#8 inverted bob cutDas Haupt der Kirche: zurechtgestutzt oder Schere im Kopf

Kunst und Kirche: So packt man die Dinge am Schopf.

Diözesanmuseum Limburg, Christkönigkasel (Inv. T2075)
Christkönigkasel (Inv. T2075)© Diözesanmuseum Limburg

Diese Kasel stünde sicherlich auch einem langhaarigen Guru aus einem Hippie-Kult, doch das 1935 entstandene Messgewand mit Seidenstickerei aus Gold- und Silberfäden, gefertigt von den Kölner Werkstätten, zeigt Engel mit Pagenkopffrisuren, die den Formen des Art déco folgen. Auf der (hier nicht sichtbaren) Kehrseite ist das Motiv des Christkönig zu sehen: Diese Darstellung übrigens verstanden die Auftraggeber aus Limburg an der Lahn als eine Kritik an den damaligen politischen Verhältnissen, in denen die Nationalsozialisten jegliche Ideologie auf Volk und Nation festlegten. Demgegenüber stellt dieses Gewand Christus als einen alle nationale Grenzen sprengende, universale Gestalt der Schöpfung dar, das heißt, Christus als Gegenbild zu ideologisch enggestrickten Herrschaftssystemen. Bemerkenswert sind auch die Frisuren der hinknienden Engel, die mit dem Pagenschnitt einem weiblichen Rollenbild aus dem völkischen Zeitgeist der Dreißigerjahre widersprechen.

Der Friseurweltmeister und die Tonsur

Als der Haar-Stylist Mario Krankl aus Salzburg um das Jahr 2000 bei einem Friseurwettbewerb kurzerhand die Weltmeisterschaft gewinnt und sich fortan Friseurweltmeister nennen darf, ist dies nur ein Abschnitt in einer langen Karriere in der Kreativwirtschaft. Er entwarf seine, teilweise ins Skulpturale übergehende, Haar-Kollektionen nicht nur für prominente Köpfe, sondern auch für die besten Marken im Business, für die er auch als Global Ambassador auftritt.

Immer wieder erprobt Krankl seine Friseurkunst unter neuen Bedingungen: dem Film, im Theater, für die Festspiele, bei Happenings, auf internationalen Laufstegen, aber auch in Verbindung mit der Literatur. Mit einem Freund gründet er später den angesagten Cave Club in Salzburg, um das zu tun, was seiner Ansicht nach jede Kunst mit und am Menschen ausmacht: das menschliche Miteinander und Antlitz zu feiern.

Neben seinen euklidisch anmutenden Frisurenkollektionen wie "Squares & Cubes" oder der jüngst entstandenen gesellschaftskritischen Kollektion "Frankenstein's Beauties" (offenbar gibt’s auch den Schmäh "Kranklstein's Beauties"), in der Mario Krankl eine durch die sozialen Medien verengte Imagination und homogenisierende Sichtweisen thematisiert, experimentierte er in anderen Arbeiten unter anderem mit der Tonsur, die er bei zwei Modellen sorgsam, kreisrund ausrasiert und mit einem neongelben Smiley in der offenen Fläche bekrönt. So stehen die beiden Herrenmodelle in neonfarbenen, habitartigen Gewändern bei Schwarzlicht vor dem Publikum, eine Figur präsentiert im Nebel einen monstranzförmigen Spiegel, erst als sie sich verbeugen, erkennt man die Tonsur mit den gelben Smilies.

Woher die zahme Vorsicht?

Einen Erzabt oder Kardinal hat er bisher noch nicht frisiert, sagt mir der Friseurweltmeister bei einem Gespräch in seinem Salon in der Judengasse 11, was mich zu meiner Frage führt: Während insbesondere die katholische Kirche, historisch betrachtet, oft Hand in Hand mit der künstlerischen Avantgarde umging, natürlich nicht ohne Spannungen, und so eine produktive Kraft war für die visuelle Kultur, scheint sie heute zwischen Gefälligkeit, Glaubensausdeutungsassistenz und Historismus zu changieren. Woran liegt das? Woher die zahme Vorsicht?

Sicher, der Topos "Kunst und Kirche" füllt zahlreiche Monografien und Sammelbände, für deren Lektüre gewiss viele ECTS-Punkte zu haben sind, doch wo bleibt der good fight um die beste Kunst, die transformative Konkurrenz, um das zu schauen, was vorher nicht im Blick war?

Weshalb sind in den letzten Jahren kirchliche Kunstskandälchen häufig so destruktiv oder prohibitiv? Weshalb sind kirchliche Kunstbegegnungen oft zurückgezogen in Kapellen am Land oder in kirchlichen Sonder- und Schutzzonen, wie dem Grazer Kultum oder der Kölner Columba?

Bräuchte es nicht mehr produktives Gerangel im Herzen und Haupt des Kults? Ist heutigen Spiritualitätssachbearbeitern die Lust an der Provokation und Reaktion vergangen? Will niemand denn was anstellen und in die Ambivalenz der religiösen Erfahrung hineingehen? Bei allem Zaudern um den Erhalt dessen, was sich bewährt hat, was liebenswert ist, könnte eine Relecture der Evangelien auch das anarchistische Potenzial des Christentums, gerade in einem Interesse an der Tradition, urbar machen für das, was Glauben – neben Halt, Trost, Form oder Zuversicht – auch meint, nämlich die erschütternde Erfahrung und die Wucht von christlicher Freiheit.

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