Aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der Basilika St. Martin in Weingarten plant man eine Neugestaltung des Altarraums. Die Siegerentwürfe eines Wettbewerbs erinnern an andere Kirchen der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die kürzlich ähnliche Modelle erhalten haben: schmucklose Steinblöcke, die in barocken Räumen wie Fremdkörper wirken. Sie geben sich bescheiden und kosten trotzdem viel Geld. Bei vielen Gläubigen stößt das auf Unverständnis. Warum werden sie übergangen?

Es gibt Kirchenthemen, bei denen viele Betrachter von außen nur mit dem Kopf schütteln. Ein Beispiel ist, was gerade im oberschwäbischen Weingarten passiert. Dort ziert ein gewaltiges barockes Bauwerk, immerhin halb so groß wie der Petersdom, die Skyline der kleinen Stadt. Die Basilika St. Martin ist die größte Barockkirche nördlich der Alpen. Wer sie betritt, der staunt angesichts des hellen, großen Raums, der sich vor und über einem aufmacht, und kommt ins Träumen inmitten der kunstvollen Architektur, der schönen Skulpturen, Malereien, der ganzen barocken Pracht eben, die sich hier besonders filigran und elegant zeigt.

Es ist nicht nur ein religiöser, sondern auch ein kunsthistorischer Schatz. Eigentümer ist nicht die Kirche, sondern das Land Baden-Württemberg. Diese Basilika feiert gerade ihr 300-jähriges Jubiläum. In Zuge dessen, und wegen einer ohnehin laufenden Sanierung, hat nun die Kirche, genauer die Kunstkommission der Diözese Rottenburg-Stuttgart, einen Wettbewerb zur Altarraumneugestaltung ausgeschrieben. Laut Auslobungstext soll beim neuen Altar "eine zeitgenössische Formensprache" angestrebt werden. Der einfache Besucher der imposanten Kirche fragt sich: wo liegt in diesem so bedeutsamen, gut erhaltenen historischen Bau der Umbaubedarf? Was soll am alten Altar denn nicht mehr gut sein?

Der bisherige Volksaltar ist dazu noch ein ganz besonderes Stück. Er birgt in seiner Mitte, sichtbar hinter einer Glasscheibe, eine Reliquie, von der man hier glaubt, dass es sich um einen echten Blutstropfen Jesu Christi handelt. Spannend ist dabei, dass dieser Volksaltar sich besonders gut in seine barocke Umgebung einfügt. Er wurde 1932 in diesem Stil neu geschaffen und ist einer der ersten Altäre, an denen hierzulande wieder in Blickrichtung zu den Gläubigen zelebriert wurde. Mit der Liturgischen Bewegung gab es damals eine Strömung, die die Menschen stärker in das Geschehen am Altar einbeziehen wollte (Stichwort: "Tätige Teilnahme"). Dass diese Konstruktion in Weingarten so noch zu sehen ist, ist eines der seltenen Zeugnisse dieser Zeit und muss damit doch auch aus Sicht der Denkmalpflege einen hohen Eigenwert besitzen. Aber das nur nebenbei.

 

Chorraum mit Hochaltar und Volksaltar in der Basilika Weingarten
Chorraum mit Hochaltar und Volksaltar in der Basilika Weingarten Clemens v. Vogelsang/Wikimedia Commons, CC BY 2.0

 

Der Altar wurde also einst für dieses Kirchengebäude geschaffen, so muss es dem unbedarften Besucher scheinen. Ebenso im Übrigen viele andere Volksaltäre der Region, die zumeist in den Siebzigerjahren in Barockoptik neu geschaffen wurden, um als Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils den bisher an die Wand gebauten Hochaltar abzulösen. "Zeitgenössisch" ist der Barock natürlich nicht. Doch der Eiffelturm ist das auch nicht – trotzdem kommt keiner auf die Idee, Teile an ihm modernisieren zu müssen.

Gibt es wirklich einen Bedarf?

Auch wenn man sich unter Gemeindemitgliedern umhört, ist der Bedarf nach einer Veränderung in Weingarten kaum wahrnehmbar. Die Gläubigen wurden von der Ausschreibung überrascht. Die Gottesdienste sind meist gut besucht, der Einzelsegen mit der Blutreliquie zieht Menschen aus der ganzen Region an, die darauf vor eben jenem Altar auf der Kniebank warten. Die prämierten Entwürfe zweier Künstler, die sich am ausgelobten Wettbewerb beteiligt haben, fallen dagegen ohne Kniebank und ohne Blutreliquie im Altar auf.

Diese und andere mögliche Baupläne muss der Kirchengemeinderat jetzt diskutieren. Merkwürdig erscheint, dass sich die Entwürfe nur als Aushänge in der Basilika begutachten lassen, nicht aber im Internet abrufbar sind.

Die Entscheidung, ob überhaupt etwas davon umgesetzt wird, soll diesen Herbst fallen. Die Kosten würden zum Großteil die Kirche übernehmen, "weil sie die Veränderungen wünscht", wird der Pfarrer der Basilika, Ekkehard Schmid, in der Lokalpresse zitiert.

Die "Schwäbische Zeitung" wiederum zitiert den Pfarrer mit den Worten: "Wir werden uns keinen Rolls-Royce hineinbauen". Und hier muss man doch stutzig werden. Wenn eine Kirche in Oberschwaben den Vergleich mit einem Rolls-Royce nicht scheuen muss, dann diese Basilika. Wer möchte ausgerechnet hier die Innenausstattung eines VW-Golf haben?

Unter Protz-Verdacht will kein Kirchenmann mehr geraten. Und tatsächlich sind die Mehrzahl der neu errichteten Altäre in Deutschland ja sehr schlicht – und trotzdem teuer.

Vermutlich sollte das bescheiden klingen. Unter Protz-Verdacht will kein Kirchenmann mehr geraten. Und tatsächlich sind die meisten der neu errichteten Altäre in Deutschland ja sehr schlicht – und trotzdem teuer. Es werden zumeist einfache Quader errichtet, die nicht selten wie plumpe Fremdkörper im Altarraum wirken und sich in die Raumgestalt kaum einfügen.

So geschehen beispielsweise auch 2019 im ebenfalls prachtvollen, barocken Münster von Zwiefalten. Hier steht nun ein Marmorquader in Schwebeoptik. Er dürfte mit seiner vier Zentimeter starken, vergoldeten Platte dabei auch kein Schnäppchen gewesen sein. Sogar die berühmte "schönste Dorfkirche der Welt" in Steinhausen hat kürzlich ein ähnliches Modell erhalten. Viele weitere Beispiele, speziell im Bistum Rottenburg-Stuttgart, ließen sich anführen.

Münster Zwiefalten, Volksaltar
Münster Zwiefalten, Altarinsel PiotrMig/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
Den Gemeindemitgliedern wird dabei die Idee hinter diesen neuen Altären häufig so lange erklärt, bis sich auch der Letzte geschlagen gibt und Sachen sagt wie: "Ich habe das am Anfang auch nicht gesehen, aber jetzt!" Wirklich?

Ich beobachte Prozesse wie diesen schon länger. Selbst kleinste Dorfkirchen bleiben nicht verschont, bei denen übrigens fraglich ist, ob diese in zehn Jahren angesichts der aktuellen Entwicklung (Priestermangel, Mitgliederschwund) noch regelmäßige Sonntagsgottesdienste anbieten werden. Den Gemeindemitgliedern wird dabei die Idee hinter diesen neuen Altären häufig so lange erklärt, bis sich auch der Letzte geschlagen gibt und Sachen sagt wie: "Ich habe das am Anfang auch nicht gesehen, aber jetzt!" Wirklich?

Unbefangene Besucher stoßen sich dagegen häufig sofort am Kontrast zwischen den neuen Altären und den historischen Kirchenräumen. Die Verbindung von Moderne und Barock gelingt selten und kostet viel Geld.

Das ahnen wohl auch die Weingärtner. Wer sich hier weiter umhört, kommt schnell zum Eindruck, dass die Menschen befürchten, dass ihnen etwas aufgezwungen werden soll. Nochmal: Obwohl hier ein historischer Altar vorhanden ist, der nicht nur intakt ist, sondern es gerade wegen seiner besonderen Geschichte auch wert ist, erhalten zu werden. Außerdem hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart angesichts der künftig sinkenden Kirchensteuereinnahmen gerade einen Prozess mit dem Titel "Räume der Zukunft" gestartet, bei dem es unter anderem um künftige Einsparungen und die Veräußerung von Gebäuden gehen soll. Vor diesem Hintergrund erscheint der teure und unnötige Neubau eines Altars geradezu verschwenderisch.

Soll ein bestimmtes Kirchenbild über die Zeit gerettet werden?

Bleibt die Frage, warum neue Volksaltäre, Altarinseln generell, in den letzten Jahren so stark vorangetrieben und diskutiert werden. Gerade dazu in einer Zeit, in der der sonntägliche Gottesdienstbesuch bei gerade mal fünf Prozent (!) liegt und die Kirche massiv an Mitgliedern einbüßt.

Ist man ein Verschwörungstheoretiker, wenn man darin ein Statement derer sieht, die ihr inzwischen doch recht angestaubtes Kirchenbild der Nachkonzilsära über die Zeit retten wollen? Die ihre Überzeugungen und Ästhetik mit massiven Volksaltären unverrückbar gerade in Barockkirchen einbetonieren wollen, deren Altarraum eigentlich auch spirituell eine andere Sprache spricht. Ist der barocke Raum für sie Relikt einer überholten Frömmigkeit, die der Korrektur bedarf? Viele Gläubige teilen das nicht.

Bei der Frage nach Neuerungen in ihren Kirchen scheinen die Experten auf die einfachen Gläubigen selten zu hören.

Das Paradoxe dabei wäre: Diejenigen, die so denken, betonen doch gerade immer wieder, wie wichtig es ist, "das ganze Volk Gottes", einzubeziehen: So soll im Altarraum der Ambo möglichst nah bei den Menschen stehen, der Altar muss kleiner, überschaubarer sein und am besten haben alle drumherum in einem Stuhlkreis Platz. Stufen, die Kleriker und Laien trennen, gibt es in dieser Vorstellung natürlich keine. All das kann man natürlich nicht nur in Rottenburg-Stuttgart, sondern beispielsweise auch an der Debatte rund um die Neugestaltung der Hedwigskathedrale in Berlin verfolgen. Bei der Frage nach Neuerungen in ihren Kirchen scheinen die Experten auf die einfachen Gläubigen selten zu hören. Gerade wenn diese sagen: Ein moderner Altar passt gut in eine moderne Kirche, aber nicht in ein barockes Denkmal. Ist das nicht klerikalistisch?

Den Weingärtnern bleibt nur zu wünschen, dass sie ihren alten Rolls Royce behalten dürfen.

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