Ich war neulich im Theater, in Ulm. Das Stück hieß "Madonnen". Darin wurden Lebensgeschichten von Frauen erzählt. Der Theaterraum war als Kirche gestaltet. Im Hintergrund stand eine große Marienfigur, vor der viele Andachtskerzen brannten. Maria war dabei ständig in Bewegung. Mal rauchte sie, mal verließ sie den Raum, mal zog sie sich komplett aus. Theaterprovokation eben. Am Ende des Stücks verschwand sie ganz. Stattdessen erschien eine neue Gottheit auf dem Podest: eine junge Frau, die verzweifelt versucht hatte, eine ungewünschte Schwangerschaft loszuwerden, und letztlich nach einer illegalen Abtreibung verblutet war. Märtyrerin im Kampf um weibliche Selbstbestimmung und Freiheit. Applaus, Ende.
Ich glaube, ich kann mir die psychische Not von ungewollt Schwangeren erst vorstellen, seit ich selbst mit meinen Kindern schwanger war. Man kann das schwerlich ignorieren, wenn der eigene Körper einen neuen Menschen baut. Übelkeit, Müdigkeit, Schmerzen oder was auch immer weisen gerade am Anfang unablässig darauf hin. Ist es ein Wunschkind, erträgt man das gerne. Doch ist die Schwangerschaft unerwünscht, möchte man sich davon vermutlich so schnell es geht befreien. Es ist eine Situation, vor der man nicht fliehen kann und an die der eigene Körper einen ständig erinnert. Kaum etwas ist so existenziell wie das Kinderkriegen. Es ist einer dieser Lebensmomente, bei dem es ein klares "davor" und "danach" gibt, aber nichts zwischendrin. Die Hoffnung der ungewollt Schwangeren ist es vielleicht, schnell wieder in den Zustand "davor" einzutreten und "die Schwangerschaft" rückgängig zu machen.
Kennt nicht jede Frau andere Frauen, die abgetrieben haben und die das auch Jahre später noch belastet? Natürlich spricht man darüber nur unter vorgehaltener Hand.
Doch geht das wirklich? Ist man dann wieder die Alte und das Ganze war nur ein böser Traum?
Kennt nicht jede Frau andere Frauen, die abgetrieben haben und die das auch Jahre später noch belastet? Natürlich spricht man darüber nur unter vorgehaltener Hand. Ich habe so erfahren, dass das Abtreiben durch Tabletten oder Absaugen weitaus unangenehmer ist als zuvor gedacht. Die Prozedur wird gerne verharmlost, wie beispielweise in einem gerade veröffentlichten Wissens-Podcast der "Welt", in dem von Schwangerschaft wie von einer Krankheit gesprochen wird, von der man durch probate Mittel ohne große Risiken wieder gesunden kann. Lebensschützer zeigen dagegen gerne Bilder, wie diese "Schwangerschaft", die abgesaugt werden soll, aussieht – häufig nämlich schon ein kleines bisschen wie ein Mensch, mit einem Herz, das bereits sehr früh schlägt. Nämlich schon in der fünften Woche. Nur ein Zellhaufen ohne Seele? Ich tue mir schwer damit und habe dabei auch ein Bibelzitat in meinem Kopf: "Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen" (Jeremia 1,5). Ab wann ist ein Mensch ein Mensch? Andere sehen das weniger problematisch, ohne Frage: Es ist ein sehr persönliches, ethisch und auch verfassungsrechtlich komplexes Thema.
Die psychischen Folgen von Abtreibungen sind ein Tabuthema und Spielverderber für alle, die eine schnelle Lösung für das unliebsame Problem "ungewollte Schwangerschaft" suchen.
Nur frage ich mich: Wenn man es dann getan hat, ist es wirklich möglich diesen Eingriff hinter sich zu lassen, wie irgendeine beliebige OP? Ich kenne keine, die sich dafür entschieden hat und nicht heute noch daran nagt. Die psychischen Folgen von Abtreibungen sind ein Tabuthema und Spielverderber für alle, die eine schnelle Lösung für das unliebsame Problem "ungewollte Schwangerschaft" suchen.
Keine Gesundheitsleistung wie jede andere
Die Legalisierung in den ersten zwölf Wochen und ein Wegfall der dreitägigen Wartefrist – wie sie jetzt auf den letzten Metern einer kaputten Regierung noch durchgedrückt werden soll – ist deshalb gerade kein Geschenk an die Frauen, sondern verharmlost einen für Körper und Seele potenziell stark belastenden Eingriff. Die bisherigen Einschränkungen, wie der Paragraf im Strafgesetzbuch, eine Beratungspflicht und die dreitägige Bedenkzeit, zeigen, dass es eben keine Gesundheitsleistung wie jede andere ist. Nein, eine Abtreibung bringt einen Herzschlag zum Verstummen, der zuvor auf dem Ultraschall gut hör- und sichtbar war. Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen wiederholt die staatliche Schutzpflicht für das ungeborene Kind bestätigt. Und natürlich macht das was mit einem, wenn man diesen Herzschlag mit Tabletten beendet oder wegsaugt. Oder nicht?
Die Wahrheit zwischen den Zeilen
Inwieweit die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch psychische Folge haben kann, wird natürlich auch erforscht. Wer versucht, sich einzulesen, merkt schnell: Die Studienlage ist nicht eindeutig und das Thema ist extrem umkämpft. Gerade in den USA. Natürlich finden Befürworter einer Legalisierung für ihre Position genauso passende Ergebnisse, wie die selbst ernannten Lebensschützer für ihre. Die einen machen stark, dass die psychische Gesundheit von Frauen gerade gefährdet sei, wenn sie ein ungewolltes Kind austragen müssten, während die anderen davon sprechen, dass Frauen, die abgetrieben haben, von einem erhöhten Risiko für Depressionen, Angszustände, Süchte und Suizid betroffen sind. Wer hat recht?
96 Prozent der Frauen, die wegen einer Überschreitung der Schwangerschaftswochenfrist von den Kliniken abgewiesen wurden und ihr Kind bekamen, waren nach fünf Jahren froh darüber und bedauerten es nicht, dass sie sich für das Kind entscheiden mussten.
Vielleicht findet sich ein Stück Wahrheit manchmal zwischen den Zeilen. Erkenntnisse, die dem jeweiligen Lager eigentlich nicht in die Argumentation passen, sich aber trotzdem in ihren Studien finden, die finde ich interessant. Sie wirken nicht ganz so manipulativ. Zum Beispiel ein Detail in der eigentlich von Abtreibungsbefürwortern gerne zitierten amerikanischen "Turnaway"-Studie. Hier wurden abtreibungswillige schwangere Frauen, von denen die eine Hälfte eine Abtreibung durchführen konnte, mit denen verglichen, bei denen es nicht möglich war. Ergebnis zwischen den Zeilen: 96 Prozent der Frauen, die wegen einer Überschreitung der Schwangerschaftswochenfrist von den Kliniken abgewiesen wurden und ihr Kind bekamen, waren nach fünf Jahren froh darüber und bedauerten es nicht, dass sie sich für das Kind entscheiden mussten. 96 Prozent!
Wie geht es dagegen wohl Frauen, die abgetrieben haben, Jahr für Jahr an dem Tag, an dem der einst berechnete Geburtstermin (ET) gewesen wäre? Was denken sie, wenn sie andere Kinder sehen, die im jeweiligen Alter ihres potenziellen, aber abgetriebenen Kindes sind? Auch wenn sie nur an den "Zellhaufen" glauben, ist doch zumindest das Potenzial da gewesen. Es "hätte" so sein können. Dieses "es" ist unwiederbringlich weg. Der Moment, als "es" aus dem eigenen Körper entfernt wurde, er hat sich bei vielen eingebrannt. Kann man das abhaken und einfach weitermachen?
Die "Turnaway"-Studie hat hier auch ein Ergebnis parat, wenn auch ein methodisch fragwürdiges. Die Autoren behaupten, dass die Mehrheit der Frauen, die abgetrieben hatten, nach drei und nach fünf Jahren immer noch froh waren, sich so entschieden zu haben. Jedoch: Nach drei Jahren nahmen nur noch 27 Prozent der ursprünglich angesprochenen Frauen teil, nach fünf Jahren nur noch 18 Prozent. Warum? Kritiker der Studie vermuten einen Zusammenhang, der aus der Unfallforschung bekannt ist, nämlich, dass gerade die Menschen ihre Teilnahme an Studien eher verweigern, die an den psychischen Folgen des Ereignisses leiden, weil dadurch die Erinnerung an die belastende Situation wieder wach wird (sie verweisen dafür unter anderem auf diesen Artikel: L. Weisaeth: Importance of high response rates in traumatic stress research, in: Acta Psychiatrica Scandinavica, 80 [355, Suppl.], 131–137). Ich finde, das klingt plausibel.
Würde man den Frauen nicht mehr dienen, wenn man sie stärker über mögliche psychische Folgen einer Abtreibung aufklärt, ihnen eine psychologische Nachbetreuung ermöglicht und noch viel wichtiger sicheren Zugang zu Alternativen aufzeigt?
Auch Forscher des "Wiener Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik" (IMABE) beschäftigen sich mit der Frage nach einem kausalen Zusammenhang zwischen einer Abtreibung und den späteren psychischen Folgen. Sie sprechen etwas demütiger als die Amerikaner davon, dass man keine validen wissenschaftlichen Beweise für die eine oder die andere These finden könne. Eine Tendenz sei trotzdem sichtbar: "Ein erheblicher Teil der methodisch gut gemachten internationalen Studien ist sich einig, dass die Beendigung einer unerwünschten Schwangerschaft durch Abtreibung das Risiko für psychische Probleme nicht reduziert, sondern erhöht oder bereits bestehende psychische Probleme verstärkt. Uneinig ist man sich in der Frage der Begründung, warum dies so ist."
Würde man den Frauen nicht mehr dienen, wenn man sie stärker über mögliche psychische Folgen einer Abtreibung aufklärt, ihnen eine psychologische Nachbetreuung ermöglicht und noch viel wichtiger sicheren Zugang zu Alternativen aufzeigt? Stattdessen verharmlosen selbst ernannte Feministinnen, wie aktuell die Komikerin Carolin Kebekus, Abtreibungen als harmlose Lösung für ein Problem, das Männer nichts angeht.
Jede Hürde, die für ein Zögern sorgt, ist gut
Natürlich soll heute keine Frau verbluten, wie im Ulmer Theaterstück, weil sie aus Verzweiflung zu einer "Engelmacherin" geht, damit die Eltern nichts von der Schwangerschaft erfahren oder weil der Partner sie unter Druck setzt oder etwas anderes sie stark belastet. In Deutschland muss man zwar teils weite Strecken auf sich nehmen, um medizinisch sicher abzutreiben (denn viele Ärzte weigern sich), aber möglich ist es. Es ist gut, dass Frauen in Not nicht mehr in die gefährliche Illegalität gezwungen werden. Ob aber eine extreme Notsituation auf alle 100.000 Fälle von Abtreibungen in Deutschland pro Jahr zutrifft, ist wohl eher fraglich.
Bleibt zu hoffen, dass der übereilte Vorstoß zur Legalisierung im Bundestag scheitert. Denn eines ist klar: Dieses Thema verdient mehr Debatte. Der Blick auf die psychische Gesundheit der betroffenen Frauen ist dabei nur ein Aspekt unter vielen. Doch will man wirklich für die Frauen sein und für ihr Glück kämpfen, führt kein Weg daran vorbei. Denn "danach" ist es zu spät. Jede Hürde, die aktuell für ein Zögern sorgt, ist deshalb gut.