Gruselkabinett KircheWas tun gegen das Dan Brown-Framing?

Ein routinierter Rom-Korrespondent bringt in einer bayrischen Lokalzeitung einen großen Artikel unter, in dem er die katholische Kirche als mafiöse Sekte darstellt. Das prägt die Wahrnehmung in einem Bundesland, das sich seiner christlichen Wurzeln rühmt. Die Kirche muss verstehen: Nichts, aber auch gar nichts ist mehr selbstverständlich.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Kein Morgen beginnt hier ohne meine Tageszeitung. Keine überregionale, nein die hiesige bayrische Lokalzeitung muss es sein. Sie bietet weit mehr als die Nachrichten und Kommentare der großen Zeitungen, die man online ohnehin irgendwie im Tagesverlauf noch konsumiert. Im Lokalteil erfährt man, in welchem Stadtteil Bürgerinitiativen entstehen, warum ein ehemaliger Künstler seit Jahrzehnten einen kleinen Bio-Laden führt oder amüsante Details über Land und Leute – wie etwa, was eine Klofrau beim Volksfest in der Nacht so alles erlebt. Natürlich bieten auch die Leserbriefe spannende Einblicke. Und so ist die Lektüre jeden Morgen auch ein kleines Stück Soziologie, wenn man verfolgt, wie über was, für wen und mit welcher Tonalität berichtet wird.

Die Berichterstattung über die Kirchen verfolge ich berufsbedingt besonders interessiert. Ein Text hatte es kürzlich ganz groß in den vorderen Teil einer Ausgabe geschafft. Unter der Headline "Heiliger in Sneakers" wurde dem seligen Carlo Acutis eine ganze Seite eingeräumt. Ein Sommerloch-Phänomen? So viel Platz bekommen kirchliche Themen außerhalb von Skandalen oder Papst-Reisen selten.

Fremde Gegenwelt

Jedenfalls hat mich diese Lektüre geärgert. Der Text sollte dem Leser ausführlich erklären, was es mit der nahenden Acutis-Heiligsprechung so auf sich hat. Geschrieben hat ihn ein langjähriger Rom-Korrespondent. Ein Kenner der Materie; fachlich enthält der Text korrekt alle Rahmendaten des Ereignisses. Zwischen den Zeilen aber ist er ein erschreckendes Zeugnis der Gegenwart. Denn dem Geschehen wird kaum noch Verständnis entgegengebracht. Nein, die Kirche wird im Text fortwährend als fremde Gegenwelt stilisiert, verrucht und geradezu gefährlich.

So wird Acutis als "überaus nützliche Figur für die katholische Kirche" beschrieben, den die Kirche in Szene zu setzen wisse. Entstanden sei ein "kaum zu glaubender Hype". Die Verehrung seiner Herzreliquie, die momentan durch viele Kirchen reist, wird so kommentiert: "Für viele andere hatte es etwas Makaberes, für die katholische Kirche gibt es wenig Besseres". Die Normalität des Jungen hätte diese Kirche zum Programm gemacht, um mutmaßlich "suchende jugendliche Seelen für den Glauben einzunehmen". Es klingt, als würde von einer gefährlichen Sekte berichtet, die einen toten Teenager instrumentalisiert, um ihre Macht auszubauen – statt von der hierzulande bisher selbstverständlichen religiösen Heimat vieler Menschen, die die Kultur des Landes maßgeblich geprägt hat.

Und es geht noch weiter: Dass Acutis vielleicht Schutzheiliger des Internets werden solle, sei weiter der Plan der "Spindoktoren (!) im Vatikan". Der Autor ist sich auch nicht zu schade, und hier fehlt wirklich nicht mehr viel zu einer Dan Brown-Story, eine "dunkle Allianz zwischen Mailänder Hochfinanz und Klerus" ins Spiel zu bringen, da Acutis vermögende Familie mittlerweile dort lebe und zur Zeit der Vorbereitung der Seligsprechung der "dubiose Kardinal Angelo Becciu" Chef der Kongregation für die Heiligsprechungen war. Auch die Mutter hätte früh begonnen, "an der Legende mitzustricken". Alles eine Verschwörung? Mit welchem bösartigen Ziel, frage ich mich? Die Menschen abhängig zu machen von einem Glauben, der Trost und Zuversicht spenden kann?

Ein Katholik ist nach dieser Lektüre also: Anhänger einer mafiösen, seelenfängerischen Institution mit gruseligem Totenkult, der an merkwürdige Halluzinationen glaubt.

Die zwei Heilungen auf Fürsprache von Acutis werden natürlich auch sehr skeptisch betrachtet: "Ein Wunder, wirklich?" Auch die eucharistischen Wunder, denen Acutis ja eine eigene Website gewidmet hatte, werden als "rätselhafte Kategorie mystischer Halluzinationen um eine Oblate" beschrieben. Für Gläubige seien sie "Phänomene der Offenbarung Jesu Christi". Diese kommen im Text auch nicht gut weg, Beter an Acutis einbalsamiertem Leichnam in Assisi werden vom Autor genau beobachtet, Fazit: "Ein katholisches Gruselkabinett?" Ein Katholik ist nach dieser Lektüre also: Anhänger einer mafiösen, seelenfängerischen Institution mit gruseligem Totenkult, der an merkwürdige Halluzinationen glaubt.

Die Kirche ist kein Teil der Alltagskultur mehr

Der Text ist kein Einzelfall, er zeigt gut, was sich immer wieder beobachten lässt: Die Kirche ist kein selbstverständlicher Teil der Alltagskultur mehr, sondern wird mehr und mehr zum fremden Gegenüber. Das löst Fragen aus: Wenn der Leserschaft in einem Bundesland, das sich immer wieder seiner christlichen Wurzeln rühmt, ja das seine katholische Volksfrömmigkeit geradezu zur Kernidentität erklärt, kirchliche Ereignisse so erläutert werden – dann muss die Kirche in ihrer Kommunikation verstehen, dass sie zwar noch irgendwie anschlussfähig ist, aber das Positive wieder neu erklären muss und nichts mehr voraussetzen darf.

Gerade bei jüngeren Generationen. Eine Szene vom Augsburger Plärrer, dem größten Volksfest Schwabens, eine Art Mini-Oktoberfest, kommt mir in den Sinn. In einem der Bierzelte feierten dort kürzlich hunderte junger Menschen fröhlich unter einem großen Werbebanner, auf dem stand: "Der Herrgott im Herz’m, a Madl im Arm, ’s erste macht selig, ’s zwoate macht warm." Schöner Schein, denke ich. Denn die Statistiken und auch die Sonntagsgottesdienste zeigen doch schonungslos: diese Altersgruppe ist "beim Herrgott" nur noch vereinzelt zu sehen. Heiligenverehrung und Eucharistie waren den Großeltern vielleicht noch wichtig, für die Mehrheit der Jungen dürfte es tatsächlich eine merkwürdige Gegenwelt geworden sein.

Diese Fremdheit zu erklären, zumindest plausibel zu machen – hier muss die Kirche doch stärker in die Verkündigung gehen, also zeigen, was der Glaube Gutes bereits hält. Dass viele Menschen im christlichen Glauben und in den Sakramenten der Kirche Seelenfrieden finden – früher und heute – darf nicht nur im Bierzelt als sentimentale Heimat-Dekoration stattfinden. Sonst häufen sich auch künftig die Stimmen, die ein Framing wie der Autor verwenden: alles dubios, ganz gruselig, manipulativ. Selbstverständlich katholisch scheint in der Welt außerhalb der immer kleiner werdenden kirchlichen Blasen nichts mehr zu sein.

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