Gerade kann man riechen, dass ich in der Kirche war. Die festliche Stimmung am Jahresende regt die Ministranten, zumindest in meiner Gemeinde, dazu an, mit dem Weihrauch etwas großzügiger umzugehen als sonst. Ich finde den Geruch wunderbar und genieße es, zu beobachten, wie die Weihrauchschwaden in den Strahlen der morgendlichen Sonne immer weiter zu den bunten Kirchenfenstern aufsteigen. Für mich macht Weihrauch den Gottesdienst zu einer sinnlichen Erfahrung, zu einer reichen Gegenwelt, die es gerade dann braucht, wenn die Welt drumherum mir grau und nüchtern vorkommt.
Als ich da so saß, in der Sonntagsmesse, und mit dem Rauch auch all die Gebete aufsteigen sah (wie das Psalm 141,2 so schön sagt), dachte ich mir: woher kommt eigentlich der Brauch?
Weil ich nie Ministrantin war, hatte ich mich damit bisher nicht viel beschäftigt. In der Pubertät hatte ich sogar Angst vor den Rauchschwaden, weil bei uns immer wieder gerade junge Leute umgekippt sind. Weniger war besser. Doch mir wurde nie schlecht. Experten sagen, auf die Qualität komme es an, nur die günstigen Weihrauchsorten würden Husten und Übelkeit auslösen. Erbitterte Gegner gehen so weit, einem den Weihrauch-Genuss mit einer angeblichen Feinstaubbelastung madig zu machen. Das Rauchen lasse ich ja gerne sein, aber den heiligen Rauch doch nicht.
Heiliges Antidepressivum
Dass dieser etwas Besonderes ist, das wussten schon die antiken Kulturen, lerne ich, die das zu kleinen Kügelchen geformte Harz im Totenkult, bei Hofzeremonien, aber auch bei Rauchopfern im Tempel einsetzten. Das Material stammt dabei von einem Baum, der für mich eher nach einem Busch aussieht, und als "Boswellia sacra" vor allem in Somalia und dem Oman wächst. Aus seiner Rinde fließt die klebrige Flüssigkeit, die nicht nur die wohlriechenden, sondern auch gesunde Inhaltsstoffe hat. In einem Experiment mit Mäusen wurde sogar eine psychoaktive und heilsame Wirkung von Weihrauch nachgewiesen. Wie es aussieht, enthält er Stoffe, die auf bestimmte Rezeptoren wirken und eine beruhigende Wirkung haben. Als Antidepressivum nicht nur für Mäuse interessant. Auch Bakterien und Pilze vertreibt das Harz. Wollte man Liturgie bewerben, könnte man sagen, dass die Sonntagspflicht damit nicht mehr nur zur seelischen, sondern auch zur körperlichen Gesundheitsleistung wird.
Doch Weihrauch kann noch mehr, er macht auch Menschen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie Morbus Crohn Hoffnung auf Heilung. Spannend: Die Pharmakologie schafft es bisher nicht, die entzündungshemmenden Stoffe nachzubauen. Das passt zu diesem "Stoff": Ein bisschen Magie gehört zum "heiligen Räucherwerk", oder nicht?
Das gilt besonders jetzt, in der Zeit um Weihnachten. Zum Jahreswechsel werden vielfach Häuser und Ställe ausgeräuchert. Böse Geister sehen da manche verschwinden oder dunkle Gedanken. Andere bitten Gott schlicht um die Segnung der Räume. Weihrauch zur Reinigung, diese Tradition ist sehr alt. Und ja, wenn er gegen Bakterien und Pilze wirkt, warum sollte er nicht auch andere unsichtbare Dinge vertreiben? Ein gutes Gefühl hinterlässt der Geruch auf jeden Fall. Auch die Sternsinger werden wieder an die Haustüren klopfen und wenn man Glück hat den Weihrauch dabei haben, der auch ein Geschenk der berühmten "heiligen drei Könige" an das Jesuskind war.
Vielleicht werde ich zu Hause zum Jahreswechsel auch mal räuchern. Aber eigentlich gehört der Duft für mich schon in die Kirche. Wenn dort "inzensiert" wird, wie es im Fachjargon heißt, also Gegenstände und Menschen beräuchert werden, wenn Priester, Bibel und Gemeinde in eine wohlriechende Wolke gehüllt sind, werden sie eins im Kult. Theologisch ist das so schön mit dem Bild beschrieben, dass wir alle zum einen Leib Christi werden und gewissermaßen eine andere Sphäre sichtbar gemacht wird, in der wir als getaufte Christen eigentlich immer schon sind. Voraussetzungsreich ist das und verstanden wird es vielleicht nicht immer, liest man so manche Kritik, die den Weihrauch nicht zeitgemäß und die Messe dadurch zu kultisch und zu priesterzentriert findet.
Ist der Mensch nicht auch ein Wesen, das sinnliche Erfahrungen braucht, um etwas wirklich in sein Herz zu lassen? Gehen Erinnerungen, die mit Gerüchen verbunden sind und die man dann fast wieder spüren kann nicht tiefer, als der Verstand sie je greifen könnte?
Doch braucht es nicht genau das? Etwas, das uns vom Alltag entfernt, eine andere, heiligere Sphäre eröffnet, die Spiritualität möglich macht? Etwas das diese mit einem Geruch verbindet, den man sonst nirgends riecht? Ist der Mensch nicht auch ein Wesen, das sinnliche Erfahrungen braucht, um etwas wirklich in sein Herz zu lassen? Gehen Erinnerungen, die mit Gerüchen verbunden sind und die man dann fast wieder spüren kann, nicht tiefer, als der Verstand sie je greifen könnte? Und wären wir nicht verrückt, die heilsame Wirkung, die die Menschen seit Jahrtausenden kultiviert haben, wegen ideologischer Vorbehalte aus unserer Religion zu streichen und anderen zu überlassen?
Meine Jacke riecht immer noch nach Kirche. Genauer nach dem Weihrauch, zu dem der Priester zuvor leise sprach: "Es segne Dich Derjenige, zu dessen Ehre du verbrennst". Mich freut das.