Unter ChristenTobias Haberls Glaubensbekenntnis provoziert nicht nur Heiden

Der Journalist wirft einen schonungslosen Blick auf die Kirche und diagnostiziert: Die Botschaft ist super, doch sie kommt nicht mehr an. Warum eigentlich nicht?

Tobias Haberl
© Matthias Ziegler/KNA

Ich habe eine schlechte Angewohnheit: Wenn ich ein Buch lese, mache ich einen Knick in die Seite, wenn mir ein Gedanke gut gefällt. Manchmal fällt das zum Glück kaum auf – anders beim letzten Buch. Das ist voller Knicke. Schuld ist der Autor, Tobias Haberl, der einen spannenden Blick auf Kirche und Zeitgeschehen veröffentlicht hat. "Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe" heißt das Werk. Haberl beschreibt darin, wie es ihm als praktizierendem Katholik so geht unter linken Medienmenschen, mit denen er als Journalist des "Süddeutschen Zeitung Magazins" arbeitet und in deren Nachbarschaft er in einem Münchner Ausgehviertel wohnt. Seine Diagnose: Selbstverständlich ist an dem Glauben, der gerade in Bayern vor ein paar Jahrzehnten noch selbstverständlich schien, nichts mehr. Nein, gerade als jüngerer Mensch fühlt man sich tatsächlich häufig so, wie Haberl es beschreibt: als Eisbär auf schrumpfender Scholle oder als Exot. Das kenne ich.

Haberls Buch ist ein Glaubensbekenntnis, aber ein besonders interessantes, weil es gleichzeitig eine Diagnose unserer Gegenwart bietet. Die sieht düster aus: der Mensch als Wesen, das sich zunehmend in der technisierten Bequemlichkeit verliert, von Dopamin-Räuschen getrieben ist und aus dem Blick verloren hat, dass die eigentliche Sehnsucht dadurch nicht befriedigt wird. "Wir sind umzingelt von Krisen, überall Endzeitstimmung, nirgendwo ein Grund, der trägt. Die Menschen suchen Orientierung, etwas, woran sie sich festhalten können, aber da ist nichts, alles wandelt sich immer rascher. Und eigentlich bräuchten wir eine Pause oder jemanden, der uns in den Arm nimmt, aber alles, was wir kriegen, ist schnelleres Internet", schreibt er.

Haberl ist kein Traditionalist, er lässt sich in keine kirchenpolitische Schublade stecken, er verfolgt keine Agenda, er erzählt einfach seine Geschichte und wartet mit der starken These auf, dass das Christentum die notwendige spirituelle Medizin für unsere Zeit bereithielte, doch die Gesellschaft kaum noch Ahnung hat, was Christen eigentlich glauben, wofür sie beten und worauf sie hoffen.

Tobias Haberl, Jahrgang 1975, hat nach einigen Jahren Auszeit wieder zum Glauben seiner Kindheit gefunden. Aufgewachsen ist er in einer Kleinstadt im Bayerischen Wald, wo der Katholizismus ganz normal zum Leben dazugehörte. Seine Perspektive ist auch gerade deshalb interessant, weil hier kein Theologe oder Kirchen-Insider schreibt. Auch war er kein Ministrant, in keiner katholischen Jugendorganisation oder fühlt sich einer bestimmten Gemeinde zugehörig. Ein normaler Gläubiger möchte man sagen, der ganz unverfänglich von Dingen schreibt, die innerkirchlich Wogen der Empörung auslösen können. Da ist etwa seine Liebe zur sogenannten "Alten Messe". Diese beschreibt er sehr feinsinnig ("Die Alte Messe ist betörend schön") – aber ohne missionarischen Eifer, denn andere Gottesdienste besucht er genauso, ja manchmal sogar die vom berühmten Münchner Pfarrer Schießler. Das dürfte irritieren.

Haberl ist kein Traditionalist, er lässt sich in keine kirchenpolitische Schublade stecken, er verfolgt keine Agenda, er erzählt einfach seine Geschichte und wartet mit der starken These auf, dass das Christentum die notwendige spirituelle Medizin für unsere Zeit bereithielte, doch die Gesellschaft kaum noch Ahnung hat, was Christen eigentlich glauben, wofür sie beten und worauf sie hoffen. Das wurde ihm bei einem Interview mit Navid Kermani besonders deutlich, als dieser erzählte, wie seine muslimische Tochter von der Lehrerin eingeladen wurde, bei einem Schulgottesdienst die konsekrierte Hostie zu empfangen.

Selbstbewusst werden

Doch der Glaubensverlust ist das eine – er beobachtet ebenfalls sehr treffend, dass die meisten Menschen der Kirche heute skeptisch gegenüberstehen, ohne sie dabei richtig zu kennen. "Ich nehme ihnen das nicht übel, weil man, wenn man sich nicht gerade aktiv darum bemüht, mit ihren wesentlichen Aspekten nicht mehr in Berührung kommt. Ginge ich nicht regelmäßig in die Messe, ich vergäße auch, dass es im Christentum nicht um Sozialpolitik, sondern um das ewige Leben geht. Das Entscheidende kommt nur noch selten zur Sprache: die Aufforderung, anders zu leben, die Hoffnung auf eine gerechtere Welt im Jenseits, die Fähigkeit, im Chaos der Gegenwart die Vorboten eines neuen Zeitalters zu erkennen".

Das Buch ist der berühmte "Blick von außen", der aufwecken könnte. Die spirituellen Elemente, die Haberl in der Kirche gefunden hat – Demut, Ehrfurcht, Stille, Rhythmus und Rituale – identifiziert er als genau die, mit denen nicht nur die säkulare Gesellschaft, sondern auch viele Christen ein Problem haben. Interessant. Warum werden diese spirituellen Schätze von manchen regelrecht verteufelt, so, als ob damit ein Giftschrank geöffnet würde? Die Kirche könnte Haberls Geschichte als Ansporn begreifen, das Gegenteil zu tun: nämlich ihre Schätze wieder viel selbstbewusster zu präsentieren.

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Tobias Haberl, Unter Heiden
Tobias Haberl

Unter HeidenWarum ich trotzdem Christ bleibe

btb: München 2024, 288 S., 22,00 € (D)

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