Es ist schon erstaunlich, welche Slogans den Verkauf von Genussmitteln befördern. Ob ein Slogan werbewirksam ist, lässt sich am Absatz messen. Wollte man im deutschsprachigen Raum einst Schokolade verkaufen, berief man sich auf den Slogan: quadratisch, praktisch, gut.
Quadratisch, weil hier eine an Geometrie grenzende Plausibilität suggeriert wird. Praktisch, weil: Was verführt schon eine funktionalitätsfleißige Seele mehr als praktisch verstaubare Schokolade? Und schließlich gut, weil: Welche am Body-Maß-Index orientierte Körperkultur möchte sich schon an 100 Gramm Alpenmilch versündigen?
Diese Werbe- und Marketingformulierungen lassen sich aus einem gnadentheologischen Erkenntnisinteresse heraus analysieren. Nicht vordergründig, als eine manipulative, kapitalistische Zweckrhetorik, sondern um die darin innewohnende Verheißung, ihre semantische Teleologie zu ergründen, die auf Surplus und Gewinn abzielt, das heißt: für das subjektive Begehren, Verlangen, Trachten und Sehnen wertvoll ist. Hier also ein paar Leseversuche.
Von der aktivistischen NGO über die Tugendökonomie zur Heilsfrucht
Slogans sprechen unsere Motivation an. Sicher, sie sind auch manipulativ. In Wien etwa wirbt eine Kette von Eisdielen, Veganista, mit dem Slogan "Ehrliches Eis." Denn: Wer will schon von einer Eiskugel betrogen werden? Oder beim Eisessen gar von einem aus Industriezucker bestehenden Softeis im Schokomantel angelogen sein? "Ehrliches Eis" ist aus regionalen Inhaltsstoffen auf pflanzlicher Basis – "klassische Sorten." Und nicht billig.
Genuss wird hier kaschiert durch eine asketische Rhetorik, die den Konsum zu rechtfertigen versucht, indem sie Funktionalität, Ethik und logische Konsistenz suggeriert. Diese Strategie lässt sich auch bei Naturkost-Discountern und ihren Marken (wie Alnatura, Denns BioMarkt, demeter, Reformhaus) verfolgen. Hier ein paar Beispiele: Kichererbsen-Nudeln mit dem Namen "Goodel. Die gute Nudel" oder Waschmittel, die Hersteller mit "sauber ist nicht gleich rein" anpreisen und dabei auf Mikroplastik anspielen. Visuell präsentieren sich diese Produkte häufig in Pastellfarben mit geringer Leuchtkraft und hohem Weißanteil. Die Formen sind demonstrativ schlicht und naturbetont.
Insbesondere Alnatura-Schokoladen verheißen einiges: Dieses "Superfood" mit dem "Glückshormon" kann "bereits [ab] vier Gramm Kakaopulver täglich das Hautbild verbessern und die Faltenbildung reduzieren." Manche sollten offenbar mehr verspeisen als andere.
Die gnadenhafte Zuwendung Gottes zum Menschen ist zwar eine freie, nicht einforderbare, nicht zu verdienende Selbsterschließung, aber, weil sie weder für noch vom Menschen zu erzwingen ist, wird sie vom Menschen als lebenserfüllend und lebensrettend wahrgenommen – ist ihm etwas wert.
Es sind lukrative, das heißt, wertvolle Genussmittel. Warum ist uns als Käufer:innen ihr Wert plausibel oder evident? Und: Was heißt hier Wert? (Pro-Tipp: Es ist nicht in erster Linie ein ethischer Wertbegriff.) Also, warum wird es wertvoll? Um einmal die Sprache der Soteriologie zu verwenden: Die gnadenhafte Zuwendung Gottes zum Menschen ist zwar eine freie, nicht einforderbare, nicht zu verdienende Selbsterschließung, aber, weil sie weder für noch vom Menschen zu erzwingen ist, wird sie vom Menschen als lebenserfüllend und lebensrettend wahrgenommen – ist ihm etwas wert. Die Liebe Gottes braucht daher auch die Limerence des Menschen: seine vernarrte, begeisterte, vielleicht auch irrsinnig glühende Verliebtheit in diese Gabe.
Wenn man hierzu Konkurrenzbeispiele sucht, die auf ein anderes Konsumverhalten aus sind, braucht man nicht gleich die heiligen Kühe zu schlachten und die Steaks auf den Grill werfen. Aber man muss die Farbstimmung wechseln: Glitzer und grelle Neonfarben, Volltonfarben. In meiner Hood, auf der Mariahilfer Straße in Wien, machte vor einem Jahr ein nicht unbedingt von Hawelka inspirierter Coffeeshop auf: Cinnamood.
Täglich bildet sich vor dem Geschäft seit einem Jahr eine kontinuierlich dreißig bis vierzig Personen messende Schlange. Man ist versucht, zu sagen, erwartungsvoll, fast wie vor einer Kommunion. Cinnamood vertreiben Sticky Buns – das sind aufgepimpte Zimtschnecken. Die Bildgebung ist ungestüm, wild und sexy: Diesen Sticky Buns ist jedes Hüftgold egal, vielmehr sind da schamlos glasierte Köstlichkeiten aus fluffigem Teig, getoppt mit Chocolate Drops und bunten Veilchenblüten. Sie zeugen von einer fast unverschämten Gewissheit, sie sagen: Du wirst wieder und wieder zurückkehren.
Lovin' it
In diese Kategorie von Heilsmitteln und Heilsfrüchten fällt auch das Geheimnis der Dubai-Schokolade. Sicher, man mag sie, wenn man verstockt ist, als einen "Hype" aus den Sozialen Medien abtun. Diese pistazienfarbene Bitterschokoladentafeln mit dem gerösteten Kadaifi und Sesampaste liegen üppig, aufgeknackt, fett wie ein Lamborghini mit hochgefahrenen Türen zwischen Dattelpalmen in den Auslagen. Ihre Bildsprache ist betont erotisch, strahlt Opulenz und Exotik aus. Die Dubai-Schokolade ist daher eine ideale Trägerin, Vermittlerin von heilsrelevanten Offenbarungserlebnissen. An Gewissenspein ist hier nicht im Entferntesten zu denken (siehe oben).
Sogar das etwas verschlafene Lädchen "Bonbons" an der Ecke zur Freyung am Schottenstift, das sonst sentimentale Blechbüchsen mit Walzenzuckerl an koreanische und amerikanische Pensionisten auf der Durchreise vertickt … selbst vor diesem verschlafenen Lädchen bilden sich neuerdings unterzuckerte Menschentrauben, seitdem sie an der Eingangstür ankündigen: "Dubai-Schokolade. Wir haben sie auch!"
Religiöse Kommunikation, spirituelles Erleben gelingt, wenn ihr ein innerer Magnetismus innewohnt, wenn es das richtig vermittelte Produkt ist, wenn es verlangt wird, sehnsüchtig, wie aus einem Gefühl des Anfangs und der Erfülltheit.
Was ich sagen wollte: Religiöse Kommunikation, spirituelles Erleben gelingt, wenn ihr ein innerer Magnetismus innewohnt, wenn es das richtig vermittelte Produkt ist, wenn es verlangt wird, sehnsüchtig, wie aus einem Gefühl des Anfangs und der Erfülltheit. Sie ist im Wesentlichen zweckfrei, verschwenderisch, hingebungsvoll: Sie ist mehr Liebenwollen als Worumwillen. Anders gesagt: Die Gnade Gottes braucht einen Konsumwunsch.