Abstract / DOI
Die Humorlosigkeit der Ideologen. Humor setzt Distanz zu den Dingen und sich selbst voraus. Im politischen Raum hat Humor eine Entlastungsfunktion. Diese Funktion ist in Diktaturen wichtiger als in freiheitlichen Demokratien. Von Ideologien getragene Diktaturen lassen besonders wenig Raum für Humor, weil Ideologen die Welt zu retten beanspruchen und den neuen Menschen hervorbringen wollen. Mit ihrem innerweltlichen Heilsversprechen begeben sie sich in Konkurrenz zu den Religionen. Mit ihren Versuchen, das Heil zu verwirklichen, verursachen sie den größtmöglichen Schrecken. Wahrer Humor akzeptiert die Fehlbarkeit des Menschen, statt den neuen Menschen schaffen zu wollen. Dazu gehört, die eigene Fehlbarkeit wahrzunehmen, wozu Ideologen nicht imstande sind, weil sie glauben, die Welt im Innersten verstanden zu haben.
The Humorlessness of the Ideologues. Humor requires distance from things and yourself. In the political sphere, humor has a relief function. This function is more important in dictatorships than in liberal democracies. Dictatorships based on ideology leave particularly little room for humor because ideologues claim to save the world and want to create the new human being. With their promise of salvation within the world, they compete with religions. With their attempts to realize salvation they cause the greatest possible horror. True humor accepts the fallibility of man instead of trying to create the new man. This includes recognizing one’s own fallibility, something ideologues are unable to do because they believe they have understood the world at its core.
DOI: 10.23769/communio-53-2024-655-662
Eigentlich vertragen sich Politik und Humor sehr gut. Wenn Humor die Haltung bezeichnet, sich Distanz zur jeweiligen Lage zu verschaffen, indem man die auch immer vorhandene komische Seite einer Sache herauskehrt, dann ist Humor besonders bei einer so ernsthaften Angelegenheit wie der Politik ein geradezu notwendiges Korrektiv. In der Politik wird über das Leben von Menschen entschieden. Was von den Mächtigen beschlossen wird, definiert die Freiheitsspielräume der Bürger, und zwar in der Demokratie ebenso wie in der Diktatur. Diese Macht über die Existenz von Menschen ist etwas sehr Ernstes. Dazu mittels Humor Abstand zu gewinnen, die Politiker, die eigene Situation oder die allgemeine Lage eben nicht durchgängig ernst zu nehmen, hat etwas Entlastendes. Und das ist sicher eine der wesentlichen Funktionen des Humors: Das Schwere leichter zu machen, dem Herben das Heitere abzuringen, dem Unausweichlichen die Spitze zu nehmen.
Natürlich ist dies vor allem die Reaktion der von den politischen Entscheidungen Betroffenen; von den Mächtigen Humor oder gar Selbstironie zu erwarten, hieße viel zu verlangen. Denn an die Macht zu kommen, setzt in der Regel einen Kampf voraus, den nur bestimmte Charaktere bestehen – im allgemeinen solche, die sich nicht durch ein besonders kritisches oder gar humorvolles Selbstverhältnis auszeichnen. Zweifellos gibt es rühmliche Ausnahmen. Doch da das politische Geschehen eben immer auch ein Kräfteringen ist und dabei alles vermieden werden muss, was als Schwäche ausgelegt werden könnte, erscheint alles Relativierende, wozu auch der Humor zählt, fehl am Platz. Gilt das schon im bürgerlichen, im demokratischen Rahmen, so noch viel mehr für ideologisch ausgerichtete Politiker. Bei ihnen hat der Humor überhaupt keinen Raum. Warum das so ist, warum ideologische Verbissenheit kein entlastendes Lachen erlaubt, ist Gegenstand der folgenden Betrachtungen.
1. Humor in der Politik
Machtverhältnisse legen Rangordnungen fest. In der Demokratie ist dieses «Oben» und «Unten» eines auf Zeit. Jede Wahl mischt die Karten neu, und da allen Staatsbürgern das aktive und passive Wahlrecht zukommt, hat jeder, der sich traut, die Chance, seinerseits zu den politisch Bestimmenden aufzusteigen. Diese Volatilität der Verhältnisse mindert den Druck, der auf dem Einzelnen lastet. Hinzu kommt die Macht, die auf Seiten des Wählers liegt, nämlich die aktuell Regierenden mit der Möglichkeit der Abwahl zu schrecken. Das zusammen nimmt der Hierarchie zwischen Regierenden und Regierten das Unüberwindliche. Und obwohl auch in der Demokratie ständig über die Ohnmacht der Bürger gegenüber dem, was von den Politikern beschlossen wurde, geklagt wird, entspricht das nicht den tatsächlichen politischen Strukturen. In der Demokratie ist der Bürger nicht ohnmächtig. Ihm steht neben der Wahl der Regierenden und der eigenen Kandidatur noch eine Vielzahl von weiteren Möglichkeiten offen, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Insofern ist in der Demokratie die Notwendigkeit nicht so groß, sich mittels Humors in politischer Hinsicht Entlastung zu verschaffen. Andererseits eröffnet der weite Freiheitsraum der liberalen Gesellschaft eine Vielfalt an Gelegenheiten, sich ironisch, satirisch, scherzhaft oder auch mit bissigem Humor über das politische Geschehen und seine Akteure zu äußern. Zwar mussten Politiker immer schon, auch in vordemokratischen Zeiten, mit Karikaturen, Witzen und Ähnlichem leben. Das belegen antike Satiren, spöttische Flugschriften über Könige und Kaiser oder karikierende Zeichnungen, die politische Potentaten wie Napoleon oder Bismarck zum Ziel hatten. Doch in der Demokratie hat sich, nicht zuletzt durch das Internet, auch der Witz demokratisiert. Jeder kann sich nun ohne großen Aufwand an den Politikern abarbeiten und dabei selbst festlegen, welche Grenzen er sich dabei setzt oder eben auch nicht. Dass dabei die des guten Geschmacks nicht immer geachtet werden, liegt nicht zuletzt an der ausbleibenden Sanktion. Je geringer die äußere Regulierung, umso mehr ist die innere gefragt, und so ist der hohe Anspruch der Demokratie an die Bürger, was Selbsttätigkeit angeht, auch in puncto Umgang mit den Politikern virulent.
Ganz anders sieht es natürlich in diktatorischen Systemen aus. In ihnen ist die Repression allgegenwärtig. Hier ist der politische Witz ein notwendiges Ventil, um den Druck, unter dem die Menschen stehen, wenigstens etwas zu mindern. Die Leichtigkeit, die dem Humor normalerweise innewohnt, fehlt hier in der Regel. Denn der Ernst der Lage schimmert auch beim politischen Witz meist durch, ist er doch überaus ernsten Verhältnissen abgerungen. Zudem begibt sich jeder, der solche Witze verfasst oder in Umlauf bringt, in Gefahr, manchmal sogar in Lebensgefahr. Von daher streift der Humor, der in solcher Lage noch möglich ist, immer auch das Tragische. Davon zeugt z. B. dieser unter dem NS-Regime erzählte Witz: «Kennst Du den Unterschied zwischen Christentum und Nationalsozialismus? Im Christentum starb einer für alle, im Nationalsozialismus sollen alle für einen sterben.» Hier gefriert das Lachen auf den Lippen; zu scharf, zu prägnant ist die Situation in diesen wenigen Sätzen erfasst. Ähnliches gilt für folgenden Witz aus Sowjetzeiten: «Kennedy kommt zu Gott und fragt: Wie lange wird es dauern, bis mein Volk glücklich ist? Gott sagt: 50 Jahre. Kennedy weint und geht. De Gaulle kommt zu Gott und fragt: Wie lange wird es dauern, bis mein Volk glücklich ist? Gott sagt: 100 Jahre. De Gaulle weint und geht. Chruschtschow kommt zu Gott und fragt: Wie lange wird es dauern, bis mein Volk glücklich ist? Gott weint und geht.»
Man möchte lachen, doch zugleich möchte man es den Akteuren in diesem Witz gleichtun. Diese Ambivalenz, dieses Changieren zwischen Komik und Tragik, ist wohl etwas für repressive Systeme Spezifisches. Die Entlastung, die Menschen sich durch den politischen Witz verschaffen möchten, gelingt immer nur partiell. Das Damoklesschwert, das über ihnen schwebt, ist stets präsent, es ist auch durch Humor nicht zum Verschwinden zu bringen. Bestenfalls lässt sich seine Existenz kurzfristig verdrängen, doch selbst das empfiehlt sich nicht. Es könnte zu Leichtsinn verführen.
Wenn gerade von Diktaturen die Rede war, so sollte hier noch eine Binnendifferenzierung vorgenommen werden. Als Diktatur könnte man jedes System bezeichnen, das den Willen der Herrschenden mittels Gewalt durchsetzt, das weder Rechtsstaat noch Gewaltenteilung kennt, das demokratische Verfahren bestenfalls zur Tarnung und Pseudo-Legitimation benutzt. Diktatorische Regime wie die kommunistischen oder das nationalsozialistische verfügen aber noch über ein weiteres, sehr folgenreiches Merkmal: Sie sind von einer Ideologie getragen. Was in ihnen geschieht, entspringt also nicht einfach der Willkür der Machthaber, sondern soll Ausdruck einer Programmatik sein, die nicht bloß von außen in das Leben der Menschen einwirken, sondern auch in ihr Inneres hineingreifen und ihr Denken ändern will. Der Anspruch ist ein totaler, und deshalb können solche Systeme auch als totalitär bezeichnet werden. Dass der in ihnen noch mögliche Humor nur ein verzweifelter sein kann, liegt am Wesen des Ideologischen.
2. Ideologien
Ideologien sind nicht einfach nur politische Theorien. Sie sind durchaus mehr.1 Theorien haben meist eine nur begrenzte Reichweite, während Ideologien nicht weniger als Welterklärungsmodelle darstellen. Sie geben vor, einen archimedischen Punkt gefunden zu haben, von dem aus sie das Ganze der Wirklichkeit erkennen, ordnen und begründen können. Der Marxismus erklärt die Welt und die Geschichte der Menschheit durch die ökonomischen Verhältnisse und den sich daraus ergebenden Klassenkampf, der Nationalsozialismus durch das Wollen der Natur und den sich daraus ergebenden Rassenkampf. Aber auch gegenwärtig grassierende Ideologien verfahren derart monokausal, indem sie alle Übel dieser Welt wahlweise auf den Geschlechterkampf, den Kolonialismus oder den Rassismus zurückführen. Eine Ideologie muss also nicht erst zum politischen System werden, um Totalitäres hervorzubringen. Sie selbst erhebt bereits einen Totalitäts-Anspruch, will sie doch mit einem Schlag alles, was war, ist und sein wird erhellen und mit geradezu göttlicher Einsicht in das Weltgeschehen den Weg vom Unheil zum Heil weisen.
Denn dass man bisher nur das Unheil vorangetrieben hat, steht für ideologisches Denken außer Frage. Ideologien setzen grundsätzlich an vermeintlichen Missständen an, die so gravierend sind, dass sie das Überleben der Menschheit gefährden. Ob es die ökonomische Ausbeutung, die Herrschaft der jüdischen Rasse, die des weißen Mannes oder der Ungläubigen ist – die Situation hat sich krisenhaft zugespitzt, die Welt steht am Rande des Abgrunds. Das Gros der Menschheit aber lebt in Verblendung, nur die Ideologen durchschauen die Zusammenhänge, erkennen die Dramatik der Lage und deren Ursache. Schon hier wird verständlich, dass Ideologen nicht zum Scherzen zumute ist. Wer sich berufen fühlt, die Welt zu retten, darf nicht nur in der Wahl der Mittel nicht zimperlich sein, er kann sich auch in keiner Weise in Distanz zum Geschehen begeben. Denn dann könnte es ja zu spät sein, um rettend eingreifen zu können. Die Distanz, derer es zu einem humorvollen Umgang mit der Wirklichkeit bedarf, kann sich ein fanatisch an seine Mission Glaubender nicht leisten. Er ist eins mit der Sache, und sei diese noch so abwegig.
Ideologen agieren also mit religiösem Eifer. Rührt daher ihre Humorlosigkeit? Das würde der Religion unrecht tun, denn zumindest das Christentum lässt immer noch Raum für ein Augenzwinkern und einen nachsichtigen Umgang mit lässlichen Sünden. Der tiefere Grund dafür ist wohl die Einsicht in die Unzulänglichkeit des Menschen, die ihm wesensmäßig eignet. Deshalb darf man von ihm auch keine Vollkommenheit erwarten Das trifft für alle Menschen gleichermaßen zu, es ist sozusagen ihre natürliche Ausstattung. Die menschliche Fehleranfälligkeit, seine Fehlbarkeit, hat oft auch eine komische Seite, und eine Religion, die dies anerkennt, ist auch imstande zu einem verzeihenden Lächeln oder Lachen.
Insofern kann es nicht die Humorlosigkeit sein, die eine gewisse Nähe zwischen Ideologie und Religion begründet. Es ist offensichtlich etwas anderes: die Heilserwartung. Nicht umsonst haben Denker wie Raymond Aron2 oder Eric Voegelin3 von politischen Religionen gesprochen, als sie die beiden großen ideologischen Systeme des Marxismus und des Nationalsozialismus kennzeichneten. Die Struktur, von einem Zustand der Unvollkommenheit zu einem Zustand der Vollkommenheit zu streben, ist Religion und Ideologie gemeinsam. Der entscheidende Unterschied aber ist, dass der Heilszustand bei den politischen Religionen weltimmanent erreicht werden soll. Die Transzendenz wird sozusagen in die Immanenz hineingeholt, was einer Absage an die Fehlbarkeit des Menschen gleichkommt. Wenn nämlich die Zustände am Ende des erwarteten Umwälzungsprozesses vollkommen sein werden (das kommunistische Paradies, die Weltherrschaft der dazu ausersehenen Rasse, die vollendete Gleichheit der Geschlechter, der Völker usw.), dann müssen es die Menschen auch sein. Selbst wenn man wie Marx daran glaubt, dass es die Verhältnisse sind, die die Menschen prägen und nicht umgekehrt, sollen doch auch bei ihm nach der Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse jene vollkommenen Menschen entstehen, die keines Gottes mehr bedürfen, weil sie selbst göttlich geworden sind.
So ist es kein Zufall, dass zumindest Marxismus und NS-Ideologie in scharfem Gegensatz zur Religion standen. Unbewusst nahmen ihre Schöpfer wohl wahr, dass es sich hier um ein Konkurrenz-Unternehmen handelte, welches das eigene Deutungsmonopol in Frage stellte. Sollte das Heil bereits auf Erden zu verwirklichen sein, war das Versprechen der Religion in der Tat überflüssig. Allerdings hatte die Säkularisierung des religiösen Schemas gravierende Folgen.
Aus christlicher Sicht bewegt sich das menschliche Dasein in dem Bereich zwischen Gut und Böse. So wenig, wie es beim Menschen das absolute Gute gibt, gibt es das absolute Böse. Selbst der schlechteste Mensch ist noch Mensch, auch wenn es in manchen Fällen schwerfallen mag, das zu akzeptieren. Ideologisches Denken hingegen, welches dem Absoluten eine diesseitige Existenz zuspricht, muss auch für das Böse ein materielles Substrat annehmen. Schließlich bedarf es einer Erklärung dafür, weshalb das Heil noch so weit entfernt ist und die Welt sich in jenem Elendszustand befindet, aus dem sie erlöst werden soll. Dafür können dann nur teuflische Menschen verantwortlich sein, und zwar nicht als Individuen, sondern als Kollektive. Die verruchte Klasse oder Rasse, das abgrundtief egoistische Europa oder die herrschsüchtigen Männer – wer immer an dem konstatierten Desaster schuld ist, ist heillos schlecht und gänzlich verdammenswert.
Dass solche Überzeugungen zu Vernichtungsphantasien und im schlimmsten Fall auch zur Vernichtungspraxis führen, ist unausweichlich. Das Gute wird sich schon einstellen, wenn das Böse erst einmal eliminiert ist. Sobald man den Feind entpersonalisiert hat und nur noch als Angehörigen eines Kollektivs wahrnimmt, sinkt die Hemmschwelle bei seiner Bekämpfung. Wenn man an das Grauen denkt, das die totalitären Systeme, die sich als Vollstrecker der jeweiligen Ideologien sahen, über die Welt gebracht haben, ist unmittelbar evident, dass es hier kein entlastendes Lachen mehr geben kann.
Diese Systeme haben den Menschen in den Abgrund blicken lassen, den Abgrund, der in ihm selbst lauert. Über ihn hinwegzubalancieren, erlauben nur jene gemäßigten politischen Regime, die pragmatisch mit den Schwächen des Menschen umgehen und nicht vorhaben, den neuen Menschen zu züchten. Die totalitären Systeme müssen einen neuen Menschen hervorbringen, weil die bisher bekannte Gattung Mensch total versagt und alle Übel verursacht hat, die nun das Überleben der Menschheit gefährden. Der neue Mensch ist dagegen makellos. Das Makellose aber hat nichts Komisches an sich. Und der Weg zu dieser vermeintlichen Makellosigkeit ist so furchtbar, dass auch hier jedes Lachen erstirbt.
3. Ein befreites Lachen?
In seiner sehr erhellenden Geschichte der Studentenbewegung («Der lange Sommer der Theorie») berichtet Philipp Felsch von einem Mentalitätswandel, der nach Jahren erbittertster Theoriediskussionen in Teilen der Studentenbewegung einsetzte: Man entdeckte das Lachen. «Als Zerfallsprodukt der Ideologiekritik hat es der Sattelzeit der Postmoderne seinen Stempel aufgedrückt.»4 Sich selbst nicht mehr so ernst zu nehmen, auch die Sache nicht mehr so ernst zu nehmen, gelang offenbar erst, nachdem man die Frucht- bzw. Folgenlosigkeit der endlosen ideologischen Scharmützel erkannt hatte. Manche der Beteiligten verfielen darauf in die Melancholie. Andere aber sahen in der Vergeblichkeit das Komische. Allerdings war diese neue Sicht oft von Nietzsche und Foucault inspiriert, das heißt, nicht nur die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, sondern der Sinn überhaupt wurde fraglich. «Das nietzscheanische Lachen, das das Ende der Ideologiekritik begleitet hatte, bereitete den Boden für die Kyniker und Skeptiker.»5
Die geschilderte Entwicklung kann man wohl als paradigmatisch betrachten. Solange man an die Ideologie glaubt (die bei der Studentenbewegung zum Teil in Gestalt der Ideologiekritik auftrat), ist kein Raum für Humor. Erst wenn man sich von ihr gelöst und vielleicht auch die eigene frühere Befangenheit als solche erkannt hat, ist ein befreites Lachen möglich. Doch hier droht zugleich der Umschlag. Weil der frühere Glaube an den Sinn sich als obsolet erwiesen hat, wird mit dem Glauben an den Sinn die Sinnhaftigkeit selbst preisgegeben. Ist aber das Lachen des Zynikers überhaupt ein echtes, von Herzen kommendes? Kann der Zyniker irgendetwas ernst nehmen, auch, so merkwürdig das klingt, das Lachen, oder muss er nicht alles seiner zersetzenden Kritik unterwerfen, die vor nichts haltmacht, außer vor sich selbst?
Nicht alle, die sich von einer Ideologie befreit haben, können sich vom ideologischen Denken lösen. Einige von ihnen schwenken einfach zur Gegen-Ideologie um wie die ehemaligen Aktivisten der Studentenbewegung Horst Mahler, Bernd Rabehl oder Günter Maschke.6 Oder sie vollziehen die geschilderte zynische beziehungsweise skeptische Wende – eine andere Variante eines letztlich zerstörerischen Denkens, das dann offen jenen Nihilismus zelebriert, der den Ideologien verborgen innewohnt. Nihilistisches Gelächter entbehrt jedoch jener Gelassenheit, Heiterkeit und Leichtigkeit, die man mit echtem Humor verbindet. Es hat etwas Trotziges an sich; man merkt ihm die Anstrengung an. Anstrengen sollte Humor jedoch nicht, das nähme ihm die entlastende Funktion.
4. Die menschlichen Dinge
Humor, der diesen Namen verdient, ist also offenbar nicht gegeben, wenn man zynisch überhaupt nichts mehr ernst nimmt. Schon gar nicht stellt er sich ein, wenn man sich bis zur Selbstaufgabe in eine Sache verbissen hat und mit heiligem Eifer, der dem irdischen Ziel gar nicht angemessen ist, die Welt zu verbessern unternimmt. Letzteres zu wollen, setzt im Grunde göttliche Einsicht voraus – woran krankt die Welt, wer ist dafür verantwortlich, was ist dagegen zu tun? Dies alles mit Gewissheit sagen zu können, von keinem Zweifel an die eigene Fähigkeit zur Diagnose und zum Finden der richtigen Therapie angekränkelt zu sein, lässt jene Distanz vermissen, die für ein humorvolles Verhältnis zur Welt unabdingbar ist. Die Distanzlosigkeit fängt demnach bereits bei einem selbst an. Man muss sich im Stand der Gnade wähnen, wenn man in politischen Dingen so sicher über Gut und Böse, Richtig und Falsch urteilen zu können glaubt, dass sich daraus ein missionarischer Auftrag ergibt.
Dass diejenigen, die andere politisch missionieren wollen, sich selbst in der Regel für nicht missionierungsbedürftig halten, entbehrt seinerseits nicht der Komik – allerdings nur für den Außenstehenden. Denn die Schwäche, der die Komik entspringt, wird vom Betroffenen ja nicht wahrgenommen. Und so entgeht denen, die bspw. aktuell ihre Mitmenschen mit strengsten Vorgaben für politisch korrektes Sprechen und Verhalten versehen, wie lustig es ist, anderen ungefragt die Welt erklären zu wollen und sie auf ihr grundlegend falsches Leben hinzuweisen, als wären die Prämissen, von denen aus das geschieht, unzweifelhaft gewiss und von jedem vernünftigen Menschen unmittelbar einsehbar. Doch wenn der mit den Wegweisungen zur rechten Lebensführung Beglückte das etwas anders sieht, ist dies nur ein Beweis für ebenjene Fehlorientierung, die es ihm auszutreiben gilt. Auch diese Selbstimmunisierungsstrategie der Akteure der Identitätspolitik, des Anti-Rassismus, der Klimapolitik etc. hat etwas Komisches. Sie offenbart die Zirkularität eines Denkens, das sich immer nur in den eigenen Setzungen bewegt und doch meint, die Welt verstanden zu haben.
Um im Politischen den Humor nicht zu verlieren, ihn sich von Ideologen, politischen Missionaren, Zynikern und Extremisten nicht nehmen zu lassen, empfiehlt es sich, menschliche Schwächen nicht ausmerzen zu wollen, sondern sie zu akzeptieren, zumal niemand von ihnen frei ist. Das schließt den Willen zur Besserung nicht aus, der allerdings bei einem selbst ansetzen sollte und nicht mit Vorliebe bei den anderen. Die Einsicht in die eigenen Mängel fördert die Großzügigkeit gegenüber fremden Mängeln, und das ist eine Grundvoraussetzung dafür, auf sie mit Humor reagieren zu können. Unvollkommene Menschen können auch immer nur unvollkommene Politik hervorbringen, und wie komisch sind oft jene menschlichen Eigenschaften, die im politischen Raum gehäuft anzutreffen sind: Eitelkeit und Geltungssucht, Dummheit und Selbstüberschätzung, Oberlehrerhaftigkeit und Weltfremdheit! Sich beim Lachen darüber selbst wiederzuerkennen, ist das beste Gegenmittel gegen verfehlte Absolutheitsansprüche – an die Welt, die Politik und das Leben.