Spuren im SchneeDarum hoffe ich, dass der Papst die "alte Messe" nicht verbietet

Ich besuche seit über 10 Jahren die überlieferte Liturgie und bin damit nicht allein. Immer mehr junge Menschen interessieren sich dafür. Für viele ist das kein politisches Statement, für Papst Franziskus und andere Vatikan-Funktionäre aber eine massive Provokation. Das habe ich auch 2018 als Teilnehmerin der vorsynodalen Versammlung zur Jugendsynode erlebt. In letzter Zeit verstärkt sich der Eindruck: Der Vatikan will die alte Liturgie unterdrücken. Jetzt protestierten Künstler. Mit ihren Argumenten treffen sie ins Schwarze.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Will man unter Katholiken einen kleinen Skandal heraufbeschwören, dann muss man einfach nur fallen lassen, dass man gern die "alte Messe" besucht. Gemeint ist die Liturgie nach dem Büchern von 1962, also bevor das Zweite Vatikanische Konzil eine Reform anstieß. Auch ich gehe gern dahin. Doch ich muss leider enttäuschen, ich passe nichts ins Schema. Weder verstehe ich mich als Traditionalistin noch bin ich politisch rechts, noch eine fanatische Formalistin. Für mich ist der Besuch auch kein Statement gegen das Zweite Vatikanische Konzil. Mir geht es, wie vielen anderen. Ich bin durch Zufall dort gelandet und will nicht mehr zurück.

Während die Generation unserer Eltern auf die moderne Liturgie eingeschworen ist, stolpern viele Junge oft unbelastet und neugierig in die fremde Welt der überlieferten Formen. Anfangs versteht man gar nichts. Die fremde Sprache, die andere Gebetsrichtung, die lange Stille. Irgendwann erschließt sich der Ritus immer mehr und man gerät in den Zauber der Jahrhunderte und in die Tiefe des Mysteriums. Es war diese Liturgie, die unzählige Künstler inspiriert und Heilige im Gebet gehalten hat. Ihre Ursprünge reichen weit zurück. Ihr Ablauf, die Auswahl der biblischen Texte, der Wortlaut ihrer Gebete, ihre Choreografie, der Kalender der Festtage und liturgischen Zeiten – all das veränderte sich über Jahrhunderte nur unmerklich. Heute steht die traditionelle Liturgie unter Beschuss. Bemerkenswert: gerade die Künstler wehren sich, seit Gerüchte laut werden, dass der Vatikan sie noch stärker einschränken will, als schon geschehen.

Kulturelles Erbe

Zuerst protestierten britische Kulturschaffende kürzlich in einem Brief in der "Times", darunter Prominente wie Andrew Lloyd Webber, Schöpfer des Musicals "Jesus Christ Superstar" oder Julian Fellowes, der die beliebte Serie "Downton Abbey" ins Leben rief, aber auch Nichtkatholiken wie der jüdische Pianist Igor Levit. Jetzt haben amerikanische Persönlichkeiten der Kulturszene nachgezogen, auch hier haben Katholiken wie Nichtkatholiken den Appell unterschrieben. Sie alle erkennen den besonderen Wert dieser "alten Liturgie, die die Werke von Palestrina, Bach und Beethoven und Generationen großer Künstler inspiriert hat". Sie ist mehr noch Teil des "gemeinsamen kulturellen Erbes der Menschheit" und "Medizin für die Seele, ein Gegenmittel gegen den groben Materialismus der Postmoderne".

Besser kann man es für mich kaum formulieren. Bereits 1971 gab es im Übrigen einen ähnlichen Aufruf, unterzeichnet unter anderem von Agatha Christi. Das soll Paul VI. so beeindruckt haben, dass er für England und Wales eine Ausnahmegenehmigung für den alten Ritus erteilte.

Werden die Künstler diesmal auch erfolgreich sein? Schwer zu sagen. Papst Franziskus hegt definitiv keine Sympathie für die alte Liturgie. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Benedikt, der die Zelebration der "außerordentlichen Form des römischen Ritus" 2007 mit seinem Schreiben "Summorum Pontificum" weitgehend freigab. Benedikt konnte die alte Messe offensichtlich selbst feiern und gleichzeitig hinter den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils stehen. Er meinte: Was zahlreichen Generationen heilig war, könne nicht plötzlich als verboten und schädlich gelten.

Seit "Summorum Pontificum" ist kein großer Hype entstanden, über ganz Deutschland verteilt sind es etwa 150 kleine Special-Interest-Gemeinden. In den USA und Frankreich ist das Thema etwas größer. Weltweit feiern gerade mal etwa 1 Prozent aller Priester diese Liturgie, heißt es. Viele gehören speziellen Gemeinschaften an, die sich der alten Liturgie verschrieben haben, etwa der Petrusbruderschaft. Warum ist diese kleine Gruppe so furchteinflößend?

Anderswo kämpft man dafür, dass alte, gewachsene und mit der Kunst verbundene Traditionen mit dem UNESCO-Siegel geschützt werde. In der Kirche trübt Kirchenpolitik die Sicht auf den eigenen kulturellen Reichtum. Franziskus ist das Ganze jedenfalls schon länger ein Dorn im Auge. 2016 hat er in einem Interview gerade junge Fans der alten Liturgie als "rigide" verunglimpft. Mit seinem Schreiben "Traditiones Custodes" hat er die Möglichkeiten, die alte Liturgie zu feiern, dann 2021 extrem beschränkt, unter anderem müssen Priester jetzt beim Bischof um Erlaubnis fragen, der wiederum den Vatikan konsultieren muss. Der nächste Schritt wäre wohl die komplette Unterdrückung der alten Liturgie.

Das täte mir weh. Die Briefe aus England und Amerika sprechen mir aus dem Herzen. Künstler verfügen über eine feine Sensorik. Wenn sie von der lateinischen Messe sagen, sie sei Teil der "universellen Kultur" und habe "eine Vielzahl von unschätzbaren Errungenschaften in der Kunst inspiriert", dann muss das doch Gewicht haben.

Verbindung mit Gott

Befürworter der modernen Liturgie sagen, dass im alten Ritus die Gemeine keine Rolle gespielt habe, sie im neuen dagegen im vollen Sinn Mitfeiernde, Teilhabende und Teilnehmende seien. Das berühmt gewordene Wording der "tätigen Teilnahme aller Gläubigen" ist gemeint. Wenn ich die Kirche aufsuche, dann möchte ich mich mit Gott verbinden. Dass der Priester mich nicht anschaut, sondern alle gemeinsam zum Kreuz blicken, entlastet mich. Ich kann so besser beten. Auch die vielen stillen Elemente, die gesteigerte Ehrfurcht vor dem Mysterium der Eucharistie, die Anbetung – und ja auch die Schönheit der Liturgie in vielfältiger Form begeistern mich und eröffnen einen Weg zu Gott. Dabei fühle ich mich nicht untätig, wenn ich die Gebete mitspreche, stehe, kniee und singe. Das Latein stört mich auch nicht, im Gegenteil. Die tote Sprache hat für den Kult doch den entscheidenden Vorteil, dass sie sich nicht immer neu anpassen muss. Sie bleibt gleich, was sich ändert, sind die Übersetzungen. Die kann man während der Messe natürlich mitlesen, irgendwann braucht man sie aber nicht mehr. Die Lesungen werden trotzdem meist in der Landessprache vorgetragen, genauso wie selbstverständlich die Predigt. Neben der Seele findet immer auch der Geist Nahrung.

Viele Menschen werden bei ihrem ersten Besuch von der Atmosphäre der alten Messe tief berührt. Der Philosoph Robert Spaemann war auch so jemand. In einem Interview erzählte er einmal davon, dass er anfangs ein Freund der Liturgiereform war. Später ärgerte ihn eine "Profanierung, Banalisierung des Gottesdienstes, auch das Infrage-Stellen vieler Glaubenswahrheiten" an manchen Orten. Ebenfalls über Zufälle nahm er an einer vorkonziliaren Liturgie teil. "Ich war hinterher, offen gestanden, in Tränen aufgelöst", sagte der sonst sehr sachlich gefasste Intellektuelle. Worin bestand für ihn der Gegensatz? "Heute ist der Schlendrian das Allgemeine. Lässig reinzugehen, dass man möglichst nicht merkt: hier treten wir jetzt in einen anderen Raum ein. In den Raum der Gottesverehrung. Vater unser, der Du bist im Himmel. Wir verbinden uns mit den Chören des Himmels, in der Gegenwart der Engel und Heiligen. Dieses Bewusstsein haben sie einfach sehr selten in der neuen Messe".

Meine liturgische Vorliebe ist vor allem für meine Familie eine Provokation. Natürlich gibt es hier auch die, welche diese Form mit einer Zeit verbinden, in der sie in den Schulen auch vom Pfarrer gezüchtigt wurden. Eine Zeit, in der Klerikalismus Wunden verursacht hat.

Doch gerade junge Menschen können sie unvoreingenommen besuchen. Überraschend viele spüren, dass da etwas ist. Das wurde mir auch 2018 bewusst. Damals war ich eine von 300 Jugendlichen aus aller Welt, die vom Vatikan eingeladen wurden, ein Dokument mit Themen zu erarbeiten, die junge Menschen heute bewegen. Das Ergebnis sollte den Bischöfen als Arbeitsgrundlage für die Jugendsynode dienen. Ich hatte hier nicht mit der "alten Messe" gerechnet. Doch gerade von amerikanischen Jugendlichen wurde in Diskussionsrunden die "TLM" eingebracht, das dort verbreitete Kürzel für traditional latin mass. Die Vatikan-Vertreter waren davon einigermaßen schockiert.

Sind wir wirklich "rigide", wie Franziskus uns 2016 vorgeworfen hat? Tragen wir, wie er sagte, eine Starrheit in uns, die eine Unsicherheit verbirgt, die uns liebesunfähig macht? Sind wir, wie andere uns vorwerfen, katholisch-identitär und politisch reaktionär?

Auch wenn die Schar der Freunde der alten Liturgie global gesehen überschaubar ist, scheint zumindest unter hochengagierten jungen Katholiken das Interesse groß zu sein. Die Fußwallfahrt von Paris nach Chartres musste in diesem Jahr bei 16.000 Teilnehmern die Anmeldung schließen. Und eine Umfrage der französischen Zeitung "La Croix" zeigte: Von 4.000 jungen Teilnehmern des Weltjugendtages in Lissabon antworteten 38 Prozent, dass sie die alte Liturgie schätzen; weitere 40 Prozent sagten, dass sie zumindest nicht dagegen hätten.

Sind wir wirklich "rigide", wie Franziskus uns 2016 vorgeworfen hat? Tragen wir, wie er sagte, eine Starrheit in uns, die eine Unsicherheit verbirgt, die uns liebesunfähig macht? Sind wir, wie andere uns vorwerfen, katholisch-identitär und politisch reaktionär?

Als jemand, der jetzt über 10 Jahre an verschiedenen Orten in Deutschland und Italien diese Messe besucht hat, kann ich bestätigen, dass es einzelne Teilnehmer gibt, auf die diese Charakterisierung zutrifft. Hier würde ich mir stark wünschen, dass der zuständige Priester diese Personen einmal anspricht und sie fragt, wie sie ihr Christsein mit ihren politischen Überzeugungen in Verbindung bringen können. Doch auch wenn manche den alten Ritus tatsächlich als Symbol für irgendwelche kirchen- und gesellschaftspolitischen Anliegen missbrauchen, sollte man doch den alten Grundsatz nicht vergessen: abusus non tollit usum – der Missbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf.

Die meisten Messbesucher, die ich über die Jahre kennengelernt habe, geht es nicht um Politik, sondern darum, eine spirituelle Sehnsucht zu stillen. Auch für mich ist der Messbesuch kein politisches Statement.

Die alte Liturgie auf diese Weise zu dämonisieren, geht nicht auf. Der Münchner USA-Experte Michael Hochgeschwender sagte einmal der Katholischen Nachrichten-Agentur, dass in Amerika längst nicht nur überzeugte Traditionalisten die Alte Messe schätzten. Auch unter gemäßigt konservativen Gläubigen würde sie sich großer Beliebtheit erfreuen. Hier sortiere ich mich auch ein.

Vielleicht sollte der Papst einmal selbst eine solche Messe besuchen und sich umschauen, was für Menschen er dort antrifft. Die meisten Messbesucher, die ich über die Jahre kennengelernt habe, geht es nicht um Politik, sondern darum, eine spirituelle Sehnsucht zu stillen. Auch für mich ist der Messbesuch kein politisches Statement.

Papst Benedikt XVI. wollte befrieden und nicht spalten, als er 2007 die Alte Messe wieder für die breite Masse zugelassen hat. Er hat vielen Menschen damit ein Stück Heiligkeit zurückgegeben. Warum können nicht beide Formen weiter nebeneinander existieren, wie es Benedikt XVI. gewünscht hat? Das macht die Kirche doch nur reicher. Auch kulturell – erlebt man einmal eine alte Messe in Verbindung mit der Musik, die für genau diese Liturgie komponiert wurde, erfährt, wie sich die Musik ins Geschehen einfügt – das ist ein echtes "Aha-Erlebnis"! Kein Wunder, dass auch Nicht-Katholiken die jüngsten Appelle unterschrieben haben.

Eine Anekdote zum Schluss: Ein junger Priester feierte kürzlich die alte Messe an einem Hochaltar einer Barockkirche. Danach war er ganz ergriffen und zeigte auf zwei Vertiefungen im Marmor. Sie sahen aus wie tiefe Fußspuren im Schnee. Die vielen Priester, die hier über Jahrhunderte beteten und die Eucharistie darbrachten, hatten hier im wahrsten Sinne des Wortes Spuren hinterlassen. Dass er heute an dieser Stelle steht und dieses Gebet weiter am Leben hält, in einer prachtvollen Architektur, die dafür geschaffen ist und die Zeiten überdauert hat, das hat ihn und dann auch uns Gläubige sehr berührt. Was für eine Kontinuität der Hoffnung und des Glaubens! Wenn Franziskus den alten Ritus weiter einschränkt, wird dieser Altar bald verwaist sein. Vielleicht kein Drama für die ganze Kirche, für mich und ein paar andere aber schon.

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