Wie sprach der Bischof von Augsburg, Bertram Meier, im September des vorigen Jahres? "Die Zeiten, in denen es Wahl-Hirtenbriefe mit Empfehlungen gab, sind vorbei – und das ist gut so." Wenn nun die sechs katholischen Bischöfe, die für Ostdeutschland zuständig sind, zum Wahljahr 2024 ein "Gemeinsames Wort" herausgeben, so heißt es darin: "Wir Bischöfe bringen klar zum Ausdruck, dass wir vor dem Hintergrund unseres eigenen Gewissens die Positionen extremer Parteien wie dem III. Weg, der Partei Heimat oder auch der AfD nicht akzeptieren können."
Wenn die Ost-Bischöfe es schon – anders als Meier – für hilfreich erachten, ein Wahl-Hirtenwort mit Parteinennungen zu formulieren, warum wird ein solches dann als bischöfliche Gewissensfrage dargestellt, als gelte gegenüber völkischem Gedankengut Gewissensfreiheit als der theologischen Weisheit letzter Schluss? Es interessiert doch nicht, was kirchliche Würdenträger persönlich für inakzeptabel halten, sondern was nach den Maßstäben christlicher Anthropologie zu sagen wäre, wenn sich schon die Kirche ins parteipolitische Spiel bringt. Warum wird nur stichwortartig die Menschenwürde aufgerufen, nicht aber inhaltlich argumentiert, was in den Programmen der genannten Parteien der Würde des Menschen, theologisch gesprochen: seiner Gottesebenbildlichkeit, zuwiderläuft? Statt Appelle auf Gewissensbasis hätte man sich davon durchaus einen Erkenntnisgewinn versprochen, wie er der katholischerseits beanspruchten Einheit von Glaube und Vernunft entspricht.
"Treten Sie ein für unsere freie und vielfältige Gesellschaftsordnung auf der Grundlage unserer Verfassung!", appellieren die Kirchenvertreter. Worin sollte der theologische Mehrwert dieser Bürgerkunde bestehen?
Hier eine AfD zu stellen, die nicht zuletzt mit der Christlichkeit ihrer Positionen wirbt, wäre ein theologisch anspruchsvolles Statement aus berufenem Mund gewesen. So aber reproduziert das "Gemeinsame Wort" im Wesentlichen Einwände, wie sie sich aus den "Grundwerten unserer Gesellschaft" (nicht etwa den Geboten Gottes) ergeben – spiegelstrichartig vorgetragene Einwände "gegen Hass und Hetze", gegen "scheinbar einfache Lösungen". Von säkularer Seite werden solche Einwände im Zweifel voraussetzungsreicher begründet als von solcher bischöflichen Gewissensmitteilung. "Treten Sie ein für unsere freie und vielfältige Gesellschaftsordnung auf der Grundlage unserer Verfassung!", appellieren die Kirchenvertreter. Worin sollte der theologische Mehrwert dieser Bürgerkunde bestehen?
Aufklärung über die Nazi-Hipster
Dabei rückt gerade jetzt, nach der Enthüllung des Potsdamer Treffens mit Martin Sellner, einem Taktgeber der rechtsextremistischen identitären Bewegung, die völkische Substanz der AfD noch einmal neu in den Blick. Sie wird seit Jahren von den Identitären als klandestines Vorfeld des parlamentarischen AfD-Feldes bewirtschaftet. "Die identitäre Bewegung will als Vorfeldorganisation rechten Parteien wie der AfD den Boden bereiten, eine neue rechte Identität aufbauen. Sie macht den Job, den die AfD braucht. Die Harmlosigkeit ist bewusst gewählt, man nannte sie früher Nazi-Hipster", sagt Florian Schroeder im "Express"-Interview, Kabarettist und Autor, der ein Kapitel seines Bestsellers "Unter Wahnsinnigen – Warum wir das Böse brauchen" (dtv, 2023) den Identitären und eben auch Sellner gewidmet hat.
Dass es die AfD darauf anlegt, ihr parlamentarisches Feld begriffs- und ideenpolitisch vom identitären Vorfeld bewirtschaften zu lassen, ist eine vielfach verschleierte und doch hinreichend bekannte Tatsache, von der sogenannten Recherche des Medienhauses "Correctiv" unlängst noch einmal neu ins Licht gestellt und wirksam inszeniert, wie mängelbehaftet auch immer die Qualität ihrer Nachweise und Belege sein mögen.
Tatsächlich wäre die AfD als Tarnorganisation des Völkischen, die Analyse ihrer diesbezüglichen, zwischen esoterisch und exoterisch schillernden Sprachspiele durchaus eine bischöfliche Aufklärung wert gewesen, lässt sich doch erst auf solcher Basis eine Bewertung des Menschenbildes abgeben, das dieser Partei zugrunde liegt. Vorstellbar wäre etwa folgender, leider nicht ergangene Appell: "Schauen Sie hinter die amtliche Rhetorik der AfD! Sitzen Sie nicht der begrifflichen Rosstäuscherei dieser Partei auf! Stoßen Sie vor zur völkischen Substanz, die – identitär angeleitet – alle Äußerungen der AfD kontaminiert. Führen wir deshalb die nötige Migrationsdebatte mit Maß und Mitte und überlassen sie nicht der AfD!"
Mit dem harmlos erscheinenden Begriff der Remigration beispielsweise werden ja gezielt neurechte Kampfbegriffe aufgegriffen, worauf in der Aktuellen Stunde des Bundestags nach den Correctiv-Enthüllungen abermals aufmerksam gemacht wurde. Kampfbegriffe, mit denen Rassismus und völkischer Nationalismus in der ganzen Bandbreite der Gesellschaft hoffähig gemacht werden sollen, wie Redner verschiedener Parteien bei dieser parlamentarischen Gelegenheit betonten. Ein weiteres Beispiel aus gegebenem Anlass: Welche rassistischen Fliehkräfte vermag ein identitärer Leitbegriff wie jener der "kulturellen Assimilation" freizusetzen!
Ja, es wäre des bischöflichen Amtes gewesen, in Gottes Namen Sprachkritik zu üben, eine, wenn man so will, Übersetzungsanleitung des AfD-Sprechs zu liefern – und darauf aufbauend die Unvereinbarkeit des Völkischen eben auch mit theologischer Einsicht aufzuzeigen.
Und muss es in diesem Zusammenhang nicht wie eine Selbstdemaskierung wirken, die zum Himmel schreit, wenn der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, es nicht hinbekommt, sich von der Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" zu distanzieren? Als er zu dieser neulich in einer Gredinger Diskothek im Umfeld des AfD-Landesparteitags gegrölten Parole in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" befragt wird, erklärte Baumann: Aus dem Mund seiner Partei(-jugend) bedeute das lediglich, dass Deutschland den Pass-Deutschen gehöre und Ausländer ohne Schutzberechtigung raus müssten. Wer es glaubt, wird parteiselig.
Ja, es wäre des bischöflichen Amtes gewesen, in Gottes Namen Sprachkritik zu üben, eine, wenn man so will, Übersetzungsanleitung des AfD-Sprechs zu liefern – und darauf aufbauend die Unvereinbarkeit des Völkischen eben auch mit theologischer Einsicht aufzuzeigen.
Die Begriffe des Parteiprogramms stehen demnach nicht allein, können nicht für sich erläutert werden. Sie müssen aus den Beziehungen heraus verstanden werden, die sie untereinander unterhalten, ausdrücklich wie unausdrücklich, und das heißt wesentlich auch: in ihren sprachlichen Netzwerken mit identitären Bestimmungen. Derart semantisch informiert und interessiert könnten gemeinsame Hirtenworte Gewinn abwerfen – als eine Art theologische Vorfeldarbeit, ohne die sich auf dem kirchlichen Hauptfeld nur wohlfeile Appelle anbauen lassen.