Dass Olaf Scholz mal eben bei einer Talkshow vorbeigeschneit kommt wie am vergangenen Freitag bei "3 nach 9", versteht sich nicht von selbst. Bundeskanzlerinnen lassen sich, wenn überhaupt in Talkshows, dann nur unter vier Augen, also nicht in der Runde befragen. Das war hier ausdrücklich nicht als Vorbedingung hinterlegt, teilte Giovanni di Lorenzo als Moderator mit, überhaupt habe es für diesen Auftritt keine einzige Vorbedingung gegeben.
Und sollte genau dies vielleicht schon die entscheidende Botschaft gewesen sein, um die es Scholz bei "3 nach 9" ging? Nämlich rüberzubringen, von Haus aus ein kommunikativer Typ zu sein, dem es gesprächsweise immer nur um das Eine gehe: Keine Formalitäten, bitte!
Das wäre für jemanden, der dabei ist, als Meister der Einsilbigkeit in die Geschichte der politischen Kommunikation einzugehen, überraschend genug. Wird Olaf Scholz vielleicht zu Unrecht als zugeknöpfter Typ wahrgenommen, mit lauter Spickzetteln vor seinem geistigen Auge, um nur ja kein falsches Wort herauszulassen? Ist er ganz im Gegenteil womöglich gar eine Plaudertasche und Quasselstrippe, die als solche bloß nicht richtig zum Zuge kommt? Ist er jedenfalls einer, der lebendige und offene Gespräche zu schätzen weiß, Steifheiten und formelle, um juristische Absicherung bemühte Rede indessen fürchtet wie der Teufel das Weihwasser? Na ja, zumindest arbeitet Scholz ersichtlich daran: an einer Korrektur seines öffentlichen Bildes als kommunikativer Antiheld.
Zu diesem persönlichen Korrektur-Skript passt, was der Kanzler bei "3 nach 9" von seiner Privataudienz beim Papst am 2. März besonders hervorhob: "Die menschliche Wärme, die mir begegnet ist, aber auch die Tatsache, dass das ein sehr lebendiges, offenes Gespräch war, niemand hatte Zettel mit und las irgendwas vor, sondern wir haben uns aufeinander bezogen und sehr sorgfältig diskutiert." Das war als Statement in einer Unterhaltungssendung politisch zweifellos eine gut platzierte Selbstvermarktung. Warum hebt Scholz gerade die ausgebliebene Zettelwirtschaft, die Beweglichkeit der päpstlichen Kommunikation hervor und nichts anderes?
Man versteht: Der Kanzler versteht sich als jemand, der nicht etwa über die Köpfe der anderen hinwegschweigt, sondern sich am liebsten ohne Netz und doppelten Boden auf andere bezieht, statt sie abzukanzeln oder ihnen auszuweichen; der, anders gesagt, immer dann zettelfrei, spontan und mit emotionaler Intelligenz kommuniziert, wenn ihm vom Gegenüber keine Zettel entgegengehalten werden.
Wie geht Scholz dann aber mit dem Missverständnis um, er könne oder wolle nicht kommunizieren? Was sind die Quellen seiner Resilienz, wenn sich alle Umfragewerte gegen ihn zu verschwören scheinen? Scholz stellt hier das "öffentliche Gerufe", auf das nicht zu hören er stolz ist, seinem eigenen "gefestigten Charakter" gegenüber, der ihm im Krisenzeiten Halt und Ruhe gebe: "Ich jedenfalls glaube, es geht dann auch darum, dass man innerlich gefestigt ist und ich glaube auch einen gefestigten Charakter hat, das ist das, was einem hilft im Leben und hoffentlich auch mir in diesem Amt."
Dass gefestigte Charaktere fest im Guten wie im Schlechten stehen können, dass also Gefestigtsein als solches noch keine Tugend ist (gefestigt worin?, wäre die Frage), eben das unterschlug Scholz. Es geht dabei eben nur um öffentliches Gerufe, das mit gefestigtem Schweigen zu übergehen ist.