#30 StuhlDie Kirche, die Kathedra und eine wichtige Unterscheidung

Wie sitzt es sich auf einem Stuhl, den man nicht besitzt? Welche Gewalt üben Menschen von ihrem Platz aus? Oder besser gesagt: wessen Gewalt?

Kathedra des Papstes im Lateran
Kathedra des Papstes im Lateran© Sailko/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Der Streit um Kirchengüter ist legendär und gelegentlich skurril. Hierzu gehören nicht nur Liegenschaften, sondern auch Sitzgelegenheiten. Jahrzehntelang, zum Beispiel, suchte Mattias Theodor Kloft in der Diözese Limburg nach einem verschollenen Bischofsstuhl mit dazugehörigen Hockern im neugotischen Stil, allesamt bezogen mit grünem Brokatstoff. Jahr ein, Jahr aus, forschte der beängstigend kluge und humorvolle Professor Kloft bei seinen Inspektionen die gesamte Diözese aus, um dieses Sitz-Ensemble wieder aufzutreiben. Viele Inventare bezeugten den Stuhl, doch allein: Er war verschollen.

Theologische Ergonomik

Im Medienfuror um die Immobilien auf dem Limburger Domberg, inzwischen wohl kirchliche Urgeschichte, wird der Kustos eingeladen, den emeritierten Weihbischof Pieschl aufzusuchen. Es ist Abend, der chronisch überarbeitete Kloft läutet am Apartment des Weihbischofs an. Die Haushälterin öffnet ihm die Tür und bittet ihn einzutreten. Hochwürdigste Exzellenz befinde sich im Wohnzimmer. Als der Kustos den Raum betritt, traut er seinen Augen nicht: Da sitzt der Weihbischof vorm Fernseher. Er schaut Fußball, Polen gegen Deutschland. "Ich hab mir die Augen gerieben", sagt mir der Kustos später amüsiert, "aber da saß er im vermissten Bischofsstuhl. Ich war vollkommen verblüfft." Habemus cathedram!

Vielleicht eine zweite Anekdote noch. Ein andermal traf ich eine Theologie-Professorin. In ihrem Büro stellte sie mir ihren neuen Schreibtischsessel vor: "Man kann für Bürosessel nie genug ausgeben", stellte sie fest: "Man sitzt ja so viel darin." Ihr neuer Stuhl war ein ergonomisches Wunderwerk. Sie drängte mich, darauf Platz zu nehmen. "Ist er nicht bequem?", fragte sie mich schließlich. Bevor ich antworten konnte, begann sie alle Positionen durchzudeklinieren, in die der Stuhl zu bringen war. Sie pumpte, betätigte Hebel, zog an einem Riegel, drückte innig an den verschiedensten Knöpfen. Ich kam mir dabei ein bisschen wie beim Zahnarzt vor – aber gut.

Der Bischofssitz, die Kathedra, zumal der Heilige Stuhl, der Stuhl Petri, symbolisiert (ein bisschen irreführend) pars pro toto die bischöfliche und päpstliche Autorität. Diese Autorität wird in einer Art Staffellauf durch die Jahrhunderte von einer Person durch eine andere übernommen. Es ist eine Abfolge von Personen, allesamt gewählt. Manchmal nennt man diese Kette der Bischöfe und Päpste auch eine apostolische Sukzession. Sie gründet sich auf den unverrückbaren Auftrag Christi an seinen Jünger Petrus. Im Matthäusevangelium heißt es:

"Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein" (Mt 16, 18-19).

Das Geheimnis von Brücke, Leib und Fels

Mit dieser Formulierung beginnt eine wichtige Unterscheidung: Der Kirchenbauer auf dem Felsen ist Christus, nicht Petrus. Der Stuhl ist daher nicht Symbol für die Kirche pars pro toto, vielmehr ist sie gestiftet von Christus und wohnt all ihren Gläubigen inne, die im Leib Christi (also der Eucharistie) zur Kirche werden. Zugleich – und das ist tricky – repräsentiert die bischöfliche Person auf dem Stuhl den Geist dieser Autorität.

Damit ist eine revolutionäre und moderne Unterscheidung geboren, die jedem Diktator und Tyrannen große Angst einflößen muss: die Unterscheidung von Person und Amt.

 

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