DemokratieZum aktuellen Heft von COMMUNIO

Bundestag
Plenarsaal des Deutschen Bundestags © Times/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0

Jesus hat das Königreich Gottes verkündet, ohne die Monarchie zum politischen Ideal zu erheben. Er nimmt mit seiner Verkündigung die urbiblische Einsicht auf, dass kein König dieser Welt Gott und Gott allein der König der Welt ist. Er gründet keinen Gottesstaat, sondern sammelt das Volk Gottes im Zeichen der Königsherrschaft Gottes, die erst in der jenseitigen Zukunft vollendet sein wird, aber schon hier und jetzt unendlich nahegekommen ist. Dadurch wird jede Politik entmythologisiert und ethisch orientiert. Jede soziale, auch jede politische Einheit ist daran zu messen, ob diejenigen, die herrschen, Gott geben, was Gottes ist, und deshalb eine Nächstenliebe ins Werk setzen, die Gerechtigkeit schafft.

Die urchristlichen Leitbegriffe sind das Volk, die ekklesia (übersetzt mit Gemeinde oder Kirche) und der Leib. Alle sind politisch brisant. Das Leitbild ist zwar nicht die Volksherrschaft, die Aristoteles charakterisiert, aber es ist die Gemeinschaft Vieler, in der allen aus dem Glauben genuine Rechte und Pflichten erwachsen. Die Griechen kannten die ekklesia als Versammlung der stimmberechtigten Bürger einer Stadt, ekklesia ist aber in der Septuaginta die Bezeichnung für Israel – und Paulus sieht in der ekklesia Gottes, die sich «in Christus» bildet, Juden und Griechen, Freie und Sklaven, Männer und Frauen gleichberechtigt vereint. Das Volk Gottes ist keine Ethnie, sondern besteht aus allen, die glauben. Paulus sieht im Leib Christi nicht die Starken über die Schwachen herrschen, sondern alle Glieder ihre Stärken und Schwächen wechselseitig so anerkennen und annehmen, dass der gesamte Leib auflebt und jedes einzelne Glied an ihm.

Die Mitglieder der urchristlichen Gemeinden wollen nicht die politischen Gemeinden abschaffen, aber die Welt verändern, in der sie sich bilden. Die Politik wird durch die Kirche davon entlastet, mehr als nur irdische Gerechtigkeit zu organisieren, und dazu angehalten, Macht in Verantwortung auszuüben. Schon durch ihre Existenz, speziell durch ihre Liturgie, ihre Martyrie und ihre Diakonie zeigen die Christusgemeinden, dass es etwas anderes gibt als die Politik – besser: einen Anderen, nämlich Gott. Das weist jede Herrschaft in die Schranken – und öffnet jeder eine Zukunft, in der sie zur Rechenschaft gezogen werden wird.

Christliche Gemeinden können sich in allen Regierungssystemen dieser Welt bilden und werden jeweils die Freiheit des Glaubens einklagen. Wenn sie nicht ihrerseits vom politischen Machtbazillus befallen sind, tun sie es stellvertretend für andere Freiheiten und für die Freiheit Anderer. Am besten können sie sich in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat entwickeln, weil sie dort sicher sein können, dass sich die Mitgliedschaft nicht nur aus Tradition oder aus Opposition, sondern aus Glauben erklärt. Gleichzeitig öffnen sich Menschen, die glauben, in der Demokratie die besten Möglichkeiten politischen Engagements, die sie in ihrem Gewissen nutzen können, ohne die Mitwirkungsrechte anderen abzusprechen.

Der Weg zu unserer modernen repräsentativen Demokratie, die solch universellen Mitwirkungsrechte gewährt, war allerdings lang. In den griechischen Stadtstaaten der Antike, jenen Urformen der Demokratie, war die politische Teilhabe auf Menschen mit Bürgerrechten begrenzt – eine Minderheit innerhalb der Gesamtbevölkerung. Und Religionsfreiheit bestand insofern nicht, als Politik und Religion keineswegs getrennt waren. Vielmehr gehörte es zu den Bürgerpflichten, die jeweilige Polis-Religion zu praktizieren. Insofern waren noch viele geschichtliche Stationen zu passieren, um zu jener liberalen, rechtsstaatlichen und repräsentativen Demokratie zu gelangen, die sich in der westlichen Welt etabliert hat. Dabei spielte das Ringen zwischen weltlichen und geistlichen Mächten keine geringe Rolle, und wenn, wie zum Beispiel im Investiturstreit, erbittert um Einflusssphären gefochten wurde, trugen diese Kämpfe letztlich dazu bei, den Bereich des Politischen immer deutlicher von dem des Geistlich-Kirchlichen zu sondern.

Die modernen Demokratien haben unterschiedliche Modelle gefunden, um Politik und Religion zueinander ins Verhältnis zu setzen. Der französische Laizismus trennt den weltlichen vom geistlichen Bereich rigoros, eine solche Einrichtung wie Kirchensteuern gibt es in Frankreich nicht. In Großbritannien wiederum ist der König nach wie vor zugleich Oberhaupt der anglikanischen Kirche, während in Deutschland die Trennung zwischen Staat und Kirche zwar formal besteht, de facto aber durch vielfältige Kooperationen (christliche Schulen, Hospitäler, staatliche theologische Fakultäten, Kirchensteuer etc.) abgemildert ist. Doch all diesen verschiedenen Varianten ist gemein, dass die Freiheit des Einzelnen, die auch die Religionsfreiheit umfasst, im Mittelpunkt steht und vom Staat politisch gesichert wird. Das unterscheidet die Demokratie von Autokratien, die keine persönliche Freiheit lassen, aber auch von Theokratien, die religiöse Herrschaft politisch untermauern oder politische Herrschaft religiös überhöhen. 

Im vorliegenden Band wird das Thema «Demokratie» aus sehr unterschiedlichen Perspektiven durchbuchstabiert. Barbara Zehnpfennig befasst sich mit der Frage, ob die oft diagnostizierte Krise der westlichen Demokratie tatsächlich droht oder sogar schon eingetreten ist. Stephan Bierling analysiert das evangelikale Umfeld in den USA, das Trump heilsgeschichtlich als neuen Kyros überhöht. Yauheniya Danilovich legt Zeugnis von der Demokratiebewegung in Belarus ab, die unter Druck entstanden ist und immer mehr Unterdrückung erleidet. Richard Schröder und Wolfgang Thierse beschreiben in einem Doppelinterview ihre Erfahrungen, ihre Erinnerungen und ihre politischen Aktivitäten im Umkreis der friedlichen Revolution von 1989. Von der Bonner Republik geprägt, klärt Hans Maier im Gespräch mit Benjamin Leven, was Kirche und Demokratie einerseits unterscheidet, andererseits verbindet. Ursula Nothelle-Wildfeuer untersucht das Verhältnis zur Demokratie, das Papst Franziskus, mit dem argentinischen Peronismus im Rücken und den multiplen Weltkrisen vor Augen, zum Ausdruck bringt. Regina Heyder plädiert für mehr Teilhabe: sowohl der Kirche an der demokratischen Kultur als auch der Gläubigen in der Kirche.

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