Das Schlüsselwort heißt "mutmaßlich". "Wenn man also von 'Botschaften' der Muttergottes spricht, muss immer 'mutmaßliche Botschaften' verstanden werden", heißt es in der vatikanischen Note "Königin des Friedens", die eine Einschätzung des bekannten Marienwallfahrtsortes Medjugorje vornimmt, der – korrekt gesprochen – mutmaßlichen Erscheinungen und mutmaßlichen Botschaften dieses Ortes, einem Dorf in Bosnien-Herzegowina, das mit der dort verehrten Gospa, wie Maria unter ihrem Titel "Königin des Friedens" auf Kroatisch genannt wird, seit Jahren international von sich reden macht. Nihil obstat, es spricht laut des Dikasteriums für die Glaubenslehre nichts dagegen, den Wallfahrtsort anzuerkennen, wenn Anerkennung nur heißt, die sogenannten pastoralen Früchte (erwähnt werden Bekehrungen, Berufungen, erneuerte Sakramentenpraxis etc.) zu würdigen, die diesem Ort entspringen, alles Weitere (die Rede vom übernatürlichen Ursprung dieses speziellen Marienkultes) aber kirchenamtlicherseits in der Sphäre der Mutmaßungen zu belassen.
Methodischer Agnostizismus
Mutmaßlich gilt es zu sagen, um auszudrücken, dass hier lediglich ein Verdacht erhoben wird, ein Verdacht auf übernatürliches, auf wundersames Einwirken des Himmels in Gestalt der Gottesmutter Maria. "Mutmaßlich" signalisiert die via negativa der Befundaufnahme, qualifiziert diese vom aussagbaren Minimum her, gleichsam aus Sicht eines methodischen Agnostizismus und nicht vom Maximum einer religiösen Glaubensgewissheit her. In Analogie zu bewährten erkenntniskritischen Kriterien heißt "mutmaßlich": Wir haben einen Wunderverdacht, aber es gilt die Unschuldsvermutung, der zufolge offenbleiben muss, wes Geistes Kind die wundersamen Umtriebe im Einzelnen sind. In diesem Sinne wird ausdrücklich Bezug genommen auf die jüngst ebenfalls vom Glaubenspräfekten Victor Manuel Fernández veröffentlichten "Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene". In deren Kontext, so heißt es, stehe das neue Dokument zu Medjugorje, und es scheint sich die Annahme zu bestätigen, dass jene neu gefassten Normen von vornherein auf das Phänomen Medjugorje als dessen klassischem Anwendungsfall zugeschnitten wurden, zu dem jetzt gleichsam nur noch die Ausführungsbestimmungen nachgereicht werden.
Demnach lässt sich die römische Maxime zur Beurteilung von Wundervermutungen salopp tatsächlich so formulieren: Egal, was es ist, Hauptsache es hilft. Und entsprechend gilt es, sich noch einmal die besondere Paradoxie des katholischen Wunderglaubens zu vergegenwärtigen: Die Kirche, so hatten wir bereits zu dem Master-Dokument der neu gefassten Normen festgehalten, "die Kirche, die mit ihrer Gottesthese ja von Kopf bis Fuß auf Wunder eingestellt ist, auf 'Glaubensgewissheiten' von der Schöpfung bis zur öffentlichen Offenbarung – dieselbe Kirche zieht sich im Privatsektor der übernatürlichen Schau auf eine theologische Urteilsenthaltung zurück. 'Gott ist gegenwärtig und handelt in unserer Geschichte', heißt es im ersten Satz der Wundernormen. Wie er das wo und wann tut, bleibt bewusst ungesagt."
So wird nun ausdrücklich auch für Medjugorje bekräftigt, was Fernández schon bei der neuen normativen Darlegung schrieb: Es gehe für ihn darum, den pastoralen Mehrwert inmitten von im Übrigen fraglichen Ereignissen in den Blick zu nehmen, statt auf dem unentscheidbaren Nennwert einer Wunderbehauptung herumzureiten. Die Sprachregelung ist demnach phänomenologisch orientiert: Der Heilige Geist wirke "inmitten" eines spirituellen Gesamtkunstwerks statt "mittels" dieses und jenes Ereignisses. Die Erklärung von Fernández, auf die aktuell wieder Bezug genommen wird: "Der Ausdruck 'inmitten von', der in den neuen Normen verwendet wird, hilft zu verstehen, dass man, auch wenn man keine Erklärung über die Übernatürlichkeit des Ereignisses selbst abgibt, dennoch die Zeichen eines übernatürlichen Wirkens des Heiligen Geistes im Kontext des Geschehens klar anerkennt."
Kurios freilich, wie einerseits die Gospa zur großen Mutmaßlichen erklärt wird, andererseits Fernández der Verlockung nicht widerstehen kann, der "Königin des Friedens", so sie denn überhaupt in Medjugorje auftritt und dort nicht nur als Kunstfigur herumspukt (möglich wär's nach Lesart des Glaubensdikasteriums), dieser Muttergottes also Benimm auf der Höhe der synodalen Zeit beizubringen.
Mehr ist von einem epistemisch aufgeklärten Glaubensdikasterium nicht zu erwarten. Zu den erwähnten Zeichen eines übernatürlichen Wirkens (also zum Pastorale-Früchte-Ansatz inmitten von "Wer weiß Genaues?") rechnet das vatikanische Medjugorje-Dokument näherhin: "Die Besonderheit des Ortes besteht in einer großen Anzahl solcher Früchte. Die vielen Bekehrungen, die häufige Rückkehr zu den Sakramenten (Eucharistie und Versöhnung), die zahlreichen Berufungen zum Priester- und Ordensleben als auch zur Ehe, die Vertiefung des Glaubenslebens, ein intensives Gebetsleben, zahlreiche Versöhnungen zwischen Eheleuten und Erneuerung des Ehe- und Familienlebens." Zu der Frage, ob und wie die Gospa hier wirkte, soll sich jeder Medjugorje-Besucher seinen Teil denken dürfen. Die mutmaßliche Antwort von Fernández diesbezüglich lautet: Alles kann, nichts muss.
Kurios freilich, wie einerseits die Gospa zur großen Mutmaßlichen erklärt wird, andererseits Fernández der Verlockung nicht widerstehen kann, der "Königin des Friedens", so sie denn überhaupt in Medjugorje auftritt und dort nicht nur als Kunstfigur herumspukt (möglich wär's nach Lesart des Glaubensdikasteriums), dieser Muttergottes also Benimm auf der Höhe der synodalen Zeit beizubringen. Der möglichen Marien-Fiktion werden vom realen Fernández durch die Blume die Leviten gelesen. So gebe es einige Äußerungen ihrer in Medjugorje überlieferten Botschaften, "die Gefahr laufen, falsch interpretiert zu werden, wie zum Beispiel in den Botschaften für die Pfarrei. In diesen scheint die Muttergottes eine Kontrolle über die Einzelheiten der geistlichen und pastoralen Wegstrecke zu wünschen". Damit erwecke sie den Eindruck, "als ob sie sich an die Stelle der regulären Organe und partizipativen Gremien setzen möchte". Gott bewahre!
Will sich Maria etwa vor die Gremien drängeln?
Was fällt der Gospa ein, hört man Fernández zürnen, seine Deutungsmacht über Himmel und Hölle einen ungehemmten Moment lang offen ausspielend. Glaubt sie, die Gottesmutter, etwa, sie stünde über den regulären Kirchenorganen, über dem Papst und ihm selbst, seinem Glaubenspräfekten? "Die Botschaften der Muttergottes können normalerweise nicht die Stelle des Pfarrers, des Pastoralrates und der synodalen Arbeit der Gemeinde ersetzen", stellt Fernández klar. Wo kämen wir hin, wenn sich die Gospa hier vordrängeln wollte? Auch moniert Fernández den bisweilen dringlichen Ton in der Rhetorik der Gottesmutter, ihre bisweilen ungeschlachte "Insistenz", wenn sie zum frommen Leben aufruft. Eine "gewisse Verstimmung" in ihren Worten sei dann und wann unüberhörbar, so als ließe sie sich ungehörig gehen, während sie Gehör einfordert. Der Glaubenspräfekt hat erkennbar auch Fragen von den Rändern im Auge, die der Gospa entgangen sind. Wir lernen einerseits: Sie ist eben, wie sie mutmaßlich ist. Aber fragen mit dem Vatikan doch andererseits: Kann die Dame, wenn sie etwas zu sagen hat, nicht wenigstens einwandfrei den Ton der Zeit treffen, empathisch und auf Augenhöhe?