Paradoxe des GlaubensZum aktuellen Heft von COMMUNIO

Das Paradox ist die grundlegende Sprachform des Christentums, die die Geschichte der Kirche, wenn sie der Welt das Kreuz als Heil verkündet, durchzieht.

Isenheimer Altar
Isenheimer Altar© Wikimedia Commons/gemeinfrei

Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg.
Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit.1

Die Paradoxe des Glaubens sind Widerspruch. Widerspruch gegen die Welt, die das Kreuz für einen Skandal oder eine Torheit hält. «Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten» (1 Kor 1,21). Kein Widerspruch aber, der notwendig anti-logisch ist, noch ein Widerspruch, der sich in einer neuen, höheren Logik, also in der Synthese einer Dialektik wieder löst. «Das Paradox ist paradox: es schert sich wenig um den allgemein vernünftigen Ausschluß des ‹Gegen› durch das ‹Für›.»2 Das Paradox ist vielmehr die Ambiguität, in der das ganze Sein der Schöpfung unterfasst ist von seinem Schöpfer. Seine Wahrheit ist unbegrenzt. Das Paradox ist da Verweis auf das Je-Größere:

Das Je-Reichere des Urphänomens tritt im begrifflichen Bereich in entgegengesetzten Aussagen zutage, die beide – ohne sich eigentlich zu widersprechen – berechtigt sind, die auch nicht dialektisch ‹ineinander umschlagen›, sondern gemeinsam über sich hinaus auf das Phänomen weisen, das sowohl ‹unter› wie ‹über› ihnen liegt. […] Das Paradox ‹sündigt nicht gegen die Logik, deren Gesetze unverletzlich bleiben; aber es entrinnt ihrer Herrschaft›. Es ist ‹der dauernde paradoxe Wohlgeschmack›, der ‹die Wahrheit im Zustand ihrer ursprünglichen Frische› erhält.3

Dieses Paradox ist das Unbedingte des Christentums, weil es die Logik der Ewigkeit sprengt. Nicht mehr muss, wer ewig sein wird, von Ewigkeit her sein  – die ewige Seele Platons weicht der Gnade Gottes, von der her und auf die hin die Schöpfung zugeht. Da ist

[d]er Mensch […] nur Mensch, indem er sich selbst und das bloß Faktische übersteigt; ein Faktisches bliebe für ihn unerkannt, wenn er sich nicht sozusagen daneben und darüber stellte, sei es auch nur, um wieder zu ihm zurückzukehren oder sich ihm anzupassen. Der Grad von Barbarei oder Kultur spielt dabei keine Rolle: auf den ersten Anhieb, in einem rudimentären Akt beherrschen, übersteigen, begreifen und enthalten sie alle, der Wilde, das Kind, der Hochzivilisierte, nach dem Wort des Aristoteles, die gesamte Welt. Jeder Gedanke schlingt gleichsam die Totalität des Faktischen in sich ein, befreit sich davon, setzt die eigene Schöpfung an deren Stelle; er ist er selbst, kennt sich selbst und entfaltet sich selbst nur unter der Bedingung, daß er diese Transzendenz lebt.4

Schon bei Thomas von Aquin entfaltet sich das Paradox auf den Menschen hin als vestigium und imago dei. Das Paradox darf aber nicht zu einer christlichen Anthropologie verkürzt werden. Es ist die grundlegende Sprachform des Christentums, die die Geschichte der Kirche, wenn sie der Welt das Kreuz als Heil verkündet, durchzieht. Es ist die Sprachform, die die Antinomien des Geschaffenen selbst erkennt und erhält, ohne die Wahrheit, Christus selbst, zu vergessen. Es ist die Sprachform eines katholischen Christentums (oder Catholicisme), das gleichzeitig in der Welt und nicht von dieser Welt ist, das in seinem universalen Anspruch, kein Lamm um der Herde willen zu vergessen (Mt 18,12-14), nicht die eine Wahrheit vergisst. Paradox heißt dann, die Zweiten der Geschichte als Gegenstimme heranzuholen, das Wunder erklingen zu lassen, das sich nicht in einer Dialektik löst, sondern symphonisch spielt. Die Aufhebung einer Wahrheit für eine andere weicht der Zuordnung der Wahrheit im Orchestergraben. Erst diese katholische Universalität, die die Gegensätze als solche einfängt, lässt das Evangelium aufspielen. Dazu schreibt der Nyssener:

Denn in Wahrheit wird den überhimmlischen Gewalten durch die Kirche die buntgestaltige Weisheit Gottes kund, die aus Gegensätzen ihre großen Wunder zaubert. Wie wurde denn durch Tod Leben, und Gerechtigkeit durch Sünde, und durch Fluch Segen, und Glorie durch Schande, und durch Ohnmacht Stärke? […] Diese buntfarbige Gestalt der Weisheit Gottes aber, die aus den Verschlingungen der Gegensätze entsteht, wurde ihnen jetzt durch die Kirche offenbart: wie WORT Fleisch wird, wie sich Leben dem Tode mischt, wie Es durch seine Wundmale unsere Schläge ausheilt (1 Petr 2,24), wie Es durch die Ohnmacht des Kreuzes die Kraft des Gegners niederringt, wie der Unsichtbare sichtbar wird, wie Er die Gefangenen loskauft (wobei Er Käufer wie Kaufpreis ist, denn Er gab Sich für uns dem Tod als Lösegeld), wie Er Sich dem Tode ausliefert, ohne dabei aus dem Leben zu scheiden, wie Er Sich unter das Sklaventum mischt und im Königtum bleibt.5

Diese Weisheit Gottes, wie sie sich uns in den Paradoxen zeigt, ist unverrückbar kirchlich. Die Paradaoxe des Glaubens sind wahr nur in Christus. Verweltlicht sind sie verkürzt. Sie kennen keine Wahrheit der Welt, die nicht schon die christliche ist. Die Paradoxe sind im Detail wie im Ganzen, unaufgehoben unterwegs zur Fülle, gleichsam – in einer Retour zu den Kirchenvätern – Ausdruck des unendlichen Strebens zu und schon in Gott (ἐπέκτασις). In ihrer Vereinzelung führen die Paradoxe zum Herzen des Glaubens. Die Wahrheit der Christen gipfelt im Zeichen ihres Heils: «O Kreuz, durch das uns Hoffnung sprießt, in deinem Sieg sei uns gegrüßt!»6

Das vorliegende Themenheft unternimmt es, die Paradoxe des Glaubens neu zu bedenken, in einem Wechselspiel von Darstellung und Besprechung. Den Anfang setzt Thomas Marschler mit einem Beitrag zum marianischen Paradox, das in der Bezeichnung Mariens als Gottesgebärerin wurzelt und sich drüber hinaus in ihrer Jungfrauenschaft entfaltet. Dabei weist er die wahrhaft menschliche Tätigkeit der Gottesmutter in ihrem Bezug zum gnadenvollen, aber nicht determinierenden Handeln Gottes auf. Vorausdeutend wird darin schon das christologische Paradox gewahr, das Markus Kleinert in Auseinandersetzung mit Søren Kierkegaards Einübung im Christentum zur Geltung bringt. Kierkegaard nimmt hierbei Ausgang vom Paradox des Gottmenschen Jesus Christus, das sich in dessen Knechtsgestalt zuspitzt. Darüber hinaus markiert Kleinert das paradoxale Verständnis Kierkegaards vom religiösen Schriftsteller, das sich gewissermaßen analog zu dem des Gottmenschen entwirft.

Die Paradoxe als Denkform nimmt Justin Arickal in den Blick, wobei er ein besonderes Augenmerk auf die Verschränkung von Paradox und Doxologie als Paradoxologie legt. Mit einem Panorama von Heiliger Schrift, Mystik und Liturgie entfaltet er diese in ihrem Facettenreichtum. Ursula Schumachers Beitrag widmet sich dem Gnadenstreit des 16. und 17. Jahrhunderts, bei welchem Thomisten den Akzent auf die Gnade, Jesuiten den Akzent auf die Freiheit setzten. Dabei geht sie auch auf die Versuche der nackonziliaren Theologie ein, das Zueinander von Gnade und Freiheit weiterzudenken. Ein berühmter Autor der Paradoxe ist Gilbert K. Chesterton. Thomas Möllenbeck behandelt nicht nur die Paradoxe im Werk des Schriftstellers, sondern zeigt diese in dessen Person selbst auf, besonders hinsichtlich seiner zweimaligen Konversion. Abschließend geht Michael Gassmann auf Paradoxien der Kirchenmusik ein, die sich aus der wechselhaften Bedingung von liturgischen Vorgaben und musikalischen Freiheiten ergeben.

 

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