Die Kirche muss sich viel besser erklärenFranziskus erlebt Gegenwind in Belgien – und reagiert bockig

In Belgien lieferte sich der Papst einen Schlagabtausch mit Regierungs- und Universitätsvertretern. Franziskus erfuhr hautnah, was es heißt, dass viele katholische Positionen im Westen nicht mehr plausibel sind. Die Kritik für "dumm" zu erklären, wird da nicht weiterhelfen.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Ausgerechnet zwei Reizthemen wurden dem Papst auf seiner Reise durch Belgien zum Verhängnis: die im Westen unvermeidliche Frauenfrage und der Lebensschutz. Aber auch die Konfrontation mit dem Missbrauchsskandal (seit 2012 in Belgien mehr als 700 Berichte), setzte Franziskus von Beginn an unter Druck. So waren es für manche Beobachter ungewöhnlich scharfe Töne, die Premierminister Alexander De Croo und König Philippe gleich bei der Begrüßung anschlugen. Sie forderten vom Papst konkrete Schritte, statt Worte, um die Folgen des Skandals aufzuarbeiten. Die Interessen der Institution müssten sich dabei der Menschenwürde unterordnen. Franziskus applaudierte, was soll er auch sonst tun. Kurz vor der Reise war vom belgischen Parlament erst ein Untersuchungsausschuss zum bisher aufsehenerregendsten Fall sexueller Gewalt in der katholischen Kirche Belgiens eingesetzt worden. Der frühere Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, hatte sein Amt bereits 2010 niedergelegt, als bekannt wurde, dass er jahrelang einen seiner Neffen missbraucht hatte. Franziskus aber hatte ihn erst im März aus dem Klerikerstand entlassen. Der Papst hat bei diesem Thema keinen leichten Stand, das weiß er.

Die heftigen Reaktionen nach seiner Rede vor Studentinnen und Studenten an der französischsprachigen Université Catholique Louvain-la-Neuve könnten ihn aber überrascht haben. Dort war ihm ein Brief mit gesammelten Anfragen vorgelesen worden. Großer Kritikpunkt: Frauen seien in der Kirchengeschichte oft unsichtbar und der Papst hätte in seiner wohl wichtigsten Enzyklika "Laudato Si" die Frage nach den Frauen gar nicht erst gestellt.

Franziskus charakterisierte darauf zum Entsetzen vieler die Frau als "fruchtbarer Empfang, Fürsorge, lebendige Hingabe". Es sei schlecht, "wenn die Frau wie der Mann sein will", fügte er hinzu. Das kam überhaupt nicht gut an, auch die säkulare Presse berichtete. Die Universität distanzierte sich im Anschluss von den Worten des Papstes als einer "deterministischen und reduktionistischen Position". Eine Studentin wird so zitiert: "Wir sind wirklich schockiert." Der Papst reduziere sie auf all das, "wovon wir uns emanzipieren wollen". Rektorin Francoise Smets sagte der Presse: "Frauen sollten in der Lage sein, auch abseits vom Kümmern Verantwortung zu übernehmen."

Dabei widerspricht das gar nicht unbedingt Franziskus' Frauenbild – immerhin hat er die Zahl der Frauen in leitenden Positionen der vatikanischen Zentrale deutlich erhöht und Frauen zum Stimmrecht während Synoden zugesprochen – er hat nur leider etwas unbeholfen und wenig zielgruppengerecht von dem gesprochen, was er an einer katholischen Universität wohl als selbstverständlich vorausgesetzt hatte.

Der Papst reagierte emotional angegriffen

Der Gedanke der Komplementarität der Geschlechter, wie er sich zum Beispiel bei Edith Stein findet, mag heute in feministischen Kreisen (und darüber hinaus) als "heteronormative Ideologie" gelten. Trotzdem wäre es möglich gewesen, ein katholisches Geschlechterverständnis – zumal in einem universitären Kontext – philosophisch einigermaßen anspruchsvoll zu präsentieren.

Spannend: Der Papst reagierte noch im Flugzeug zurück nach Rom auf die Kritik. Dort gibt er bekanntlich gern "fliegende Pressekonferenzen". Leider versuchte er aber seinen Standpunkt nicht besser zu erklären, sondern reagierte emotional angegriffen und lieferte dabei den Eindruck, dass man selbst schuld sei, wenn man ihn nicht verstehe. Seine Position zum Frauenthema sei "nicht modern, aber real". Seine Kritiker hätten "einen dumpfen Geist, der das nicht hören will".

Ein ungewöhnlicher Schlagabtausch.

Auch auf den zweiten Reibungspunkt der Reise reagierte er im Flugzeug auf Nachfrage einer Journalistin. Die Belgier sahen zuvor Äußerungen von Papst Franziskus am Grab des ehemaligen Königs Baudouin als "politische Einmischung in das demokratische Leben Belgiens". Dort hatte der Papst Gesetze zur Legalisierung der Abtreibung als "mörderisch" und "kriminell" bezeichnet. Warum an diesem Grab? König Baudouin hatte 1990 vorübergehend auf den Thron verzichtet, damit er ein Gesetz zur Abtreibung nicht unterzeichnen musste. Für Franziskus macht ihn das zu einem "Politiker mit Rückgrat", der sich gegen das "Todesgesetz" gestellt hatte. Er soll nun sogar seliggesprochen werden. Zum Hintergrund: In Belgien wird gerade wieder über Abtreibung diskutiert, man überlegt, ob die erlaubte Frist von bisher 12 Wochen weiter ausgedehnt werden soll. 

Eine Journalistin konfrontierte den Papst im Flugzeug mit der Kritik und erlebte einen unerbittlichen Franziskus, der so reagierte: "Eine Abtreibung ist ein Tötungsdelikt. (...) Sie tötet ein menschliches Wesen. Die Ärzte, die das durchführen, sind Auftragskiller. (...) Und darüber gibt es keine Debatte. Darüber kann man nicht debattieren." Wow! Von außen betrachtet muss man sagen: Franziskus war on fire. Aber auch hier gilt: Schlagwörter reichen nicht, um dem fatalen Trend in westlichen Ländern, Abtreibung zum Menschenrecht zu erklären, etwas entgegenzusetzen.

Es wird ungemütlicher für die Hüter des Glaubens.

Der Papst hat hautnah erfahren, dass im Westen längst nicht mehr plausibel ist, was die Kirche lehrt und was ein Kirchenoberhaupt sagt. Das konstatiert auch der langjährige ZDF-Vatikan-Experte Jürgen Erbacher, der sich zudem fragt, ob der Vatikan künftig andere Formate finden müsse, um wirkliche Diskussionen zu ermöglichen.

Es wird ungemütlicher für die Hüter des Glaubens. Das muss im Besonderen für die Bischöfe gelten. Die Distanz wächst.

Wahrheitsansprüche neu plausibel machen

Nach Franziskus Äußerungen zu den Frauen postete eine Freundin in einem sozialen Netzwerk: "Heute mal wieder besonders peinlich, Katholikin zu sein." In der Tat wirkte Franziskus in diesem Setting wie einer, der den Anschluss verloren hat. Wenn er dagegen zu Hause auf dem Petersplatz eine seiner oft merkwürdigen Anekdoten über argentinische Großmütter zum Besten gibt, regt sich kein Protest. Hier ist sein Safe Space. Doch der trügt. Besonders die jungen Schafe haben sich in Westeuropa von ihrem Oberhirten entfernt.

Die Reise zeigt noch mehr: Auch die Politiker betrachten den Papst nicht mehr als unantastbaren Stellvertreter Jesu Christi, sondern sehen in ihm den Kopf einer Institution, die mit dem Missbrauchsskandal für viel Leid gesorgt hat und fordern für die Betroffenen in ihrem Land Aufarbeitung. Die Bewunderung weicht dem Misstrauen.

Die Kirche gerät in schwieriges Fahrwasser.

Wenn der Papst sonst so gern von der drängenden Evangelisierung spricht, gerade in Westeuropa, wo die Kirchen immer leerer werden, kann man ihm nach diesen Auftritten sagen: Er sollte sich hier auch an die eigene, päpstliche Nase fassen. Evangelisierung kann mit solch unbedarften Darbietungen der katholischen Lehre wohl kaum gelingen.

Was könnten die Bischöfe (neben einer noch konsequenteren Aufarbeitung des Missbrauchs) für Konsequenzen ziehen? Nun, wenn der Papst sonst so gern von der drängenden Evangelisierung spricht, gerade in Westeuropa, wo die Kirchen immer leerer werden, kann man ihm nach diesen Auftritten sagen: Er sollte sich hier auch an die eigene, päpstliche Nase fassen. Evangelisierung kann mit solch unbedarften Darbietungen der katholischen Lehre wohl kaum gelingen. In Belgien konnte Franziskus erleben: Die Mission beginnt eigentlich zuallererst bei den eigenen Leuten. Denn statt im "ABC des Glaubens" sind viele der verbliebenen Kirchenmitglieder mehr zu Experten für ein "ABC der Reformwünsche" geworden. In Deutschland dürfte es nicht anders aussehen.

Für einen Monarchen, der Franziskus ja im Prinzip auch ist, ist es ungewohnt bis unangenehm, sich dem Volk erklären zu müssen. Doch Kritik schnell für "dumm" zu erklären und den Menschen vorzuwerfen, dass sie nicht verstehen wollen – das wird der Kirche jedenfalls nicht helfen. Im Gegenteil: sie muss ihre Wahrheitsansprüche neu plausibel machen. Nach innen und nach außen. Sonst werden kirchliche Würdenträger tatsächlich zu peinlichen Fremdkörpern in einer modernen Gesellschaft.

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