In Gedanken, Worten und WerkenWo bleibt die bischöfliche Warnung vor dem übergriffigen Staat?

Die AfD ist wegen ihrer völkisch-nationalistischen Gehalte für Christen "nicht wählbar", schreiben die deutschen Bischöfe. Besser spät als nie, mag man sagen. Aber wenn es dankenswerterweise schon so konkret wird: Was sagen die Bischöfe eigentlich zu Gefährdungen von Demokratie und Rechtsstaat, wie sie neuerdings "von oben" drohen?

Christian Geyer
© Duc Twiehaus

Dem klar geschnittenen Orientierungsschema "gegen rechts" rückt leitkulturell eine andere Beunruhigung an die Seite. Es ist kurz gesagt die Sorge, der Staat könne bei seinen Maßnahmen zur Demokratieförderung selbst die Demokratie beschädigen, indem er Grundrechte, die von den Rechtsradikalen "von unten" bedroht werden, sich nun seinerseits "von oben" vorknöpft.

Man kennt diesen Vorbehalt zumal von rechts. Dass er neuerdings auch forciert von links-liberaler Warte geäußert wird, ist als solches bemerkenswert, hat aber, sieht man recht, mit einschüchternden Auftritten der Drei von der Meldestelle zu tun: mit jüngsten, im Stil etwas krawalligen Pressekonferenzen von Familienministerin Lisa Paus, Innenministerin Nancy Faeser und Inlandsgeheimdienstchef Thomas Haldenwang, bei denen es um suspekte Gedanken (!), Worte und Taten "unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" (Paus) ging, um die sich der Präventionsstaat künftig vermehrt zu kümmern versprach.

Wann gerät ein deutscher Bürger ins Visier des Verfassungsschutzes? So fragt man sich plötzlich, wenn es gar nicht um definierte Straftatbestände geht, sondern um Vorfeld-Laster wie beispielsweise, so die Innenministerin, um "die Verhöhnung" des Staates. Verhöhnung – als Begriff so unspezifisch und beinahe beliebig auslegbar wie Hass, Verschwörungstheorie oder Antifeminismus. Gerät künftig jeder Regierungskritiker, der seine Worte nicht akribisch wägt, in den Verdacht, am rechtsradikalen Systemumsturz zu arbeiten, und sei es durch "verbale und mentale Grenzverschiebungen", wie der Verfassungsschutzpräsident warnte, dabei notgedrungen offenlassend, wo staatlich erlaubtes Sprechen und Denken beginnt und wo es aufhört?  Letzteres senkt nicht den Grad der Beunruhigung, sondern steigert ihn.

Hoffnung auf klitzekleinen Relevanzgewinn

Man sollte es den deutschen Bischöfen nicht verdenken, wenn sie sich in ihrer Gesamtheit erst jetzt mit einer theologisch ambitionierten Erklärung zum Thema Rechtsradikalismus äußern. Man ließ den Zug der Zeit gewissermaßen erst mal auf volle Touren kommen, bevor man sich beherzt zum Aufspringen entschloss. Das mochte gesamtgesellschaftlich einen klitzekleinen Relevanzgewinn versprechen, das Risiko politischer Übergriffigkeit kalkulierbar halten. Man mochte sich im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz gedacht haben: Wenn die Leute in Scharen demonstrieren, warum dann jetzt nicht auch wir, auch wenn die AfD schon seit Monaten hohe Umfrage- und Wahlergebnisse einfährt.

So bedeutet die vereinzelte Konkretion eine systemische Unwucht, die das Beschweigen anderer Tatbestände recht eigentlich erst rechtfertigungsbedürftig macht.

Unter der Überschrift "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar" wird die Gottesebenbildlichkeit von den Bischöfen als Wurzelgrund der Menschenwürde beschrieben, der Volksbegriff zwischen Ethnos und Demos unterschieden und die AfD ausdrücklich als für Christen "nicht wählbar" bezeichnet. Die kategorische Formulierung verunsichert: Ist für Christen nicht alles Mögliche -bar, ohne dass es bischöflichen Einspruch gäbe?

So bedeutet die vereinzelte Konkretion eine systemische Unwucht, die das Beschweigen anderer Tatbestände recht eigentlich erst rechtfertigungsbedürftig macht. Und es entsteht der Eindruck, man drücke sich, so konkret eine bestimmte Partei namhaft machend, um die präzise, mit einschlägigen Termini ausgestattete Begründung. Ob eine AfD-Wahl etwa den seit der Antike wirksamen kirchenrechtlichen Tatbestand der Apostasie, des Glaubensabfalls erfüllt, indem die Bezugnahme aufs Ethnos mit Götzendienst vergleichbar wäre – in der bischöflichen Erklärung bleibt das unerörtert, wiewohl zuletzt Christian Hornungs gelehrte Untersuchung "Apostasie im antiken Christentum. Studien zum Glaubensabfall in altkirchlicher Theologie, Disziplin und Pastoral" Spuren legt.

Es ist dann einmal mehr der weiter nicht belangbare, unsubstantiierte Begriff des christlichen Menschenbildes, der als Rechtsgrundlage herhalten muss, kombiniert mit der jeweils auslegungsbedürftigen Menschenwürde: "So ist die Menschenwürde der Ausgangs- und Zielpunkt des christlichen Menschenbildes", heißt es in der Erklärung. Dies als programmatischen Vorhalt gegen die AfD genommen, würde die Partei mutmaßlich jeden Prozess gewinnen.

Die Drei von der Meldestelle

Doch darum soll es jetzt gar nicht gehen. Es geht, wie gesagt, um das Beschweigen anderer Demokratiegefährdungen, eben jener "von oben". Ist erst einmal eine bestimmte Eingriffstiefe bei der moralischen Bewertung politischer Vorgänge erreicht, wie dies bei der eigens als unwählbar bezeichneten AfD der Fall ist, dann entsteht eine Art moralische Bringschuld, auch andere konkrete Unvereinbarkeiten beim Namen zu nennen. Nun ließe sich sagen: gegen die Drei von der Meldestelle, gegen die zwei Ministerinnen und den Geheimdienstchef, gehen doch nicht die Massen auf die Straßen. Nein, das tun sie nicht, dafür fehlt es naturgemäß auch an einer ansonsten bereitwillig geleisteten staatlichen Aktivierung der Zivilgesellschaft, wie sie im Bundesprojekt "Demokratie leben!" zu besichtigen ist. Aber in der diskursiven Öffentlichkeit hat die Sorge vor penetranter Bürgerbeobachtung derart an Gewicht und Stimme gewonnen, dass auch die Bischöfe hellhörig hätten werden müssen, mit einer entsprechenden Erweiterung ihrer Erklärung.

Stattdessen sind es liberale Medien, welche die Lage analysieren. Als ein Highlight der Aufklärung sei insoweit insbesondere der ganzseitige Beitrag von Ijoma Mangold in der aktuellen "Zeit" genannt. In der Überschrift steht das geheimdienstlich inspirierte Regierungszitat in voller Länge: "Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen". Dann heißt es nicht ohne den verfassungsrechtlich erlaubten Hohn: "Wer sagt denn so was? Viktor Orbán? Recep Tayyip Erdogan? Nein, unsere Innenministerin Nancy Faeser. Leider". Eine bischöfliche Warnung vor dem übergriffigen Staat fiel bislang noch nicht vom Himmel.

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