Kraftlose RitenWie heute beerdigt wird, hat mich schockiert

Ich habe nicht viel Erfahrung mit Beerdigungen. Kürzlich verabschiedete ich meinen Großvater, der mit 97 sehr alt geworden war. Für meine Familie war es die erste Bestattung seit über 10 Jahren. Was sich alles verändert hat, macht mich nachdenklich.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Für jemanden, der zwar Theologie studiert hat, aber nie das Ziel hatte, in der Gemeinde zu arbeiten, sind pastorale Dienste wie Beerdigungen ein blinder Fleck. Wie ihr Ablauf eigentlich vorgesehen ist, das weiß ich schon, doch die tatsächliche Umsetzung erlebe ich nicht. Bis im September mein Großvater starb und die Trauerfeier organisiert werden musste. Ich lernte dabei, dass Beerdigungen heute sehr gerne außerhalb der Kirche stattfinden. Als Wortgottesdienst in der Aussegnungshalle auf dem Friedhof. In liturgischen Büchern aus dem Studium finde ich den Hinweis, dass diese Option "aus stichhaltigen pastoralen Gründen" möglich sei.

Vor ein paar Jahren habe ich das noch anders erlebt: Eucharistiefeier für den Verstorbenen mit Sarg in der Kirche, Gang zum Friedhof mit Sargträgern und dem Kreuz an der Spitze des Zuges. Vom Rosenkranzgebet zuvor ganz zu schweigen. Meine Verwunderung, dass das wohl oft nicht mehr gewünscht ist, wich schnell der Erkenntnis, dass der massive Rückgang des Glaubens eben auch hier zur Herausforderung wird. Wie eine kirchliche Beerdigung realisieren, wenn die meisten Angehörigen zur Kirche kaum noch Bezug haben? Dass dann alles möglichst niederschwellig sein soll, ergibt Sinn. Aber: ein Grund ist wohl auch, dass nicht nur der Pfarrer beerdigen kann, sondern auch die anderen kirchlichen Mitarbeiter, also Diakone, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten. Diese Entlastung in Zeiten des Priestermangels hat den Menschen die Totenmesse wohl auch ein wenig abgewöhnt.

Mich schmerzte das. Ist von der Eucharistiefeier kein Trost mehr zu erwarten? Ist sie ein lästiges, unverständliches Programm geworden, das den Ablauf unnötig in die Länge zieht?

Auch dieser Überrest eines einst großen Rituals hat den Abschied leichter gemacht. Auftrag erfüllt. Die Institution Kirche gebucht als eine Stimme, die in die Sprachlosigkeit des Todes spricht. Und diese Stimme soll heute bitte sanft sein.

Den Wortgottesdienst für meinen Großvater gestaltete jedenfalls ein Priester in Rücksprache mit der Familie. Neues geistliches Liedgut war am anschlussfähigsten, ein Psalm fand Auslegung in einer kurzen Ansprache mit Würdigung eines langen Lebens und ein paar netten Worten. Routine. Man saß eng beisammen in der kleinen Aussegnungshalle, das einzige Kreuz war das mit dem Namen meines Opas darauf. Blumen waren aufgestellt, kahle Ecken des Raums wurden mit Zierpflanzen gefüllt. Und ja: Auch dieser Überrest eines einst großen Rituals hat den Abschied leichter gemacht. Auftrag erfüllt. Die Institution Kirche gebucht als eine Stimme, die in die Sprachlosigkeit des Todes spricht. Und diese Stimme soll heute bitte sanft sein. Oder ist sie kraftlos?

Ich habe ein Faible für alte religiöse Bücher und bin neugierig, wie die Bestattung wohl früher ablief. In einem Buch von 1924 finde ich Übersetzungen der Gebete des Rituale Romanum, die der Priester damals am Sarg gesprochen hat. Da herrscht ein ganz anderer Ton:

"O Gott dem es eigen ist, sich alle Zeit zu erbarmen und zu verschonen: wir bitten dich flehentlich für die Seele deines Dieners N, den du heute aus dieser Welt hast scheiden lassen, dass du ihn nicht in die Hände des Feindes überlieferst und seiner nicht für immer vergessest, sondern dass du ihn von den hl. Engeln aufnehmen und in die Heimat des Paradieses geleiten lassest, damit er, der auf dich gehofft und an dich geglaubt hat, nicht die Strafen der Hölle erdulde, sondern die ewigen Freuden besitze."

Weiter fällt der Hinweis: "Die Gebete haben einen klagenden und flehenden Akzent, die Gesänge eine ernste und ergreifende Melodie." Die Landkarte des Jenseits war früher eindeutig: Himmel – Hölle – Fegefeuer. Heute ist sie diffus geworden.

Die Kirche sei die "erste und größte Helferin ihrer sterbenden Kinder", lese ich in dem alten Buch weiter. Es ist die Rede von einer "unvergleichlichen Gebetshilfe" gerade durch die Heilige Messe. So hatte ich mir das auch vorgestellt. Hänge ich einer überkommenen Theologie nach?

Das Requiem, also die Totenmesse, in der für die Seele des Verstorbenen gebetet wird, hat über Jahrhunderte auch die Kunst inspiriert. Musikalische Interpretationen sind bis heute ein Kassenschlager, beispielsweise Aufführungen von Mozart oder Verdi. Auch zeitgenössische Komponisten vertonen weiterhin die alten Texte des Requiems. Liegt das nicht auch an der Wucht des Inhalts? Wer kann bei Verdis "Dies Irae" ruhig bleiben? Die gewaltigen, endzeitlichen Bilder, die Christus als Weltenrichter schildern, der über die Menschen sein Urteil spricht, machen betroffen – und münden schließlich in die erlösende Bitte: "Huic ergo parce, Deus. Pie Iesu Domine, dona eis requiem. Schone ihn also, o Gott, gütiger Herr Jesus, gib ihnen Ruhe." Was für eine Zuversicht, dass es einen Erlöser gibt. Bei der Beerdigung meines Großvaters erinnerte daran nur noch das Mini-Gebet: "Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm. Lass ihn ruhen in Frieden. Amen."

Die Kirche kann tatsächlich Heil vermitteln. Oder?

Dass eine Beerdigung mehr ist als nur ein persönliches Abschiednehmen, sondern auch die Gelegenheit bietet, für die Seele des Verstorbenen in besonderer Weise zu beten – dieser Gedanke scheint schwer vermittelbar geworden zu sein. Von der Wirkmacht einer Eucharistiefeier ganz zu schweigen. Ich habe das vermisst. Bin ich ein Sonderling, wenn ich Trost im Kirchenraum und der eucharistischen Gegenwart des Herrn finden würde, während andere vielleicht auf die Uhr schauen? Wäre es nicht wichtig, das den Menschen weiter zuzumuten?

Und fühlt sich das nicht auch für die Seelsorger merkwürdig an, wenn sie immer häufiger vor einer Gruppe stehen, von denen die meisten mit Kirche sonst eigentlich kaum noch etwas am Hut haben? Die den Beerdigungsservice aus bloßer Tradition buchen oder weil der Verstorbene es wollte? Fahren auch Priester nur noch das Schmalspurprogramm ohne Messe, weil sie ahnen, dass die meisten Menschen der Kirche längst nicht mehr zutrauen, dass sie tatsächlich Heil vermitteln kann?

Es sind merkwürdige Zeiten angebrochen, wenn der eigene Totenkult nur noch homöopathisch verdünnt durchgeführt wird. Die Feier für meinen Großvater endete mit dem Klassiker "Segne Du Maria". Verzichtet wurde auf die dritte Strophe. Dabei geht es ausgerechnet darin um die "letzte Stund".

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