Bye Bye, BetonKommt die religiöse Ästhetik einer Generation an ihr Ende?

In den letzten 20 Jahren wurden in Deutschland mehr als 500 Gottesdienstorte abgerissen oder umfunktioniert. Tendenz steigend. Welche Kirchen dabei überleben, spricht eine eindeutige Sprache.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Nie werde ich vergessen, wie mich meine französische Gastfamilie als Austauschschülerin nach Ronchamp brachte. Dort steht inmitten einer grünen Landschaft die Wallfahrtskapelle "Notre-Dame-du-Haut", eine berühmte Betonkirche des Architekten Le Corbusier, der Stolz einer ganzen Region. Schon auf der Fahrt wurde die Spannung auf diesen besonderen Bau angeheizt – dementsprechend groß war die Enttäuschung, als ich das Gebäude gar nicht als Kirche erkannte. Spirituell war für mich dort nichts zu holen. Auch Gottfried Böhms Mariendom in Neviges wäre für mich nie ein Grund zur Wallfahrt.

Den Betonmonstern geht es an den Kragen

Aktuell geht es vielen Varianten dieser Betonmonster an den Kragen. Die Instandhaltung und die Heizkosten werden zu teuer. Mit ihnen verschwinden dabei auch die Versammlungsorte der letzten Zeitzeugen der Umbrüche infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils, in deren Rückenwind sie einst erbaut wurden. Räume, die einst Hoffnung füllte, sind heute verwaist, wie ein Beispiel aus Füssen zeigt. Dort wird es im Februar eine Kirche aus dem Jahr 1966 treffen, ein "Zelt Gottes" soll sie sein. Mehr als 600 Menschen hätten darin Platz, bei der Morgenmesse am Dreikönigstag zählt ein Journalist der "Augsburger Allgemeinen" dieses Jahr gerade mal 14 Besucher, am Abend mit Sternsingern und Kinderchor sind es ungefähr 130.

Ich bin und war in der kirchlichen Landschaft landauf, landab viel unterwegs und vielleicht ist es nur meine private Empirie – aber kann es sein, dass nicht nur ich damit fremdle, sondern dass in diesen Kirchen kaum noch einer betet? Wenn ich dagegen in vormoderne, sei es gotische oder barocke Kirchen blicke, treffe ich eigentlich immer auf ein Meer an Kerzen und sehe zumindest ein paar betende Gestalten in den Reihen. Natürlich sind auch Touristen dabei, die die Schönheit und Kunst der bildhaften Darstellungen bestaunen.

"Brutalismus" heißt der Architekturstil mit viel sichtbarem Beton. Die Ästhetik dieser Gotteshäuser hat sich für mich religiös überlebt. Es ist schwer, das aus Respekt vor den damit emotional verbundenen Gläubigen auszusprechen, aber viele finden sie einfach nur hässlich – und wer versteht denn noch die Symbolik dahinter?

Beim Versuch, die Faszination "Beton" zu verstehen, muss ich so sehr meinen Kopf einschalten, dass mein Herz zu keinem Gebet finden kann. Die Schlichtheit und Kühle führe zu mehr Ernsthaftigkeit, sagen Befürworter. Mich zerstreut sie eher, als dass sie mich fokussiert. Ich fühle mich im weiten, leeren Raum verloren. Mir fehlen die bildhaften Darstellungen meines Glaubens, die Figuren, zu denen ich aufblicken kann, die Inspiration an jeder Ecke. Ist mein Glaube zu kindlich, zu naiv?

Bilder sind Übersetzungshilfen

Ein Professor, der sich sehr für moderne Kunst begeistert, sagte mir einmal, dass sich für ihn in der Negation doch so viel mehr abbilde, als in der beschränkten Bildhaftigkeit. Ein faszinierender Gedanke, doch voraussetzungsreich. Für mich schafft die Leere – einfach nur Leere. Ich glaube, Menschen sehnen sich nach dem Bildhaften. Auch heute schaffen es Künstler wie Michael Triegel an eine gegenständliche religiöse Ästhetik anzuknüpfen und sie wieder interessant zu machen. Ist es nicht die Schönheit, die uns emporhebt, die das Gebet beflügelt und etwas von Gottes Herrlichkeit schon hier erfahrbar macht? Gott ist schön.

Vielleicht war der Glaube in den Sechziger- und Siebzigerjahren auch einfach noch so stark, dass es keiner Bilder mehr bedurfte. Heute ist christlicher Analphabetismus ein zunehmendes Problem. Wer kann eine Negation noch selbst ausfüllen? Die bebilderten und ausgeschmückten Kirchen sind Übersetzungshilfen, die man in einer Zeit der drängenden Evangelisierung nutzen sollte  und auf welche die Menschen auch nicht verzichten wollen. So in Ingolstadt. Dort versammelten sich kürzlich um die 100 Menschen zu einer Mahnwache, weil sie fürchteten, dass eine frühgotische Kirche aus dem Jahr 1275 zur Bibliothek wird. Auch mit Unterstützung aus der Politik wurde der historische Messort gerettet.

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