Blasphemie oder gelungene Provokation?Missbrauch: Ein Wagen im Kölner Karneval legt den Finger in die Wunde

Vertreter aus Kirche und Politik wollten ihn verhindern, doch die Organisatoren blieben standhaft: Ein umstrittener Wagen zum Missbrauchsskandal war am Rosenmontag im Kölner Karneval vertreten. Die Debatte zeigt, dass beim Thema weiter viele Wunden offen sind.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Auch im Fasching oder Karneval ist nicht alles erlaubt. Zu realistische Polizeiuniformen als Verkleidung zum Beispiel oder gefährliche Requisiten wie scharfe Piraten-Säbel und Ritterschwerter. Auch Hakenkreuze und andere verfassungswidrige Zeichen sind eigentlich tabu. Für die Motiv-Wagen in Düsseldorf und Köln gelten wohl softere Regeln. Dieses Jahr sorgten vor allem drei für Aufsehen: Einmal Alice Weidel, die Kinder mit Hakenkreuzkeksen ins Social-Media-Hexenhaus lockt, Elon Musk als Riesenbaby "Napo-Elon" ebenfalls mit Hakenkreuz (diesmal als USA-Flagge) – aber auch ein kirchenkritischer Wagen. Hier will eine klerikale Hand einen kleinen Messdiener in einen Beichtstuhl locken, Aufschrift: "Jesus liebt Dich". Der Schrecken des Missbrauchs, eingefangen in einer bildhaften Szenerie, die Gruselfaktor hat. Zu extrem? Ja, fand der Amtsleiter des Kölner Generalvikariats Frank Hüppelshäuser, der in einem Brief gar von einer Instrumentalisierung Jesu sprach.

Den Eindruck, dass Jesus hier im Beichtstuhl sitzt, den hatte ich spontan nicht. Stattdessen war mir der Satz einer Zuschauerin aus Köln im Ohr, die einer Reporterin sagte: "Die Wagen drücken aus, was wir alle fühlen". Wenn das neben dem krassen Rechtsruck in der Politik auch für das Thema "Missbrauch" gilt, ist das Bedrückende doch nicht der Wagen - sondern, dass dieses Thema 15 Jahre (!) nach Bekanntwerden der ersten Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kollegs immer noch so stark an der Kirche hängt. Das ist auch anderen aufgefallen. Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln sprach in seinem Statement von Familien als "große Tatorte, die deutlicher öffentlich benannt werden müssen. Dazu wird geschwiegen". Andere von Missbrauch in der Kirche Betroffene fanden die Darstellung als "Risiko-Ort für sexuellen Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche" treffend (Matthias Katsch) oder sahen den Zusammenhang von spirituellem und sexuellem Missbrauch ausgedrückt (Wolfgang Rothe).

Fakt scheint: Die Kirche hat nicht nur durch die vertuschten Verbrechen, sondern an vielen Orten leider auch bei der misslungenen Aufarbeitung Vertrauen verspielt. Der Skandal beschäftigt die Menschen immer noch sehr. Die Narren machen das sichtbar. 

Kirche hat Vertrauen verspielt

Fakt scheint: Die Kirche hat nicht nur durch die vertuschten Verbrechen, sondern an vielen Orten leider auch bei der misslungenen Aufarbeitung Vertrauen verspielt. Der Skandal beschäftigt die Menschen immer noch sehr. Die Narren machen das sichtbar. Dass bei Satire Überzeichnung dazugehört, das ist klar. Manchmal provoziert sie dabei so, dass die Reaktionen Auskunft geben, was Einzelnen oder einer Gruppe heilig ist. Das macht sie interessant. Bei kirchlichen Themen passiert überregionale Aufregung hier eher selten. Mediale Aufmerksamkeit gab es aber beispielsweise, als die Satire-Zeitschrift "Titantic" Papst Benedikt mit Soutane darstellte, die vorne und hinten befleckt mit Exkrementen war (Titel: "Die undichte Stelle ist gefunden"). Das ist auch schon über zehn Jahre her. Mehr Aufmerksamkeit erregt die Kunst, wenn es um Blasphemie-Vorwürfe geht, beispielsweise bei Kippenbergers berühmtem gekreuzigten Frosch oder kürzlich bei einer Darstellung der gebärenden Maria in Linz.

Diese Dimension hat der Kölner Persiflagewagen nicht. Jesus selbst ist gar nicht abgebildet und es erscheint recht unwahrscheinlich, ihn in einem Beichtstuhl anzutreffen. Stattdessen zeigt die Darstellung, dass die zentrale Botschaft des Christentums ("Jesus liebt Dich") von Tätern schamlos ausgenutzt wurde, um einen vertrauensvollen Rahmen zu schaffen. Für die vielen schrecklichen Taten, die seit 2015 ans Licht kamen, hat die Kirche augenscheinlich noch keine glaubwürdige Buße getan. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint sie weiter verstrickt.

Das zeigt auch ein Brief der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" vom Januar an die Abgeordneten des Bundestags. Er spricht davon, dass die "Aufklärung und Aufarbeitung des katholischen Missbrauchsskandals in Deutschland aus Sicht vieler Betroffener als gescheitert angesehen werden" muss. "Man hat uns, die Opfer, mit der Täterorganisation weitgehend allein gelassen", so der Vorsitzende Matthias Katsch im Brief. Es sei außerdem den einzelnen Bischöfen überlassen gewesen, Studien und Gutachten in Auftrag zu geben, ohne verbindliche Standards. "Kein einziger Bischof oder Ordensobere musste sich verantworten".

Die Darstellung ist nicht "blasphemisch" – sie legt den Finger in die Wunde und zeigt den Bischöfen, dass der Image-Schaden groß ist und sie der Missbrauchsskandal weiter beschäftigen muss.

Kirche muss sich Satire gefallen lassen

Dass in Köln führende Köpfe aus CDU-Kreisen ebenfalls gegen den Wagen protestieren ("geschmacklos"), bekommt hier einen weiteren fahlen Beigeschmack. Karl Haucke, vom "Betroffenenrat bei der Missbrauchsbeauftragten des Bundes", findet es im Kölner Stadtanzeiger "kaum zu überbieten an Verachtung und demütigender Oberflächlichkeit", "wenn jetzt jene lautstark gegen ein Motiv im Rosenmontagszug aufbegehren, die geschwiegen haben, als die menschenverachtenden Strategien des Erzbistums Köln zum Umgang mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt öffentlich wurden".

Die Kirche muss sich Satire an dieser Stelle gefallen lassen, weil sie zu wenig getan hat. "Nicht die Darstellung des Missbrauchs ist geschmacklos und peinlich, sondern vielmehr der Missbrauch selbst und der Umgang damit", rechtfertigte auch Zugleiter Marc Michelske den Persiflagewagen. "Blasphemisch", wie manch katholische Medien den Wagen empfanden, ist die Darstellung nicht. Sie legt stattdessen den Finger in die Wunde und zeigt den Bischöfen, dass der Image-Schaden groß ist und sie der Missbrauchsskandal weiter beschäftigen muss.

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