"Es geht bei einem irrationalen Objekt wie dem Sportwagen weniger um eine Konvention, sondern um eine geteilte Passion und Zuneigung", meint ein Porsche-Enthusiast: Was sagt uns das für die Sakramente der Kirche?

Enthusiasten gelingt es oft nur schwer, den Grund für ihre Passion zu benennen. Wieso hast du so eine Leidenschaft für dieses Kunstwerk, weshalb gefällt dir dieser Musikstil, weshalb weißt du alles über Flugzeuge und nichts über Fußball, weißt du alles über Pferde und nichts über Delfine, was fasziniert dich am Eiskunstlauf oder dem Schwebebalken? Du fährst tausende Kilometer, um in einem Wingsuit über diese Klippe zu springen oder mit der Kletterausrüstung diesen Steilhang zu besteigen. Was macht dich am Porsche 911 im Gegenzug zum Mustang so wahnsinnig an? Oder nicht. Warum huldigten Jil Sander, Marion Gräfin Dönhoff, die Tennisspielerin Martina Navrátilová, aber auch der Comedian Jerry Seinfeld oder James Dean (im Vorgängermodell 356) dem zeitlosen Design des Neunelfers immer hart an der Kante zum Crash?

Wenn Menschen etwas wichtig ist, nehmen sie Mühen auf sich, um in das Geheimnis einzusteigen. Sie trainieren jahrelang, investieren enorme Summen, richten ganze Lebenswege darauf ab, opfern ihre Zeit, spannen sich und andere im Streben nach diesen Zielen ein, versuchen jeden Winkel des Geheimnisses auszuforschen, setzen ihm Denkmäler, verleihen Pokale und Preise, errichten ihm Stätten wie Rennstrecken, Museen oder Tempel.

Ein Geheimnis ergründen zu wollen, ist meist eine heikle, oft zweischneidige, auch dubiose, abgründige Sache. Während Gnade nicht selten individuell überwältigend, als eine Wucht erlebt wird (traut man unzähligen Berichten), setzt die Kirche dem Geheimnis Schranken, indem sie Formen – Rituale – entwickelte: Eine Gruppe dieser Formen sind die Sakramente.

Vom Finden und Feiern der unverwechselbaren Form

Anders als frühere Mobilitätsverzückte unter den Futuristen, wie etwa der Dichter Filippo Tommaso Marinetti oder die Malerin Olga Rozanova, sind die Freunde des Posche 911 nicht nur vom Rausch der Geschwindigkeit verzückt. Vielmehr zeichnet sich ein neues Gefühl für Kult und Ritual um das Fahrzeug selbst ab. "Der Porsche 911 bot von Anfang an eine balancierte Mischung aus einprägsamer Form und viel Projektionsflächen. Die von Porsche angestrebte Harmonie der Karosserie gab der Form etwas Selbstverständliches, auch wenn sie in ihrer dynamischen Eleganz etwas Kühnes hatte", schreibt Ulf Poschardt in seiner hinreißenden Kulturgeschichte des 911ers. Hierzu gehören auch die wundervollen Felgen der Firma Otto Fuchs, die zahlreiche Varianten gefunden haben, ohne ihre Identität zu verlieren: Der silberne Radstern läuft sanft gerundet, fünfpässig auf das Porsche-Wappen zu.

Sind solche Designelemente sakramentale Bestandteile des Porsches, also Element, die uns auf die Spur seines Geheimnisses bringen? Eine ganze Szene beschäftigt sich mit dem Auto, nicht nur auf Tuning spezialisierte Werkstätten, auch Sammler und Fans dieses Sportwagens betreiben einen regelrechten Kult. Was macht also das Design des 911ers unverwechselbar, warum streiten sich Puristen mit Entwicklern bei jeder neuen Auflage des Autos?

Ulf Poschardt, dessen Kulturgeschichte des 911ers man als ein Case Study von Martin Heideggers Technik-Essay "Die Kehre" (1953) lesen könnte, meint: "Gerade, weil der Porsche einen unverwechselbaren Charakter hatte, konnte er stetig verändert werden. Etwas philosophisch formuliert könnte man sagen, dass Identität und Differenz in einem besonderen komplexen Verhältnis zueinanderstanden, weil die Identität derart viele Differenzen zuließ."

Der Gnade auf der Spur

Zurück zu den Sakramenten: Schon der Heilige Augustinus wollte das Geheimnis der Sakramente in eine semiotische Denkübung überführen, will sagen: Er leitete seine Leser hinab in ein rabbit hole, wo sie zwischen der Sache (Materie) und den Zeichen unterschieden. Auch allegorische Krücken misslangen oft, wenn etwa die Taufe mit einem Ei verglichen wurde, das zum Omelett gebraten worden ist und nicht mehr entbraten werden kann.

Oder wenn die Seele mit einer Kerze verglichen wird, das heißt, mit Wachs, das im Sakrament weich wird, in das sich der Heiland eindrückt. Oder die Schwelle und der Übergang, auch Aufnahme, Visitation und Einkehr gehören zu diesem ungeschickten Repertoire an Sakramentskrücken. Andere sprechen vom "Mehr", vom Überfluss, vom Überschuss, dem Überschwang oder rundlippig gallizistisch von einem Surplus.

Die Minutentraktate der Sinnfluencer:innen auf Tiktok und Instagram sind, leider ohne Filter, voll von anmutigen Zitaten etwa des Heiligen Franz von Sales, sie überraschen mit den entlegensten Aussprüchen einer Maria Faustina Kowalska oder beglücken unsere degradierte Aufmerksamkeitsspanne mit kurzweiligen Bildern der Wandlung – doch weder die Rede vom Tau- noch vom Siedepunkt, weder Lunge noch Atem, nicht die Raupe und kein Schmetterling geben uns einen Begriff, von dem, was mit uns geschieht beim öffentlichen Vollzug der gnadenvollen Geheimnisse.

Die etwas vorsichtigeren Empiriker des Sakraments, die allerdings auch stets scheitern müssen, sprechen anstatt von den Konturen lieber von den Wirkungen, die von diesen Mysterien in die Zeit gesetzt sind, die fortschwingen, Dramatik und Spannung schenken in Einzelnen und in Gemeinschaften: etwa Jubel und Reue, Exaltation und Friedens, Offenheit und Mut, Milde, Tröstung und Entschlossenheit, Verbindung und Genugtuung, Ansporn sowie Zuversicht. Sie zäumen, wie man wohl sagt, das Pferd von hinten auf.

Fuchs Felge, 1965, Porsche AG
Fuchs Felge, 1965, Porsche AG Posche AG 

Square that Circle

Also wie sollen wir die Spur finden, den Weg begehen? Kurs halten. Diese Sakramente beobachten. Schwankte nicht noch lange Jahrhunderte hindurch ihre Zahl? Im Mittelalter gab es mancherorts eine dreistellige Zahl an Sakramenten, ein Arsenal an Riten und glanzvollen Werkzeugen, die diese oder jene Gemarkung auf dem Heilsweg zu setzen wünschten. Heute sind es sieben. Man hat verstanden. Doch hat man, neben ihrer Form, ihrem Anlass, ihren Akteuren einen Begriff davon … wovon? Der Liebe Gottes, der Gnade selbst, seiner Zusage an seine Schöpfung?

Ist die Frage demnach, die durch die theologische Auseinandersetzung mit dem Sakrament – nicht nur seiner liturgischen Beobachtung, Feier und Absolvierung, – also dem Nachdenken über das sakramentale Geschehen diese: Wie machen wir uns eigentlich einen Begriff davon, was uns prägt, was der Motor unseres Lebens ist, was mich anzieht, wie ich mit dieser Energie umgehe?

Und – mehr noch – bleibt im Hinblick auf die Sakramente nicht so sehr eine Reihe an Antworten, sondern eher eine Reihe an Fragen: Was sind die bewusst gesetzten Augenblicke, darin Temperament, Gefühlsprägung, Aura, Speed, Worumwillen, von mir aus auch Sinnrichtung von Devotion und Adoration greifbar sind und auf den Punkt kommen? Wie sind diese Augenblicke gestaltet, wen sprechen sie an, was bringen sie an Fülle aufs Tableau, was eröffnen und vertiefen sie in mir? Wie integrieren wir unsere persönlichen road movies ein in die Topografie einer jahrhundertealten Tradition der katholischen Kirche und in die spirituellen Landschaften der Gegenwart?

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