«Humor kann uns helfen, demütiger zu werden»Ein Gespräch mit Bischof Stefan Oster

Der Passauer Bischof ist dafür bekannt, an Ostern in der Kirche einen Witz zu erzählen, um der Osterfreude Ausdruck zu verleihen. Er meint: Zum christlichen Glauben gehört die Erkenntnis, dass niemand vollkommen ist. Man kann darum kein heiliger Mensch und gleichzeitig humorlos sein: Wer seine Unzulänglichkeiten kennt, kann über sich selbst lachen – und sich darüber freuen, erlöst zu sein.

Bischof Stefan Oster erzählt Osterwitz
Bischof Stefan Oster erzählt den Osterwitz© Bistum Passau

Benjamin Leven: Sie haben am Ende des Gottesdienstes der Osternacht dieses Jahr eine kleine Geschichte erzählt, einen Witz, der auf YouTube veröffentlicht worden ist. Das Video wurde inzwischen schon 1, 7 Millionen Mal angesehen. Werden Sie oft darauf angesprochen?

Stefan Oster: Ja, permanent. Es gibt jetzt sogar eine Art Erwartungshaltung, dass ich bei jeder Gelegenheit irgendeinen Gag mache oder Witze erzähle. Aber meine Aufgabe als Bischof ist es, das Evangelium zu verkünden. Der risus paschalis, das Osterlachen, ist eine alte Tradition und gehört in die Osternacht, aber nicht in jeden Gottesdienst. Der Brauch stammt, soweit ich weiß, aus dem Mittelalter. Es ist schön, bei so einer Gelegenheit, die Menschen mit Freude und Vergnüglichkeit in das Osterfest hineinzuschicken. Christen leben aus der Osterfreude. Da gehört der Humor dazu.

Leven: Seit wann machen Sie das?

Oster: Den größeren Teil meines Studiums habe ich mir dadurch finanziert, dass ich als Clown aufgetreten bin und jongliert habe. Gelegentlich habe ich auch kabarettistische Versuche unternommen. Von Kindheit an habe ich Menschen gerne zum Lachen gebracht – auch dazu, über sich selbst zu lachen. Deswegen habe ich schon als junger Pater begonnen, in der Osternacht einen Witz zu erzählen, oder irgendeine Geschichte vorzulesen, die Freude bereitet.

Leven: Man könnte einwenden, dass Sie damit dem Ernst der Liturgie nicht gerecht werden.

Oster: Auf YouTube haben viele Kommentatoren Dinge geschrieben wie: «Wenn Kirche doch immer so wäre», oder «Endlich mal ein Pfarrer, der lacht». Dabei geht es mir nicht darum, die liturgische Sprache zu banalisieren oder im Gottesdienst andauernd Scherze zu machen. Gott ist Gott und wir sind seine Geschöpfe. Das muss deutlich werden. Aber in der Liturgie verkünden wir auch die frohe Botschaft. Das tun wir als fehlbare Menschen. Deswegen sollten wir demütig sein und können auch einmal über uns selbst lachen. Guter Humor hat also nichts mit Banalisierung zu tun, sondern vielleicht sogar mit einem Hineinfinden in größere Glaubenstiefe.

Leven: In einem Interview haben Sie gesagt: «Der Humor ist zutiefst in der Kirche verwurzelt». Für viele Leute scheinen aber Kirche und Glaube eine sehr ernste Angelegenheit zu sein.

Oster: Für mich gehört zum christlichen Glauben die Erkenntnis, dass wir alle keine vollkommenen Wesen sind. Deshalb gibt es unter uns viel Grund zu Lachen. Wenn wir lernen, über uns selbst zu lachen, über unsere eigenen Unzulänglichkeiten und die Widersprüche in unserem Leben, dann schützt uns das vor Anmaßung und Stolz. Ein Thema, das mir in letzter Zeit immer wichtiger wird, ist die Freude. Paulus sagt mehrfach: «Freut euch im Herrn». Und ich denke immer wieder mit Rührung an die letzten Worte, die Papst Johannes Paul II. gesagt haben soll: «Ich bin froh, seid ihr es auch?» Es gibt für Christen keine Not in dieser Welt, die nicht auch noch von der Freude unterlegt sein kann, von der Freude, dass wir erlöst sind, dass wir zum lebendigen Gott gehören. Nun hat Friedrich Nietzsche gesagt: «Erlöster müssten die Christen aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte». Vielleicht müssen wir Christen uns gegenseitig mehr helfen, in diese Freude hineinzufinden und tiefer in dem Geheimnis zu leben, dass wir erlöst sind.

Leven: Sie sind Salesianer Don Boscos. Ihr Ordensgründer gilt als besonders fröhliche Persönlichkeit. Ist der Humor bei Ihnen so eine Art Ordenscharisma?

Oster: Ich hoffe es! Don Bosco war ja selbst auch als Gaukler unterwegs und hat Menschen zu Lachen gebracht. Er hatte einen Schüler, der schon mit 14 an einer Lungenkrankheit gestorben ist und später heiliggesprochen wurde, Dominikus Savio. Don Bosco hatte ihn unter seine Fittiche genommen und als Pädagoge und glaubender Mensch begleitet. Dominikus hatte schon als Kind stark asketische Züge; er hat streng gefastet, auf dem Boden geschlafen und so weiter. Don Bosco hat ihm manches davon ausgeredet und stattdessen betont: Wir lassen unsere Heiligkeit in der Fröhlichkeit bestehen. Das gehört also tatsächlich in unser Charisma. Ich würde sogar sagen, dass es eigentlich nicht zusammenpasst, ein wirklich heiliger Mensch und gleichzeitig humorlos zu sein. Denn die heiligen Männer und Frauen waren sich immer sehr bewusst, dass sie selbst Sünder sind. Das führt dazu, dass man über sich selbst lachen und sich auch darüber freuen kann, dass einem vergeben wird. Im Christentum gibt es ja auch ziemlich viel Heuchelei: Wir tun so oft, als ob ... und der Humor kann uns helfen, weniger heuchlerisch und wirklich demütiger zu werden.

Leven: Sie sind Bischof. Das heißt in Deutschland: Sie sind Vorgesetzter vieler Menschen, leiten eine große Behörde, haben einen Aktenkoffer und einen Fahrer. Wie gehen Sie angesichts dessen mit der Versuchung um, sich doch für ziemlich wichtig zu halten?

Oster: Diese Versuchung gibt es natürlich. Es gibt ja positiv auch so etwas wie eine Würde des Amtes. Trotzdem bleibe ich ein einfacher Ordensmann und ein armer Sünder. Als Bischof predige ich, halte Vorträge und diskutiere mit Menschen. Manchen erscheine ich dann vielleicht wie ein starker Apologet. Wenn ich dann aber abends nach Hause komme, denke ich mir manchmal: Glaubst du das alles wirklich, was du da gerade erzählt hast, lebst du das? Im Reden sind wir oft weiter als im Tun. Obwohl wir immerfort über das Evangelium predigen, müssen wir uns eingestehen, dass wir seinen Anspruch oft genug nicht erfüllen können. Was mich dann tröstet: Auch die Jünger Jesu waren zunächst alles andere als Helden. In den Evangelien ist permanent von ihrem Versagen die Rede und davon, dass sie nicht kapieren, worauf Jesus hinauswill.

Leven: Besonders komisch wird es, wenn in einer sehr förmlichen Situation etwas Unvorhergesehenes oder Unkontrollierbares geschieht: Wenn zum Beispiel in der Liturgie, die einer festen Choreografie folgt, jemand aus der Ordnung fällt. Kennen Sie das auch?

Oster: Ich führe manchmal selbst unabsichtlich solche Situationen herbei. Natürlich ist mir eine würdige Liturgie wichtig. Wenn dann mal etwas nicht klappt oder ich nicht weiterweiß, dann sage ich: Jetzt müsste mir einer mal helfen. Und da sind die meisten Leute nachsichtig oder finden das vielleicht auch sympathisch, weil damit die Spannung rausgenommen wird. Die Liturgie ist von feierlichem Ernst geprägt; das heißt aber nicht, dass man beim Feiern humorlos sein muss. Ein Mitbruder von mir, der an unserer Ordenshochschule in Benediktbeuern lehrte, Jacques Schepens, stammte aus Belgien und sprach viele Sprachen. Seine Muttersprache war Flämisch. Eines Tages hielt er in einer bayrischen Dorfkirche die Messe; und als er bei der Wandlung die Hostie erhob, vergaß der Ministrant, zu läuten. Läuten heißt auf Flämisch «bellen». Der Pater warf dem Ministranten einen strengen Blick zu und sagte «bellen». Der Ministrant schaute ihn fragend an und rührte sich nicht. Da sagte Schepens noch mal: «bellen». Darauf machte der Ministrant: «Wau, wau!».

Leven: Reformatoren und Aufklärer haben Possen in der Kirche abgelehnt. Gibt es eine besondere Verbindung zwischen Humor und Katholizismus?

Oster: Ich glaube schon, dass die Spannung zwischen dem ernsthaften Bemühen und dem Bewusstsein, fehlbar und unvollkommen zu sein, sodass man auch einmal Fünfe gerade sein lassen kann, typisch katholisch ist. Nicht umsonst wird der Karneval vor allem in katholischen Gegenden gefeiert. Das ist auch in der Anthropologie begründet: Für die Katholiken ist die menschliche Natur zwar verwundet, aber nicht totaliter corrupta, also nicht völlig verderbt. Der Heilige Geist liebt daher immer noch unsere Kooperation mit ihm, glauben wir, und er befähigt uns auch zur Kooperation. Trotz der Verwundung seiner Natur ist der Mensch also in der Lage, die Schönheit der Schöpfung zu feiern. Gott zu feiern – mit Freude, mit großartiger Musik und auch mit Lachen. Viele unserer Kirchenräume bringen das zum Ausdruck: Sie integrieren die Schönheit und Fülle von Gottes Schöpfung.

Leven: Ist der Kirche etwas von dieser Fülle und Lebensfreude verloren gegangen?

Oster: Wir sind als katholische Kirche gerade in Deutschland so angeschlagen und angeschossen und haben so wenig Selbstbewusstsein, unter anderem weil wir seit Jahren mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs beschäftigt sind, dass wir kaum noch imstande sind, nach außen zu zeigen, dass wir Christen uns als erlöste Menschen verstehen. Aber wir sind bei der Aufarbeitung vorangekommen und haben klare Akzente gesetzt bei der Sorge um die Betroffenen. Darum meine ich, dass wir nach alledem auch wieder mit Dankbarkeit, Freude und Humor Kirche sein können. Ich habe das Gefühl, dass wir aus dem Modus der permanenten kollektiven Selbstanklage langsam herausfinden und die Freude am Christsein neu entdecken und auch selbstbewusst zeigen dürfen. Nicht weil wir so großartig wären, sondern weil es Christus ist.

Leven: Gleichzeitig wird in der Kirche gerade viel gestritten, auch über ernste und schwerwiegende Fragen.

Oster: Ich war im Oktober bei der Synode in Rom dabei. Dem Papst ist es dabei wirklich ein Anliegen, den Heiligen Geist den Protagonisten der Kirche sein zu lassen und uns zu helfen, tiefer in das Hören aufeinander und auf den Geist Gottes zu finden – und so die Polarisierungen und Streits zu überwinden. In Begegnungen und im persönlichen Gespräch erlebe ich ihn immer als einen innerlich freien, humorvollen Mann. Man könnte ja meinen: Der Mann hat das herausragendste Amt der Welt inne, muss als 87-Jähriger die Weltkirche leiten – das ist sicher kein Spaß. Aber er ist, glaube ich, im Frieden. Er lebt aus dem Geist Gottes und er ist tief humorvoll. Es ist jedes Mal eine Freude, ihm zu begegnen. Die Auseinandersetzung über wichtige Fragen und humorvolle Gelassenheit müssen kein Widerspruch sein, im Gegenteil.

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