Rhetorik und Bürokratie können das Verlangen nach dem Geheimnis nicht ersetzen. Wer hat das Monopol auf die Zukunft und das, was sie für uns bedeutet? Vorüberlegungen zur Eschatologie, der Lehre von den äußersten Dingen.

Es ist, wie schon der Katechismus der Katholischen Kirche (2116) sagt, eine heikle Angelegenheit, ja verboten, sich der Zeit bemächtigen zu wollen. Das heißt: Nicht im glaubenden Ernstnehmen der Gegenwart und zugleich dem hoffenden Mitnehmen der Vergangenheit, also aus Präsenz und Erinnerung heraus zu leben, sondern durch Tricks sich Einsicht verschaffen zu wollen ins Künftige. Wahrsagerei zu betreiben. Also ein bisschen mehr an das zu glauben, was die Bleifiguren fürs künftige Jahr bedeuten mögen, die man am Silvesterabend aus dem Wasser hebt. Ein wenig mehr Bedeutung dem zu schenken, was Gerda Rogers aus einem Tageshoroskop über dein Immobilieninvestment herausliest.

Die kapitalistische Ausbeutung des Okkulten basiert auf warenförmigen Dienstleistungen, die auf ein Bedürfnis reagieren, sich der Zeit zu bemächtigen. Das erste und zweite Gebot schieben diesem Bedürfnis einen Riegel vor: Neben Gott keine anderen Götter zu ehren sowie den Namen Gottes, der erste und äußerste Grund jeglicher Hoffnung, nicht zu verunglimpfen.

Trotzdem: Wozu lesen Menschen Ratgeberliteratur? Wozu existiert eine höchst lukrative Industrie, die aus dem Kaffeesatz, Glückskeksen, Traumdeutung bzw. -fänger, Chakra-Kerzen, Handlesen und Aura-Fotografien in therapeutisch-praxisähnlichen Settings, aber auch vom Smartphone bis zur VR-Brille jeden Space zu nutzen weiß?

Und versäumt eine Gnadenlehre und Eschatologie, die auf ihre Vorbedingungen reflektiert, hier nicht eine wichtige Quelle, wenn sie die Neugier und das Bedürfnis von Menschen abtut und sogleich zum bibliografiefähigen "Diskurs" übergeht?

In der Kirche glaubt man allzu oft, ein Streitgespräch, eine Debatte um Glaubensfragen, ein fröhliches Sesselrücken bei einem Vortrag mit anschließendem Sektempfang ersetze nicht nur das Gebet, sondern tiefer noch die Sehnsucht, die die Hände zum Beten faltet.

Oft beschleicht mich das Gefühl, dass die institutionalisierte theologische Reflexion in ihrem sprachlich-argumentativen, historisch-kritischen, wenig imaginativen Modus operandi den Kontakt nicht nur zum Bedürfnis verliert, sondern auch zum Geheimnis, also ihrem Grund.

In der Kirche glaubt man allzu oft, ein Streitgespräch, eine Debatte um Glaubensfragen, ein fröhliches Sesselrücken bei einem Vortrag mit anschließendem Sektempfang ersetze nicht nur das Gebet, sondern tiefer noch die Sehnsucht, die die Hände zum Beten faltet. Das kirchliche Tagesgeschäft anästhesiert in seinen bürokratischen Selbstbeschäftigungen und seinem offiziösen Gebaren das Geheimnis und ersetzt es durch eine leere Litanei von Kalendersprüchen, ethischen Benimmregeln und vagen Weltverbesserungswünschen.

Es ist daher eines, aus der gelehrten Lektüre zu wissen, dass Julius Caesar seine Weissager hineinspähen ließ in die Eingeweide. Schauen ließ er aufs aufgeschlitzte Gedärm, das glitschig und flutschig, zuckend, aalig aus dem blutigen Getier aufs raue Gestein rutschte, vor den Iden des März. Es ist eines, aus Büchern zu wissen, wie sie Mantik betrieben, Divination, indem sie deuteten jede Falte, Farbe und Furche der Leber, sie abwogen mit blutigen Händen und orakelten, was ihm, dem Caesar, bevorstand.

Es ist etwas anders, sagen wir, in Lissabon hinten in einem Souvenirshop durch den klackernden Bambusvorhang durchzugehen, sich hinzusetzen vor einem alten Brasilianer, der dann minutenlang nicht bemerkt, dass man dasitzt. Bis er schließlich, als sei er aufgewacht oder zurückgekommen, an seinen Campingtisch in dieser kleinen Kammer, wo rings die importierten Souvenirs in Kartons lagern und nur eine Handvoll Kerzen eine zögerliche Helligkeit erzeugen, aufblickt. Oben in einem Regal sitzt, glaube ich, an einem Fuß angebunden, ein Papagei. Oder ist es ein Frettchen?

Der alte Brasilianer, der abends vielleicht, wenn niemand zum Tarot gekommen ist, auch manchmal in einem billigen Restaurant für die Touristen Fado singt, schaut dich jetzt an. Sein Englisch ist schlecht. Sein Hals und die Rückhand sind mit kleinteiligen Tattoos übersät.

Tarotkarte "Ace of Swords"
gemeinfrei/Wikimedia Commons

Er will wissen, was deine Frage ist. Du nennst sie ihm. Es ist der letzte Tag des Jahres. Mit einem Streich breitet er vor dir die Karten aus. Er fordert dich auf, die Augen zu schließen. Jetzt führt er deine Hand über die Tarotkarten, lässt sie los, dass du blind mit den Fingern entlang der Konturen der Karten tastest, schließlich sagt er, "Zieh!" Als du die Augen öffnest, blickst du auf die Karte, die vor dir liegt: "Ace of Swords."

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