Sind Engel peinlich?Warum die Kirche mehr über Gottes Boten reden sollte

Mehr Menschen glauben an Engel als an Gott. Anstatt betreten zu schweigen, sollte die Kirche daran anknüpfen.

Engel-Figur
© Pixabay

Vor allem in der Adventszeit sind sie unvermeidlich: die Engel. Kein Weihnachtsmarkt kommt ohne sie aus, manch einer heißt gar "Markt der Engel" wie in Köln. Wie viele Fenstersimse sie wohl gerade bevölkern? Figuren jeder Größe werden gerne gekauft, gebastelt, verschenkt und Postkarten mit den wohl berühmtesten Engeln der Welt, die sich zu Füßen der Sixtinischen Madonna von Raffael lümmeln, hat beinahe jeder schon mal bekommen. Man kann das als Kitsch abtun, aber interessant ist es ja schon, dass die Engel einen so festen Platz haben.

In der Verkündigung der katholischen Kirche spielen die Mittler zwischen Gott und Mensch heute nur selten eine Rolle. Im Theologiestudium tauchen sie vielleicht bei der Auslegung biblischer Geschichten auf, sonst eher nicht. Das erstaunt nach einer einstmals mühsam ausgearbeiteten Engellehre (zum Beispiel von Thomas von Aquin). Man kam wohl zum Eindruck, dass man die Wesen zwischen Himmel und Erde einem immer aufgeklärteren Publikum so nicht mehr zumuten kann. Doch so rationalistisch ist das Publikum überhaupt nicht.

Umfragen kommen zum Schluss, dass bald mehr Deutsche an Engel glauben als an Gott. Nämlich über 50 Prozent.

Engel in der "Schmuddelecke"?

Der Jesuit Stefan Kiechle fragt in der Zeitschrift "Stimmen der Zeit", ob man die Engel weiter nur "den antimodernen Strömungen der Kirche, in der als reaktionär und bloß gefühlvoll belächelten Schmuddelecke" überlassen sollte. Bin ich wirklich in der "Schmuddelecke", wenn ich über Engel sprechen will? 

Eigentlich sind Engel fester Bestandteil des katholischen Glaubens. Im Katechismus werden sie als "geistige, körperlose Wesen" bezeichnet, ihre Existenz sei eine "Glaubenswahrheit" (328), weiter: "Das Zeugnis der Heiligen Schrift ist ebenso klar wie die Einstimmigkeit der Tradition".

Als jemand, der sich beruflich mit Religionsfragen beschäftigt, führt man immer wieder sehr spezielle Unterhaltungen. Vermeintlich transzendente Erlebnisse, die man eigentlich so keinem erzählen kann, bekommt man dann zum Beispiel bei Partys serviert, wenn der Alkohol die Hemmschwelle senkt oder der Rahmen vertrauter geworden ist. Das Gegenüber wünscht sich dabei meist Bestärkung, dass es nichts Irrationales wahrgenommen hat und sich nicht unbedingt etwas eingebildet haben muss. So ist das bei Schutzengelmomenten, von denen berichtet wird, oder von Träumen, in denen Engel aufgetaucht sind. Für Unterhaltungen dieser Art hat mir mein Studium jedenfalls nicht geholfen. Dafür meine Herkunft.

Ich bin mit katholischer Liturgie aufgewachsen. Das Zweite Eucharistische Hochgebet, in dem "mit allen Engeln und Heiligen" Gott gepriesen wird, das wurde für mich zur Grundmelodie des Gottesdienstes. Im Schuldbekenntnis wurden sie ebenso angerufen, wie bei Beerdigungen den Verstorbenen die "Engel ins Paradies geleiten" sollten, was ich immer sehr tröstlich fand. Engel gehörten dazu, als helfende Wesen, die bei uns sind, aber auch bei Gott, den sie besingen. Natürlich hing über meinem Kinderbett auch ein Schutzengel-Bild, ich fand das sehr beruhigend. Auch heute glaube ich als Katholikin daran, dass es Geistwesen gibt, die man nicht sehen kann, die aber da sind. Vielen Menschen geht es ähnlich, nur suchen die meisten heute nicht mehr bei der Kirche nach Erklärungen für ihre Erfahrungen.

Die Kirche bot einst einen vernünftigen, sicheren Rahmen für eine Verehrung der Engel. Heute bevölkern die Engel den Weihnachtsmarkt.

Im Esoterik-Bereich ist unentwegt von Engeln die Rede; sie werden als Mittler zur "feinstofflichen Welt" angepriesen. Da gibt es das ganze Jahr über Engelkarten, Engelseminare, Engelcoaches, die Botschaften empfangen und vieles mehr. Mit wem wird hier kommuniziert? Welche Botschaften werden empfangen? Und wer wird hier wie abgezockt?

Die Kirche bot einst einen vernünftigen, sicheren Rahmen für eine Verehrung der Engel. Heute bevölkern die Engel den Weihnachtsmarkt; sind zum verniedlichten Kommerz geworden, obwohl sie doch eigentlich der Ankunft des Gottessohns entgegenjubeln.

Die "Sinus-Milieu Studie" verortet den Engelglauben gerade bei denen, die ebenfalls mit Vorliebe den Weihnachtsmarkt bevölkern, nämlich den sogenannten "Konsum-Materialisten", eine bildungs- und kirchenferne Bevölkerungsgruppe der Unterschicht und unteren Mittelschicht. Doch bei über 50 Prozent Engelgläubigen müssen auch Menschen zu dieser Gruppe gehören, die nicht für Weihnachtsmarktkitsch empfänglich sind, aber vielleicht staunend vor einem Caravaggio stehen (der großartige Engelmomente gemalt hat), und einem heimlich von übersinnlichen Momenten erzählen.

Versteckt die Kirche ihre spirituellen Schätze weiter in der "Schmuddelecke", statt mit ihnen selbstbewusst umzugehen, wird Weihnachten vielleicht tatsächlich irgendwann nicht mehr das Fest der Christen, sondern der "Engelgläubigen" sein, wie es die "Neue Zürcher Zeitung" einmal formuliert hat. Schade, denn so bleibt man lediglich bei einem Gefühl von Transzendenz und bei den Mittlern stehen und verpasst dabei das Beste: eine Beziehung zu einem personalen Gott, der an Weihnachten Mensch geworden ist. Angekündigt wurde Maria das – natürlich – von einem Engel.

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