunden. Allerdings versteht sich die Kategorie der Hellenisierung, wie bereits angedeutet, keineswegs von selbst. Bei ihrem theologischen Gebrauch vermischen sich allzu häufig deskriptive und normative Aspekte. Die Beschreibung der Inkulturation des Evangeliums in den hellenistischen Denk- und Verstehenshorizont erfolgt zumeist, ausdrücklich oder nicht, unter wertenden Vorannahmen, entweder unter dem Vorzeichen der legitimen oder gar notwendigen Entfaltung biblischer Impulse (Alois Grillmeier, Joseph Ratzinger, Leo Scheffczyk) oder unter dem Vorzeichen des illegitimen Abfalls vom Evangelium (Adolf von Harnack). Das entwicklungsgeschichtliche Narrativ, dass den Gang von den christologischen Hoheitstiteln des Neuen Testaments über die Logos-Christologie der Apologeten folgerichtig in die christologischen Definitionen der altkirchlichen Konzilien einmünden lässt, wird der Komplexität des Prozesses kaum gerecht und blendet die Formation des rabbinischen Judentums und seiner Reflexionen weithin ab.21 Umgekehrt erscheint der pauschale Vorwurf der Hellenisierung nicht angebracht, da das Konzil von Nizäa eine Enthellenisierung des Glaubens vorgenommen hat, insofern es die kritiklose Übernahme des mittelplatonischen Schemas durch Arius zurückweist. Auch wenn die Deutungskategorie der Hellenisierung semantisch unscharf ist und zumeist auf systematisch-theologische Probleme der Gotteslehre und Christologie enggeführt wird (mit dem Effekt, dass andere wichtige Transformationsprozesse im Bereich der Bildung, des Ethos oder der Disziplin unterbelichtet bleiben22), wäre es verfehlt, im Sinne eines Moratoriums auf die Verwendung des Begriffs ganz zu verzichten.23
Die hier vertretene Lesart läuft auf die These hinaus, dass die Übernahme hellenistischer Denkmittel durch das Konzil von Nizäa nach dem Modell einer Anknüpfung im Widerspruch verläuft. Man greift die griechische Wesensterminologie auf, bricht aber zugleich den griechischen Denkhorizont auf, indem durch die Definition der Homo-ousie etwas denkbar wird, was vorher undenkbar war. Das eine Göttliche, die letzte Wirklichkeit aller Wirklichkeiten, ist kein beziehungsloses Neutrum, keine Monas oder ewige Einsamkeit; vielmehr gilt: «Indem definiert wird, dass Vater und Sohn wesensgleich sind, wird der griechische Gottesbegriff mit griechischen Denkmitteln aufgesprengt und der abstrakte Monotheismus der philosophischen Gotteslehre auf den biblischen Satz ‹Gott ist Liebe› hin geöffnet. Nizäa hält fest, dass es zum Wesen Gottes gehört, Beziehung zu sein; die Kategorie der Relation, die in der Substanzontologie des Aristoteles lediglich akzidentellen Rang hat, wird dadurch dermaßen aufgewertet, dass Joseph Ratzinger von einer ‹Revolution im Gottesbegriff› gesprochen hat.»24
Diese Deutung erscheint mir heute ergänzungsbedürftig. Das Konzil trägt eine Relation in den Gottesbegriff ein, wenn es gegenüber dem radikal transzendenten und unbezüglichen Gottesbegriff des Arius klarstellt: Gott ist ein Gott in Beziehung von Vater und Sohn. Damit knüpft es auch an Aussagen des hellenistischen Judentums an, welche Gott ebenfalls in Relation zu vorweltlichen Entitäten wie der Weisheit, der memrah, dem Menschensohn oder andere Größen setzen! Das ist ein Moment der Kontinuität zu den jüdischen Wurzeln, das in den dogmatischen Lehrbüchern zumeist übersehen wird.25 Zugleich geht die Definition des Konzils davon aus, dass der Sohn gleichewig und gleichwesentlich mit dem Vater ist. Die Relation zwischen beiden wird als symmetrisch bestimmt und nicht – wie bei Arius, der vornizänischen Theologie und in den binitarischen Konzeptionen des hellenistischen Judentums – asymmetrisch. Das ist ein Moment der Diskontinuität, das seinen Anhalt in den neutestamentlichen Sohnesaussagen hat. Statt die Definition von Nizäa mit Joseph Ratzinger als «Revolution im Gottesbegriff»26 zu bezeichnen, würde ich daher vorsichtiger von einer Transformation sprechen, die sich durch ein Zugleich von Kontinuitäts- und Diskontinuitätsmomenten auszeichnet. Um diese Transformation genauer in den Blick zu bekommen, wäre neben der Rezeption von Denkangeboten der griechischen Philosophie bei der Deutung des arianischen Streits die Traditionen des hellenischen Judentums stärker zu beachten. Das verschiebt den Skopus der dogmenhistorischen Rekonstruktion. Forscher wie Friedo Ricken, Alois Grillmeier, Leo Scheffczyk etc. haben die Theologie des Arius vor allem im kosmologischen Schema des Platonismus erläutert. Demgegenüber wäre deutlicher herauszuarbeiten, dass sein christologischer Subordinatianismus durchaus an «binitarische» Denkfiguren anschließen kann, die sich im hellenistischen Judentum finden. Neben dem von Arius zitierten Buch der Sprüche wäre auf die andere Referenzstellen zu verweisen, die Peter Schäfer und Daniel Boyarin unter dem Titel der «zwei Mächte im Himmel» beschrieben haben.27 Sie bilden Anknüpfungsmomente für die Theologie des Arius, die eine hierarchische Abstufung zwischen Vater und Sohn (und Geist) vornimmt.
Wie aber steht es um Nizäa und die postnizänische Theologie? Vergisst sie nicht die jüdischen Wurzeln der Christologie? Geza Vermes vertritt eine solch verfallsgeschichtliche Sicht, wenn er notiert: «Die Theologen fuhren fort, das Bild des Wanderpredigers Jesus von Nazareth herunterzuspielen, der in längst vergangenen Tagen auf steinigen Pfaden Galiläa durchstreift und die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Tages des Herrn gepredigt hatte, und stattdessen seine glänzende neue Identität als den wesentlich, gleich ewig und gleichrangigen, eingeborenen Sohn Gottes des Vaters überzubetonen.»28 Diese Kritik erinnert eine Christologie im Gefolge der altkirchlichen Konzilien daran, das galiläische Kolorit der Evangelien nicht zu vergessen. Jüdische Jesus-Forschung und die Arbeiten der third quest haben den spekulativen Christologien die Binde von den Augen genommen und zurecht an das Judesein Jesu und seine Einbettung in das semantische Universum Israels erinnert.29 Zugleich ist das Narrativ vom einfachen Wanderprediger, der durch die altkirchliche Konzilienchristologie spekulativ überformt wird, bei aller Eingängigkeit verfehlt. Es unterschlägt, dass es spekulative Theologien auch im hellenistischen Judentum gegeben hat. Präexistente Mittlergestalten und Vorstellungen von Inkarnation sind keine christlich-theologische Erfindung, sondern jüdisches Erbe. Daniel Boyarin erinnert: «Die Gründe dafür, dass viele Juden zu glauben begannen, dass Jesus göttlich wäre, lagen darin, dass sie bereits erwarteten, dass der Messias/Christus ein Gott-Mensch sein würde. Diese Erwartung war ein wesentlicher Bestandteil der jüdischen Tradition.»30 Dieser Bestandteil der jüdischen Tradition ist in der Definition des Konzils von Nizäa aufbewahrt. Wie es aber im Judentum Theologien der Einwohnung und der Kondeszendenz Gottes gibt, so gibt es im Christentum Theologien der Menschwerdung und der Kenosis.31 Beide kommen darin überein, dass sie Gott nicht als apersonale Transzendenz, sondern als menschenzugewandten Gott verstehen. In diesem Sinne hat der Begriff der Homoousie die jüdischen Wurzeln der Christologie zwar verdeckt, aber nicht vergessen, sondern auf spezifische Weise zur Geltung gebracht.
Postskriptum
Das Dogma als hermeneutische Punktsetzung ist für postmoderne Denkstile ein Ärgernis. Sie setzen ein Fragezeichen hinter den Punkt und feiern die Dekonstruktion stabiler Semantiken. In ihrer antidogmatischen Tendenz aber erheben sie unter der Hand die Unbestimmbarkeit zur letzten Bestimmung. Unbestimmbarkeit kann aber dogmatisch keine befriedigende Kategorie sein, wenn Gottes Geheimnis selbst nicht unbestimmt geblieben, sondern geschichtlich nahgekommen ist. Die Rede von Jesus Christus als Gottes Sohn ist daher keine theopoetische Chiffre, keine anthropogene Setzung oder fromme Fiktion, sondern offenbarungstheologisches Datum. Die dogmatische Definition von Nizäa hält dies fest. Für die Memorialkultur des Christentums hat das nizäno-konstantinopolitanische Bekenntnis eine kaum zu unterschätzende Bedeutung, bis heute wird es in der Liturgie der Kirche in allen Konfessionen rezitiert.
Das theologiepolitische Interesse von Kaiser Konstantin aber wird durch die Entscheidung des Konzils von Nizäa subversiv unterlaufen. Ein Gott – ein Kaiser – ein Reich: diese Trias wird durch die trinitarische Theologie, die Gott als Gott in symmetrischen Relationen denkt, in Frage gestellt. Ein trinitarischer Gott im Himmel eignet sich nicht, autokratische Herrschaftsformen auf Erden zu rechtfertigen. Kaum zufällig waren die Reichstheologen des 4. Jahrhunderts, die in Kaiser Konstantin einen göttlich legitimierten Herrscher sahen, fast alle Arianer. Das orthodoxe Bekenntnis zum Konzil von Nizäa, das die Beziehung zwischen Vater und Sohn nicht als Unter-, sondern als Gleichordnung und Beziehung definiert, steht quer zu Denkmustern, welche die absolute Monopolstellung eines Herrschers mit der absoluten Monopolstellung Gottes rechtfertigen wollen. Das berührt die These von Erik Peterson, dass der trinitarische Gottesbegriff jede Form von politischer Theologie erledigt habe – eine These, die hier abschließend nur angedeutet sei, aber nicht mehr diskutiert werden kann.32